Filmfest 1280 Cinema
Die Beunruhigung ist ein deutscher Spielfilm der DEFA von Lothar Warneke aus dem Jahr 1982. Die Low-Budget-Produktion der DEFA, Gruppe Babelsberg, wurde als teilweise improvisierter Spielfilm mit dokumentarem Charakter in Schwarzweiß realisiert. Der Frauenfilm gehörte zu den besucherstärksten DEFA-Filmen in der DDR und erhielt zahlreiche Auszeichnungen.
Die Auswertung der MDR-Reihe „70 Jahre DEFA“ hält also an – und widmet sich dieses Mal einem „kleinen Film“, der aber großen Zuspruch in der DDR erfuhr.
Viele der Prestigeprojekte aus über 40 Jahren DEFA (deren Produktionsgeschichte in den frühen 1990ern endet, daher nun 70 Jahre, sie beziehen sich auf die Gründung 1946 und das Jubiläum 2016) haben wir ja nun in der Tat rezensiert und es waren beeindruckende Filme dabei. Meine Lieblinge kann man anhand der Bewertungen ermitteln. „Die Beunruhigung“ zählt nicht zu den DEFA-Filmen, die jeder (im Westen und im Ausland) kennt, aber vielleicht sollte man ihn kennen. Deswegen mehr in der Rezension.
Handlung (1)
Inge Herold ist Ende 30, geschieden, lebt in Berlin und arbeitet als Psychologin bei der Familien- und Eheberatung. Sie lebt mit ihrem 15-jährigen Sohn Mike zusammen und hat ein Verhältnis mit dem verheirateten Joachim, der von Mike abgelehnt wird.
Eines Tages entdeckt Inge in ihrer Brust ein Knötchen. Es erfolgt eine Erstuntersuchung. Wenig später erfährt Inge auf Arbeit, dass sie in die Klinik kommen muss. Hier wird ihr erklärt, dass die Geschwulst am nächsten Tag operativ entfernt werden soll. Erweist sie sich als gutartig, ist die Behandlung damit abgeschlossen. Stellt sich jedoch heraus, dass der Krebs bösartig ist, würde Inge die Brust amputiert werden. Inge ist zunächst verzweifelt, fängt sich jedoch. Sie sucht Joachim auf Arbeit auf und bittet ihn, abends vorbeizukommen. Zu Hause trifft sie auf Mike, der zahlreiche Freunde in seinem Zimmer hat und laut Musik hört. Inge wirft die Freunde raus und stellt die Musik ab. Als Mike sie kritisiert, ohrfeigt sie ihn. Mike geht.
Inge sucht ihre Mutter auf. Das Verhältnis ist distanziert, beide haben sich nicht viel zu sagen. Inge will nicht nach den Vorstellungen ihrer Mutter leben. Als Inge andeutet, am nächsten Tag ins Krankenhaus zu müssen, glaubt ihre Mutter, Inge sei schwanger. Inge bittet sie, während ihrer Zeit im Krankenhaus auf Mike aufzupassen. Sie geht und sagt ihr nur, dass sie nicht schwanger ist. Selbst das Krankenhaus nennt sie nicht, will sie doch von ihrer Mutter nicht besucht werden. Inge vertreibt sich die Zeit in einem Café und sucht schließlich Richterin Katharina Weber auf, mit der sie in dieselbe Abiturklasse gegangen ist. Katharina hat einen geradlinigen Weg hinter sich. Sie ist erfolgreich im Beruf, teilt sich mit ihrem Mann in die Hausarbeit, hat zwei Kinder und ein Auto. Inge schlägt vor, ein Klassentreffen zu veranstalten und Katharina verspricht zu kommen, wenn sie Zeit findet. Sie gibt Inge die Adresse von Dieter Schramm, der Inges Jugendliebe war und mit dem beide ebenfalls in einer Klasse waren. (…)
Rezension
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2025: Mittlerweile hat die DEFA auf Youtube einen eigenen Kanal, auf dem sie viele Werke dauerhaft zugänglich macht, die wir noch nicht gesichtet haben, aber auch „Die Beunruhigung“ ist dabei. Oft erzählen diese weniger bekannten Filme mehr über die DDR als die Großproduktionen, die vor allem in den 1960ern hergestellt wurden oder ausgesucht künstlerische Werke aus der späteren Phase der DDR. Außerdem kommt uns mittlerweile eine so weit wie möglich komplette Sichtung der Polizeirufe aus der DDR-Ära der Reihe zugute, die uns ab dem Beginn des Projekts „Polizeiruf zusätzlich zum Tatort“ ab 2019 Aufschlüsse über die Alltagskultur im östlichen Teil Deutschlands geben konnte.
Überrascht nun angesichts dieser hochveranlagten, oft in Breitwand und manchmal in Farbe gedrehten Werke ein so intimer Film wie „Die Beunruhigung“? Nein. Denn schon in den 1970ern hatte der DDR-Film sich grundlegend gewandelt. Ich will nicht sagen, er hat seinen großen gesellschaftspolitischen Anspruch aufgegeben, aber der Duktus ist zunehmend mehr auf das private Schicksal abseits der Ideologie oder sogar unter den Widrigkeiten einer von Künstlern zunehmend als mangelhaft umgesetzten Ideologie (mindestens dies) ausgerichtet gewesen, teilweise kann man sogar Systemkritik erkennen, wenn man will – etwa in „Paul und Paula“ (1973) oder „Solo Sunny“ (1980). Die Filme sind bekannter als „Die Beunruhigung“. Letzterer ist noch einmal erheblich schlichter und seine große Rezeption kann ich mir nur damit erklären, dass die Entfremdung, die er zeigt, damals schon ein Zeitgefühl war, in dem sich viele Menschen wiederfanden. Denn die Story selbst ist von einer beinahe erschlagenden Banalität und enthält, wenn überhaupt, eine Botschaft, die im Grunde von der Zensur hätte bemerkt werden müssen: Auch in der DDR ist das Alltagsleben von Mangelerscheinungen im zwischenmenschlichen Bereich geprägt und somit typisch deutsch. Was allerdings den Film wiederum gut mit einigen westdeutschen Produkten des „Neuen Deutschen Films“ in Verbindung setzt. „Die Beunruhigung“ hat allerdings nicht den manchmal elitären Touch, war kein Zuschussprojekt mit Filmförderung, wie fast alle Werke des NDF bis zu seiner Kommerzialisierung und seinem Übergang ins Mainstream-Kino Ende der 1970er, sondern ein wirklicher Publikumsrenner und wenn ich sage, ich bin von diesem Film nicht überrascht, die Zuschauer waren es damals wohl durchaus.
Ist der dokumentarische Stil, der von der Kritik hervorgehoben wird, tatsächlich sichtbar? „Fred Gehler kritisierte im Sonntag, dass „das Finden des richtigen und verständnisvollen Partners […] hier die Welt allemal wieder ins Lot [bringt] und […] die Beunruhigung schwinden [läßt].“ Im Dokumentarcharakter des Films sah er keine Bereicherung für den Film und fragte: „Worin liegt der ästhetische Gewinn, wenn ein Pförtner im Film auch in der Realität Pförtner ist, der Chefarzt wirklich Chefarzt, eine Patientin eine tatsächliche Patientin usw.? Bringe ich damit mehr ‚Wirklichkeit‘ ein?““ (zitiert nach dem Wikipedia-Beitrag zum Film, s. o.).
Erst einmal zum Dokumentarcharakter. Ich hätte die Kritik in diesem Fall nicht zitiert, wenn ich sie nicht teilen würde. Ich finde den Hype um Laienschauspieler of befremdlich. Aus sozialen Gründen ist es toll, wenn junge Menschen bei Bühnenaufführungen, bei modernen, sozialpädagogisch orientierten Stücken, sich selbst spielen. Aber im Film ist es mir lieber, wenn ich das typisch Hölzerne, das Laiendarsteller vor der Kamera meist zeigen, nicht sehen muss, es sei denn, es handelt sich um lauter Naturtalente, die zudem von einer äußerst einfühlsamen Regie angeleitet werden.
Nun will ich gerne zugeben, dass es hier zum Gesamtstil ganz gut passt, aber der ist ja, wie Bebilderung, auch sehr schlicht gehalten. Selbstverständlich kommt es dem Eindruck des Alltäglichen entgegen, dass das Visuelle kein narzisstisches Eigenleben entfaltet, man aber sehr wohl Orte – vor allem die Gegend um den Alexanderplatz herum – so inszeniert, dass die Vereinsamung des Einzelnen mitten in der in den 1970ern entstanden DDR-Prachtarchitektur deutlich sichtbar wird. Aber der Film wirkt auf mich nicht dokumentarischer als viele Produktionen seiner Zeit, auch aus Westdeutschland. Im Prinzip ist er typisch für die zurückgenommene Inszenierungsweise der 1970er, die in den frühen 1980ern immer noch aktuell war. Heute mag „Die Beunruhigung“ vor allem deshalb dokumentarisch wirken, weil sich der Stil im Spielfilm wieder verändert hat und mehr auf klassische Muster der Dramaturgie und der Identifikation setzt und zudem eine deutliche Tendenz zur Ironisierung aufweist, die einem Werk wie „Die Beunruhigung“ vollkommen fremd ist.
Ironie war aber generell nicht der Stil des DDR-Kinos? Nein, ganz sicher nicht in der Form, dass sie sich ins Satirische drehte, aber Untertöne gab es in guten DEFA-Filmen durchaus.
Anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2025: hier ein kurzer Stopp. Bei Filmen aus dem Ostblock, gerade aus der strikt moskau-linientreuen DDR, muss man den Begriff Satire etwas anders definieren als in einem freien Land. Man kann von Sub-Satire sprechen, die mit einiger Erfahrung genauso deutlich lesbar ist wie die offene Veralberung der Politik, wie sie damals im Westen schon üblich war. Deswegen ist in der DDR Satire eine subversivere und somit auch anstrengendere und zumindest für die Karriere gefahrvollere Arbeit gewesen als im Westen.
Und wenn man genau hinschaut, hat auch „Die Beunruhigung“ eine kaum wahrnehmbare, subtextliche Schwingung, die Zweifel am Sinn sehr vieler Dinge äußert. An der Ehe, an den Instituten der Wohlfahrt, am Ost-West-Schema. Als Westdeutscher habe ich natürlich die Szene zwischen Inge und Brigitte besonders intensiv angeschaut. Für mich eines der Highlights des Films, weil die Unterschiede, die ich im Verhalten der Menschen wirklich wahrnahm, als ich nach Berlin zog, in diesen beiden Frauenfiguren so trefflich gespiegelt sind. Und dankenswerterweise wird die Welt beider ehemaliger Mitschülerinnen nicht bewertet, sondern nur gezeigt, auch dadurch wird doch ein dokumentarischer Eindruck verstärkt wird. In Wirklichkeit handelt es sich aber nur um das, was in der Erzähltheorie der Literaturwissenschaft „neutrale Erzählperspektive“ heißt, also sich weitgehend von Kommentaren freihält und überwiegend beschreibt, was man sehen kann, hören kann, was ist. Allerdings wird die Wahrnehmung in der Literatur durch die Wortwahl doch mehr vorgegeben als im Film durch die Bilder, die man wunderbar unterschiedlich interpretieren kann.
Wie aber ist die Situation von Inge und ihre Figur als Anliegen des Films zu bewerten? Derzeit habe ich keine Mühe, eher langsamen und dialogreichen Filmen zu folgen, mit großem Genuss habe ich das kürzlich bei „Szenen einer Ehe“ von Ingmar Bergman getan. Gleiches gilt auch für „Die Beunruhigung“ – allerdings mit einem wichtigen Unterschied. In einem ausländischen Werk suche ich intuitiv mehr nach dem Universellen, das in ihm angelegt ist, während ich bei deutschen Filmen immer wieder auf die eine oder andere Weise berührt bin, wenn ich typisch Nationales entdecke. Oft auf unangenehme Weise, denn „Die Beunruhigung“ ist schon deshalb beunruhigend, weil die Kommunikation zwischen Paaren und in Familien so rudimentär und nach nach dem Maßstab heutiger Durchleuchtung von Kommunikation nach Stilen und Schemata altertümlich abläuft.
Wir sind auch in Deutschland emotional seit den frühen 1980ern erheblich weitergekommen, wir können uns äußern, wir wissen um die richtigen Worte, wir haben keine Scheu, unsere Bedürfnisse zu vermitteln. Stimmt das, nur, weil wir mehr Handwerkszeug haben, nach vielen Jahren Sozialpädagogik?
Die DDR wirkte, das zeigen die in ihr entstandenen Gegenwartsfilme, vergleichsweise homogen, während wir heute ein Auseinanderdriften der kommunikativen Fähigkeiten beobachten. In bestimmten Milieus haben sie zugenommen, in anderen sind sie noch schwächer geworden. Man kann das wunderbar persiflieren, aber die Analyse zeigt eine Fragmentierung, die ein zunehmendes Unverständnis zwischen den kommunikativen Gepflogenheiten in verschiedenen gesellschaftlichen Schichten verursachen. Die Sprache von „Die Beunruhigung“ aber hat in der DDR wohl jeder verstanden.
Sie ist doch auch heute noch verständlich. Gewiss ist sie das auf kognitiver Ebene, die Wörter betreffend. Aber können wir die extrem zurückhaltende, tastende Art und Weise, wie Menschen verbal einander begegnen, die dann aber doch wieder ins ganz und gar Oberflächliche mündet, oder, positiv, die wieder bei ganz schlichten Wahrheiten endet, noch nachvollziehen. Oder erkennen wir nicht in der nunmehr Westlerin Brigitte die Figur, die sich so ausdrückt, dass bei weiterer Entwicklung das heutige Wording herauskommen konnte?
Die Figur Inge ist deswegen für mich exemplarisch. Sie zieht nicht an und stößt nicht ab, was wiederum aufs Dokumentarische hinweisen könnte, aber dem oben erklärten Stil geschuldet ist. Ihre Krankheit macht betroffen und ihre Reaktionen, und da liegt die wirkliche Stärke des Films, sind absolut nachvollziehbar. Der Schock, die Starre, der Beinahe-Zusammenbruch, die mechanische Abfolge des Wiedersehens mit Menschen aus der Kindheit und Jugend, eine der Begegnungen führt dann bei Inge zu einem Beziehungswechsel. Die Frage ist aber immer, was besagt es und was drückt es aus, wenn Schicksale nachvollziehbar werden? Wie verhalten wir uns als Rezipienten gegenüber der Authentizität, der Lebensnähe eines Films?
Finale
Auch wenn das Ende, die Lösung des Konflikts durch das Finden eines verständnisvolleren Partners, konventionell ist, und obwohl sie nur funktioniert, weil Inge offensichtlich ihren Brustkrebs besiegt hat, ist er eine Stärke von „Die Beunruhigung“. Alles andere wäre ja doch auf einen gesellschaftspolitischen Kommentar hinausgelaufen, und der sollte hier nicht über das Schicksal einer Person dominieren. Ich mag die viel dezidierteren Film der 1960er besonders gerne, weil sie für im Westen Aufgewachsene eine neue Sicht eröffnen, während etwa „Die Beunruhigung“ sich eher einreiht, nichts Exzeptionelles hat. Was man sieht und was bleibt, ist eine Art der Verständigung oder Nicht-Verständigung, die sich bereits von der im Westen unterschied und natürlich das Schicksal, das zum Hinschauen und Nachdenken einlädt, weil es sich nicht expressionistisch in den Vordergrund spielt und damit eine suggestive Wirkung ausübt, die in manipulativer Absicht erzeugt wird.
70/100
2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2017)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Lothar Warneke |
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| Drehbuch | Lothar Warneke Szenarium: Helga Schubert Dramaturgie: Erika Richter |
| Musik | César Franck |
| Kamera | Thomas Plenert |
| Schnitt | Erika Lehmphul |
| Besetzung | |
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