Momo (DE / IT 1986) #Filmfest 1294

Filmfest 1294 Cinema

Momo ist eine Literaturverfilmung nach dem gleichnamigen Roman von Michael Ende. Die Uraufführung fand am 17. Juli 1986 in Deutschland statt.

Die Filme, die Horst Wendlandt produziert hat, haben immer einen Drall ins Kommerzielle, reine Kunst als Erholung vom Kassenschlager machen, wie andere seines Fachs es immer wieder versuchten, gab es bei ihm nicht (1). Trotzdem hat die Verfilmung von  Michael Endes beliebtem Jugendbuch dessen ausdrückliche Zustimmung gefunden (anders als die zwei Jahre zuvor erschienene Adaption von „Die unendliche Geschichte„) und mit Radost Bokel als Momo eine Titelfigur mit besonderer Ausstrahlung, wie man sie unter deutschen Kinderdarstellerinnen selten findet. Freilich waren die schauspielerischen Anforderungen nicht so hoch, wie wir das unter anderem in Serien oder US-Filmen, in denen Kinder dieses Alters mitwirken, schon gesehen haben.

Handlung (1)

Das Waisenmädchen Momo wird von dem Straßenkehrer Beppo in einem alten Amphitheater gefunden. Die Nachbarn der Umgebung kümmern sich um Momo, die wiederum ihre Zeit und Aufmerksamkeit ihren Mitmenschen widmet. Sie hört ihnen zu und stellt Fragen, wobei die häufig von ihr gestellte Frage „Warum?“ die Mitmenschen oft veranlasst, ihr Handeln grundlegend zu überdenken.

Die Situation ändert sich, als sich die grauen Herren der Zeit der Erwachsenen bemächtigen. Sie sind Vertreter der Zeitsparkasse und sammeln die Zeit der Menschen, um sie selbst zu verbrauchen. Momo erkennt das und versucht sich mit ihren Spielkameraden zu wehren, dadurch gerät sie ins Visier der grauen Herren. Der Verwalter der Zeit, Meister Hora, erkennt ebenfalls die Gefahr und führt Momo durch seine Helferin, die Schildkröte Kassiopeia, zu sich in sein Haus in Sicherheit. Er weiht Momo in die Geheimnisse der Zeit ein und gewinnt das Mädchen für seinen Plan, die Menschen von den grauen Herren zu befreien.

Meister Hora hält die Zeit an, während Momo aus der zeitlosen Sphäre Horas mit einer Stundenblume in die normale, jedoch angehaltene Zeit zurückkehrt. Die grauen Herren, die durch das Anhalten der Zeit keinen Nachschub mehr an neuer Zeit erhalten, fürchten um ihre Existenz und versuchen, Momo die Stundenblume abzunehmen. Gleichzeitig reduzieren sie ihre Zahl, damit die wenigen verbleibenden Herren länger mit der verbleibenden Zeit leben können. Es gelingt ihnen aber nicht, Momo zu überwältigen, und so lösen sich am Ende auch die letzten grauen Herren auf, im Kampf gegen Momo und gegen sich selbst. 

Rezension 

Die Inszenierung von 1986 kann auch bei den Erwachsenen-Rollen mit hochkarätigem Personal überzeugen, u. a. Armin Mueller-Stahl als Chef der Zeitsparkasse und Mario Adorf als italienischer Bauarbeiter. Leider fällt dieser Figur recht wenig Spielzeit zu. Der Film wurde ursprünglich in Englisch gedreht. Was wir auf dem Bildschirm sahen, ist eine, vom hauptsächlichen Herstellungsland aus betrachtet, Rückübertragung. Dass der Film nach einem deutschen Buch entstand, das von einem deutschen Kinderbuchschriftsteller verfasst wurde, aber dennoch in Italien spielt, liegt schlicht daran, dass Michael Ende in Italien lebt und dort die Charaktere fand, die seine Geschichte bevölkern sollten. Und das ist eine gute Idee, denn den Italienern traut man nun einmal mehr von dieser kontemplativ-wortgewaltigen Lebenslust zu als den Deutschen. Hierzulande hätte es geradezu kurios gewirkt, dass die Zeitsparkasse erst in den 1980ern mit dicken Mercedes-Limousinen vorfahren musste, um die Leute zu effizienterem Umgang mit der Zeit zu veranlassen.

In kaum einem Land hat die Zeit eine so negative Rolle als Stressfaktor wie in Deutschland, und deswegen ist der Film dreißig Jahre nach seinem Entstehen, bei allen kleineren Schwächen, die er durchaus hat, bedeutungsvoller als in den Jahren seiner Entstehung. Man führe sich vor Augen, was seitdem alles getan wurde, um immer effizienter zu werden. Man denke darüber nach, wie sehr die Lebensqualität darunter leidet, dass die Zeit ohne jedes Nachdenken über die wirklichen Dinge von Wert eingespart wird, um immer weniger Menschen mit immer mehr Aufgaben überfrachten zu können. Man erschauere bei der Betrachtung, wie Effizienz zum Selbstzweck und zum Fetisch geworden ist. Man erkenne sodann trotz großer Vereinfachungstendenz von „Momo“ das grundsätzlich Wahre an der Geschichte. Nach unserer Ansicht muss es auch keine tiefere philosophische Ausdeutung der Handlung geben, denn es ist so offensichtlich und auf einer allgemeinverständlichen Ebene klar, dass die Zeitsparkasse eine Ausbeutungsmaschine ist. Man muss nicht hinterfragen, was hinter dem Mehr an Zeit, das Menschen mit ruhigerem Lebensstil haben, wirklich an Gewinn steckt und an welche philosophische Schule die Idee des Buches eventuell angelehnt sein könnte – falls es eine Anlehnung gibt.

1986 war es noch nicht so wie erstmalig 2013, dass die Zahl der psychisch bedingten Ausfälle aus dem Arbeitsleben den höchsten Anteil an Berufsunfähigkeitsfällen darstellten, aber nach dem Wohlstand für alle, als im Wiederaufbau nicht die Effizienz, sondern das Ranklotzen zählte, waren die 1980er schon erkennbar von Wirtschaftsideen geprägt, die auf immer weitere Produktivitätssteigerung selbst dort zielten, wo die Produktivität naturgemäß Grenzen hat und wo heute vermutlich die glücklichsten Menschen tätig sind: Im Handwerk und in allen Berufen, die nicht auf Massenherstellung von Gütern und Dienstleistungen fußen. Dort gibt es natürliche und jedermann einleuchtende Grenzen der Effizienz – nicht aber dort, wo sich Arbeitsvorgänge immer irgendwie weiter komprimieren lassen. Die billigste und mieseste Methode von Managern, sich bei der Firmenleitung beliebt zu machen, welche diese Kultur fördert, ist, einfach mehr Aufgaben auf weniger Köpfe zu verteilen, wenn schon keine echte Optimierung von Arbeitsabläufen mehr möglich ist, wie etwa bei den meisten Büroarbeiten. Schlechterer, oft komplett unpersönlicher Service ist auch ein beliebtes Mittel zur Einsparung von Zeit, das wir täglich wahrnehmen können, wenn wir wollen.

Dass gerade die Sparkassen, bei denen noch recht individuell beraten und gehandelt wird, die sich bisher einigermaßen gegen die immer weitere Konzentration im Bankenwesen durch kleine Filialen vor Ort stellen, in denen immer ein paar Menschen sitzen, die man kennen darf, wenn man will, als Namensgeber für die Horter der Zeit herhalten mussten, ist ein wenig schade, da gibt es andere Firmen, die mehr am Pranger stehen müssten, auch im Bankensektor. Allerdings haben wir eigene Erfahrungen (…) und irgendwo im Hintergrund werden diese eben ausgequetscht, wenn das eigene Personal vor allzu großen Einschnitten bewahrt werden soll.

Diese Assoziationen sind zwangsläufig, wenn man hauptberuflich mit genau dem Thema dieses Films befasst war und u. a. bereits Positionen als (…) bekleidet hat, denn der kontinuierliche Verbesserungsprozess gliedert sich im Wesentlichen in zwei Sparten: Qualitätsverbesserungen und Zeiteinsparungen. Manchmal in Kombination.

In „Momo“ haben die Menschen Zeit zum Feiern, zum einander zuhören – was sie allerdings erst durch Momo lernen müssen, obwohl sie immer viel Zeit hatten – zum Streiten und für jede Kleinigkeit. Um im System zu bleiben: Das kleine italienische Dorf, das nur entfernt an die Welt des Don Camillo erinnert und in dem es keine Funktionäre von Kirche und Staat gibt, übt natürlich auch Konsumverzicht. Dieser ist unerlässlich, wenn man mehr Zeit haben möchte. Zumindest trifft das auf die Normalbevölkerung zu, die nicht alles auf einmal haben kann.

Ob die Art, wie der Zeitklau, den die Sparkasse im Grunde betreibt, dargestellt wird, logisch ist, darüber kann man verschiedener Ansicht sein. Die Berechnung, die der Chef des Ganzen dem Friseur an seinen Salonspiegel malt, stimmt zum Beispiel bei genauer Betrachtung nicht, unter anderem, weil die komplette bisherige Lebenszeit des Friseurs einer einheitlichen Berechnung unterzogen wird, dessen Kindheit mit ihren ganz anderen Parametern nicht berücksichtigend. Auch sonst hat der Film einige Fragwürdigkeiten, die Zeitlogik betreffend, die wohl auch im Buch zu finden sind.

Finale

Die Botschaft ist aber angekommen und wir halten sie auch für richtig und wichtig, sonst würden wir uns nicht die Zeit nehmen, für ein unkommerzielles Projekt wie den Wahlberliner zu arbeiten, nur um unser Faible für das Medium Film in eine Form zu bringen, die uns Spaß macht und hoffentlich auch einigen Lesern gefällt. Wir haben uns mit der Zeitsparkasse über viele Jahre hinweg wahrhaft auseinandergesetzt und Sinn und Unsinn von Zeitsparmaßnahmen versucht gegeneinander abzugrenzen, daher ist „Momo“ für uns wie eine Art Basis-Fiktionalisierung dessen, womit wir immer wieder im täglichen Leben konfrontiert wurden. Aber auch, wenn man sich nicht im engeren Sinn professionell mit Zeitproblemen zu befassen hat: Zu wenig Zeit hat doch fast jeder. Manchen Leuten sieht man’s auch an und sie können nicht einmal dort das Verbissen-Beflissene ablegen, wo ein kleiner Effizienzgewinn in keiner Relation zum Verlust an Lebenslust steht, der damit einhergeht.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung 2025: Inzwischen ist natürlich wieder einiges passiert, bezüglich der Arbeitswelt und der gesellschaftlichen Entwicklung. Seit etwa 2016 wird in Deutschland kein wesentlicher Produktivitätsfortschritt mehr erzielt und mittlerweile hängt auch die Produktion durch. Das Geschäftsmodell des Landes ist ziemlich am Ende und immer mehr zeigt sich, dass die Nationen im Vorteil sind, deren Menschen nicht ein so überaus affines Verhältnis zur Selbtausbeutung haben. Trotzdem werden bei uns immer die alten Muster neu aufgetischt, weil es keine Ideen mehr für die Zukunft gibt. Viele ältere Filme  hingegen sind heute aktueller denn je, weil sie seinerzeit hellsichtig waren – möglicerweise trifft das auch auf „Momo“ zu.

75/100

2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

Regie Johannes Schaaf
Drehbuch Johannes Schaaf
Rosemarie Fendel
Michael Ende
Marcello Coscia
Produktion Horst Wendlandt
Musik Angelo Branduardi
Kamera Xaver Schwarzenberger
Schnitt Amedeo Salfa
Besetzung

sowie

(1) Wendlandt war für viele der erfolgreichsten Filme der späten 1950er bis in die 1990er verantwortlich, zunächst als Herstellungsleiter für Artur Brauners CCC, dann als Miteigentümer der Rialto, die u. a. die Edgar Wallace-Reihe produziert – und die Mehrheit der überaus populären Karl May-Verfilmungen der 1960er; später brachte er Heinz Erhardt, Otto und Loriot auf die Leinwand und vertrieb in Deutschland u. a. die Filme des Komikerduo Bud Spencer und Terence Hill.

(2), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

 


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