Die scharlachrote Kaiserin / Die große Zarin (The Scarlet Empress, USA 1934) #Filmfest 1278 #DGR

Filmfest 1278 Cinema – Die große Rezension

Die scharlachrote Kaiserin, auch bekannt als Die große Zarin (Originaltitel: The Scarlet Empress), ist ein US-amerikanischer Historienfilm von Josef von Sternberg aus dem Jahr 1934 mit Marlene Dietrich als Katharina die Große. Das Drehbuch basiert lose auf Katharinas Tagebüchern.

Marlene Dietrich wurde nur wenige Kilometer entfernt von deinem derzeitigen Wohnort entfernt geboren, hat man da so ein Dietrich-Feeling? Dies und mehr klären wir in der Rezension zu einem Film über ein Land, seine Zeit, seine Herrscherin, das ein wenig weiter östlich liegt als Dietrichs Geburtsort, das aber untrennbar mit der Geschichte Deutschlands verwoben ist.

Handlung (1)

Als junge und unerfahrene Prinzessin wird Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst von Zarin Elisabeth nach Russland beordert, um dort Großfürst Peter, Elisabeths schwachköpfigen Neffen, zu heiraten und unter ihrem neuen Namen Katharina dem russischen Reich einen männlichen Thronfolger zu gebären. Katharina und Peter hassen sich jedoch von Anfang an. Als nach den ersten Ehejahren noch immer kein Nachwuchs in Aussicht ist, wird Katharina dafür verantwortlich gemacht.

Unterdessen hat Graf Alexei Rasumowski ein Auge auf Katharina geworfen, worauf er ihr erfolgreich Avancen macht. Als Katharina jedoch erfährt, dass Alexei der Liebhaber von Zarin Elisabeth ist, lässt sie sich lieber auf eine Affäre mit Leutnant Dmitri ein. Sie wird von ihm schwanger und bringt neun Monate später zur großen Freude der Zarin einen gesunden Jungen zur Welt. Peter ist sich jedoch sofort sicher, dass es sich nicht um sein Kind handelt, weshalb er Katharina umso mehr verachtet.

Katharina ist daraufhin überzeugt, dass Peter nach dem Tod der Zarin als neuer Herrscher Russland ins Verderben stürzen und sie selbst umbringen lassen wird. Durch ihren weiblichen Charme bringt sie geschickt das Militär auf ihre Seite. Als Peter sie festnehmen lässt, um seiner Mätresse an seiner Seite den Vorzug zu geben, kann Katharina entkommen und stürmt anschließend mit dem Militär den Zarenpalast. Peter wird dabei von Katharinas neuem Liebhaber General Grigori Orlow ermordet. Nach dem gelungenen Staatsstreich wird Katharina Zarin von Russland.

 Rezension

 Billy Wilder hat noch näher gewohnt, und ich finde es immer schön, in einer Stadt zu leben, in der so viele Häuser Tafeln tragen, die an berühmte Menschen erinnern. Aber ich habe zu Marlene Dietrich als Star und Typ kein spezielles Verhältnis und kann mich auch für jemanden begeistern, der zwanzigtausend Kilometer von hier geboren wurde und „exotisch“ wirkt, obwohl der Begriff heute in Bezug auf Menschen zu Recht kaum noch angewendet wird, daher die Anführungszeichen.Ich finde die Dietrich in gewisser Weise exotischer, wenn wir doch noch einmal auf den Terminus zurückgreifen wollen, als viele Menschen mit Migrationshintergrund, obwohl sie als typisch deutsch angesehen wurde – was sie natürlich war. Ihre Biografie mit dem Start Tochter eines preußischen Polizeioffiziers ist ja so unglaublich passend zum Film. 

Und dass die eine preußische Prinzessin spielt, die in Russland zur Zarin aufstieg, liegt so nah wie bei kaum einer anderen Schauspielerin. Das Exotische an ihr ist vor allem Inszenierung. Und zwar die Inszenierung ihres Mentors Josef von Sternbeg, die mit „Die scharlachrote Kaiserin“ (auch „Die große Zarin“) ihren Höhepunkt erreichte. Es war auch der Höhepunkt der Dietrich-Karriere, zumindest finanziell. Sie erhielt für diesen Film die damals astronomische Summe von 400.000 Dollar an Gage und war damit die bestbezahlte Schauspielerin Hollywoods, was auch bedeutete, der teuerste Star der Welt. Das zu wissen, hilft dabei zu verstehen, warum man sie als Mittelpunkt eines sehr aufwändigen Film sieht, in dem selbst sie es schwer hat, als Mittelpunkt zu glänzen, weil er so unglaublich mit Dekors überladen ist.

Der letzte Film mit ihr, den ich vor „Die scharlachrote Kaiserin“ gesehen habe, war „Shanhai-Express“, und der Erfolg dieses Films brachte sie an die Spitze und war somit der Auslöser dafür, dass die Paramount sich an das expressionistische Experiment „Die scharlachrote Kaiserin“ heranwagte. Der Film kam 1934 in die Kinos, war aber wohl doch etwas zu viel des Guten oder Bösen oder Übertriebenen fürs amerikanische Filmpublikum und erfüllt erstmals nicht die Erwartungen des Studios. Das ist absolut verständlich, denn der Unterschied zwischen „Shanghai-Express“ und „Die scharlachrote Kaiserin“ ist augenfällig. In ersterem ist sie das Kunstwerk im Mittelpunkt eines interessant fotografierten, aber insgesamt doch eher konventionellen Films, in Lezterem tobt sich von Sternbergs Künstlerseele auf eine Weise aus, die es im Hollywood der 1930er vielleicht kein zweites Mal gab. Zumindest nicht in einem Werk, das als mainstreamiger Publikumfilm gedacht war.

Wenn man es marketingstrategisch, und ein Hollywood-Studio wie die Paramount musste schließlich auch marketingstrategisch, kommerziell denken, wenn man es noch aus der Sicht der Zuschauer sehen will: Er hatte den Bogen dieses Mal überspannt und die Obsession zu seinem Star hatte sich in einem morbiden Fest für die Sinne explosionsartig Luft gemacht und darunter diesen Star beinahe begraben. Keine andere Schauspielerin hätte sich in diesem Szenario besser durchsetzen können, und für mich hat der Film First-Rate-Kultqualität, aber mitten in der amerikanischen Depression haben die Leute vermutlich von der ersten bis zur letzten Minute mit vor Staunen und vor Schreck offenen Mündern im Kino gesessen und sind mit einem riesigen Fragezeichen auf den Gesichtern rausgegangen. So war das alte Russland? So gewalttätig, pompös, dicht gedrängt, wild und dekadent? Sternberg hat es wirklich geschafft, hier eine Welt zu zeigen, die in maximale Ferne von der eines durchschnittlichen Amerikaners gerückt war und ob alle verstanden haben, dass die extreme Stilisierung dazu dient, eine Zeit und ein Reich zum Leben zu erwecken und dabei nicht die Historie, nicht die Story, auch nicht den Titelstar in den Vordergrund zu stellen, sondern eine eigenwillige Vision von einem Reich des Bösen Film werden zu lassen, darf bezweifelt werden.

Dazu ist der Film gewalttätig und voller sexueller Anspielungen und Untertöne und sogar mit offenem Dialog darüber ausgestattet, dass es ziemlich grotesk wirkt, dass er das Code-Siegel Nr. 16 ganz groß im Vorspann trägt. Vielleicht ging vieles auch durch, weil es nicht  um die USA der damaligen Gegenwart ging, sondern um eine wilde, vergangene Zeit in einem wilden Land weit, weit weg.

Damit weist sich „The Scarlett Empress“ als einer der ersten Filme aus, der nach dem nunmehr offiziellen Production Code („Hays-Code“) die Zensur passiert hatte und macht sich im Prinzip auch gleich darüber lustig. Die Frauen in den ersten Tonfilmjahren waren sicher teilweise offensiver angezogen als die Dietrich in diesem Film, die Moral war auch nicht immer die Beste, aber schon der Einstieg, in dem ein Hauslehrer der kleinen Prinzessin Sophie Friederike grausame Szenen aus der russischen Geschichte als Bettlektüre nahebringt, ist in seiner unvermittelten Brutalität schockierend. Es ist nicht die Gewalt an sich, die in amerikanischen Filmen allgegenwärtig ist, sondern dass hier ein Kind ihre angeblich spezifisch russische Ausprägung anhand von Darstellungen nahegebrachtg bekommt, die die nicht gerade friedlichen Märchen der Gebrüder Grimm locker übertreffen, die auch heute noch atemberaubend wirkt. 

Dass der Film heute zum Vertriebsimperium der Universal gehört, lässt mich schmunzeln, denn es passt so gut, obwohl keiner der berühmten Horrorfilme der Universal, die etwa zu der Zeit gemacht wurden, als die größere und reichere Paramount sich an etwas wie „Die scharlachrote Kaiserin“ heranwagt, enthält derlei rüde Szenen, im Verlauf kommt dann noch das Erschlagen von Peter dem Dritten hinzu, das zwar expressionistisch aus der Distanz und in Dekors eingebettet stattfindet, aber dennoch den Gewaltteil des Production Code klar verletzt – in dem zum Beispiel nie Aktion und Wirkung in derselben Kamera-Einstellung hätten gezeigt werden dürfen. Jemand schießt, jemand fällt daraufhin um. Aber der Schießende und die tödlich verletzte Person werden in getrennten Einstellungen gezeigt, um die direkte Schockwirkung zu mildern oder einen durchaus kontraproduktiven Abstraktionsgrad zu erzeugen. Das wird bis heute so überwiegend so gehandhabt, längst jenseits des „Code“. In gewisser Weise ist „Die scharlachrote Kaiserin“ ein Historien-Horrorfilm, eine Vision des Abseitigen und Barbarischen. Auch die Darstellung des Zaren Peter III. Passt genau in dieses Schema und ist auf eine Weise übergriffig, die Schaudern auslöst.

Es beginnt schon damit, dass der ebenfalls deutschstämmige Peter nicht etwa der jungen Gräfin so nahegebracht wird wie im Film und dabei gelogen wird, dass sich die Balken biegen, sein Äußeres betreffend, sondern die beiden kannten sich bereits zwei Jahre vor der Heirat in noch jugendlichem Alter. Peter war wohl nicht der Schönste, aber er war nicht so meschugge, wie er hier dargestellt wird, und die vielen Proklamationen, die er in der Tat erließ, werden im Film als Pamphlete der Barbarei und der Willkür dargestellt. In Wirklichkeit war Peter in seiner kurzen Herrschaft ein Reformzar, der sich stark an der damals modernsten Monarchie Europas und an seinem Vorbild Friedrich II. von Preußen orientierte. Seiner preußenfeindlichen Tante, der Kaiserin Elisabeth, war das ein Dorn im Auge, aber sie überging ihn bei der Thronfolgeregelung nicht.

Deswegen ist auch die Spitzenszene, das letzte Dinner, hochgradig fragwürdig: Ein Mann der Kirche sammelt dabei für die Armen, alle geben, was sie geben können oder wollen, Katharina natürlich am meisten, aber der Zar ohrfeigt den Vertreter der orthodoxen Kirche und sagt, es gebe keine Armen in Russland. Bekannt ist, dass Peter den Einfluss der mächtigen Orthodoxie beschneiden wollte und sich damit garantiert ernsthafte Feinde geschaffen hat, aber diese Absicht gehörte zu dem Programm, in der Tat die Armut in Russland zu mildern und die Rückständigkeit des Landes zu beseitigen, die auch auf den alles überragenden und klassistischen Einfluss der Kirche zurückging. Für einen einfachen amerikanischen Zuschauer von 1934 muss das filmisch hervorragend inszenierte, vollkommen überraschende Ohrfeigen eines Priesters hingegen wie ein Schlag ins eigene Gesicht gewirkt haben, und das würde es auch heute noch tun, in den Zeiten einer religiösen Erweckung, die nicht reflektierter daherkommt als in den 1930ern oder im 18. Jahrhundert.

Machtpolitik nach außen findet kaum Erwähnung: Lediglich der Siebenjährige Krieg wird kurz angesprochen, den Zarin Elisabeth an der Seite Österreichs und Frankreichs gegen Preußen führt und den Peter III. nach ihrem Tod flugs beendet, weil er Preußen-Fan ist, und damit Friedrich II. erst den Aufstieg zu „Friedrich dem Großen“ ermöglicht.Preußen stand kurz vor einer Niederlage gegen das überlegene Dreimächte-Bündnis. Nicht einmal diesen Wandel in der russischen Außenpolitik dokumentiert der Film, wiewohl er Peters kurze Zeit als Zar besonders kennzeichnet.

Peter III. wird in allen Katharina-Filmen unterbewertet, weil diese negative Einschätzung seiner Person die Basis für die Plausibilität von Katharinas Machtansprüchen ist, nicht etwa die Tatsache, dass Peter und sie einander einfach nicht verstanden – denn sonst wären Katharinas Motive und Handlungen weniger dem Ganzen geschuldet und was sie tat oder billigte, würde persönlicher und weniger der Staatsräson geschuldet wirken.

Peter hatte eine Geliebte, sie ihre Männer, seine vorgeblichen Kinder sind wohl nicht von ihm selbst gewesen, aber in Wahrheit war der Mord Katharinas an ihrem Mann, der hier als eine Art Notwendigkeit, um einen Verrückten loszuwerden, dargestellt wird, notwendig um ihre Position als Ursupatorin des Throns nach seiner Absetzung abzusichern. Ob sie selbst die Auftraggeberin war, ist bis heute unklar. Ihre Stellung jedoch in Armee und Adel war zu Lebzeiten Peters III. nicht so glänzend wie im Film dargestellt, wo die Husaren mit ihr die Treppe zum Thron empor reiten. Ein grandioses, überwältigendes und hoch symbolisches Finale, gefilmt wie ein expressionistisches Gemälde, aber in etwa so realistisch, wie dass die Erde eine Scheibe ist.

Mit Sex allein, und auch diese Annahme ist Basis des Films, kann man einzelne Männer auf die eigene Seite bringen, aber nicht das ganze System, es sei denn, man sucht sich die Männer aus, die es beherrschen, und dann noch so, dass sie in einem so intriganten Umfeld nicht gegeneinander in Stellung gehen. Das war aber bei den früheren Liebhabern Katharinas nicht der Fall. Die Großfürstin und Zarengattin hatte zu Lebzeiten Peters III. noch keinen überragenden staatspolitischen Einfluss – ihre Kunst des Regierens zeigte sich im Wesentlich erst, als sie bereits Zarin war.

Jedoch, da, wo eigentlich alles erst anfängt, für an Geschichte interessierte Filmfans spannend zu werden, nämlich, wie sie ihre anfangs wackelige Position verteidigte, festigte und zu einer expansiv orientierten Großherrscherin wurde, endet leider der Film. In Hollywood war es 1934 noch nicht so üblich wie später, auf Fortsetzungen zu spekulieren und ein Franchise aufzubauen, aber hier hätte sich eine Weiterführung nach den Memoiren von Katharina II., die der Verfilmung, sagen wir mal, schematisch zugrunde gelegt wurden, sehr angeboten.

Nach der Folgeproduktion „The Devil is a Woman“ endete allerdings auch 1935 die Zusammenarbeit zwischen Josef von Sternberg und Marlene Dietrich nach sieben Filmen, die heute zum Besitzstand des großen Kinos zählen. Eine Fortsetzung mit dem bisherigen Team hätte es also wohl kaum gegeben. Es hätte sie vielleicht gegeben, wenn „Die scharlachrote Zarin“ nicht an seiner Extraganz zu schwer zu tragen gehabt hätte, und dann hätte sich vielleicht auch das Teaming Dietrich-von Sternberg fortgesetzt, aber das ist Spekulation.

Die heute am höchsten bewerteten Filme mit Marlene Dietrich entstanden allerdings viel später: „Zeugin der Anklage“ (1957, Regie: Billy Wilder, Rezension beim Wahlberliner), „Touch of Evil“ (1959, Regie: Orson Welles, Rezension beim Wahlberliner) und „Judgement at Nuremberg“ (1961). In diesen Filmen ist sie aber nicht mehr das extravagante, mystische Idol, zu dem Sternberg sie formte, sondern vor allem in „Zeugin der Anklage“ eine Schauspielerin, die sich als solche beweist – und natürlich ein wenig von ihrem Mythos profitiert, aber das taten viele Stars in ihren „Altersrollen“.

Heute wird aber auch „Die scharlachrote Kaiserin“ zu den besten Filmen der Marlene Dietrich gezählt, nach „Der blaue Engel“ gilt er einigermaßen sicher als die Nummer 2 unter den gemeinsamen sieben Filmen, Sternbeg hingegen wird künstlerisch noch immer am meisten für seine Filme aus der Vor-Dietrich-Zeit gerühmt („The Docks of New York“, „The Last Command“, „Underworld“, alle aus 1927-1928, seinen Erstling „The Salvation Hunters“ haben wir vor einiger Zeit für den Wahlberliner besprochen). Aber in diesen Filmen war eben nicht ein Objekt der Mystifizierung vorhanden, dem sich von Sternberg künstlerisch zu Füßen warf.

Die Bilder in „The Scarlett Empress“ zu beschreiben, ist obsolet, man muss sie auf sich wirken lassen. Man muss sich hineinfallen lassen in dieses höchst ahistorische Historienfilmprojekt, die vielen politisch mehr als inkorrekten Darstellungen außer Acht lassen und die sogar schon vor der Einführung Russlands beginnen, wo ein preußischer Adelshaushalt allzu klischeehaft herausgearbeitet wird. Man ist gehalten, alles als Bildersturm und Inszenierungswillen begreifen. Die Zwischentitel, die damals durchaus noch üblich waren, haben hohe literarische Qualität, die Dialoge hingegen leiden erheblich unter der typischen Art, wie damals im US-Film gesprochen wurde, nämlich eher rau, wodurch zum Beispiel die Zarin Elisabeth wirkt ein eine Marktfrau und die Adeligen einfacher als ihre einfachen Soldaten. Als es heißt, nun habe Katharina die Ideale ihrer Jugend aufgegeben, denkt man, es handele sich um einen Zeitsprung von vielleicht zwei, drei Jahren, in Wahrheit sind es beinahe zwanzig. Seltsamerweise und obwohl sie sich als Charakter danach deutlich verändert hat, wirkt diese Zeitspanne viel geringer.

Das Lexikon des internationalen Films konstatierte, dass Regisseur Josef von Sternberg bei seinem Film keinen Wert auf „eine historisch getreue Rekonstruktion des Zeitkolorits“ gelegt habe. Das Ergebnis sei jedoch „bemerkenswert […] dank der verschwenderischen Dekors, der dynamischen Bildgestaltung und der schauspielerischen Leistung Marlene Dietrichs“.[5] Der Evangelische Filmbeobachter fand, dass Die scharlachrote Kaiserin, obschon 1934 veröffentlicht, ein „noch heute aufgrund seiner Dynamik, seiner überwältigenden und verschwenderischen Dekors und insbesondere seiner optischen Gestaltung faszinierender und aufregender Film“ sei. Das Fazit lautete: „Empfehlenswert ab 16.“[6] Prisma bezeichnete den Film als „verschwenderisch ausgestattet[en] Historienfilm“, der „keine Rekonstruktion des geschichtlichen Ablaufs“ biete, „sondern vielmehr eine grandiose Hommage an Marlene“ sei, „wie von Sternberg sie sah“. Dieser habe ganze Arbeit geleistet: „Niemals zuvor und niemals danach hat man sie strahlender, geheimnisvoller und verführerischer in Szene gesetzt.“[7]

Finale

Letztlich ist „The Scarlett Empress“ ein Bildertraum, obszön, mächtig, brutal, wie das alte Russland, wie wir es wahrnehmen, auch aus viel weniger überhöht wirkenden Filmen und Dokumentationen – und wer wollte angesichts neuester Entwicklungen und unter Einbeziehung der Geschichte des 20. Jahrhunderts und deren Wirkungen in die Jetztzeit hinein bestreiten, dass von Sternberg einiges vom Charakter dieses Reiches und seiner Potentaten, mögen sie Zaren, Sowjetdiktatoren oder Kreml-Präsidenten gewesen sein, gerade durch seine Dekonstruktion der Historie und der damit einhergehenden Konzentration auf Bilder und Dekors davon gut erfasst hat. In allem, was Russland angeht und wie es nach außen wirkt und auftritt, liegt etwas Grandioses, aber auch Maßloses und Gefährliches, das sich dann und wann beruhigt und plötzlich wieder zum Vorschein kommt – wie derzeit unter dem Präsidenten Wladimir Putin.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2025: Den vorausgehenden eigentlichen letzten Satz haben wir nicht etwas 2025 anlässlich der aktuellen Lage beigefügt, er war schon im Entwurf enthalten. Dafür fehlt eine Bewertung. Die IMDb-Nutzer:innen vergeben durchschnittlich 7,5/10.  Nach deren Ansicht ist „The Scarlet Empress“ der drittbeste Film aus Dietrichs großer Zeit, den 1930ern, nur knapp hinter „Der blaue Engel“ 7,6/10 und 0,4 hinter „Destry Rides Again“ (1939), einer Westernkomödie mit James Stewart als Partner, der ihre Karriere revitalisierte.

Für die Bewertung ist entscheidend, ob man den Film als eine künstlerische Aus- oder Ansage wertet oder auf die historische Genauigkeit Wert legt. Wenn man Lezteres in den Vordergrund stellen würde, hätte man ein Problem mit den meisten amerikanischen Historienfilmen, das sich in ungünstigen Fällen mit weiteren Mängeln wie US-Zentrismus und Rassismus verbindet. Ob Letzterer hier auch gegenüber den Russen vorliegt, ist Sachfrage, die Antwort eher ja als nein.

Wir implementieren aber nicht neun Jahre nach dem Entstehen der Rezension ein Element der Bewertung, das erst in letzter Zeit immer mehr Eingang in unsere Texte gefunden hat: Die soziokulturellen Elemente eines Films in seiner Zeit und von heute aus betrachtet. Aus der Rezension selbst lässt sich die Bewertung gar nicht so gut herauslesen, aber wir wählen die Akzeptanz des künstlerischen Konzepts als Ausgangspunkt, inklusive der gewollten Verzerrungen und Übertreibungen. Normalerweise werden solche satirisch eingesetzt, das kann man „The Scarlet Empress“ nun überhaupt nicht sagen. Deshalb würden wir seher als Verfremdungen bezeichnen. Es gibt übrigens eine 4K-Restaurierung von Criterion, die wir 2016 noch nicht sichten konnten, die aber einen solchen auf optische Pracht ausgerichteten Film sicher noch einmal hebt, indem sie jedes einzelne monströse Detail sichtbar und genießbar macht. Die deutschen Rezensionen der Gegenwart haben wir beigefügt, weil der Beitrag sich  zuvor aufgrund von Ergänzungen dem Feature „Die große Rezension“ genähert hatte, das nun erreicht ist.

80/100

2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf)

Regie Josef von Sternberg
Drehbuch Manuel Komroff,
Eleanor McGeary
Produktion Josef von Sternberg
Kamera Bert Glennon
Schnitt Josef von Sternberg,
Sam Winston
Besetzung

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