Wie steht es um die #Gleichstellung in der #EU? (Statista + Zusatzinformationen) #Weltfrauentag #Gleichberechtigung

Briefing Gesellschaft, Gleichberechtigung, Weltfrauentag, Frauenrechte

Wir leiten den Tag heute nicht mit dem Ticker ein, denn heute ist ein Feiertag. Ein Feiertag, der für die Frauen eingerichtet wurde. Deshalb ein kleiner Artikel voraus, der sich ausnahmsweise nicht mit Krieg und Frieden befasst, obwohl ja, wie Sie wissen, wenn Sie uns häufiger lesen, alles miteinander zusammenhängt.

Der Weltfrauentag ist in Berlin ein echter Feiertag, der leider auf einen Samstag fällt, in diesem Jahr. Viele Frauen in schwierigen, verantwortungsvollen Job profitieren dieses Jahr nicht durch ein verlängertes Wochenende und können mit diesem Feiertag keinen Brückenkopf für eine Viertage-Pause bilden. Wie sieht es aktuell mit der Gleichstellung in den EU-Ländern aus? Diese Frage hat Statista mit einer Grafik beantwortet:

Infografik: Wie steht es in Europa um die Geschlechter-Gleichstellung? | Statista

Bis zur vollen Gleichberechtigung von Frauen ist es in Europa noch ein weiter Weg. Das geht aus dem Gleichstellungsindex 2024 des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen hervor, der sich überwiegend auf Daten überwiegend aus dem Jahr 2022 stützt.

Der Index wird aus dem Abschneiden der EU-Länder in sechs Kategorien gebildet: Arbeit, Geld, Bildung, Zeit, Macht und Gesundheit. Hinzu kommen Faktoren wie etwa Gewalt gegen Frauen. Deutschland liegt mit 72 von 100 möglichen Punkten auf Rang zehn und damit knapp über dem EU-Durchschnitt.

An der Spitze des Gleichstellungsrankings steht Schweden vor den Niederlanden und Dänemark. Wie langsam die Entwicklung voranschreitet, zeigt der Indexwert für die gesamte EU. Waren es im Gleichstellungsindex 2015 64,4 Punkte, sind es acht Berichte später gerade einmal 6,5 Punkte mehr.

Noch bevor wir den Begleittext gelesen hatten, gingen wir den Check und können daher die Zahl für 2013 liefern: 63,4. Weiter zurück geht es nicht, denn damals wurde der Index zum ersten Mal erstellt. Eine Verbesserung von 8,6 Punkten seitdem klingt sehr gut – und wir wollen und können nicht beurteilen, ob die Realität diese Verbesserung komplett spiegelt. Das ist auf episodischer Basis nicht möglich, und Statistiken in diesem Bereich beruhen auf einer ganzen Reihe von Parametern, die man sich genau ansehen müsste, um Fakten und Einschätzungen zu trennen. Auf der Grafik ist ein auffälliges West-Ost-Gefälle bezüglich der Gleichstellung zu sehen, aber auch die traditionelle Divergenz zwischen Nord und  Süd kann man weiterhin ablesen – wobei sich viele Länder im mittleren Bereich bewegen, in dem auch Deutschland liegt. So gut ist es in Deutschland nicht, nur einen Punkt besser als der Durchschnitt, obwohl der Index Länder beinhaltet, die nach der Wende von 1989 immer noch weit zurückliegen hinter dem westeuropäischen Standard. Einige davon haben es eiliger, aufzuholen, andere weniger:

Die Konvergenzanalyse des Gleichstellungsindex zwischen 2010 und 2022 zeigt eine durchschnittliche Verbesserung in der gesamten EU und eine Verringerung der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, was einen klaren Aufwärtstrend der Konvergenz zeigt. Die Konvergenz der Ergebnisse des Gleichstellungsindex liegt in diesem Zeitraum bei 30 % pro Jahr. Dieses Gesamtmuster erfasst jedoch nicht das unterschiedliche Niveau der nationalen Entwicklungen, da sich nicht alle Mitgliedstaaten im gleichen Maße verbessert haben.

Vergleich der Entwicklung der einzelnen Mitgliedstaaten mit dem ungewichteten EU-Durchschnitt2 zeigt die folgenden Konvergenz- und Divergenzmuster auf der Ebene der Mitgliedstaaten:

  • Aufholjagd: Bulgarien, Zypern, Griechenland, Italien, Litauen, Malta und Portugal weisen einen Indextrend auf, der unter dem EU-Durchschnitt liegt, sich aber schneller als dieser Durchschnitt verbessert, wodurch sich der Abstand im Laufe der Zeit verringert.
  • Abflachung: Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Niederlande, Schweden und Slowenien haben Indexwerte über dem EU-Durchschnitt, aber die Fortschritte sind langsamer als der Durchschnitt, wodurch sich der Abstand zwischen ihnen und der EU verringert.
  • Überdurchschnittliche Ergebnisse: Österreich, Deutschland, Spanien und Luxemburg schneiden besser ab als der EU-Durchschnitt und kommen bei der Gleichstellung der Geschlechter schneller voran, wodurch sich der Abstand zur EU vergrößert.
  • Langsameres Tempo: Estland, Kroatien, Lettland, Polen, Rumänien und die Slowakei liegen beim Gleichstellungsindex durchweg unter dem Durchschnitt und machen nur langsam Fortschritte, was im Laufe der Zeit zu wachsenden Ungleichheiten mit der EU führt.

Die Analyse zeigt 15 Mitgliedstaaten mit Aufwärtskonvergenz und 12 mit Aufwärtsdivergenz. Seit der Ausgabe 2023 haben sich nur zwei Mal signifikant verändert: Frankreich und Kroatien. In beiden Fällen haben sich die Wachstumsraten im Vergleich zum EU-Durchschnitt verlangsamt.

Auffällig ist, dass oben nur 18 von 27 Ländern erwähnt werden – demnach müssten die übrigen sich ziemlich gleich mit dem Durchschnitt entwickelt haben. Wichtig ist eine Zahl, die Sie in der Grafik rechts in einem weißen Kasten sehen: Sie weist aus, dass Deutschland nur ein Prozent über dem EU-Durchschnitt liegt und viele Länder demgemäß weiter vorgerückt sind. Das sieht man aber in der großen mittelblau-violetten Zone der EU so nicht, und nur ein Land kommt über 80 Prozent. Wir hätten eine Abstufung bei 75 vorgenommen, dann hätte man deutlicher gesehen, dass zum Beispiel Frankreich und Spanien, die einst für ihre geringen Frauenrechte bekannt waren, Deutschland bei der Gleichstellung überholt haben. Wir haben also hierzulande, trotz der obigen Aussage, über die Jahrzehnte hinweg eine eher langsame Entwicklung gesehen, was ja auch zum Gesamtprofil Deutschlands in dieser Zeit passt. Dass Länder wie Ungarn ganz am Ende der Schlange stehen, passt auch zu dem, was man im Allgemeinen über die Rechtsstaatlichkeit dieser Länder erfährt. Über dem Durchschnitt liegen ausschließlich west- und nordeuropäische Länder, die traditionelle alte und die Ex-Efta-Staaten.

Indicator: Gender Equality Index scores, domain scores and sub-domain scores | Gender Statistics Database | European Institute for Gender Equality

Und wie ist die Zukunft? Es ist nur ein Schlaglicht, aber in Deutschland nimmt die Zahl weiblicher Abgeordneter im neuen Bundestag ab. Das kommt in erster Linie daher, dass rechte Parteien mit traditionell geringeren Frauenanteilen unter ihren Parlamentariern einen Zuwachs verbucht haben – und teilweise auch innerhalb der Fraktionen die Frauenanteile abnehmen. Da die Lage in Deutschland und der Welt im Moment andere Prioritäten kennt, wird das vermutlich nicht dazu führen, dass wieder über eine Frauenquote im Parlament gesprochen wird.

Außerdem ist Gleichberechtigung etwas anderes als Gleichstellung. Ersteres ist in Deutschland perfekt geregelt, denn dass Frauen und Männer vor dem Gesetz gleich sein müssen, steht in Artikel 3 des Grundgesetzes, hat also eine sehr große Bedeutung, erscheint direkt hinter der unabdingbaren Menschenwürde und der Allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 1 und 2) und hängt mit diesen beiden Artikeln eng zusammen. Aber die praktische Gleichstellung ist eine andere Sache. Es gab in der BRD noch lange nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes frauenfeindliche Regelungen im sogenannten einfachen Recht, die schwerwiegende Folgen für den Zugang von Frauen zum Arbeitsmarkt und bezüglich ihrer finanziellen Situation hatten. Das Jahr 1958 war in der Hinsicht ein Wendepunkt, damals wurden mehrere erheblich diskriminierende Regelungen abgeschafft. 

Wir befürchten auch, dass das immer mehr aufgeheizte Klima und die Entwicklung in wichtigen Demokratien dazu führen werden, dass Männer die Situation ausnutzen werden, um das Rad zurückzudrehen, denn die Macht gehört immer noch überwiegen ihnen. Frauen haben sich in dem Bereich seit 2013 am meisten verbessert (+20 Punkte), aber relativ zu anderen Indikatoren steht es bei der Macht für Frauen immer noch nicht sehr gut (60/100). Und wer die Macht hat, der bestimmt auch die übrigen Indikatoren entscheidend mit. Hinzu kommt, dass in jüngerer Zeit viele Frauen mit sehr konservativen Weltbildern in der Politik vorgerückt sind, denen es im Grunde egal ist, wie ihre Geschlechtsgenossinnen dastehen, weil sie mit Eigenschaften nach aufgestiegen sind, die man eher Männern zuschreibt: Machtinstinkt, Machiavellismus, bis hin zur Bereitschaft zur Intrige und zur offenen Lüge. Auch dies trägt dazu bei, dass das Gesellschaftsklima in Deutschland und anderen Ländern sich verschlechtert: Frauen in wichtigen Positionen oder unter den Meinungsführer:innen, die sich nicht für Frauenrechte einsetzen.

Man soll Frauen nicht aufoktroyieren, dass sie die Bastion gegen den Rechtsruck sein müssen, diesen endlich abzuwehren, ist Aufgabe von uns allen. Die Sorge, dass mit einem möglichen Niedergang der Frauenrechte und Frauenpartizipation sich die Zivilisationsbilanz insgesamt ins Negative drehen wird, wächst. Vielleicht ist das bereits in diesem Moment der Fall, denn die aktuellen Indexwerte basieren auf Daten des Jahres 2022.  

TH


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