The Star Boarder / The Landlady’s Pet (USA 1914) #Filmfest 1262 #Chaplin #CharlesChaplin #CharlieChaplin

Filmfest 1262 Cinema – Werkschau Charles Chaplin (10)

 The Star Boarder ist eine US-amerikanische Kurzkomödie aus dem Jahr 1914 mit Charlie Chaplin in der Hauptrolle. [1] 

Auch dieser zehnte Film von Charles Chaplin, wie schon die direkten Vorgänger, hat keinen deutschen Wikipedia-Eintrag, aber erstmals, seit ich Chaplin ganz von vorne begonnen habe, taucht in der englischen Handlungsbeschreibung ein Problem auf, dem wir ein wenig nachspüren werden – auch anhand anderer Kritiken. Worum es sich handelt und mehr zum Film steht in der – Rezension.

Der Film ist auch als The Landlady’s Pet bekannt, dies ist sein amerikanischer Wiederaufführungs-Titel aus dem Jahr 1918. [1]

Handlung (1)

Charlie, ein Bewohner einer Pension, ist der Liebling der Frau seines Vermieters. Seine männlichen Mitbewohner sind eifersüchtig auf die Situation und mögen Charlie deshalb nicht. Sie verabreden sich, um ihn mit einer Attrappe zu erschrecken. Charlie ist verängstigt und rennt zur Polizei. Währenddessen hat sich ein Landstreicher in einem Schrank versteckt. Die Polizei findet ihn und macht Charlie für den Moment zum Helden. Der verschmitzte junge Sohn des Wirts hat jedoch eine Reihe kompromittierender Fotos gemacht und zeigt sie allen in einer Laterna magica. Zwei Skandale werden aufgedeckt: Ein Foto zeigt Charlie, wie er die Frau des Besitzers küsst. Ein anderes zeigt den Besitzer, wie er mit einer anderen Frau flirtet.

Rezension

Der kleine Sohn wurde von Gordon Griffith gespielt. Vier Jahre später spielte Griffith die junge Titelfigur in der ersten Verfilmung von Tarzan der Affen. (1)

Motion Picture News said of The Star Boarder, „[It is] a very funny comedy. The landlady is too familiar with the star boarder to suit her husband. He gets even, however, by going out with another woman.“(1)

Wir haben in der obigen Handlungsangabe unterstrichen, was in der von uns gesehenen Version des Films gar nicht vorkommt, und das scheint eine ganze Menge zu sein, sozusagen der Mittelteil. Seltsamerweise fällt die Abwesenheit von alldem gar nicht auf, der Film ergibt auch ohne diesen quasi-kriminalistischen Teil Sinn. Das ist ungewöhnlich. Die Spielzeit des vorherigen Werks „Cruel, Cruel Love“ wird, wie von „The Star Boarder“, mit 16 Minuten angegeben. Die zugänglichenKopien sind nur etwa 10 Minuten lang, aber es scheint nichts Wesentliches zu fehlen,  zumindest nicht in Relation zu erhältlichen Beschreibungen des Films. Obwohl die von uns angeschaute Kopie (mit Zwischentiteln) von „The Star Boarder“ 11:40‘ umfasste, scheint tatsächlich ein ganzer Handlungsabschnitt nicht vorhanden zu sein. Schwer zu beurteilen, ob der Film mit ihm besser oder schlechter wäre, also müssen wir uns ein wenig auf die Suche begeben – mit an dieser Stelle offenem Ergebnis.

Was ich aber schon schreiben kann: Wirklich gelacht  habe ich nicht über Chaplin oder einen der anderen erwachsenen Darsteller, sondern über den Jungen mit der Kamera, der sich sowohl beim Fotografieren wie später beim Vorführen der Fotos scheckig lacht. Interessanterweise ist das, was man nachher bei der Dia-Vorführung sieht, nicht das, was man erwarten würde, als er die Kamera bedient. Er hat zum Beispiel auf den Auslöser gedrückt, als Charles Chaplin Minta Durfee auffängt, wie sie von einer Leiter fällt, die Bilder von den beiden, die der Junge gemacht hat, zeigen Chaplin und Durfee aber immer in der Senkrechten und an einem anderen Ort, vor einem Gebüsch. Das sind übliche Fehler, bei diesen schnell gefilmten Komödien, die vielleicht vier oder fünf Drehtage hatten. Auch Chaplins frühe Filme waren Keystone-Massenware, und keine ausgefeilten Meisterstücke. Zudem ist die Komik selbst alles andere als elaboriert. Ich habe bisher kaum einen Film gesehen, in dem in so kurzer Zeit so viele Ohrfeigen an so viele unterschiedliche Menschen verteilt wurden. Man könnte meinen, die Autoren hatten sich die deutsche Erziehungshandhabe jener Jahre zum Vorbild genommen. Aber das Leben war auch in den USA derb und die Filme spiegeln das sehr gut. Zwar trägt Chaplin – endlich!, werden Fans ausrufen – wieder das Tramp-Kostüm, steht damit aber immerhin auf einem Tennisplatz, die einzige etwas unmotivierte Szene, die aber die folgenden einleitet, jedoch agiert er auch dieses Mal wieder eher hart, aber herzlich oder so ähnlich. Allerdings deutet sich in dem Verhältnis zu seiner Zimmervermieterin, die von Minta Durfee (der Frau von Roscoe Arbuckle) gespielt wird, etwas wie Galanterie an, wenn sie ihm den Arm bietet und er ein paar verlegen-charmante Gesten und Momente des Minenspiels einsetzt.

Als Romanze können wir das, wir sehen, aber doch nicht bezeichnen, dafür ist auch hier der Tramp als Typ nicht romantisch genug. Vielmehr mischt er sich bedenkenlos in die Ehe seiner Vermieterin ein, auch wenn der Mann von ihr das mit seiner noch robuster wirkenden Art zu provozieren scheint. Aber solche Filme sind wirklich zu kurz, um Charaktere mehr werden zu lassen als Stereotypen. Ebenso fehlt die Verdichtung, die auch Miniaturen zu Meisterwerken machen kann; zumindest zu kleineren, wie man anhand von Chaplins etwas später produzierten Kurzfilmen noch sehen wird.

The Star Boarder again co-stars Minta Durfee.  Nichols directs Chaplin for the last time and Chaplin’s later, daintily OCD Tramp who would appear in his pictures for Mutual is briefly glimpsed. Durfee is the Tramp’s landlord and she clearly likes him better than her brutish husband (Edgar Kennedy) or her terror of a son (Gordon Griffith).  There is a brief, out of place tennis-match-as-aphrodisiac between Chaplin and Durfee.  As in many later Chaplin films, it is a sequence that fits poorly with the rest of the narrative that is most memorable.[2]

Diese Kritik spricht keine Silbe über die Szenenfolge, die wir unterstrichen und nicht gesehen haben, hingegen wird unser Eindruck weitgehend bestätigt, auch bezüglich des Tennismatches, das so abrupt einsetzt. Was man sieht, ist demnach ein nicht unbedingt bemerkenswerter Film mit einer bemerkenswerten Szene, die ich wiederum weniger bemerkenswert fand als den Jungen. Er ist sicher für seine Eltern eine Plage, sorgt aber für etwas Neues, weil zuvor selten Kinder so aus der Nähe aufgezeichnet worden waren, die zudem auf anregende Weise zur Handlung beitragen und offenbar sehr filmogen waren. Der Junge ist häufiger aus der Nähe gefilmt als alle Erwachsenen, inklusive Charles Chaplin. Vermutlich war es diese attraktive Lebendigkeit, die dazu führte, dass der Kinderdarsteller vier Jahre später den jungen Lord Greystoke in der allerersten Tarzan-Verfilmung spielen sollte.

The Star Boarder, also directed by Nichols, is the first film to give us a taste, though only a taste, of the classic Chaplin. Minta runs a boardinghouse, and we see her preparing the breakfast table with the help of husband Edgar Kennedy. She rings the breakfast bell to summon the household, but there’s one resident who isn’t in a hurry. We see Charlie lying in bed, conducting himself with the fastidious aplomb that would soon become his hallmark. He may have passed out fully clothed the night before, but he’s still a gentleman of leisure who abides by his own schedule, rather than that of others.[3]

Ich merke schnell an, dass dies der letzte Chaplin-Film war, bei dem George Nichols Regie führte, den Chaplin ebenso wenig mochte wie, schreiben wir es offen, alle anderen Regisseure außer sich selbst. Zumindest galt das für die Filme, in denen er auftrat. Trotzdem, wie es wieder ein akribischer Rezensent festgehalten hat, kommt es hier zu einer Neuerung, die den Film stellenweise langsamer, aber auch intensiver macht, nämlich, dass er sich in der Tat aufreizend langsam verhält, während alle anderen schon am Tisch sitzen. Die Platte mit Ham and Eggs oder was es darstellen soll, wird natürlich erst aufgetragen ist, als Landladys Liebling auch eintrifft. Von Chaplins Meisterwerken spiegelt „Moderne Zeiten“ das wohl am besten, in der legendären „Die große Maschine ohne Sinn“-Szene, in der er einfach aufhört zu arbeiten und Pause macht, während sein Arbeitskollege mitten in der Maschine feststeckt und von Chaplin mit dem Pausensandwich in waagerechter Lage gefüttert werden muss. Die beinahe ebenso legendäre Eingangssequenz von „City Lights“ kann man gleichermaßen in diese Linie stellen, da der Tramp sich nicht darum schert, dass es tagt und das Denkmal enthüllt wird, auf dem er die Nacht verbracht.

Es ist faszinierend, zu beobachten, wie sich Stein für Stein Chaplins Kunst aufbaut – gleichwohl kommt es immer wieder zu Rücksetzern, weil nicht jeder Film etwas wie eine verbesserte Generation darstellen kann. Bei diesen kurzen Streifen mussten immer wieder bereits gezeigte Novitäten weggelassen werden, um anderen Raum zu geben. Das Gesamtrepertoire, das Chaplin hatte, war also in keinem dieser Filme komplett zu sehen, sie können keine Synthese in diesem Sinne sein.

Des Weiteren soll der Film die Tradition der Vaudevilles aufgreifen, indem sexuelle Anspielen zwischen Chaplin und Durfee ihn würzen oder durchtränken, wie ein Croissant in Kaffee getunkt und damit durchtränkt wird, wenn man es in dem Land zu sich nimmt, aus dem es stammt. Das beweist, dass kein Land nur gute kulinarische Ideen hervorbringt, und dass der Begriff Sexualität für das, was wir sehen, doch ein wenig hochgegriffen scheint. Eine echte Kussszene gibt es zum Beispiel nicht, allenfalls könnte man die Leiter-Szene als eine Art verdeckten Akt interpretieren. Alles andere wirkt zu harmlos, obwohl natürlich auch ein Film von 1914 ein Pre-Code-Film ist (der Production Code wurde genau 20 Jahre später eingeführt bzw. verbindlich gemacht). Allerdings habe auch ich ein kleines bisschen mehr an Knistern wahrgenommen als in den Filmen, die Chaplin vor „A Star Boarder“ mit seiner Anwesenheit beglänzt hat und als im Folgefilm „Mabel ath the Wheel“, der insgesamt allerdings „A Star Boarder“ weit überlegen ist.

Finale

Freilich musste ich nachschauen, was ein OCD-Tramp ist.

Zwangsstörung (OCD) ist eine psychische Störung und Verhaltensstörung, bei der eine Person aufdringliche Gedanken (eine Besessenheit) hat und das Bedürfnis verspürt, bestimmte Routinen (Zwänge) wiederholt auszuführen, um den durch die Besessenheit verursachten Stress zu lindern, soweit er die allgemeine Funktion beeinträchtigt. [1][2][7]/[4]

Auch das anhaltende Schreiben von Rezensionen ohne kommerziellen Hintergrund könnte eine Art OCD sein. In welcher Szene soll nun der OCD-Tramp zu sehen gewesen sein? Als er so aufreizend lange braucht, um zum Frühstück zu kommen? Sonst fällt mir keine Szene ein, in der er ein Verhalten zeigt, das wir nicht zuvor auch gesehen haben; die ausgiebigen Schlagsock-Ohrfeigen-Szenen können es wohl nicht gewesen sein, obwohl auch sie nicht nur in frühen Komödien eine Art Zwangshandlungs-Ansammlung in einer Gesellschaft zu sein schienen, in der es alles andere als empathisch zuging. Da ist etwas sehr Dissonantes drin. Hingegen harmonisieren wir uns wie bei keinem der bisherigen zehn rezensierten Früh-Chaplins mit der Bewertung der IMDb-Nutzer:innen, die für diesen Film im Durchschnitt 5,3/10 Punkte vergeben.

52/100

2025 Der Wahlberliner (Entwurf 2024)

Regie George Nichols
Drehbuch Craig Hutchinson
Produzent Mack Sennett
Besetzung Charlie Chaplin
Minta Durfee
Edgar Kennedy
Gordon Griffith
Alice Davenport

[1] The Star Boarder (Film aus dem Jahr 1914) – Wikipedia

[2] CHAPLIN AT KEYSTONE, PART ONE | 366 Weird Movies

[3] Looking at Charlie – The Year at Keystone, Part 1: An Occasional Series on the Life and Work of Charlie Chaplin – Bright Lights Film Journal

[4] Zwangsstörung – Wikipedia


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