Liebesparade (The Love Parade, USA 1929) #Filmfest 1263 #DGR

Filmfest 1263 Cinema – Die große Rezension

Liebesparade ist eine US-amerikanische musikalische Filmkomödie von Ernst Lubitsch. Die Hauptrollen sind mit Maurice Chevalier und Jeanette MacDonald besetzt.

Der Film, dessen Drehbuch auf dem Bühnenstück The Prince Consort von Jules Chancel und Léon Xanrof basiert, wurde 1929 gedreht. Premiere hatte er am 19. November 1929 in New York. Allgemein startete er in den amerikanischen Kinos erst zwei Monate später, am 19. Januar 1930.[1]

Von den Stummfilmen, die Ernst Lubitsch in den USA gedreht hat, habe ich noch keinen gesehen, das sollte sich ändern (siehe dazu eine Anmerkung weiter unten, es gibt zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Rezension bereits eine Ausnahme). Dafür bin ich mit den deutschen Filmen von ihm durch die Sichtung aller wichtigen Filme der Weimarer Zeit vertraut, die in einigermaßen vernünftiger Qualität erhältlich sind. Lubitschs Komödien waren bahnbrechend für ihre Zeit, somit wichtig, und sie haben den Vorteil, dass die meisten von ihnen erhalten und gut restauriert sind. Der Sprung hin zu „Love Parade“ war gar nicht so groß, obwohl sieben Jahre zwischen Lubitschs letzter deutscher Produktion und „Love Parade“ liegen.

Handlung (1)

Im Königreich Sylvania sind die schon relativ alten Kabinettsmitglieder besorgt, dass Königin Luise noch unverheiratet ist. Zur selben Zeit wird der Botschafter Graf Alfred zurückgerufen. Er ist in Paris wegen zahlreicher Affären in Ungnade gefallen. Die Königin, die von diesen Affären erfahren hat, fordert den Grafen auf, seine Fähigkeiten bei ihr unter Beweis zu stellen. Die Minister sind mit diesem Arrangement zufrieden, zumal auch Alfreds Diener Jacques mit der Kammerzofe der Königin, Lulu, anbandelt.

Alfred und die Königin heiraten. Doch schon bald kommt Alfred nicht damit zurecht, Anweisungen seiner königlichen Ehefrau ausführen zu müssen, besonders wenn es um seine Anwesenheit bei Verhandlungen mit anderen Ländern geht. Als er bei der Eröffnung des königlichen Opernhauses zugegen sein soll, weigert er sich. Er beschließt, nach Paris zu reisen, um sich dort scheiden zu lassen. Erst als die Königin ihm verspricht, ihn zum König zu machen und ihr gleichzustellen, bleibt er. Die beiden finden ihr Glück.

Rezension

Die deutschen Filme der Weimarer Zeit sind oft sehr ernst oder gar zum Fürchten, spektakulär wird es mal bei Fritz Lang, aber den meisten Spaß hatte ich bisher mit den Filmen von Ernst Lubitsch. Diese Werke sind ja nun alle über 100 Jahre alt, aber der Einfallsreichtum und der frivole Witz, teilweise auch die Gestaltung der Filme, waren ihrer Zeit weit voraus und der Weggang von Künstlern wie Lubitsch, bei dem die Auswanderung noch nichts mit den Nazis, sondern mit den verlockenden Angeboten aus Hollywood zu tun hatte, war nie zu ersetzen.

„Love Parade“ hat in den USA vor allem den Operettenfilm wesentlich beeinflusst, das Tanz- oder Revuemusical wohl weniger. Ich muss an der Stelle auch eine Aussage korrigieren, die zum Standard geworden ist: Nämlich, dass die Filmoperette, anders als jene andere Spielart des Musikfilms, in Deutschland erfunden wurde. Das wurde sie in gewisser Weise, weil  Lubitsch Deutscher war, aber man muss von Gleichzeitigkeit sprechen, denn 1929 kamen in Deutschland die ersten Tonfilme heraus, und sie waren teilweise gleich mit Musik und die Lieder waren handlungstragend in die Filme integriert, anders als eben beim Revuefilm. Im Grunde waren Filmoperetten die Fortsetzung des Bühnengenres, das sehr beliebt war, als der Tonfilm sich durchsetzte – aber es waren Regisseure wie Ernst Lubitsch, die das Filmische einbrachten, die die erweiterten Möglichkeiten des neuen, nunmehr synästhetischen Mediums erkannten. Einige stolperten über den Tonfilm, andere nahmen ihn an und dann gab es jene, die durch ihn erst zu ihren Möglichkeiten kamen.

Eine weitere Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes Anfang 2025: Ich habe mittlerweile auch das allererste vollständige Tonfilm-Musical „Broadway Melody“ gesehen, das einige Monate vor „The Love Parade“ gedreht worden war, dieses Mal von MGM. Eigentlich ein typisches Revue-Musical, wenn auch noch recht einfach, die Nummern betreffend. Ob die Songs darin handlungstragend sind? Ich würde das zumindest für das Liebesthema eber bejahen, vielleicht auch bis zu einem gewissen Grad für den Titelsong „Broadway Melody“, freilich nicht für die Revuenummern, die sogar mit einem Theatervorhang eingeleitet werden, zwei davon in 2-Farben-Technicolor gefilmt. 

Zu Letzteren zählten natürlich die Gesangsstars in den USA und Deutschland, die teilweise, wie Jeanette McDonald, die Hauptdarstellerin in „Love Parade“, eine ausgebildete Stimme hatten. „Love Parade“ war ihr erster Filmauftritt.

Variety bezeichnete den Film als „feine, fast schon grandiose Unterhaltung“ und hob besonders die „großartige Ausstattung und Kostümierung, die melodiöse Musik, die scharfsinnige Regie, den Humor und den allgemeinen Unterhaltungs-Anspruch“ hervor.[2]

Dennis Schwarz ist geteilter Meinung. Die erste Hälfte des Films „leg[e] mit Schwung los“, durch den „Geschlechterkampf“ [werde] der Film in der zweiten Hälfte schleppend.[3]

Die Kritik von Variety ist zeitgenössisch, die von Schwarz stammt aus unseren Tagen. Ich bin nicht immer seiner Meinung, aber als ich den obigen Satz las, dachte ich: Gut, dass er mich daran erinnert. Genau den Eindruck hatte ich nämlich auch, weiß aber nicht, ob ich ihn hier thematisiert hätte. In der Tat ändert sich der Rhythmus und bis zu einem gewissen Grad wandelt sich auch der Ton ab dem Moment, in dem der Graf und die Königin verheiratet sind. Alles, was man zuvor sieht, ist einfach wundervoll. Es ist Lubitsch vom Feinsten. Mit Höhepunkten wie der Beobachtungsszene; darauf muss man erst einmal kommen.

Die Annäherung der beiden Hauptfiguren wird von drei verschiedenen Standorten aus beobachtet: Eine Zofe guckt durchs Schlüsselloch und gibt ihre Eindrücke an weitere Hofdamen oder Zofen weiter, auf einem Baum sitzt der Diener des Grafen mit dem Dienstmädchen, der gebürtigen Farmerstochter, etabliert gerade seine eigene Romanze und schaut gleichzeitig durchs Fenster. Und dann noch die Riege der Minister oder Hofbeamten, die sehnlichst erwartet, dass die Königin sich endlich verheiratet und über jeden Fortschritt, den sie durchs Fenster sieht, dankbar ist. Dass dabei das Boudoir Erwähnung findet, gehört zu den Frivolitäten dieses Films und seines Regisseurs. Es ist surreal, niemand lässt bei einem solchen privaten ersten Candle-Light-Dinner solche Einblicke von außen zu – nun ja, beim heutigen Exhibitionismus ohne Vorhänge, die man zuziehen könnte – aber nicht 1929, und der Film spielt in dem Jahr, in dem er gedreht wurde, ist also kein „Period Piece“.

Sicherheitshalber wechselt die Kamera dann aber doch zu den Frischverliebten selbst und der Dialog macht klar, dass es noch nicht zu einer Liebesnacht kommen wird, sie hätte nämlich vor der Hochzeit stattgefunden. Allerdings gibt es ein Doppelbett, das war seit der Etablierung des Production Codes (ab 1934) für längere Zeit nicht mehr möglich – es sei denn in Filmen, die in früheren Zeiten und bevorzugt im Ausland spielten. Einer von vielen Hollywood-Tricks, um die Zensur zu unterlaufen. Auch anderer Schabernack ist nach meiner Ansicht typisch Pre-Code, etwa, dass Frauenbeine eine wichtige Rolle in diesem Werk spielen. Oder, sagen wir, eine dekorative Rolle, denn essenziell für die Handlung sind sie nicht und sie wirken nicht so fetischistisch abgelichtet wie in von Stroheims „Die lustige Witwe“ (1927), was dort allerdings auch für Männerschenkel gilt.

Die Liedtexte waren für mich leider teilweise nicht perfekt zu verstehen, weil die Tonqualität schlechter war als in den gesprochenen Szenen, und das Reimen von Begriffen hinzukam, die nicht zur Alltagssprache zählen. Ansonsten war aber alles klar und so gesprochen, dass die damals noch schwerfällige Tontechnik berücksichtigt wurde. Der Gesang zeigt die üblichen technischen Anfangsschwierigkeiten aber wiederum auf: Jeanettes McDonalds Stimme kommt nicht voll zum Tragen; vor allem die höheren Tonlagen sind, wie für Filmaufnahmen des Western-Electric-Systems in jenen Jahren üblich, übersteuert und klingen ziemlich furchtbar.

Das war beim deutschen Tobis-Klangfilm-System von Beginn an besser, während das US-System gleich zu Anfang etwas voluminöser wirkte und daher die ohnehin größeren Orchester der Hollywood-Studios gut zur Geltung kommen ließ. Das spielt insbesondere in den „Grenadier-Szenen“ eine positive Rolle, die eine Synthese aus Revue- und Operetten-Musical darstellen.

Für diesen Film war es daher wiederum wichtig, dass er in einem führenden Studio entstand, das sich eine so opulente Ausstattung und Statisterie leisten konnte – auch, wenn Paramount gerade in Schwierigkeiten steckte, waren die Filme immer noch hochwertig dekoriert – wie Lubitsch sie schon in Deutschland auf eine für hiesige Verhältnisse extravagante Art als Merkmal seiner Filme (ab etwa 1919) zu etablieren wusste. Da ich seine US-Filme dazwischen noch nicht kenne, siehe oben, ist es immerhin möglich, dass Lubitsch, nachdem er sich, wie andere, in der strikten Hollywoodhierarchie mehr einreihen musste als in Deutschland, mit „The Love Parade“ erstmals wieder einen solchen Ausstattungsfilm drehen konnte. Gleichwohl wurden später etwas weniger dekorative, aber besonders witzige Beziehungskomödien sein „Ding“.

Eine weitere Anmerkung anlässlich der Veröffentlichtung des Textes: Lubitschs US-Erstling „Rosita“ mit Mary Pickford habe ich mittlerweile auch gesehen – es gibt ein paar dekorative Massenszenen, aber nicht so dominant und vor allem nicht in Form choreografierter größerer Menschengruppen wie in den deutschen „Großfilmen“.

Warum es so kam, zeichnet sich in „The Love Parade“ bereits ab. Die oben beschriebene „indirekte Szene“ ist auch deshalb sehr innovativ, weil sie ohne den Einsatz von Dialogen nicht möglich gewesen wäre. Sicher, man hätte im Stummfilm stattdessen Zwischentitel setzen können, aber das hätte den Film verlangsamt und das Flüssige dieser Sequenz und ihren Charme nicht generieren können. Obwohl Lubitsch sich in seinen deutschen Filmen zum wohl kreativsten Meister der witzig-ironischen Zwischentitel seiner Zeit entwickelt hatte, war er letztlich wohl doch froh, seinen Filmen durch den Ton ein höheres Tempo und dem Wortwitz mehr Schwung geben zu können, und das merkt man dem ersten Teil von „Love Parade“ auch an. Er war nicht nur der erste Leinwandeinsatz von Jeanette McDonald, sondern auch Lubitschs erster Tonfilm. Nur jemand, der das Medium so verinnerlicht hatte wie Lubitsch, alle seine Möglichkeiten von Beginn an sah, konnte sie so beherzt einsetzen wie in „Love Parade“.

Der Titel des Films lässt auf etwas anderes schließen als das, was man zu sehen bekommt. Es gibt eine Chorus Line, es gibt paradierende sylvanische Soldaten, aber man führt das Publikum freundlich ein wenig an der Nase herum, denn der Titel ist derjenige des Hauptliedes und die Liebesparade ist nur eine einzige Frau, die Königin, die alle schönen Eigenschaften vieler Frauen vereint, die der Graf in Paris gekannt hatte. So viel habe ich immerhin entschlüsseln können. Die Songs sind keine Evergreens, keine Welthits geworden, aber sie sind gut und eben vor allem integral. Über den Grad der Einbindung im Vergleich zu deutschen frühen Tonfilm-Musicals kann man natürlich streiten – wer war diesbezüglich wirklich weiter? Die in „Love Parade“ verwendeten Lieder treiben im Grunde nicht die Handlung voran, sondern halten Momente und Beschreibungen fest und Verhaltensweisen (Letzteres in „Let’s be common“) fest, während z. B. schon in „Die drei von der Tankstelle“, gleich im allerersten Lied, die Vorgeschichte zur Handlung erzählt wird („Ein Freund, ein guter Freund“). „Love Parade“ ist im Grunde ein traditionelles, wenn auch zeitgemäß geschriebenes und nett gemachtes Liebeslied, in dem eine Frau aus der Sicht des verliebten Mannes beschrieben wird, nur, dass es nicht als Revuenummer, sondern am Platz des Geschehens, dem erwähnten Boudoir, dargeboten wird.

Im ersten Teil hat der Film den vollen Lubitsch-Touch. Wer kommt schon darauf, dass der Diener, der durchs Schlüsselloch guckt, sich einen Stuhl herbeinimmt, um es für die auf längere Dauer angelegte Beobachtung bequemer zu  haben, wenn nicht Lubitsch? Vielleicht ist er nicht der einzige, der einen solchen Einfall haben kann, aber die Reihung von wirklich süßen Gags und die Eleganz der Ausführung, mithin auch der Fluss des Films, waren der Zeit ein gutes Stück voraus und Lubitsch konnte ohne größere Abstriche und mit nur wenigen Konzessionen an die Tontechnik seinen Stil weiterführen. Die Erfahrung des Studios mit Ausstattungsfilmen und einem wunderbaren Glanzeffekt bei der Belichtung, der sich in den nächsten Jahren vervollkommnen sollte, halfen, dem Film ein sehr einheitlich-hochwertiges Gepräge zu geben.

Der Film knallte mitten in die Weltwirtschaftskrise hinein, obwohl er noch vor dem Börsencrash vom Oktober 1929 gedreht worden war, und ich habe mich gefragt, ob er mitten im Entsetzen über diesen Crash als ein eskapistischer und sichtbar teurer Film, der außerdem viele kleine Gags enthält, die an der Obergrenze dessen liegen, was das damalige Publikum entschlüsseln konnte, gut angekommen sein mag. Das war jedoch der Fall, in der amerikanischen Wikipedia steht zu lesen, dass er erheblich dazu beitrug, die finanziell schwankende Paramount zu retten. Wie zuvor Frank Borzages „Seventh Heaven“, den ich kürzlich angeschaut habe und über den ich in den nächsten Tagen schreiben werde.

Woran liegt es aber, dass der Film in der zweiten Hälfte nachgibt, um auf seinen einzigen größeren Mangel zurückzukommen? Er verliert viel vom Witz und von der Ironie, die er zuvor hatte. Der Geschlechterkampf wird zwar so gut wie möglich humorisiert, ist in Wirklichkeit aber ein ernstes Thema. Außerdem erinnert er heute an eine Konstellation, die die Welt jahrzehntelang bewundern oder auch kritisch betrachten durfte, nämlich an das Verhältnis von Königin Elizabeth II. zu Prinz Philipp, der exakt die Position hatte, wie sie im Film als „Prince Consort“ für den Grafen vorgesehen ist. Der Graf fügt sich nicht, Prinz Philipp hat es getan und ging drei Schritte hinter der Queen.

Im ersten Teil scheint es nur um Adäquanz zu gehen: Kann ein Graf und Lebemann eine seriöse Königin heiraten? Grundsätzlich kann der Adel untereinander, das war auch damals schon so, aber der Lebenswandel und auch die Klassen innerhalb des Adels spielten schon eine Rolle, Königshäuser verheirateten ihre Sprösslinge auch aus politischen Gründen miteinander, die meisten Ehen waren, anders, als wir es hier sehen, arrangiert. Im späteren Verlauf des Films wirkt es, als ob der Mann sich, trotz seiner niedrigeren Rangstellung, die Hosen anzieht und offensiv verlangt, die Staatsgeschäfte mitgestalten zu dürfen und natürlich auch privat zu bestimmen. Ersteres, das merkt man, ist so sehr zum Besten des Landes, dass Letzteres nur zum Besten der Frau sein kann.

Lubitsch war viel zu clever oder zu wach, soziale Verhältnisse und Rollenbilder betreffend, rund zu progressiv, um dieses Problem nicht zu bemerken und nicht – ja, seine Probleme damit zu haben. Er war kein früher Filmfeminist. Er stelle Frauen sehr gerne in den Mittelpunkt, symbolisiert durch ihre Namen im Filmtitel, von Carmen über Kohlhiesels Töchter zu Anna Boleyn bis hin zum Weib des Pharao, aber in den meisten Filmen gibt es eine Art Konsens mit der Gesellschaft und ihren Grenzen und Rollenbildern, also einen Mann, der bis zu einem gewissen Grad die Verhältnisse zurechtrückt. Im wohl ernstesten und sehr frauenfreundlichen Film von ihm, Anna Boleyn, wird aber auch die Toxizität der Männlichkeit eines Heinrich VIII. sichtbar. Selbst ganz frühe Filmfeministinnen wie Alice Guy mussten aber etwas wie eine ironische Brechung des Fortschritts einbauen, damit die Filme vom Publikum akzeptiert wurden. Ausgerechnet im US-Film hingegen waren weibliche Stars in Plots von Filmen, die sie selbst mitgestalten konnten, eine ganze Ecke weiter als irgendwo sonst – und das schon ab den 1910er Jahren. Sie spiegelten, was kommen sollte, die Befreiung der 1920er, während Lubitschs Annäherung an den Geschlechterkampf auch in „Love Parade“ eher europäisch und letztlich traditionell wirkt.

Die Frage ist eben, ob er sich damit wohlgefühlt hat. Dass der Witz nicht mehr so spritzig ist wie zu Beginn, lässt darauf schließen, dass er einiges gerne anders gespielt, nicht die Rekonstitution der klassischen Verhältnisse so relativ schnell und fast brutal hätte inszenieren müssen. Es gibt keine Finessen in diesem Ablauf, der Mann droht einfach damit, nach Paris zu entfleuchen, und das will die Königin natürlich nicht, des möglichen Skandals und der bestehenden Liebe wegen. Das Verhalten beider Figuren wird rudimentärer in der Ehe. Leider gibt es das in realen Beziehungen auch, dass der Glanz abblättert, wenn die Etablierung erfolgt ist. Aber es ist halt nicht Lubitsch-gemäß, in solche einer Operrette plötzlich so realistisch und zu bodenständig zu werden, trotz der Spiegelung der Liebe auf höchster gesellschaftlicher Ebene in der Dienerschaft. Es sei denn, mit „Let’s Get Common“ soll schon die Banalisierung des Verhältnisses auf der höheren Ebene vorweggenommen werden. Möglich, aber nicht maximal wirkungsvoll. Man erkennt die Motivwiederholung im geänderten Setting nicht sofort, nicht, wie in der etwas gezwungen wirkenden Schlusssequenz, wo es um „Bestrafung“ in der anderen Richtung geht (erst soll die Königin den Grafen für seine schlechte Repräsentanz des Landes in Paris bestrafen, weil er sich mehr dem Nachtleben als der Diplomatie gewidmet hat, am Ende der Prince Consort sie Königin für ihre Arroganz – man merkt der Beschreibung schon an, es passt nicht hundertprozentig zusammen).

Finale

Auch Lubitsch konnte in Hollywood nicht mehr so frei agieren wie in Deutschland, wo seine Werke gänzlich Geschöpfe seiner Kreativität waren, sein Produzent ihm vollständig vertraute, und, wie die meisten Emigranten, auch wenn Lubitsch wenig Probleme damit hatte, weiterhin erfolgreiche Filme zu drehen, musste er sich in das System einfügen.

Insofern kann man „The Love Parade“ auch als Parabel auf Hollywood lesen und den lebefreudigen Grafen als alter ego des Regisseurs ansehen. Die Königin, das ist die Filmstadt, ihre ausführenden Organe sind die Studiobosse, die Filmemacher haben nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, eigene Vorstellungen einzubringen. Ich kann mir nicht helfen, ich denke gerade an die Szene, in welcher Graf Alfred dem Kabinett der Königin einen ausgearbeiteten Haushaltsentwurf übergeben will, der es möglich macht, Sylvanien ohne neue Schulden zu retten. Ich muss mehr als nur schmunzeln, wenn ich mir den Grafen als Christian Lindner denke und seinen Entwurf als die Papier gewordene Einhaltung der Schuldenbremse, die Königin mit ihren hohen Ausgaben für Kleidung hingegen als die Verkörperung der grünroten Verschwendung. Schade, dass in diesem Film keine Technicolor-Sequenzen enthalten sind.

Aber das geht etwas zu weit, auch Lubitsch wäre als intelligenter Mensch sicher nicht dafür gewesen, ein ganzes Land in Krisenzeiten kaputtzusparen und damit die Krise zu verschärfen. In den USA hat  man das während der just zur Filmpremiere einsetzenden Weltwirtschaftskrise nicht getan, in Deutschland sehr wohl, und das Ergebnis kennen wir.

Es gibt eine viel naheliegendere Deutung der Szene: Lubitsch erkärt seiner Filmfirma mittelmäßig subtil, dass die stärkere Berücksichtigung seiner Einfälle sie vor dem Bankrott bewahren könnte. Keiner der Filmmogule war damals weiblich, aber man kann auch bei „der Stadt“ bleiben und außerdem passt es am besten ins Operrettenschema hinein. Und Lubitsch behielt Recht, wie oben erwähnt. Das führte allerdings nicht dazu, dass er von nun an immer gigantischere Kostümfilme drehen konnte (oder wollte), denn Krise ist Krise und ausgenommen waren davon im wesentlichen die Tanzfilme, bei denen ein großer Aufwand esszenziell, das Setting auf Beeindruckung ausgeleg war. Dafür aber war Lubitsch kein Spezialist. Diese Filme wurden zwar in der Regel auch von „normalen“ Regisseuren inszeniert, aber die Shownummern, die unter anderem vom Meister dieser großen Zwischenspiele mitten in der Handlung, Busby Berkeley, erschaffen wurden, hätten einer Lubitsch-Komödie zu viel Esprit und Handlungsspielraum genommen, den Wortwitz und das Zusammenspiel der Darsteller:innen unterbrochen. Mit „Love Parade“ hatte er gezeigt, dass es anders geht.

Der Film ist für die Verhältnisse von 1929 ein Prunkstück, dem man nicht ansatzweise anmerkt, welch ein Drama der Übergang zum Tonfilm in Hollywood war und dass es vielleicht schwierig gewesen sein könnte, schon Massenszenen mit Musik und Dialog zu filmen. Und wenn es doch einmal ein Problem gab, dann wurde es auf die Weise von Ernst Lubitsch gelöst. Was viele Schauspielkarrieren ruinierte, eine falsche Stimme, ein zu pantomimisches Spiel, oder die schlichte Tatsache, dass die bisher in Hollywood tätigen ausländischen Stars kein perfektes Englisch sprachen, beseitigt er im Fall von Maurice Chevalier mit einem Fingerschnipp, indem er einfach den Graf behaupten lässt, er habe sich in Paris bei einem seiner Abenteuer innerhalb einer einzigen Nacht einen starken französischen Akzent angeeignet. So war Chevalier einer der ersten Darsteller im Hollywood-Tonfilm, der es sich erlauben konnte, seine Betonungen ausländisch wirken zu lassen, während sich viele Kolleg:innen mühsamen Sprechübungen unterziehen mussten. Es versteht sich von selbst, dass die Handhabe und das Wagnis von Lubitsch einen eleganteren Filmstil hervorgebracht haben, als er während der Übergangsphase üblich war.

Schade, dass der zweite Teil den einen oder anderen Schatten auf den Film legt, ansonsten hätte ich ihm eine herausragende Bewertung zukommen lassen. Über der aktuellen Durchschnittwertung der IMDb-Nutzer:innen (7/10) komme ich aber doch heraus. Ach ja, wie kam ich zu dem Film? Nicht mit der Absicht, aus meiner Befassung mit dem Weimarer Kino eine Lubitsch-Werkschau abzuleiten, sondern, weil ich mir noch einmal die wichtigen Filme von Jean Harlow anschauen wollte. Dummerweise habe ich sie in einer kleinen Rolle in „Love Parade“, die sie hier mit erst 18 Jahren hat, nicht identifiziert. Vermutlich sind ihre Haare noch nicht platinblond gefärbt und so weit, dass sie im Vor- oder Abspann genannt wird, war sie damals noch nicht.

76/100

2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2024)  

Regie Ernst Lubitsch
Drehbuch Guy Bolton,
Ernest Vajda
Produktion Robert Clark,
Ernst Lubitsch
Musik William Franke Harling
John Leipold,
Oscar Potoker,
Max Terr
Kamera Victor Milner
Schnitt Merrill White
Besetzung

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Liebesparade

 


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