Taiwans regulatorische Verschärfungen im Halbleitersektor und ihre globalen Implikationen (Analyse + Kommentar: Wieder eine Chance, wieder kein Zugriff?)

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In einem kürzlich veröffentlichten Ticker hatten wir uns dazu geäußert, wie Donald Trumps Erpressungs-Strategie der ökonomischen Art manchmal doch zu funktionieren scheint: Anhand der Herstellung der absoluten Spitzen-Halbleitertechnik des taiwanesischen Herstellers TSMC (und offenbar nun auch durch den Rohstoffdeal mit der Ukraine, aber die Voraussetzungen sind sehr unterschiedlich).

Nun hat die Regierung Taiwans erstmals Beschränkungen für die Herstellung der modernsten Chiptechnologie im Ausland erlassen. Dazu eine Analyse, anschließend ein kurzer Kommentar von uns.

Taiwans regulatorische Verschärfungen im Halbleitersektor und ihre globalen Implikationen

Taiwans jüngste Gesetzesänderungen zur Beschränkung der Produktion fortschrittlicher Halbleitertechnologien im Ausland markieren einen strategischen Wendepunkt im globalen Technologiewettlauf. Die im April 2025 verabschiedeten Regelungen verpflichten Unternehmen wie TSMC, ihre neuesten 1,4- und 2-Nanometer-Chipgenerationen ausschließlich im Inland zu fertigen, während ausländische Fabriken gemäß der N-1-Regel mindestens eine Generation zurückbleiben müssen12. Diese Maßnahme festigt Taiwans Rolle als unverzichtbarer Akteur in der globalen Lieferkette und transformiert die Halbleiterindustrie in ein geopolitisches Druckmittel gegen chinesische Expansionsbestrebungen. Gleichzeitig stellt sie die Reindustrialisierungspläne der USA vor komplexe Herausforderungen, da TSMCs geplante Investitionen von 165 Milliarden US-Dollar in amerikanische Fabriken nun unter strengen Auflagen operieren müssen13.

Gesetzliche Grundlagen und unmittelbare Auswirkungen

Die Novellierung des Gesetzes für industrielle Innovation

Die dritte Lesung der Änderung von Artikel 22 des taiwanesischen Industrieinnovationsgesetzes am 29. April 2025 institutionalisiert einen beispiellosen Technologieprotektionismus. Kernbestimmungen umfassen:

  1. Verpflichtende N-1-Regel: Ausländische Produktionsstätten taiwanesischer Unternehmen dürfen nur Chips fertigen, die mindestens eine Generation hinter der in Taiwan produzierten Spitzentechnologie zurückliegen12.
  2. Rückwirkende Gültigkeit: Bereits laufende Projekte wie TSMCs Fabriken in Arizona müssen ihre Pläne anpassen, um die 2-nm-Technologie auszuschließen1.
  3. Strafmechanismen: Bei Verstößen drohen Geldstrafen bis zu 10 Millionen NT$ (270.000 EUR) und behördliche Eingriffsrechte bei nationalen Sicherheitsbedenken1.

Diese Regelungen zementieren TSMCs technologische Führungsposition, da der Konzern 60 % der globalen Halbleiterproduktion kontrolliert und damit de facto zum Gatekeeper für künstliche Intelligenz, Quantencomputing und militärische Hightech-Systeme wird45.

TSMCs strategische Zwickmühle

Obwohl TSMC seine US-Expansion fortsetzt – einschließlich fünf geplanter Fabriken bis 2030 – muss das Unternehmen nun zwischen politischen Erwartungen und rechtlichen Restriktionen balancieren. Die bereits im Bau befindliche Fabrik in Arizona wird auf 3-nm-Technologie beschränkt bleiben, während die 2-nm-Fertigung exklusiv in Hsinchu und Kaohsiung erfolgt2. Dies untergräbt teilweise die Ziele des US CHIPS Acts, der auf eine Verlagerung von 28 % der globalen Halbleiterproduktion in die USA bis 2030 abzielt3.

Gleichzeitig sieht sich TSMC mit einem US-Exportkontrollverfahren konfrontiert, das Strafen von über einer Milliarde US-Dollar wegen möglicher Lieferungen an Huawei vorsieht3. Diese doppelte Regulierungslast – heimische Produktionsbeschränkungen und ausländische Sanktionsdrohungen – zwingt TSMC zu einem diplomatischen Tanz auf dem Seil, bei dem jedes Zugeständnis an eine Seite die andere verprellt.

Geopolitische Dimensionen des „Silizium-Schutzschilds“

Taiwanesische Sicherheitsdoktrin 2.0

Das Konzept des „Silizium-Schutzschilds“ erfährt durch die neuen Gesetze eine evolutionäre Weiterentwicklung. Ursprünglich als passives Abschreckungsmittel konzipiert – die implizite Drohung, bei einer chinesischen Invasion die Chipversorgung der Welt zu unterbrechen – transformiert es sich nun in ein aktives Instrument technologischer Dominanz4.

Wie Dr. Jared M. McKinney von der U.S. National Institute for Public Policy analysiert, nutzt Taiwan gezielt die Abhängigkeit globaler Ökonomien von seinen Halbleitern, um multilaterale Schutzgarantien zu erzwingen4. Die jüngsten Regelungen operationalisieren diese Strategie, indem sie:

  • Technologische Asymmetrie verstärken: Durch die Konzentration von 2-nm- und darunterliegenden Prozessen in Taiwan entsteht ein monopolartiges Szenario, das selbst für Intel oder Samsung unerreichbar bleibt12.
  • Remote-Kontrollmechanismen integrieren: Verweise auf ASMLs EUV-Lithographiegeräte mit Fernabschaltfunktion deuten an, dass Taiwan im Krisenfall Produktionsanlagen deaktivieren könnte4.
  • Cyber- und Raumfahrtinfrastruktur ausbauen: Geplante Investitionen in satellitengestützte Internetdienste (Starlink, Project Kuiper) sollen die Verwundbarkeit gegenüber chinesischen Cyberangriffen mindern4.

Reaktionen und Gegenstrategien

USA: Die Trump-Administration steht vor einem Dilemma. Einerseits benötigt sie TSMCs Technologie für militärische KI-Projekte und die Reindustrialisierung, andererseits untergraben die taiwanesischen Restriktionen die Souveränität amerikanischer Lieferketten. Der im April 2025 angekündigte Strafzoll von 32 % auf taiwanesische Importe durch Präsident Trump – wenn auch nicht auf Chips anwendbar – signalisiert wachsende Frustration3.

China: Pekings Reaktion fiel bisher verhalten aus, was Experten auf interne Machtkämpfe zwischen der PLA und dem Ministerium für Industrie und Informationstechnologie zurückführen. Während erstere eine militärische Lösung forciert, warnt letztere vor den ökonomischen Folgen eines Konflikts: 78 % der chinesischen KI-Chipproduktion hängen von TSMC-Fertigungskapazitäten ab45.

EU: Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) betont in ihrer Analyse vom Januar 2025 die Notwendigkeit, Taiwans „ökonomische und technologische Potentiale besser zu nutzen“, ohne die Ein-China-Politik zu untergraben5. Konkret plant die EU-Kommission:

  • Aufstockung des European Chips Act um 15 Mrd. EUR für heimische 2-nm-Forschung
  • Diplomatische Initiativen zur Einbindung Taiwans in WHO und ICAO unter Beibehaltung der Nicht-Anerkennungspolitik5

Ökonomische und technologische Folgen

Globale Lieferketten unter Stress

Die Beschränkungen lösen eine Kettenreaktion in vier Schlüsselbereichen aus:

  1. Preisdruck: Analysten prognostizieren für 2026 eine Verdopplung der 2-nm-Chippreise auf 34.000 US-Dollar pro Wafer, da TSMCs Kapazitäten auf 120.000 Wafer/Monat begrenzt bleiben12.
  2. Innovationsverzerrung: Unternehmen wie NVIDIA oder Google müssen Designprozesse an verfügbare Fertigungstechnologien anpassen – ein Bruch mit Mooreschem Gesetz.
  3. Sekundärmärkte: Der Handel mit gebrauchten EUV-Maschinen boomt, wobei ASML-Geräte der 2020er-Generation bis zu 320 Mio. US-Dollar erzielen4.
  4. Energiekosten: TSMCs 2-nm-Fabriken verbrauchen prognostizierte 1,2 GW – 10 % von Taiwans Gesamtstrombedarf – was die Debatte um Atomkraft reaktiviert1.

Shift in Corporate Strategies

Unternehmen reagieren mit diversifizierten Ansätzen:

  • Intel: Nutzt die Lage, um mit 18A- und 20A-Prozessen (1,8/2,0 nm) eigene Kapazitäten aufzubauen, unterstützt durch 30 Mrd. US-Dollar CHIPS Act-Subventionen.
  • Samsung: Beschleunigt die Entwicklung von 3D-Stacking-Technologien im südkoreanischen Pyeongtaek-Komplex.
  • Huawei: Setzt trotz US-Sanktionen auf SMICs 5-nm-Technologie mit hybriden DUV-Multi-Patterning-Verfahren, allerdings mit Ausbeuteraten unter 30 %3.

Zukunftsszenarien und Handlungsempfehlungen

Eskalationsrisiken

Das Friedensforschungsinstitut SIPRI identifiziert drei kritische Eskalationsvektoren:

  1. Chinesische Cyberangriffe: Bis zu 12.000 registrierte Incidents/Monat gegen taiwanesische Halbleiterfirmen im Q1 20255.
  2. US-Zwangsmaßnahmen: Ein möglicher CFIUS-Eingriff in TSMCs US-Tochter könnte Taiwan zur Vergeltung mit Exportbeschränkungen bewegen.
  3. Subversionsversuche: Infiltration taiwanesischer Fertigungsanlagen durch chinesische Agenten, wie der Vorfall bei United Microelectronics im Februar 2025 zeigt5.

Strategische Empfehlungen

Für politische Entscheidungsträger ergeben sich folgende Handlungsoptionen:

  • Multilaterale Krisenmechanismen: Etablierung einer G7-Taskforce zur Halbleiterresilienz, verbunden mit strategischen TSMC-Aktienbeteiligungen.
  • Technologietransfer-Kontrollen: Ausweitung des Wassenaar-Arrangements auf 2-nm-Technologien unter Einbindung Taiwans als assoziiertem Mitglied.
  • Infrastruktur-Härtung: EU-finanzierte Unterwasser-Glasfaserkabel zwischen Taiwan und Japan, um chinesische Blockadeversuche zu umgehen.

Für Unternehmen entscheidend:

  • Diversifikation: Parallelentwicklung von 3D-IC- und optischen Chips als Alternative zur Skalierung unter 2 nm.
  • Lobbyarbeit: Koordinierte Kampagnen zur Aufweichung der N-1-Regel für kritische Industrien wie Automotive oder Medizintechnik.

Schlussbetrachtung

Taiwans regulatorischer Schachzug offenbart die Zerreißprobe zwischen nationaler Sicherheit und globaler Technologieführerschaft. Während die Maßnahmen kurzfristig Taiwans „Silizium-Schutzschild“ stärken, riskieren sie langfristig eine Fragmentierung der Halbleiterindustrie in konkurrierende Blöcke. Die USA stehen vor der Wahl, entweder durch massive Subventionen eigene 2-nm-Kapazitäten aufzubauen – was mindestens fünf Jahre dauern würde – oder Taiwans Sonderstatus in der Lieferkette vertraglich zu zementieren.

Für Europa ergibt sich die Chance, durch Investitionen in post-siliziumbasierte Technologien (Graphen, photonische Chips) eine dritte Kraft zu etablieren. Letztlich wird Taiwans Überleben als unabhängiger Akteur weniger von Waffensystemen abhängen als von seiner Fähigkeit, die Welt an seine unverzichtbaren Nanometer zu ketten – eine fragile Strategie, die auf der Schneide des technologischen Fortschritts balanciert.

Kommentar

Zur Erinnerung: In Europa fertigt TSMC 8-nm-bis-15-nm-Chips. Ein kleines, aber hochgradig fortschrittliches Land versucht, sein Überleben durch Protektionismus zu sichern. Ob das gutgehen kann, weiß im Moment niemand. Wird es die Expansionsgelüste Chinas dämpfen, weil sich die USA schützend vor das Technologie-Juwel stellen, weil die eigene Industrie bisher nicht in der Lage ist, mit der taiwanesische gleichzuziehen? Für China trifft das jedoch ebenfalls zu. Das Wettrennen ist offen, denn Taiwan muss bei dieser Strategie immer vorne bleiben, es dürfen sich auch keine alternativen Technologien in den Vordergrund spielen, wie die oben erwähnten.

Auf jeden Fall wird der vertrauensvolle freie Handel leiden. Hier gab einmal ein Feld, auf dem er wirklich noch funktioniert hat: Arbeitsteilung in der Form, dass jeder das herstellt, was er am besten kann, und nicht, wo andere mit schlechten Arbeitsbedingungen und subventionistischen Tricks unterfahren werden können. Die Konsequenz der aktuellen Entwicklungen muss für die EU eindeutig sein: So viel Geld in die Hand zu nehmen, bis Gleichstand und damit Autarkie erreicht ist. Denn was passiert, wenn China wirklich Taiwan erobert? Dann gibt es neben seltenen Erden und anderen zur Erpressung einsetzbaren Handelswaren ein weiteres Problem für den Westen, die Versorgung der eigenen Industrie betrffend. Im Prinzip sind Bauteile, die weltweit so begrenzt hergestellt werden, wie Rohstoffe, die nur in einem Land vorkommen.

Vor Taiwans Dominanz in der Chiptechnologie muss man wengistens keine geopolitischen Ängste haben, aber es gibt noch mehr Szenarien, die man heutzutage nicht mehr ausschließen darf und die sehr gefährlich sind. Was ist, wenn es der Trump-Administration einfällt, den Spieß umzudrehen und zu sagen, wir schützen euch nicht mehr, wenn ihr die 2-nm-Technologie nicht bei uns produziert, und noch mehr zugespitzt, wenn ihr sie weiteren Konkurrenten wie China und der EU als Basisbauteile überhaupt zugänglich macht?

Kann die EU hier eigenständig werden? Theoretisch müsste das bei entsprechendem Aufwand möglich sein, es gibt ja, wie im Ticker erwähnt, auch eine Strategie dafür. Sie reicht, wie bei fast allem, was die EU macht, nicht aus. Aber wenn ein kleines Land wie Taiwan es so weit bringen kann, warum es dann in Deutschland nicht einmal mit einer nationalen Kraftanstrengung versuchen, die, wie auf dem Energiesektor, auf die nationale Autarkie zielt? Exportieren lässt sich die Technologie außerdem, was diesbezüglich Verluste auf anderen Gebieten ausgleichen könnte, teilweise zumindest. Freilich wäre man dann demselben Wettlauf um die beste Technologie unterworfen, und zwar auf einem Gebiet, das sehr eng definiert ist und wo ein Vorsprung fragil ist. Das unterscheidet die Chipherstellung von klassischen Multi-Komponenten-Gütern wie Automobilen, deren Vorzüge oder Nachteile sich aus sehr vielen Faktoren zusammensetzen. Eigentlich müsste deshalb, der gesamten Fertigungstiefe in der IT-Technologie wegen, der Ansatz doch europäisch sein, aber niemand weiß, wie sich die Verhältnisse entwickeln werden. Wir glauben nicht, dass man mit den bisherigen Anstrengungen die führende Stellung ostasiatischer Länder mildern kann. Dafür fehlt es an Masse und an strategischer Exzellenz ohne nationale Egoismen.

Auch hier wieder: Eine Chance für die EU, wie bei der massakerartigen Zollpolitik von Donald Trump, welche die EU vermutlich wieder nicht nutzen wird. Die EU ist zu unhandlich und divergent, das gleicht den Einwohnerzahl-Vorteil gegenüber den USA leider nicht nur aus, sondern setzt die EU in Nachteil. Deswegen müssten bei allen strategischen Großprojekten der Zukunft Koalitionen der Willigen mit langem Atem geschlossen werden, wie einst bei Airbus, dem erfolgreichsten Modell paneuropäischer Kooperation. Damals war die Politik allerdings weitaus verlässlicher als heute, wo der Wechsel hin zu rechten Regierungen gemeinsame Anstrengungen von heute auf morgen in Frage stellen kann. Und Deutschland bekommt eine Regierung, die es wieder einmal mit den Instrumenten von vorgestern versuchen will: Das tote Gespenst, der Markt, soll es regeln, weil man zu uninspiriert für strategische Wirtschaftspolitik ist. Wie seit Jahrzehnten. Es war ein Glück, dass es in der Zeit, als die Airbus-Industrie auf den Weg gebracht wurde, eine halbwegs wirtschaftlich fähige SPD-Regierung das Land geführt hat, sonst wäre das aus deutscher Seite nichts geworden. Es war das einzige und damit notabene bisher letzte Mal, dass wenigstens auf einem Industrie- und Technologiegebiet eine große strategische europäische Aufgabe mit deutscher Beteiligung sinnvoll und langfristig geplant und umgesetzt wurde. Damals ließ man sich nicht davon beirren, dass der Weg zum Erfolg langwierig und steinig ist. Druck auf dieses Modell ist ebenfalls absehbar, da die sehr fragmentierte Fertigungsstruktur in Europa zwangsläufig teurer ist als das, was China arrangieren kann, nämlich eine Konzentration der gesamten Fertigung zu außerdem viel geringeren Arbeitskosten.

Noch gibt es auf dem Gebiet keine Wachablösung, weil der Airbus-Konkurrent Boeing nicht fehlerfrei arbeitet und China die Fertigung erst mit kleineren Passagierflugzeugen hin zu den größeren Modellen entwickeln muss, aber nichts steht still. Also müssen sich die Europäer weitere Technologiefelder suchen, auf denen sie wirklich gut sein können, wenn sie künftig noch mitreden wollen. Wieder eine Krise als Chance. Die Chancen liegen geradezu auf der Straße, aber man muss sich auch die Mühe machen, sich zu bücken, um sie aufzuheben. Selbst dann, wenn man ein alter Kontinent ist, der immer Rückenschmerzen bekommt, wenn er sich in Richtung Zukunft bewegen soll.

TH


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