Der Wahl-O-Mat für die Bundestagswahl 2025 und wir: Auswertung und Leitkommentar mit allen zentralen Positionen

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Der Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl 2025 ist da: Wahl-O-Mat | bpb.de. Wir haben ihn so schnell wie möglich ausgefüllt. Und für uns beinhaltet er eine Sensation. Wir besprechen unsere Antworten dieses Mal ausführlich und wie es zu dieser Sensation kommen konnte. Hier zunächst unser Ergebnis in Zustimmungsprozenten nach Parteien:

Dann legen wir gleich los – was ist die Sensation?

Nicht, dass „Die Partei“ ganz vorne steht, das hatte ich schon häufiger. Aber die Rangfolge dahinter hat sich noch nie so deutlich und auf eine bisher nicht gekannte Weise verschoben. Die SPD und die Grünen stehen tatsächlich vor der Linken. Der Unterschied ist nicht groß, aber bisher war er groß in der anderen Richtung, meist zwischen 15 und 20 Punkte. Außerdem hätte ich nicht gedacht, dass ich überhaupt mit einer Partei angesichts der Struktur meiner Antworten über 80 Prozent oder nah an 80 Prozent komme.

Hat das für die Wahl nun eine Bedeutung?

Allerdings. Es erleichtert mir die Wahl erheblich. Ich habe zuletzt wieder stark geschwankt, ob ich aus taktischen Gründen die SPD wähle oder doch aus Überzeugung Die Linke, seit die Umfragen erkennen lassen, dass sie es wieder in den nächsten Bundestag schaffen könnte.

Wie fühlt es sich an, wenn man konservativer geworden ist?

Bin ich das geworden? Noch nie hatte die AfD eine so schlechte Punktzahl bei mir, genau wie die FDP, diese bescheuerte Werte-Union gab es früher nicht. Auch die Union liegt mit 42 Prozent sehr schwach, aber im Bereich zwischen 40 und 50 Prozent, also das Übliche.

Ich glaube, die Themensetzung hat sich bei dieser Wahl gegenüber vorherigen Wahlen erheblich verschoben. Es stehen viele Fragen im Mittelpunkt, die früher nicht gestellt wurden. Das fängt schon ganz vorne an, beim Ukrainekrieg.

Wie kann man zu diesem Thema bloß keine Meinung haben?

Doch, ich habe eine ganz klar neutrale Haltung dazu. Über kaum ein anderes Thema haben wir nach der Abkehr von der Wohnungspolitik als Zentralgegenstand so viel geschrieben wie über den Ukrainekrieg. Und ich kann es nicht ändern, es gibt viele starke Argumente für und viele gegen deren (weitere) Unterstützung. Ich glaube sogar, dass das Dilemma, das sich dabei gezeigt hat, allen anständigen Menschen mindestens am Horizont erscheint. Nur Kriegstreiber auf der einen und Putinfreunde und Autokratenversteher auf der anderen Seite können in der Sache ganz eindeutig sein.

Auch die Politik weiß, dass es hier viele Unwägbarkeiten gibt und dass man nicht sicher sagen kann, ob Folgeeinschätzungen zutreffen. Ich kann mich noch an die Anfangszeiten erinnern, ich habe Artikel archiviert, in denen lang  und breit dargelegt worden ist, warum Putin diesen Krieg verlieren muss. Auch die Journalisten wissen im Grunde gar nichts, weil sie nachplappern müssen, was ihnen sogenannte Experten einreden. Selbst eine Reise vor Ort nützt da gar nichts, weil  man nur einen kleinen Ausschnitt des Geschehens sieht und immer mit einer der Seiten unterwegs ist, sich nicht neutral einen Überblick verschaffen kann.

Grundsätzlich muss dieser Krieg endlich aufhören. Aber eben nicht zu jedem Preis. Das ist, einem Satz zusammengefasst, das Dilemma. Und es hat sich nichts daran geändert, auch nicht nach meinem Besuch vorgestern im Willy-Brandt-Haus.

Was war dort zu tun?

Ich ahnte schon, dass die SPD in meinem Wahl-O-Mat zur #btw25 nach vorne prescht und wollte mich ein wenig einstimmen. Ich habe auch ein Foto von der Plastik Willy Brandts gemacht, die bekanntlich nicht unumstritten ist. Ich mag sie übrigens.

Wir haben uns die Ausstellung mit den UNICEF-Fotopreisträgern 2025 angeschaut. Kinder im Krieg. In Israel, in Gaza, in Afrika. Die Nachwirkungen zeigen sich erst jetzt richtig und man hasst die Machthaber dieser Welt noch mehr, die das alles verursachen. Aus den ukrainischen Kriegsgebieten wurden übrigens keine Fotos gezeigt. Aber so viel Vorstellungskraft habe ich, um mir die Ähnlichkeit von Fotos aus der Ukraine mit denen in anderen Gebieten auszumalen.

Aber dann müsste die Haltung in der Ukrainefrage doch anders aussehen.

So schrecklich das ist – leider nein. Es ändert sich nichts an dem Dilemma, und wir müssen auch mal auf uns schauen, damit es hier nicht bald genauso aussieht.

Ist das wirklich zu befürchten?

Unterhalb eines heißen Krieges laufen die Angriffe doch schon längst. Cyberkrieg, Sabotage, Wirtschaftskriege. Verelendung als mögliche Folge, wenn es so weitergeht. Dann gibt es eben Fotos von Menschen, die nicht mehr genug zum Essen haben. Bei dem politischen Trend in Deutschland würde ich das nicht ausschließen wollen. Und ich schließe auch keinen heißen Krieg mehr aus, diese Gewissheit ist vorbei. Und ich bin mir nicht sicher, jenseits der Grausamkeit, ob wir im Moment das Richtige tun, um dies zu verhindern. Die Dialektik führt bei mir zu dieser neutralen Haltung. Ich habe sie aber nicht doppelt gewichtet. Sicher könnte ich die Grünen und die SPD mit einer Zustimmung zur Ukrainehilfe inklusive doppelter Gewichtung wegen der Wichtigkeit des Themas weiter nach vorne bringen, übrigens. Aber eine neutrale Position doppelt zu gewichten, das wollte ich dann doch nicht, obwohl „neutral“ bei mir oft heißt, es interessiert mich nicht so zentral.

Anmerkung nachträglich. Ich habe mit dem „Tuning“ durchgespielt, was passiert wäre, wenn ich die Ukraine-Unterstützung bejaht hätte, auch mit doppelter Gewichtung: Es hätte sich nicht so viel geändert, mit doppelter Gewichtung hätten allerdings SPD und Grüne gleichauf mit 80,6 Prozent an der Spitze gelegen, allerdings mit weiteren Parteien, wie etwa „Die Partei“.

War das dieses Mal anders?

Leider ja. Es gab zu viele neutrale Antworten, weil die Abwägung kein eindeutiges Ja oder Nein erbracht hat.

Also nicht konservativer, aber der politische Kompass ist nicht mehr so klar?

Die Widersprüche werden immer augenfälliger. Das kann, wenn man politisch nachdenkt, nicht ohne Auswirkungen bleiben. Außerdem muss ja mal jemand etwas diesem Hopp-oder-topp-Populismus entgegensetzen. Insofern ist, zuzugeben, dass man etwas nicht eindeutig befürwortet oder ablehnt, eine gute Aussage und eine ehrliche. In der Ukrainefrage ist meine Neutralität eine, die aus vielen widersprüchlichen Einlassungen, Informationen, Einschätzungen beruht, es gibt aber auch ein paar Gegenstände, bei denen ich nicht diese Informationsdichte habe, also auch neutral stimme, weil ich nicht die Zeit habe, mich tiefer einzulesen. Vielleicht wäre dann die eine oder andere Antwort anders ausgefallen. Aber wir können diese Nachbefragung auch nutzen, um vielleicht sogar noch das eine oder andere zu justieren und eine schnelle Recherche durchzuführen.

Damit es sich nicht zu schwer anfühlt, zu den Eindeutigkeiten: Bei allen ökologischen Themen eine klar progressive Haltung.

Zum Glück gab es diese Dauerbrenner und neue Bestandteile wie den Verbrenner und sein Aus auch noch, bei denen ich nicht das Gefühl hatte, ich sitze zwischen den Stühlen. Diese Themen habe ich dann überwiegend auch doppelt gewichtet. Ebenso die sozialen Themen, wobei ich mich über die „weitere Begrenzung der Mieten“ richtig geärgert habe. Das ist nämlich eine Fiktion, die Mieten kennen real gar keine Grenzen mehr. Die Fiktion entsteht aus der leider nur theoretisch wirksamen Mietpreisbremse. Nein, es braucht eine echte Begrenzung, und leider bedeutet ein „weiter so“ eine Zustimmung zur SPD, während diese eben nicht für eine echte Grenze ist. Das heißt, Parteien mit einer korrekten Haltung und schluffige Parteien, die in ihrer gesamten Regierungszeit nicht ein Jota für uns getan haben, sehen im Wahl-O-Mat exakt gleich aus. Deswegen ist die SPD u. a. auch so weit vorne. Die Tücken der Wahl-O-Mate sind mir durchaus bewusst, weil ich sie dort sehe, wo ich mich ein wenig auskenne. Hier sieht man die Unterschiede.

Die Linke:

  • „Die bisherige Begrenzung der Miete durch die Mietpreisbremse ist wirkungslos, das sehen wir an den explodierenden Mieten. Die Linke fordert einen bundesweiten Mietendeckel. Unser Ziel: Die Explosion der Mieten nicht nur bremsen, sondern beenden und rückgängig machen. In angespannten Wohnungsmärkten müssen besonders hohe Mieten abgesenkt werden. Als Sofortmaßnahme müssen Mieterhöhungen für die nächsten sechs Jahre ausgeschlossen werden.”

Das ist auch meine Position, trotzdem fehlen hier wichtige Punkte, wie die Enteignung von Groß-Wohnkonzernen. Diese Grundelemente der Daseinsvorsorge gehören (überwiegend, wenn jemand nicht in Eigentum wohnt) in die staatliche Hand, ebenso wie die Energieversorgung und der ÖPV.

  • „Wir wollen langfristig für stabile und bezahlbare Mieten in angespannten Wohnungsmärkten sorgen. Die Mietpreisbremse läuft ohne gesetzliche Änderung zum 31.12.25 aus. Wir wollen das Gesetz ändern und sie unbefristet einführen. Wir werden dafür sorgen, dass die Mietpreisbremse nicht durch z.B. (teil-)möblierte und befristete Wohnungsangebote umgangen werden kann. Den Mietspiegel-Betrachtungszeitraum wollen wir auf zehn Jahre ausweiten und preisgebundenen Wohnraum in die Betrachtung einbeziehen.”

Das ist viel zu wenig, wird aber von den Machern des Wahl-O-Mats gleichgesetzt mit „grün“, also als eine Pro-Mieter-Haltung eingestuft, was die Position der SPD in Wirklichkeit gar nicht ist. Deswegen war es auch so leicht, in der nun vorzeitig zu Ende gehenden Legislaturperiode alles laufen und schleifen zu lassen, weil die SPD keinen Druck auf die anderen gemacht hat. Die SPD ist an diesem sozialen Kernthema nicht wirklich interessiert, weil sie Schiss vor dem Kapital hat. Sie hypt es nicht, wie die Rechten, aber sie hat die Hosen voll. Eigentlich will ich keine Partei wählen, die bei meinen sozialen Punkten einfach nur Angst hat, wirklich etwas zu tun. Ich bin schon wieder gar nicht mehr sicher. Armer Willy Brandt. Wie oft der sich schon im Grabe umgedreht haben muss. Sich auf ihn zu berufen und ihn ins Foyer des nach ihm benannten Hauses zu stellen, das wirkt in Teilen immer noch unecht, bei der heutigen SPD.

Unter Willy Brandt gab es keine Mietpreisbremse.

Damals war der Einkommenszuwachs der Mehrheit noch im Lot mit den Preissteigerungen und es wurde viel mehr gebaut, gerade im sozialen Wohnungsbau. Damals gab es noch die Wohnungsgemeinnützigkeit, die die Rechten 1989 abgeschafft haben. Kein Wort dazu übrigens in beiden oben zitierten Positionen, dabei wäre das eminent wichtig, um preisgebundenen Wohnraum zu erhalten und dauerhaft neu zu schaffen.  

Wir wollen uns aber nicht an dieser Stelle in dem Thema festbeißen.

Die Erläuterung war auch exemplarisch. Viele Positionen, die nicht wirklich deckungsgleich sind, werden beim Wahl-O-Mat einer Seite zugeschlagen. Das hat sehr viele Implikationen. Das nächste gute Beispiel dafür ist das Bürgergeld und seine Streichung für „Totalverwweigerer.“ Hier die Position der SPD:

  • „Die allermeisten Menschen im Bürgergeldbezug, die arbeiten können, wollen auch arbeiten. Wir beteiligen uns nicht an Versuchen, Geringverdiener gegen die auszuspielen, die noch weniger haben. Das Bürgergeld ist eine steuerfinanzierte Grundsicherung. Deswegen wird von arbeitsfähigen Personen zu Recht Mitwirkung eingefordert, natürlich in den Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat.”

So gesehen, hätte ich auch mit ja stimmen können, weil ich diese Haltung vernünftig und den Realitäten entsprechen finde. Ich möchte hinzufügen, dass auf dem Ersten Arbeitsmarkt viele der früheren Hartz-IV-Empfänger gar keine adäquaten Jobs mehr finden, deswegen war für mich der Ansatz richtig, Qualifikation über wacklige Low-Jobs zu stellen, die unsicher sind und zur Ausbeutung tendieren. Insofern war der Ansatz der Ampel für mich zwar nicht vollständig und wieder einmal nicht sehr gut umgesetzt, aber grundsätzlich richtig. Zum Vergleich Die Linke:

  • „Das Verfassungsgericht hat bereits entschieden, dass das Bürgergeld nicht auf Null gekürzt werden darf. Wer das fordert, stellt sich außerhalb der Verfassung. Die Linke will, dass Erwerbslose in gute Arbeit vermittelt werden.”

 

Die SPD hat von „auf Null“ z. B. nichts geschrieben, laut Wahl-O-Mat. Hingegen ist nicht zu erkennen, ob sich die Linke z. B. einer 30-Prozent-Sanktionierung anschließen würde, die verfassungsrechtlich  zulässig ist. Ich halte diese BVerfG-Entscheidung schon für mehr als problematisch und den Rechten gegenüber klar opportunistisch, denn das Bürgergeld ist an sich das verfassungsmäßige Lebensminimum. Und hier die CDU:

 

  • „Wer arbeiten kann, soll auch arbeiten. Wenn jemand grundsätzlich nicht bereit ist, Arbeit anzunehmen, muss der Staat davon ausgehen, dass er nicht bedürftig ist. Dann muss die Grundsicherung komplett gestrichen werden.”

 

Die CDU arbeitet mit der Fiktion, dass alle arbeitsfähigen BG-Empfänger:innen auch auskömmliche, den Bezug beendende Arbeit finden würden. Das stimmt einfach nicht, und es wird schlechter, wegen der sich verschlechternden Wirtschaftslage. Gerade einfache Jobs fallen dann eher dem Rotstift zum Opfer, und natürlich fallen den zu erwartenden Spardiktaten auch Fördermaßnahmen zum Opfer, davon dürfen wir ausgehen. Die CDU ist in ihren Zielen mittlerweile eine in Teilen verfassungswidrige Partei, das muss man hier so klar schreiben, wenn man die aktuelle Rechtsprechung des BVerfG als Grundlage der Verfassungsmäßigkeit ansieht.

 

Aus populistischen Gründen suggeriert sie außerdem, man könne Milliarden durch die Aktivierung der „Totalverweigerer“ einsparen. Das ist kompletter Humbug. Diese Partei ist an vielen Stellen komplett unseriös geworden. Das gilt auch in der Asylfrage. Dazu kommen wir sicher noch.


Nun liest es sich im Wahl-O-Mat aber, als ob die SPD und die CDU hier die gleiche Haltung hätten, beide stimmen zu. Das stimmt so aber nicht, der Unterschied in der tatsächlichen Argumentation ist sehr groß, zwischen der SPD und ihrem verfassungsmäßigen Ansatz und der CDU, die gegen die Festlegung des Bundesverfassungsgerichts argumentiert und auch gegen die Realität. Das Ziel ist natürlich, die Verfassungswirklichkeit weiter nach rechts zu verschieben, und das lehne ich in allen Punkten ab, denn diese Tendenz besteht seit vielen Jahren. Einige Grundrechte werden dadurch ohnehin immer mehr ausgehöhlt.

 

Zum Beispiel?

 

Soziale Rechte natürlich. Ihr Niedergang infiziert die Handlugnsfreiheit, Artikel 2, die Gleichberechtigung, Artikel 3, sogar die unabdingbare Menschenwürde, Artikel 1 des Grundgesetzes, ein Artikel mit Ewigkeitsgarantie, und natürlich das Sozialstaatsprinzip, ebenfalls ein „ewiges Prinzip“.

 

Wir haben aber beim BG-Entzug neutral gestimmt.

 

Schwarzarbeit, alle illegalen Erwerbstätigkeiten waren und sind für mich immer ein großes Negativthema im Sinne einer solidarischen Gesellschaft gewesen. Bei Feststellung von Schwarzarbeit wäre ich ziemlich rigoros, denn dann besteht ja für diejenigen, die sie ausüben, eine tatsächliche Besserstellung gegenüber legal Arbeitenden und keine Bedürftigkeit. Und die Totalverweigerung einfach laufen zu lassen, fände ich auch nicht richtig. Das liefe auf das bedingungslose Grundeinkommen hinaus, das ich ablehne, allerdings eher, weil damit Leute privilegiert würden, die eh genug verdienen, weil es keine Bedürftigkeitsprüfung mehr geben würde, sondern wirklich alle es erhalten würden. Insofern ist der Name Bürgergeld, der das suggeriert, tricky, denn das BG steht eben nicht allen Bürger:innen zu.  Ich hätte diese Bezeichnung für eine bedingte Grundsicherung nicht gewählt. Die Ampel-idee war als Entdiskriminierung gedacht, eine korrektere, von der CDU gewählte Bezeichnung wäre aber als genau das Gegenteil gedacht, weil sie von falschen populistischen Spins begleitet wird.

 

Da das Stichwort schon gefallen ist, zum Thema Asyl:

 

Hier die Position der SPD:

 

  • „Wir halten uns an europäisches Recht! Nur so werden wir der großen Herausforderung der Bewältigung unserer humanitären Verantwortung gerecht. Dafür war es ein großer Erfolg, dass nach vielen Jahren der Blockade endlich alle Mitgliedstaaten wieder an einem Strang ziehen. Die SPD wird keine europarechtswidrigen Alleingänge unternehmen, wie es unsere politische Konkurrenz fordert. Auch, weil ansonsten ungewollten Kettenreaktionen durch andere Mitgliedstaaten die Lage wieder verschlechtern würden.”

 

Und hier die CDU:

 

  • „Die Grenzkontrollen an den deutschen Grenzen werden wir mit Zurückweisungen verbinden. Wir setzen einen faktischen Aufnahmestopp sofort durch. Dazu weisen wir diejenigen an den deutschen Grenzen zurück, die aus einem anderen Mitgliedstaat der EU oder dem Schengen-Raum nach Deutschland einreisen und bei uns einen Asylantrag stellen wollen. Wer aus einem anderen EU-Staat kommt, hat dort bereits die Gelegenheit Asyl zu beantragen.”

 

Wegen der massiven Grenzkontrollen setzt die CDU in wirtschaftlich kippeligen Zeiten die Schengen-Regelungen und damit auch den freien Warenaustausch der Schengen-Staaten außer Kraft und sie stellt sich gegen das GEAS-System der gemeinsamen europäischen Asylregelung. Dass einige Staaten es nicht korrekt umsetzen, gehört sehr wohl auf die Tagesordnung und generell eine bessere Verteilung der Kosten für die Aufnahme Geflüchteter, aber nicht die europäische Ordnung an sich.

 

Außerdem: Kein Mensch kann registrieren, wie viele über die grüne Grenze, also jenseits der Grenzübergänge, zu uns kommen. Dieser Aktivistmus ist Augenwischerei. Es sei denn, man baut eine Mauer rund um Deutschland herum, die länger wäre als Trumps nie fertig werdende Mauer an der  Grenze zu Mexiko. Will man das und kann man das? Also immer bei der Realität bleiben, aber neben ihren Problemen mit der Verfassung und dem europäischen Recht hat die CDU auch Probleme mit der Realität. Da dürfen wir uns auf Kanzler Merz wirklich freuen, denn natürlich wird die CDU die Realität nicht wandeln können, sondern einfach so tun, als ob sie etwas erreicht. Diese Politik ist  zutiefst unseriös, das wird sich noch zeigen.

 

Das BSW hat übrigens ohne jede Begründung die CDU-Linie eingenommen. Und das bei Leuten, die sich mal als links definiert haben. Hier noch das Statement von Die Partei, das erklärt, warum ich die mag und dass man vieles bei uns im Grunde nur noch so kommentieren kann, mit Ironie:

 

  • „Asylsuchende sollen an der Grenze aufgeklärt werden über die Demokratiekrise, Demografiekrise, Wirtschaftskrise, Nahverkehrskrise, Wohnungskrise, Klimakrise und Bildungskrise in Deutschland. Wenn sie dann immer noch rein wollen, tragen wir sie auf Händen zu einem Arbeitsplatz ihrer Wahl.”

Besprechen können wir noch gleich das Thema Immigration ja oder nein, aber sortiert nach Nützlichkeit: Wenn es für die Wirtschaft gut ist, sind fast alle Parteien für die Einwanderung, dagegen ließe sich einiges vorbringen, auch zugunsten der Auswanderungsländer, aber die humanitäre Frag e wird natürlich von manchen ganz davon abgetrennt, wie von der AfD, die genau das auch bezweckt, laut ihrem Aussagen. Tatsache ist, dass wir Zuwanderung aus Gegenden bekommen werden, die unwirtlich geworden sind oder aus Kriegsgebieten, weiterhin. Das werden nicht vor allem Menschen sein, die schon ausgebildete Fachkräfte sind, die vom ersten Tag an in Mangelberufen eingesetzt werden können.

Wirtschaft ist ja auch ein Thema, das hier gerne bearbeitet wird. Energiekosten für die Industrie reduzieren?

Ja, das ist interessant. Ich habe dafür gestimmt. Da gefällt mir der Ansatz der Grünen mit am besten, die sagen: Wir machen das temporär, bis die Energiewende eh günstigere Preise für alle bringt. Andere stellen auf Vergünstigung der Energie für alle ab, sehen aber die aktuellen Gefahren für den Wirtschaftsstandort nicht. Hier spielt der Zeitfaktor eine wichtige Rolle. Jetzt muss gehandelt werden, nicht in ein paar Jahren.

Das ist eine sehr kapitalfreundliche Haltung

Im Kapitalismus hängen viele Arbeitsplätze vom Kapital ab, und anders als bei der Daseinsvorsorge kann ich mir nicht vorstellen, dass eine staatliche Chemieindustrie besser performen würde als eine private. Noch besser wäre eine kooperative Form, aber dazu müssten Sachkompetenz- und Entscheidungskompetenzverteilungen vollkommen umgestellt werden, Wirtschaftsdemokratie ist im Moment nicht durchsetzbar.

Aber keine Haltung ohne Haken: Es ist tatsächlich so, dass der Industriestrompreis aktuell günstiger ist als vor dem Auftrieb der „Energiekrise“. Er liegt etwa bei 14 Cent, 2019 waren es 16 Cent. Da kann man mal sehen, wir auch die Industrie und ihre Vertreter in der Politik Populismus machen, unter anderem, um die Gründe der in Wirklichkeit von diesen Umständen vollkommen unabhängigen Produktionsverlagerung der Politik überzuhäufen. Nur die Verbraucher, die haben in der Tat das Nachsehen, mit etwa 40 Cent jetzt gegenüber etwa 25 Cent im Jahr 2019.

Standortpolitik in einem ruinösen Wettbewerb von Staaten, die Industrie mit immer gigantischeren Subventionen und Steuerleicherungen anzulocken, ist sowieso ein Thema, das nicht in Deutschland allein geregelt werden kann, und ich bin schon gespannt darauf, wie die Rechten verschiedener Länder sich in ihrem Nationalismus auf internationaler Ebene verhaken, wenn sie so weitermachen. Trump gibt die Linie schon für alle sichtbar vor, die am Ende vor allem die große Mehrheit der Bevölkerungen als Verlierer sehen wird.

Weiter mit der Wirtschaft. Anhebung des Spitzensteuersatzes. Entscheidung mit ja, sogar mit doppelter Gewichtung.

Wer in diesen Zeiten nicht dafür ist, die extrem niedrigen realen Steuersätze der Reichen, insbesondere bei der Kapitalbesteuerung, aber aufgrund tausendfältiger Absetzungsmöglichkeiten, von legalen Steuerschlupflöchern und illegaler Steuerflucht, endlich ein Ende zu machen, der kann mich mal, wenn es um die Förderung der „ehrlichen Arbeitenden“ geht. Ich habe mir die Steuerprogramme aller Parteien mal angeschaut (außer der AfD, aber es ist bekannt, dass diese die Reichen mehr privilegieren will als alle anderen, mit Summen, die sowieso bei der Haushaltslage, die wir haben, absurd sind). Anstatt für alle in die marode Infrastruktur zu investieren, werden die sozialen Gegensätze weiter verschärft. Die AfD ist wirklich nur etwas für ökonomische Nerds oder für Leute, deren Fremdenfeindlichkeit alles andere überlagert und ausblendet.

Der Bunde der Steuerzahler hat bei dieser Darstellung zu verkaufen versucht, dass FDP und CDU alle mehr oder weniger gleich entlasten wollen.

Das stimmt aber nur, wenn man die Steuerlast zugrunde legt, nicht, wenn man das Einkommen zugrunde legt. Das heißt, die mittleren und hohen Einkommen profitieren relativ nicht zu ihrer Steuerlast, aber eben zum Einkommen, bei diesen weitaus mehr als die einfachen Arbeitenden und die untere Mittelschicht. Alles eine Frage der Darstellungsweise, aber so leicht lasse ich mich bei diesen Themen nicht ins Bockshorn jagen wie arglose Journalisten es tun, die das einfach nachplappern, was der ziemlich konservative Bund der Steuerzahler da so von sich gibt. Ein Klassiker der gesteuerten Kommunikation, weil man auch an sich richtige Zahlen mit ganz unterschiedlichen politischen Aussagen verkaufen kann. Deswegen trennen wir auch die Zahlendarstellungen in der Regel strikt von unseren Kommentaren dazu.

Wir machen weiter mit den doppelt gewichteten Themen, unter Auslassung der ökologischen, die, wie oben erwähnt, alle progressiv beantwortet und doppelt gewichtet wurden. Alle in die gesetzliche Krankenkasse?

Und alle zahlen in die Rentenversicherung ein. Die SPD und die Grünen sind für die gesetzliche Krankenkasse. Schluss mit der Zweiklassenmedizin, die für mich in Teilen grundgesetzwidrig ist, und zwar genau dort, wo ich oben schon in einem anderen Zusammenhang Grundrechte verletzt sehe. Warum haben sie es von 2021 bis 2024 nicht so organisiert? Der FDP wegen? Es ist immer leicht, gute Positionen zu haben, wenn man weiß, dass man sie mit einem Koalitionspartner eh nicht durchsetzen kann, wie nach der Wahl nun mit der CDU. Das ist billig, da braucht man nicht zu beweisen, dass man sich mit der Kapitalisten-Lobby anlegen muss. Anders als bei der exportierenden Industrie wäre das wieder ein Thema, das man ohne Gefahren für die Stabilität des Landes progressiver regeln könnte, übrigens auch zugunsten der Wirtschaft, sofern es nicht gerade die Versicherungswirtschaft ist.

Und anstatt die Renten tatsächlich von Kapitalertragserwartungen der Zukunft abhängig zu machen, was vollkommen die Hose gehen kann, sollten lieber mal alle einzahlen, wie in sozial vernünftig organisierten Ländern. Diese FDP-Heinis reden den Leuten ein, die Börsen werden auch die nächsten hundert Jahre noch so der Realität davonlaufen, wie sie das im Moment tun, und verschweigen auch, wie gering der reale Ertrag bei vielen ETFs ist. Nein, der Staat muss garantieren, dass, wer eingezahlt hat, auch einen vernünftigen Betrag herausbekommt. Ich würde dafür das Generationenprinzip aufgeben, möglicherweise auch das Beitragssystem, wenn es eh nicht zu erreichen ist, dass alle mitmachen, und die Rente komplett steuerfinanzieren lassen.

Die Frage kam im Wahl-O-Mat gar nicht vor.

Womit wir eine weitere Schwäche des Moduls entdeckt haben. Ich  halte sie für wesentlich wichtiger als einige andere Fragen darin, und ich glaube, das geht vielen Menschen so, die irgendwann mal in den Ruhestand gehen wollen. Auch die epische Diskussion um das Renteneintrittsalter und Anreize um länger arbeiten und dergleichen sind nur in einer Frage gebündelt, bei der ich mich außerdem neutral gestellt habe: soll man nach 40 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen dürfen? Wie kommt es eigentlich, dass immer mehr technischer Fortschritt immer mehr Arbeit erfordert? Ist das nicht etwas seltsam? Das Fortschrittsversprechen war mal ein anderes. Von den drei Vergleichsparteien, die ich ausgewählt habe, Grüne, SPD und Die Linke, erinnert nur Letztere an dieses Versprechen, sowohl die Wochen- wie die Lebensarbeitszeit aufgrund dieses Fortschritts verringern zu können. Die anderen geben eh dem Druck des Kapitals nach, das in Deutschland keine Produktivitätsfortschritte mehr erzielt, nebenbei bemerkt.

Noch einmal ein Thema, das Wirtschaft und Arbeit und Immigration verbindet. Warum nur „neutral“ bei der sofortigen Arbeitsaufnahme Asylsucher.

Ich bin mir da nicht sicher. Jemand findet ungewöhnlich schnell Arbeit, dann wird sein Asylantrag abgelehnt. Normalerweise hätte er kein Bleiberecht, demnach wird also wieder Nützlichkeitserwägungen gegenüber jenen der Vorzug gegeben, die vielleicht in einem Job waren, für den es in Deutschland keinen sofort aufnahmebereiten Markt gibt. Gerecht ist das nicht, sondern ein Privileg für Privilegierte unter den Asylsuchenden, um es offen auszusprechen. Andererseits ist bei diesen Menschen natürlich die Integrationschance hoch, sie sind sozusagen Treffer, die man kriegt, ohne dass man sie aufwendig aus dem Ausland anwerben muss. Aber auch das ist ein Ansatz, den ich nicht statistisch verifizieren kann. Entweder es gibt dazu nichts, oder es ist nicht so, dass man beim Medien-Check darüber stolpert, es ist ein Spezialthema. Außerdem habe ich es nicht doppelt gewichtet, also immer mit der Ruhe, ich bin diesbezüglich nicht dauerhaft festgelegt.

Was ist der Eindruck nach dem kompletten Check?

Mich wundert nicht, dass dieses Mal SPD und Grüne und Die Linke fast gleichauf liegen. Weil ihre durchaus unterschiedlichen Positionen bei bestimmten Themen einer der drei Möglichkeiten zugeschlagen werden mussten, Zustimmung, Ablehnung, Neutralität. An dem Beispiel Mieten begrenzen habe ich oben aber erläutert, wie unterschiedlich eine gleiche Einordnung aber sein kann, wenn man die Positionen vergleicht. Ich glaube, hätte man das Schema nicht dreistufig gemacht, sondern weiter ausdifferenziert, hätte es sehr wohl noch eine Präferenz für Die Linke gegeben.

Trotzdem erleichtert es die Wahl der SPD?

Natürlich. In diesen Zeiten kann man wirklich nicht alles haben, es geht leider nur noch darum, das Schlimmste zu verhindern, und was das sein könnte, haben wir letzte Woche so eindrücklich wie nie zuvor gesehen. Die CDU will mit der FDP und der AfD zusammen einen gegen die Verfassung und gegen die EU-Regelungen gerichtetes Gesetz durchbringen. Schlimmer geht es im Moment nicht, und es sollte uns alle davor warnen, was uns mit Merz & Co. noch blüht, wenn sie nicht von der SPD gebremst werden.

 Ich muss für meine Entscheidung Kanzler Scholz nicht lieben, ihn nicht einmal mögen. Es sickert sowieso gerade durch, dass er sich mit dem Beharren auf seiner Kandidatur gegen Teile der Partei gestellt hat, die sich jetzt schon einen Wechsel gewünscht haben. Der wird nach der Wahl wohl auch kommen. Ich verspreche mit von einem divergenten, aber hoffentlich an einem Strang ziehenden Trio   Esken, Klingbeil und Pistorius, der vermutlich Verteidigungsminister bleiben wird und insofern eine Konstante darstellt, anders als der Kanzler, mehr als von Scholz als Vizekanzler. Ich erwarte aber auch nicht allzu viel. Ich erwarte, dass die SPD verhindert, dass die Demokratie weiter demontiert wird. Willy Brandts Motto „Mehr Demokratie wagen“ ist dann für später mal. Wie bereits gesagt, mir tut es leid, wie mit seinem Erbe in der gesamten politischen Klasse umgegangen wird, und ich trauere um vieles, was sich mit seiner Zeit und Politik verbindet.

Aber seine Partei werde ich am 23.02. wählen. Erstmals übrigens. Vielleicht ein bisschen aus einer mir in den letzten Jahren erst richtig zuwachsenden Dankbarkeit dafür, dass er die Maßstäbe gesetzt hat für das, was in einer deutschen Demokratie möglich ist, denn daran kann und muss man sich heute mehr orientieren denn je, weil weiterer Fortschritt so fern ist.

TH


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