Filmfest 1269 Cinema – Werkschau Charles Chaplin (11) – Die große Rezension
Mabel at the Wheel ist ein US-amerikanischer Kinofilm aus dem Jahr 1914 mit Charles Chaplin und Mabel Normand unter der Regie von Mabel Normand und Mack Sennett. [1][2] Der Film ist auch unter dem Namen Hot Finish bekannt. [2]/[1]
Mit Charles Chaplins elftem Film haben wir ihn: den Sprung nach vorn. Oder den ersten Sprung, nachdem es zuvor, bis auf das Erscheinen des Tramps im zweiten Film, der ebenfalls ein Autorennen zeigt, eher kleinere Schritte gegeben hat. Allerdings geschieht der Sprung nicht in der Form, in der wir ihn gesucht haben, nämlich in Richtung Tramp-Romantik. Denn in diesem Film tritt Chaplin wieder einmal gar nicht als Tramp auf und wir halten fest, bis hierher ist er in dem ikonischen Kostüm nur in der Hälfte seiner Werke zu sehen. Ich finde das gar nicht so schlimm und daher sehe ich keinen großen Rückschritt darin, dass er hier wieder eher als Mittelstandsbürger – und als Bösewicht zu sehen ist. Er führt die Besetzungsliste sogar als solcher an, obwohl der Film von Studiochef Mack Sennett und dem weiblichen Star Mabel Normand inszeniert wurde. Sie ließ Chaplin aber offenbar den Vortritt und der gesamte Film macht einen recht harmonischen Eindruck – die Verhältnisse hinter der Kamera betreffend. Für das, was im Bild passiert, gilt das freilich nicht, und das ist ein großes Plus. Wo aber liegt nun die Weiterentwicklung? Darüber steht etwas zu lesen in der – Rezension.
Handlung (1)
Charlie bietet Mabel eine Mitfahrgelegenheit auf seinem zweisitzigen Motorrad an, die sie dem Rennwagen seines Rivalen vorzieht. Unglücklicherweise fällt sie beim Überqueren einer Bodenwelle in eine Pfütze. Der Rivale, der ihm in seinem Auto gefolgt ist, holt die nun gestrandete Mabel ab. Er lässt sie fahren und setzt sich dicht neben sie. [3]
Charlie bemerkt schließlich, dass sie verschwunden ist und fällt vom Motorrad. Er sieht sie jetzt zusammen stehen und neben dem Auto stehen. Sie verlassen den Wagen für eine kurze Zeit und Charlie lässt den Hinterreifen herunter. Sein Rivale kehrt zurück und ist wütend. Sie werfen Steine auf Charlie und er wirft sie zurück. Der Freund des Rivalen taucht auf und gerät in die Verwirrung um das Steinewerfen.
Wir schneiden zu „The Auto Race“, wo Charlie um die Autos schwebt. Die Fahrer führen ihn weg, als sie sehen, dass er eine scharfe Nadel hat. Charlie steht da und zieht kräftig an einer Zigarette. Er benutzt seine Nadel, um sich durch die Menge zu kämpfen, wo er Mabel einen Heiratsantrag macht und geohrfeigt wird. Charlie pfeift daraufhin und zwei Schläger tauchen auf und entführen seinen Rivalen kurz vor dem Rennen. Doch Mabel beschließt, seine Rennklamotten anzuziehen und an seiner Stelle das Steuer zu übernehmen.
Im weiteren Verlauf des Rennens gelingt es Mabel, mit einem Beifahrer an ihrer Seite, einen Vorsprung von drei Runden herauszufahren. Charlie versucht mit seinen Schergen, das Rennen zu sabotieren, indem er Öl und Bomben auf der Strecke einsetzt. Das Öl dreht Mabels Auto Nr. 4 vorübergehend herum und es geht eine Runde rückwärts, bis das Öl es wieder dreht, um in die richtige Richtung weiterzufahren. Der Wagen kippt in einer Kurve um, aber eine Gruppe von Männern schiebt den schweren Stutz Bearcat von 1913 wieder auf. Währenddessen entkommt der Rivale seinen Seilen und sieht, wie Mabel sein Auto fährt. Die Menge steht auf, als sie die Ziellinie überquert. Der Rivale und sein Freund gehen zu ihr, um ihr zu gratulieren. Währenddessen wirft Charlie eine Bombe in die Luft und sprengt sich und seine beiden Schläger in die Luft.
Rezension
Auch dieser Film hat keinen Eintrag in der deutschen Wikipedia, obwohl er zweifellos zu den Wichtigeren der ganz frühen Chaplin-Werke zählt. Dafür ist die Handlungsbeschreibung in der englischsprachigen Version der Online-Enzyklopädie ziemlich lang geraten. Und damit zum Sprung nach vorn. „Mabel at the Wheel“ ist der erste echte Two-Reeler mit Charles Chaplin. Die beiden Filme, die zuvor entstanden, sind zwar mit 16 Minuten auch knapp zwei Rollen lang (eine endet normalerweise bei 15 Minuten), aber nicht in den frei verfügbaren Versionen (sie umfassen, Stand Januar 2024, bedauerlicherweise nur 10 und 12 Minuten). Für eine Komödie der Epoche sind die 23 Minuten von „Mabel at the Wheel“ recht lang, die meisten dieser Filme hatten 1914 generell weniger Spielzeit. Allerdings war 1914 auch das Jahr, das wohl den Langspielfilm endgültige etablierte, mit Werken wie „The Squaw Man“ , dem berühmten ersten Western im Langformat, man kann aber auch das Jahr 1913 schon als Durchbruch ansehen, über alle Genres hinweg.
Aber die Länge ist nicht der Hauptunterschied zu den vorherigen Filmen, sondern die Art der Handlung. Heute würde man den Film als Action-Komödie bezeichnen, nicht als Slapstick. Es ist wirklich verblüffend, wie viel hier in echter Fahrt gefilmt wird und wie gut die Spielfilmszenen mit Dokumentarmaterial von einem echten großen Rennen kombiniert wurden. Dafür hat die Handlung erstmals auch echte Unmöglichkeiten. Angesichts des verspäteten Starts kann Mabel wohl kaum drei Runden Vorsprung auf alle anderen herausgefahren haben, als Charlie seine Öllache so platziert, dass sie sich dreht und als Renn-Geisterfahrerin unterwegs ist. Auch dazu mussten mehrere Wagen in unterschiedlicher Richtung in Bewegung gesetzt werden, am Ende fährt sie trotz der Fahrt in die falsche Richtung noch den Sieg ein. Das ist etwas übertrieben, aber weist schon auf spätere Filmkomödien hin, in denen Autos eine wichtige Rolle spielen, wie die Käfer-Filme der 1960er mit „Herbie“ in der Hauptrolle. Im Film wird aber ein in den USA kaum weniger berühmter Oldtimer verwendet. Der Stutz Bearcat oder Bear Cat:
Die ursprüngliche Produktion Bearcat wurde in der Serie A von 1912 eingeführt. Die erste öffentliche Erwähnung des Wagens (damals „Bear Cat“ geschrieben) findet sich in einer Anzeige im Programm von 1912 für das 500-Meilen-Rennen von Indianapolis. (…) Sein geringes Gewicht, seine Balance und seine Leistung machten ihn zu einem hervorragenden Rennfahrer. 1912 gewannen die Stutz Bearcats 25 der 30 Autorennen, an denen sie teilnahmen. Im Jahr 1915 wurde ein serienmäßiger Bearcat von Erwin „Cannon Ball“ Baker in elf Tagen, sieben Stunden und fünfzehn Minuten von Kalifornien nach New York gefahren, was den bisherigen Rekord brach und das spätere Cannonball Run-Rennen und die Film-Spin-offs inspirierte. Das Werksrennteam Stutz «Weisse Staffel» gewann 1913 und 1915 die Meisterschaften.[2]
Vielleicht war ich vorhin etwas voreilig, als es um den Vorsprung ging, den Mabel herausgefahren haben könnte. Die Dokumentarszenen stammen erkennbar von einem großen Rennen, in der Tat könnte das ein 500-Meilen-Rennen gewesen, was es also damals schon gab und das bis heute legendär ist. Natürlich kann man auf diese Distanz 3 Runden in einem Oval herausfahren, das eine Länge von 4 Kilometern hat, während das gesamte Rennen über eine Distanz von 800 Kilometern geht, also 200 Runden umfasst – zumal die Leistungsunterschiede in der Frühzeit solcher Rennen größer waren, als sie innerhalb einer Klasse von Rennwagen heute sind. Aber selbst bei modernen (kürzeren) Formel-1-Rennen sind solche Rückstände nicht selten. Das „Indy 500“ wird seit 1911 ausgetragen. Wir widmen diesem Aspekt so viel Raum, weil der Film im Vergleich zu allen vorherigen mit Charles Chaplin geradezu wie eine Großproduktion wirkt.
Und es darf gelacht werden.
Bei mir war das zum ersten Mal der Fall, als Mabel vom Sozius des Motorrads fällt, das von Charlie gefahren wird. Dass sie sich nicht an ihm festgehalten hat, wirkt kurios, aber die Fahrtszenen selbst kommen so echt rüber, dass ich mehrfach während des Films gedacht habe: Autsch, muss das wehgetan haben. Möglicherweise wurde hier schon mit Zeitraffer gearbeitet – falls ja, wäre auch dies für die Verhältnisse der ersten-Epoche sehr gut gemacht; jedenfalls habe ich den Zeitraffer nicht identifiziert. Allerdings gibt es während der Motorradfahrt auch keine Objekte zu sehen, die eine unnatürliche Beschleunigung kenntlich gemacht hätten, die Fahrt führt an einem innerörtlichen kleinen Abhang vorbei.
Ein Rezensent des New York Dramatic Mirror schrieb über den Film: „Der strahlende Star, der die Hauptrolle [in Mabel at the Wheel] trägt, ist Charles Chaplin. Lange Vertrautheit mit der Sprechbühne und eine natürlich komische Art des Auftretens haben ihn in den drei Monaten, die er mit Filmen gemacht hat, unübertroffen gemacht. Mabel Normand trägt die weibliche Hauptrolle mit gewohnt glänzendem Erfolg. Dies ist eine Keystone-Komödie, die Sie mit allen Adjektiven für lustig, burlesk, grotesk, possenhaft oder schreiend qualifizieren, die Ihnen einfallen, und mit der Angst gehen, dass Sie ihr nicht gerecht geworden sind. Ja, es hat keinen Sinn, wie immer.“ (Quelle 1)
Da die Kritiken zu den frühen Chaplin-Filmen häufig sehr euphorisch ausfielen, kann man aus der obigen nicht unbedingt die Sonderstellung des Films in Chaplins bisherigem Werk herauslesen, aber wenn man heutige Maßstäbe anlegt, trifft die sehr gute Meinung des Kritikers den Kern eher als bei den vorherigen Filmen – nicht nur die Leistung Chaplins ist trotz der Tramplosigkeit besonders gut und die beste unter den Nicht-Tramp-Filmen, die bis dahin gedreht wurden, Mabel am Steuer ist geradezu eine Show. Natürlich muss sie als Fahrerin nicht so viele Gags tragen wie Chaplin, aber ihre begeisterte Mimik hat wirklich Spaß gemacht. Sie zeigt ihrerseits einen Spaß am Rennfahren, den es bei Männer nicht gibt. Oder haben sie einmal einen Piloten am Steuer eines Rennwagens lachen sehen? Nun ja, wer weiß, was nach einem gelungenen Schubser in der Kurve unter den Helmen heutiger Fahrer vor sich geht. Ich kann mich aber nicht an ein historisches Foto aus der Kinderzeit der Autorennen erinnern, in denen ein Fahrer während des Rennens (nicht danach beim Siegerfoto) so gut drauf gewesen wäre. Ich glaube, damals wahrte man eine gewisse Würde, gerade im Sport. Das Steuern dieser frühen Rennwagen war allerdings auch Schwerstarbeit, von Servolenkung keine Spur, auch das Bremsen war noch eher Glücksache. Insofern sind auch die gezeigten Dreher recht artistisch, denn damit die Physik klappte, konnte man sie ja nicht langsam filmen und per Zeitraffer beschleunigen. Die durchdrehenden oder blockierenden Räder beweisen auch das Gegenteil.
Im Grunde handelt es sich hier auch um einen frühen feministischen Film. Bis heute fahren zum Beispiel in der Formel 1 und bei anderen Rundstreckenrennen keine oder kaum Frauen. Ich finde, Mabel strahlt in ihrer Rolle des mutigen, spaßorientierten und siegenden Mädchens mindestens so wie Charles Chaplin in seiner Rolle als Bösewicht.
Mabel at the Wheel war der erste von Chaplins Zwei-Rollen-Filmen und wurde von Normand und Sennett gemeinsam inszeniert. Wie von Normand geschrieben, ist Chaplin hier in einer Ford Sterling-ähnlichen Schurkenrolle (in der Chaplin weitaus besser ist als Sterling). Normand ist der nominelle Star, aber Chaplin stiehlt jede Szene, in der er zu sehen ist, und Normand, der Regisseur, lässt ihn gewähren (sie war viel großzügiger gegenüber „konkurrierenden“ Talenten, als Chaplin es je sein würde). Dies ist ein hübsch montierter Film, der sich mit einem Autorennen befasst und Chaplin untypisch hinter dem Steuer hat (im Gegensatz zu Keaton war Chaplin ein bisschen ein Technophobiker, der nie Autofahren gelernt hat). Obwohl Mabel am Steuer nicht als „Chaplin“-Film kategorisiert werden kann, ist er Keystone in seiner besten Form, vollgestopft mit historischem Spektakel und heimtückischen Bösewichten.[3]
Stimmt, das hatte ich vergessen zu erwähnen: Chaplin macht etwas den Ford Sterling, auch die teilweise exzessive Mimik betreffend. Mich hat sie nicht direkt gestört, weil er nicht als Tramp auftritt, sondern so angezogen ist, wie er und Sterling es in Chaplins allerersten Film „Making a Living“ waren. Allerdings fährt Chaplin auch in diesem Film kein Auto, sondern ein Motorrad – in den ersten Minuten. Schon diese sind also sehr bewegt. Insgesamt dürfte der Film zu den Spielfilmen mit den meisten Fahrtszenen bis dahin gehören, was ihn buchstäblich rasant macht. Nicht alle heutigen Kritiker sind begeistert, einige kommentieren den Film eher nüchtern, ohne die Besonderheit zu erwähnen, dass es sich um Chaplins ersten echten Two-Reeler handelt. Ein Blick auf Charlie – Das Jahr bei Keystone, Teil 1: Eine gelegentliche Serie über das Leben und Werk von Charlie Chaplin – Bright Lights Film Journal
Eine wirklich wunderschöne Rezension zu dem Film, die ihn auf lesenswerte Weise in den Kontext der Bedingungen stellt, die bei Keystone herrschten und alle Beteiligten auf ihre Weise würdigt, schließt sich sozusagen meiner Ansicht an, dass Mabel Normand keineswegs hinter Chaplin zurücksteht, sondern hebt sie sehr heraus. In diesem Sinne führt er die Bemerkung aus der vorherigen Rezension weiter, reicht über Normands Großzügigkeit hinaus und stellt sie nach vorne:
Der Film scheitert also als Chaplin-Vehikel, aber er ist als Schaufenster für Mabel Normand sehr erfolgreich und das ist für mich völlig in Ordnung. Es ist höchste Zeit, dass ihre Arbeit hinter der Kamera gewürdigt wird, und dieser Film macht diesen Job sehr gut. Leider haben sich (meist männliche) Filmhistoriker in ihrer Eile, Chaplin zu verteidigen, überschlagen, indem sie sowohl den Film als auch Normands Fähigkeiten als Regisseur abtaten. Im Nachhinein ist es 20/20 und es ist einfach, Keystone jetzt zu verurteilen, aber Normand und ihre Talente zu verprügeln, riecht nach kleinlicher Grausamkeit. Mabel at the Wheel ist ein peppiger Rausch voller Spaß und man müsste schon ziemlich langweilig sein, um ihn nicht zumindest einigermaßen unterhaltsam zu finden.[4]
Ein Vehikel für Chaplin war der Film ohnehin nicht, denn er arbeitet, wie wir schon festgestellt haben, als Ford Sterlings Beinahe-Double, und dass er bei den Credits vorne stand, obwohl Mabel Normand als etatmäßiger Star sogar (vermutlich) mit Regie geführt hat, ändert dies nicht. Lesen Sie aber bitte die komplette Rezension, die wir oben anzitiert haben. Es lohnt sich. Leider, muss man beinahe schreiben, wirft sie ein nicht sehr gutes Licht auf Chaplin als Mensch. Ich denke wieder an meine Anmerkung, dass „Mabel at the Wheel“ ein geradezu feministischer Film ist und ich finde nicht, dass sie, falls sie es getan hat, schlecht Regie führte oder schlecht spielt. Chaplin aber hat das in seiner Autobiografie behauptet, die betreffenden Zeilen hat der Rezensent sogar kopiert, damit alles belegt ist. Er bezeichnet Chaplin als „unzuverlässigen Erzähler“ und seine Biografie (mit etwas anderen Worten) als selbstgerecht und überheblich.
Wer Chaplins seltsames Verhältnis zu Frauen als Idealwesen einerseits und seinen Hang zu sehr jungen Frauen, die er beherrschen konnte, die ihm dann aber irgendwie aus den Fingern glitten andererseits, in den Blick nimmt, wird sich die Sicht vielleicht zu eigen machen können, dass Chaplin selbst mit einem wohlgesonnenen, aber bereits etablierten weiblichen Star nicht gut zurechtkam. Damit zerstiebt auch das, was ich eigentlich gerne vermeldet hätte: „Mabel at the Wheel“ als Gegenstück zu den kontroversen Chaplin-Lehrmann-Filmen und Chaplin-Nichols-Filmen. Die Wahrheit könnte sein, dass Chaplin mit niemandem gut auskam, bis er endlich die volle Kontrolle über seine Filme hatte.
Wir werden einen ersten Ansatz dazu bald sehen, denn schon im Nachfolgefilm „Twenty Minutes of Love“ führte er erstmals Co-Regie.
Selbstverständlich ist auch die erwähnte und zitierte Rezension subjektiv und könnte ihrerseits die heutige Tendenz reflektieren, Frauen zu rehabilitieren, denen Unrecht getan wurde, und schießt dabei vielleicht etwas übers Ziel hinaus, wie es bei Texten, die so leidenschaftlich und lebendig geschrieben sind, dass man den Enthusiasten herauslesen kann, nicht selten vorkommt. Aber auch das ist nur Spekulation, denn ich kenne weder Mack Sennetts Äußerungen im Original, noch Chaplins Autobiografie, und kann daher ihren Stil nicht beurteilen, der kurze gezeigte Ausschnitt reicht dazu nicht aus.
Finale
Chaplin war in sehr schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, boxte sich ins Vaudeville hoch und hatte ganz sicher die Ärmel hochgekrempelt, als er zum Film kam ; diese Art von Selbstbewusstsein mitgebracht, das nicht auf akademischer Überlegenheit fußt, sondern auf Intuition bezüglich der eigenen Fähigkeiten und Wirkung vertraut. Chaplins Filme machten Geld, er drängte auf Bestätigung und Prestige, mehr wohl als alle anderen Keystone-Stars. Vermutlich hatte er nach ein paar Monaten schon im Kopf, wie er wirklich weitermachen wollte. Wir wissen von vielen großen Künstlern, gerade von jenen, die „performen“, dass sie ein riesiges Ego haben. Chaplins Tramp, wie die meisten ihn kennen, verbirgt dieses Ego im Lauf der Zeit immer besser, bis hin zu „The Great Dictator“, in dem es fast ganz verschwindet – und dann in der berühmten Rede an die Welt nach Ansicht von Kennern wieder sehr deutlich hervortritt, die behaupten, Chaplin überhebe sich dabei oder nehme sich zu wichtig. Trotzdem oder gerade deswegen ist das ein ganz großer Film.
Genies sind keine einfachen Menschen, das trifft auch auf Chaplin zu. Deswegen ist das Unangenehme, das wir zu fragen haben: Ist der frühe Tramp, der noch ziemlich robust zu Werke geht und ist der „Villain“, den Chaplin „Mabel at the Wheel“ gibt, vielleicht mehr er selbst, sein Ich, zumal zu diesem frühen Zeitpunkt seiner Filmkarriere, als der spätere Tramp? Chaplin hat sicher auch seinen eigenen Charakter veredelt, war aber als Tramp dieser Veredelung vermutlich ein gutes Stück voraus. Das heißt, sein reales Ich hat sich seiner Filmfigur im Laufe der Zeit bestenfalls angepasst. Aber seine Biografie, die zum Beispiel von dem Kritiker, der die umfangreichste Rezension zu „Mabel at the Wheel“ geschrieben hat, die ich im Netz finden konnte, nun ja, stark kritisiert wird, entstand 1964. Also zu einem Zeitpunkt, als er es längst hätte gut sein lassen und milde zurückblicken können. Vielleicht hing ihm aber auch noch die Tatsache nach, dass er aus den USA rausgeschmissen wurde (1950). Das war ganz sicher ungerecht, wie so viele Künstler im Wege der Kommunistenhetze mit einer Gemeinheit konfrontiert wurden, die erst heute wieder erreicht wird, mehr als 70 Jahre später.
Aber schauen Sie sich Chaplin genau an. Ich glaube, in ihm steckt viel Abgründiges, ähnlich wie bei seinem Landsmann Alfred Hitchcock, der zu einem ähnlichen Zeitpunkt und unter ungefähr ähnlichen Umständen aufwuchs. Chaplins Lächeln wirkt unter dem Schnurrbart des Tramps verlegen, linkisch, wird von ihm romantisch kultiviert, aber breit und herzlich ist es eigentlich nicht. Als früher Tramp und auch in den Filmen des Jahres 1914, in denen er seine Paradeuniform als Außenseiter nicht trägt, wirkt es eher so, dass er den Schurken sehr glaubwürdig geben kann, nämlich fies. Das ist der nächste wichtige Sprung, auf den wir auch nach Chaplins elftem Film weiter warten müssen: Die Wandlung dieses Lachens hin zu einem Bestandteil des linkischen Charmes, der in Filmen so herausragend wirkt, die zwar Komik zeigen, aber auch einen romantischen, melodramatischen, ernsten Anteil haben.
Auch Chaplin dürfte zu jenen großen Künstlern gehören, deren Antrieb unabdingbar mit starken narzisstischen Persönlichkeitsanteilen verbunden ist. Vielleicht werden wir darüber bei dem einen oder anderen weiteren Film erneut stolpern, aber dann können wir auf die Rezension zu „Mabel at the Wheel“ verweisen.
20/20 geben wir diesem Film natürlich nicht, aber er ist eine sehr flotte und von weiblicher Seite lebensfrohe, charmante Komödie, in der Chaplin den Unguten fast ein wenig zu gut spielt. Für uns die mit einigem Abstand bisher beste Leistung – des Teams. Des Ensembles. Alle Beteiligten machen einen guten Job. Unter Berücksichtigung des historischen Kontexts:
68/100
2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2024)
| Regie | Mabel Normand Mack Sennett |
|---|---|
| Drehbuch | Mabel Normand |
| Produzent | Mack Sennett |
| Hauptrollen | Charlie Chaplin Mabel Normand Harry McCoy Chester Conklin Mack Sennett Al St. John Joe Bordeaux Mack Swain William Hauber |
[1] Mabel am Steuer – Wikipedia
[3] CHAPLIN IN KEYSTONE, TEIL EINS | 366 seltsame Filme (366weirdmovies.com)
[4] Mabel am Steuer (1914) Eine Stummfilmkritik – Filme im Stillen (moviessilently.com)
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