Briefing PPP Politik Personen Parteien, CDU/CSU, AfD, SPD, Die Linke, Unvereinbarkeitsbeschluss
Heute widmen wir einer Umfrage nach längerer Zeit wieder einen eigenständigen Artikel, zuletzt hatten wir Abstimmungen, bei denen Sie alle mitmachen können, immer im Ticker eingebunden. Es hat mit der Wichtigkeit des Themas zu tun und mit aktuellen Entwicklungen, die wir kommentieren wollen.
Union: Koalition mit AfD? / Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie die Forderung des CDU-Kreisverband Harz, den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU mit der AfD aufzuheben?
Begleittext von Civey
Der CDU-Kreisverband Harz in Sachsen-Anhalt fordert die Bundespartei auf, den Unvereinbarkeitsbeschluss mit der AfD in allen Bundesländern aufzuheben. Der dpa nach habe der Kreisvorstand den Beschluss diese Woche der Landespartei vorgelegt. Grund seien die schlechten Wahlergebnisse der Bundestagswahl für die CDU im Osten. Sogar in traditionellen CDU-Hochburgen hatte die Partei keine Chance. Ferner beklagt der Kreisverband die zunehmenden Parteiaustritte, die den allgemeinen Unmut belegen würden.
Bei der Bundestagswahl gingen alle Direktmandate in Sachsen-Anhalt an die AfD, beklagt der CDU-Kreisverband in dem Beschluss. Der Vorstoß könnte gerade im Hinblick auf die Landtagswahlen 2026 in Sachsen-Anhalt zu weiteren innerparteilichen Debatten führen. Aufgrund der steigenden Umfragewerte der AfD hatte der CDU-Landtagsabgeordnete Ulrich Thomas bereits 2019 gefordert, Koalitionen mit der AfD nicht auszuschließen. Um sich als handlungsfähige Kraft in der Region zu positionieren, müsse man flexibel bleiben, argumentierte Thomas damals der Zeit nach. Sicher gebe es viele Radikale in der AfD, aber es gebe auch liberalere Kräfte und „wir müssen sehen, welche Strömung sich durchsetzt“, so Thomas.
Die CDU schließt Bündnisse und andere Formen der Zusammenarbeit mit der AfD und der Linkspartei durch einen Parteitagsbeschluss von 2018 aus. Auf Anfrage betonte der CDU-Landesverband in Sachsen-Anhalt, dass der Unvereinbarkeitsbeschluss gültig sei. Der Landesgeschäftsführer Mario Zeising betonte, dass es zwischen seiner Partei und der AfD oder der Linken keine Zusammenarbeit geben werde. „Beide sind für uns weder Ansprechpartner noch Verbündeter“, so Zeising. SPD und Linke reagierten laut MDR erzürnt. Die SPD-Landesvorsitzende Juliane Kleemann warnte vor einer Aufweichung der Brandmauer und bezeichnete dies als gefährlich für demokratische Grundwerte.
Kommentar
Es steht mittlerweile Spitz auf Knopf. Nicht nur, dass die CDU selbst schon auf höchster Ebene signalisiert hat, dass sie „im Notfall“ mit der AfD zusammen gegen alle demokratischen Parteien stimmen will. Die Vorgänge vom 29.01. und 31.01. im Bundestag werden noch lange nachhallen – die Frage ist allerdings, auf welche Weise. Denn die Brandmauer bröckelt nicht nur in der CDU, sondern auch in der Bevölkerung. Stand 13.04., gegen 16 Uhr, gibt es nur noch eine dünne Mehrheit von 42,5 Prozent, die es eindeutig richtig findet, dass die Union sich zur AfD abgrenzt. Es versteht sich von selbst, dass wir uns in dieser Gruppe wiederfinden.
39,4 Prozent sehen es genau umgekehrt. Richtig bitter wird es, wenn man diejenigen einbezieht, die mit „überwiegend“ gestimmt haben, also eine etwas schwächer ausgeprägte Meinung zum Thema haben: Dann gibt es nur noch 46,4 Prozent standhafte Demokrat:innen und 48 Prozent, die der AfD gerne Tür und Tor zur Zerstörung der Demokratie öffnen würden. Frauen sind bei diesem Thema nicht empathischer oder emotional klüger als Männer und die Älteren sind nicht wehrhafter als die Jüngeren. Die Gruppen „50-64“ und „Männer“ zeigen nur geringfügige Abweichungen vom Gesamtergebnis. Wir wissen nicht, wann der Herr Ulrich von der CDU gesagt hat, es gibt in der AfD solche und solche, das geht aus dem Civey-Text nicht eindeutig hervor. Aber schon 2019 konnte man gut erkennen, dass es in der AfD mehr Menschen gibt, die für die Demokratie gefährlich sind als solche, die der Demokratie etwas geben könnten, zum Beispiel eine rechtskonservative Position, die aber klar auf dem Boden der Verfassung steht.
So, wie sich die Union seitdem entwickelt hat, war klar, dass es irgendwann zu Überlegungen der oben geschilderten Art kommen würde. Wir sehen schon viele Löcher in der Brandmauer, insbesondere auf kommunaler Ebene, wo so viel gekungelt und gemenschelt wird und auch der übelste Nazi irgendwie doch auch ein – sic! – Mensch ist. Einer, mit dem man politische Deals machen kann. So lange, bis dieser Mensch richtig zupackt und den kooperationsbereiten Unionsmensch politisch kaltstellt.
Die Union begreift es offenbar nicht, und es scheint im Osten noch schlimmer zu sein als im Westen: Sie liefert sich mit der Anbiederung an die AfD der AfD aus. Anstatt bessere Politik zu machen, fällt den Unionsstrategen in den „Neuen Bundesländern“ nichts Besseres ein, als sich an die AfD dranzuhängen und sich auf Sicht absorbieren zu lassen.
Es gibt Beobachter, die meinen, die CDU sei gerade das Opfer der SPD. Weil die SPD in den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene die Notlage der CDU ausgenutzt habe, die aus der Brandmauer resultiert: Es geht nur mit den Sozialdemokraten und die wissen das und ziehen die Union über den Tisch. Genau so würde Donald Trump argumentieren, auch wenn er es ist, der die anderen unter Druck setzt und erpressen will. Wir kennen die Eckpunkte des Koalitionsvertrags: Da steckt weniger Sozialdemokratie drin als in irgendeiner der wenig ersprießlichen Schwarz-Rot-Koalitionen, die es unter Angela Merkel gab. Wesentlich weniger. Die AfD zieht die Union nach rechts und die Union zieht die SPD nach rechts. So sieht es in Wirklichkeit aus.
Und so kann die AfD in aller Ruhe die Demokratie demontieren, ohne zu regieren. Indem CDU und SPD schon jetzt bei den meisten Wähler:innen unten durch sind, mit dem, was sie als Zukunftsvision für ein Land anbieten wollen, das echte Probleme hat und nun mit Scheinlösungen abgespeist werden soll. Natürlich spielt dieser entsetzliche Konservativismus, dieses Zaudern vor einer modernen Politik die Haltung der Menschen im Land wieder, also könnte man sagen, wenn sie es nicht mögen, sollen sie mal in den Spiegel schauen.
Und es ist niemand da, der etwas Schöneres anbietet. Stattdessen eine CDU, der man es leider zutrauen muss, dass sie eher die Brandmauer zur AfD aufgibt, als mit der im Ganzen harmlosen und verjüngten Linken ernsthaft zu reden. Mittlerweile ist das übrigens die Partei, die die Demokratie am meisten hochhält, auch wenn sie außenpolitisch nach wie vor eine Delle hat oder auch ein Dilemma, das sie noch lösen muss. Immerhin ist das aber eine Zukunftsaufgabe, während die Union und die SPD wirken, als hätten sie ihre Zukunft längst hinter sich. Wenn man seine Zukunft hinter sich hat, ist es verführerisch, sich jenen an den Hals zu schmeißen, die unter den aktuellen Umständen die Zukunft noch vor sich haben. Vielleicht fällt ja ein bisschen Zukunft für einen selbst ab, werden sich die ratlosen CDU-Politiker denken.
Natürlich sind die CDU-Politiker im Osten in einer schwierigen Lage. Sie können nichts dafür, dass die Menschen dort jedwede progressive Politik in Bausch und Bogen ablehnen und sie waren in der Merkel-Ära damit befasst, eine Politik in die Länder zu tragen, bei der viele der Einwohner in diesen Ländern nicht mitmachen wollten. Das ist eine Position, die viel Geschick und gute Politik vor Ort erfordert, damit man sie gut bewältigen kann. Trotzdem ist der Schluss daraus der falsche: Anstatt sich zum Beispiel hinter ein AfD-Verbotsverfahren zu stellen, glaubt man, die AfD „politisch bekämpfen“ zu können. Anstatt sich weiter klar abzugrenzen, glaubt man tatäschlich, der AfD durch Anbiederung ihre zuletzt bei den Landtagswahlen oder der Bundestagswahl errungenen Direktmandate wieder abnehmen zu können.
Die CDU-Politiker vor Ort müssen Antworten finden, die zum Land passen und dafür auch mit Mythen aufräumen. Zum Beispiel damit, dass die DDR von einer Mehrheit der Menschen im Land selbst beendet worden ist. In Wirklichkeit war die „Revolution von 1989“ ein Produkt der globalen Zeitenwende und im Land selbst Minderheitenprojekt, wie jede progressive Bewegung. Eine solche Bewegung muss das Glück haben, auf eine gute Politik zu treffen, die Freiheit möglich macht, die Demokratie auch als Minderheitenschutz versteht, damit die Bewegung etwas erreichen kann.
Die Banalität der Wende ist außerdem sehr offensichtlich: Es ging überwiegend um mehr Konsum, nicht um mehr Freiheit. Das behaupten wir einfach mal, weil wir ja im Laufe des Lebens auch ein wenig Menschenkenntnis gesammelt haben. Hätte die DDR die BRD ökonomisch geschlagen, wäre die SED noch heute am Ruder, auch wenn sie Menschen für ihr nicht genehme Meinungsäußerungen weiterhin wegsperren würde.
Grundsätzlich ist Konsum nichts Verwerfliches, wenn er für eine breite Mehrheit möglich ist. Demokratie ist abe rmehr als das. Die CDU hat sich selbst in die Sackgasse gefahren: Sie signalisiert seit Jahren und nicht erst durch den Kapitalistenvertreter Friedrich Merz, dass sie gar nicht mehr daran denkt, dass sie mit „Wohlstand für alle“ groß geworden ist und die Freiheit für viele damit immer mehr einen schalen Beigeschmack hat. Und das bietet den AfD-Populisten alle Möglichkeiten dieser Welt. Deren Wähler sind, wenn sie zur weniger begüterten Mehrheit zählen, genauso erleuchtet wie die Trumpisten, wenn sie ausgerechnet die AfD als Reorganisator des verlorengehenden Massenkonsums ansehen, aber da gibt es ja noch die Migration als Vehikel für die eigene rechte Gesinnung.
Und wieder haben die CDU-Politiker schlechte Karten, besonders im Osten: Seit Jahren ist eine hohe Immigrationsquote nicht mehr mit mehr Wohlstand für alle verbunden, obwohl das theoretisch der Fall sein müsste, denn mehr Menschen konsumieren mehr und es wird deswegen mehr produziert. So ist die deutsche Wirtschaft mit ihrer Exportlastigkeit aber nicht ausgerichtet, sie ist darauf angewiesen, dass Großkonzerne maximalen Profit machen können. Die AfD würde daran nichts ändern, im Gegenteil.
Die CDU ist keine Partei der Mitte in Deutschland mehr, die seit Jahren an Substanz verliert. Wem das noch nicht klar war, der soll sich anhören, was Spalter in der CDU derzeit von sich geben und noch einmal studieren, was der Koalitionsvertrag wirklich bedeutet, den auch die verloren wirkende SPD mitträgt.
Doch gerade in dieser Situation hilft nur eines: Sich besinnen. Politik für die Mehrheit machen. Und sich ganz klar zur AfD abgrenzen. Uns ist klar, dass die Politiker im Osten dazu eine entsprechende Vorgabe auf Bundesebene bräuchten, damit sie nicht der AfD alles nachplappern müssen und tatsächlich hoffen, dass sie dadurch wieder stärker werden.
Weil so viele Menschen in Deutschland die Demokratie nicht schützen möchten, hängt leider viel davon ab, wie die Union sich verhält. Uns passt das überhaupt nicht, aber ihr kommt eine Schlüsselfunktion beim Erhalt des Staates zu, in dem sie die wichtigste Rolle über fast 80 Jahre hinweg gespielt hat. Viele, die froh waren, dass die DDR zu Ende war, hätten gerne wieder eine autoritäre Regierung zurück, weil der Laden nicht mehr so richtig läuft. Sie empfinden einen doppelte Betrug: Erst in der DDR den schäbigen Zipfel der Wurst erwischt zu haben und jetzt wieder Teil eines Niedergangs zu sein.
Darauf hat die Union überhaupt keine Antworten. Dabei gab es die offensichtlich einmal. Nach der Wende hatten Ministerpräsidenten von der CDU im Osten teilweise absolute Mehrheiten erzielt. Trotz des Schocks, in einer plötzlich offenen Welt zu leben, den viele dort nur schwer verkrafteten. Man kann nicht mit den Rezepten von Gestern das Morgen gewinnen, aber vielleicht sollte sich die CDU mal anschauen, was sie damals anders gemacht hat als heute. Das gilt auch auf Bundesebene. Damals war es noch möglich, rechte Ansätze, die es immer wieder gab, abzuwehren. Warum ist das heute nicht mehr so?
Wenn die CDU sich endgültig in die Arme der AfD schmeißt, wird sie es nie erfahren. Denn sie wird untergehen, wie so viele konservative Parteien in Europa, die meinten, sich mit den Rechten einzulassen, sei die Lösung für die eigene Konzept- und Ideenlosigkeit. Auch in Deutschland gab es diese Entwicklung schon einmal. Damals kam es für Parteien wie die heutige Union noch schlimmer: Sie wurden verboten. Das ging so schnell, so reibungslos, so ohne Widerstand aus konservativen Kreisen, dass man leider auch heute prognostizieren kann: Wenn die Brandmauer fällt, wird die Union am Ende sein, auch ohne Verbot. Diese Leute haben es einfach nicht drauf, die Demokratie zu schützen, werden wir dann konstatieren. Möglich, dass es eine Art zwischenzeitliche Erholung gibt, eine kleine Prämie für die AfD-Geneigtheit seitens einiger, die zwar nicht verfassungstreu sind, aber sich gerne damit brüsten wollen, nicht die AfD gewählt zu haben.
Aber was, wenn die AfD immer radikaler wird und die Union immer weiter in die rechte Ecke drängen wird? Wir halten das für die wahrscheinliche Entwicklung, wenn die Brandmauer fällt. Denn wer soll die AfD noch aufhalten, wenn nicht die Union?
Es gibt nur Wahlmöglichkeit: Stattdessen wieder Politik für den konservativen Teil Mehrheit zu machen, seriös, langfristig angelegt, die auch das „C“ in den Unionsnamen berücksichtigt. Das hat Angela Merkel noch in manchen Punkten getan, in anderen leider nicht. Sie hatte trotz der Wut der Rechten auf sie bessere Wahlergebnisse als diese mageren 28,6 Prozent, die Friedrich Merz und seine bayerischen Kollegen am 23.02. einfuhren. Darüber sollte die Union einmal nachdenken, bevor sie über jedes Stöckchen der AfD springt und jedes Mal auf die Nase fällt. Die Mehrheit hat nicht immer recht, und wenn die Union etwas Sinnvolles für die Zukunft tun würde, wäre sie außerdem, schwankend wie sie ist, auch bereit, sich wieder der Demokratie anzuschließen. Wenn die Union dazu nicht mehr die Kraft hat, sollte sie wenigstens einmal ehrlich sein und sich auflösen, anstatt weitere Parteien wie die SPD zu infizieren. Gäbe es die zunehmend haltlose, ethisch bankrotte Union nicht mehr, hätten wir wenigstens klare politische Lagerverhältnisse. Wenigstens so lange, bis die SPD und die Grünen sich auch von rechts überrollen lassen, weil der demokratievergessene Wähler es angeblich so will.
TH
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