Carioca (Flying Down to Rio, USA 1933) #Filmfest 1276 #AstaireRogers #FredAstaire #GingerRogers

Filmfest 1276 – Werkschau Fred Astaire und Ginger Rogers (1)

Flying Down to Rio ist ein US-amerikanisches Filmmusical aus dem Jahr 1933 mit Dolores del Río in der Hauptrolle. Das Leinwandpaar Fred Astaire und Ginger Rogers absolvierte den ersten von insgesamt neun gemeinsamen Auftritten.

Es war ein Zufall, dass ich mir kürzlich den 18 Jahre später entstandenen Film „Königliche Hochzeit“ mit Fred Astaire anschaute. Wenn ich bedenke, wie sehr ich diese Tanz- und Musikfilme einmal mochte, wie sie meine Faszination für das Medium Film wesentlich mitbegründet hatten, ist es erstaunlich, wie wenige Astaire-Filme ich bisher gesehen und besprochen habe. Vor allem die legendäre Serie aus den 1930ern mit Ginger Rogers steht komplett aus. Also fange ich jetzt damit an, und zwar der Reihe nach. Mit dem Film, der den Ruhm dieses größten Filmtanzpaares aller Zeiten begründet hat. 

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2025: Hiermit eröffnen wir also die dritte derzeit laufende Werkschau nach #Chaplin und #Keaton für #AstaireRogers. Es sind erheblich weniger Filme darin enthalten als in den bereits laufenden chronologischen Darstellungen des Werks einzelner Künstler, nämlich nur die oben erwähnten neun.

Handlung[1]

Roger Bond, Bandleader der „Yankee Ylipper Band“, ist sein Engagement in einem Hotel in Miami los, weil er, entgegen den Hotelregeln, mit einem Gast getanzt hat. Roger schafft es, ein Engagement für die Band in einem Hotel in Rio de Janeiro zu bekommen. Seine Tanzpartnerin, die Brasilianerin Belinha de Rezende will ebenfalls nach Rio, um ihren kranken Vater zu besuchen. Er überredet sie, mit ihm in seiner zweisitzigen Maschine ohne ihre Aufpasserin, Tante Dona Elena, mitzukommen. Sein bester Freund, Pianist und Akkordeonspieler Fred Ayers, warnt ihn, irgendwelche Tricksereien zu versuchen. Dennoch täuscht Roger Motorprobleme und landet auf einem kleinen Flugplatz in Haiti. Belinha lässt Rogers schöne Worte und seine Musik über sich ergehen. Doch sie erklärt ihm auch, dass sie, als Teil einer Abmachung ihrer Familie, einen jungen Brasilianer heiraten muss, sobald sie in Rio ist. Am nächsten Morgen erkennt Belinja Rogers Trick. Sie verlässt ihn, um den regulären Flug nach Rio zu erreichen.

In Rio erzählt Roger seinem Freund Júlio Ribeiro von seiner Liebe zu Belinha. Er weiß allerdings nicht, dass Júlio Belinhas Verlobter ist. Das Hotel, in dem Roger mit seiner Band auftreten soll, gehört Belinhas Vater, Carlos de Rezende. Bei einer Casinogala, wird Roger Belinha durch Júlio vorgestellt. Nun erkennt Roger die wahren Zusammenhänge und beschließt Belinha für sich zu gewinnen. Zur gleichen Zeit entdecken Fred und die Sängerin Honey Hale den Tanz Carioca. Griechische Finanziers und der ansässige Bankier Alfredo Vianna wollen das Hotel übernehmen. Alfredo ist sicher, dass Belinhas Vater keine Erlaubnis für Auftritte bekommt, wenn der Bürgermeister außerhalb seiner Stadt ist. Er arrangiert eine Polizeirazzia am Abend der Eröffnung der neuen Show.

Roger kommt, als er ein Flugzeug über dem Hotel sieht, auf die Idee, Tänzerinnen auf die Tragflächen von Flugzeugen zu schnallen. Kurz vor Beginn der Show erreicht Roger ein Brief von Carlos, in dem der Hotelbesitzer sich bedankt. Gerührt informiert Roger Júlio, dass er nach Buenos Aires müsse. Roger verabschiedet sich von Belinha. Die Show wird ein Hit und garantiert die Kreditwürdigkeit des Hoteliers. Honey will Júlio ermöglichen, mit Belinha wegzugehen. Doch Júlio erkennt die wahren Gefühle seiner Verlobten und geht mit ihr an Bord des Flugzeuges nach Buenos Aires, in dem Roger sitzt. Gerade als Roger und Belinha vom Piloten getraut werden, springt Júlio aus dem Flugzeug und landet mit einem Fallschirm sicher in Rio.

Rezension

Dieser Film ist ein luftiges Vergnügen von der physisch unmöglichen Art. Sicher, Flugzeuge waren zu der Zeit erheblich langsamer als schon wenige Jahre danach und man musste sich etwas einfallen lassen, im Rennen um die besten Revuefilme, wie die (meisten) Musicals damals aus guten Gründen noch hießen, mithalten zu können. Da kam es hervorragend, dass die viel kleinere Firma RKO mit „Flying Down to Rio“ ein Tanzpaar lancieren konnte, von dem die Verantwortlichen vielleicht schon wussten, welchen Schatz sie da erstmals den Publikum präsentierten. Allerdings mit einer Exit-Möglichkeit, denn Rogers und Astaire waren nur die Nummer drei und vier der Besetzungsliste, die Attraktion hingegen die mexikanische Schauspielerin Dolores del Rio, die tatsächlich so hießt, es war auch kein Künstlername, sondern ihr richtiger als Spross einer vornehmen Familie. Was liegt näher, als einen Film dann beziehungsreich „Flying Down to Rio“ zu nennen, wenn es im Flugzeug in die Stadt am Zuckerhut geht?

Anmerkung zwei anlässlich der Veröffentlichung des Textes: In der englischsprachigen Wikipedia fehlt der Zusatz „del Rio“ bei ihrem echten Namen, aber sie war schon nach den späten Stummfilmahren ein großer Star, der in Deutschland nur wenig bekannt ist, aber zu den schönsten Hollywood-Schauspielerinnen ihrer Zeit gezählt wird. Mit ihr habe ich mich im Rahmen einer Reihe von Filmen des „Goldenen Zeitalters des mexikanischen Films“ (1946-1960) etwas näher beschäftigt, weil sie in einem der Filme, die jenes Zeitalter einleiten, die weibliche Hauptrolle spielt; eigentlich sogar zweimal, in der Rolle zweier ungleicher Schwestern („Die Andere“, 1947).

Vermutlich war der Film auch der oder einer der Auftaktfilme zur Südamerika-Welle in Hollywood, an der sich mehrere Hollywood-Studios im Wege der Produktion von Musikfilmen beteiligten, sinnbildlich für den Hype wurde im bald einsetzenden Technicolor-Zeitalter allerdings nicht Dolores del Rio, die hier der Herkunft gemäß eine vornehme Dame spielt, die mit einer Gouvernante unterwegs ist, sondern Carmen Miranda mit ihren aberwitzigen bunten Früchte-Hutkreationen. Man sieht in einer Nummer des Films aber schon, wo es herkam und wohin des führen würde, auch dort haben die Frauen schon ansatzweise solche Kreationen auf den Köpfen.

Außerdem verhalf der Hit des Films, „Carioca“, nicht nur Fred und Ginger auch innerhalb des Films zu ihrer allerersten Tanzeinlage, sondern wurde für den Oscar nominiert und trug ebenfalls zum steigenden Interesse des Publikums an südamerikanischen Rhythmen und der gesamten Folklore des anderen Amerikas  bei, die etwas Neues waren, im Vergleich zum  amerikanische Standard-Foxtrott, den damals tatsächlich fast alle Unterhaltungshits zeigten. Ein paar Tangos gab es auch noch, aber auch der damals gerade einsetzende Swing-Jazz ist vom Rhythmus meist ein Foxtrott.

Den Tanz stellte eine Mischung aus SambaMaxixeFoxtrot und Rumba dar und wurde mit berührenden Stirnflächen getanzt. Nach dem Erfolg des Films gab es Bestrebungen, Carioca als Standardtanz einzuführen. Dies scheiterte jedoch.

Der Foxtrott ist also auch in der Carioca-Melodie nicht ganz abwesend, wie ich gerade nachgelesen habe, ich hatte das Lied in erster Linie als Rumba identifiziert. Außerdem ist die Bezeichnung „Carioca“ auch eine solche für die Einwohner von Rio de Janeiro.

Dem Film fehlt es also nicht an Schauwerten, wenn man dieses Lied getanzt sieht, auch von Astaire und Rogers, die Flugzeugnummer und dergleichen. Was ihm fehlt, ist eine Handlung, die nicht zusammengewürfelt wirkt. Irgendwie hat das einen Amateur-Touch, wie auch die Szenen, in denen es mehr um die Liebesangelegenheiten geht. Sicherlich war Dolores del Rio für ihre Zeit eine sehr schöne Frau und wohl auch sympathisch, das schimmert  durch die Figur durch, aber ich habe sie manchmal schlecht verstanden.

Englische Originale aus der Zeit holpern bei mir immer noch ein wenig, vor allem, wenn sie Slang beinhalten, wie Fred Astaire ihn gerne mal zeigt oder auch Rogers, die hier nicht nur durchs Tanzen, sondern auch durch Humor glänzt. Das müssen sie auch, denn die Hauptgeschichte mit Dolores del Rio und einem bei uns quasi unbekannten Schauspieler namens Gene Raymond ist ziemlich dull. Die Amerikaner, also die Nordamerikaner, setzen sich mit Leichtigkeit gegen die Südamerikaner durch, vor allem, wenn diese nicht als Machos, sondern als Softies gezeigt werden, wie es hier der Fall ist. 1933 war dieses amerikanische Männlichkeitsideal noch gar nicht so extrem ausgeprägt wie einige Jahre später, aber gegen einen Typ, der lediglich hartnäckig ist und gar nicht so kernig, hat der pomadige Brasilianer keine Chance. Diese Überheblichkeit, auch was das Management von Shows und Hotels angeht und wie man das alles aufzieht, wie man Nebenbuhler lässig ausbootet, die ernsthafter bei der Sache sind als man selbst, schwang damals in Filmen schon mit

Befeuert wurde diese Entwicklung durch die Einführung des Tons, der es möglich machte, Banalitäten, wie sie in diesem Film nicht selten zum Besten gegeben werden, unvermittelt und kunstlos an ein riesiges Publikum weiterzuleiten. Die Möglichkeit, mehr oder weniger subtil propagandistische Akzente in die Dialoge einzubauen, war mit den vorherigen Texttafeln so nicht gegeben. Das Hemdsärmelige der Yankees kam im damals krisengeschüttelten Nordamerika vermutlich genauso gut an wie später, als es wieder prosperierte und sich seine Einwohner:innen schon deshalb in Gottes eigenem Land wähnten.

Auch die Szene, mit der die Carioca gar nicht uninspiriert eingeleitet wird, geht in die Richtung. Diese Typen mit den Sombreros dösen den ganzen Tag vor sich hin, man traut ihnen nicht einmal zu, dass sie ihre Instrumente richtig spielen können, aber dann hauen sie dieses Lied raus. Wenigstens in der Musik strahlt es und wird lebendig, ist die kaum misszuverstehende Botschaft; die Musik haben wir prinzipiell aber auch und dazu noch viele andere Dinge und Menschen; waghalsige Piloten und einfallsreiche Choreografen von Luftnummern zum Beispiel.

Es geht noch, es gibt Filme mit viel schlimmeren Diskriminierungen, er ist eben pro-amerikanisch und singt das Hohelied von den Machern, die irgendwo ankommen, sich sogar fantasievoll mit verpackten Instrumenten in ein Hotel schleichen, um zu der Flugshow die passende Musik spielen zu können. In Wirklichkeit würden die Menschen im Hotel von den Bewegungen der Mädels auf den Tragflächen so gut wie gar nichts mitbekommen hatten. Da man bei RKO aber keinen Busby Berkeley für tolle Choreografien in einem Veranstaltungssaal hatte, was bei einer Hotel-Eröffnung viel logischer gewesen wäre, machte man Exzellenz durch Kreativität wett. Oder versuchte es.

Finale

Fred Astaire und Ginger Rogers lassen schon aufblitzen, was sie zu Stars in den gemeinsamen Filmen machen wird. Rogers ist außerdem ein sehr lebendiger, humorvoller Typ, sehr modern im Auftritt, für die Verhältnisse Hollywoods in jenen Jahren und Astaire wirkt einfach sehr sympathisch – er hat auch fast so viel Spielzeit, gefühlt, wie der Hauptdarsteller; die Männer sind überhaupt präsenter, auch wenn Dolores del Rio „first billed“ ist. Der Film ist noch Pre-Code, aber die  Zeit der wilden Weiber  aus Tinseltown neigte sich schon dem Ende zu und erst mit dem Film noir kam wieder ein neuer Typ   und aktiver Frauen ins Spiel, die auch gefährlich sein konnten. Letztlich ist in Filmen wie diesem aber eh alles nur Spaß, sie sollten unterhalten und den depressionsgeplagten Menschen die Sorgen vertreiben helfen. Wünscht man sich mehr von Ginger und Fred? Schwierig zu sagen, aus heutiger Perspektive, man weiß eben, wie die Geschichte weiterging und welche tollen Nummern die beiden noch zusammen tanzen sollten.

Man muss sich hilfsweise vor Augen halten, wie schnell sich der Film damals entwickelte und wie jeder neue Musikfilm auch neue Ideen oder gar Erweiterungen der technischen Möglichkeiten beinhaltete. Wegen der Handlung und der Hauptdarsteller ist der Film nicht unbedingt eine Empfehlung, sondern etwas für Menschen, die das manchmal etwas Abenteuerliche des Hollywoodkinos jener Jahre schätzen und natürlich für alle, die Fred Astaire und Ginger Rogers und deren Laufbahn folgen möchten, also für uns. Und die Carioca. Ich weiß nicht, ob der „Continental“, der Song aus einem anderen Musical, der gegen dieses Lied gewonnen hat, wirklich besser ist. Sagen wir mal, es gibt sich nicht viel, aber „Carioca“ war eher ein Tendsetter. Und wurde als deutscher Titel verwendet, wie mir nachträglich aufgefallen ist.

Durch die Arbeit an der dritten US-Filmchronologie („Ein Jahr, ein Film, von Beginn an“) und in der Folge durch die Forschung über die kassenträchtigsten Hits der 1930er sind wir darauf gestoßen, dass in den ersten vollen Tonfilmjahren Musikfilme unglaublich beliebt waren. 1929-30 waren die Kassenschlager des Jahres allesamt Filme mit Musiknummern, auch 1933 war das noch überwiegend so. Aber „Flying Down to Rio“ ist nicht dabei. Richtigerweise, wie wir meinen, denn wir haben kürzlich „Gold Diggers of 1933“ gesichtet, und dieser ist eine ganze Klasse besser – und mit Ginger Rogers, die darin zwar nur die Nummer vier eines Mädchenquartetts ist, aber die berühmtesten Nummer des Films „We’re in the Money“ (aber bald nicht mehr) vorstellt. Zu den angesprochenen Nationalismen: Eine spezielle Abwertung  haben wir deshalb nicht vorgenommen, und das war wohl auch richtig so, denn was uns im Rahmen der „dritten US-Filmchronologie“ in dieser Hinsicht schon begegnet ist, hat eine ganz andere negative Qualität. Wenn wir bei „Carioca“ so vorgegangen wären, hätten wir auch die Mehrzahl der jüngst gesichteten Filme mit Sonderabzügen wegen Rassismus usw. versehen müssen oder nur noch einige besonders humanistische Filme ohne solche Abwertungen „durchkommen“ lassen dürfen. Trotzdem hat es jüngst eine ganze Reihe von Hollywood-Filmen getroffen.

60/100

2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2023)

Regie Thornton Freeland
Drehbuch
Produktion
Musik Max Steiner
Kamera J. Roy Hunt
Schnitt Jack Kitchin
Besetzung

[1], kursiv, tabellarisch: Flying Down to Rio – Wikipedia


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