Briefing Gesellschaft LGBTIQ-Rechte, Kriminalität, Europa, EU, IDAHOBIT
17. Mai: Dies ist der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT) und wird seit 2005 begangen. Er macht auf Diskriminierung und Gewalt gegen Menschen mit nicht-heterosexueller Orientierung oder nicht-cisgeschlechtlicher Identität aufmerksam. Das Datum erinnert daran, dass die WHO am 17. Mai 1990 Homosexualität aus der Liste der Krankheiten strich.
Infografik: Wie steht es um die Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen? | Statista

Begleittext zur Grafik
Wie weit sind die Rechte der LGBTIQ-Menschen seitdem vorangekommen? Eine aktuelle Grafik von Statista zeigt die Situation in Europa: Anlässlich des morgigen Internationalen Tags gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit werfen wir einen Blick auf die politische und rechtliche Lage von LGBTQ-Menschen in Europa. Laut ILGA-Europa hat die Gleichstellung dieser Personengruppe auf dem Kontinent noch viel Luft nach oben. Auf einer Skala von 0 bis 100 Prozent (vollständige Gleichstellung) reicht es nur für rund 42 Prozent, etwas besser schneidet die Europäische Union mit knapp über 51 Prozent ab.
An der Spitze des Rankings steht Malta mit fast 89 Prozent, gefolgt von Belgien (85 Prozent) und Island (84 Prozent). Deutschland befindet sich zwar im grünen Bereich der Rainbow Map, hat aber mit 69 Prozent immer noch viel Raum für Verbesserungen. Aber die Entwicklung geht hierzulande in die richtige Richtung. Vor fünf Jahren war die Bewertung der Bundesrepublik in Sachen Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen mit 51 Prozent noch deutlich schlechter.
Weitere Infos
Angesichts des relativ knappen Textes von Statista haben wir etwas weiterrecherchiert und sind zurückgegangen ins Jahr 2013, damals wurde die LGBTIQ-Rechte-Karte für Europa erstmals erstellt. Damals lag Deutschland bei 54 Prozent, die jetzigen 69 Prozent sind in der Tat ein Fortschritt, interessanterweise aber vor allem in den Jahren seit 2020 erzielt, nicht schon im Jahr 2017, als die gleichgeschlechtliche Ehe ermöglicht wurde.
Die sogenannte „Homo-Ehe“ – offiziell als „Ehe für alle“ bezeichnet – ist in Deutschland seit dem 1. Oktober 2017 möglich. An diesem Tag trat das entsprechende Gesetz in Kraft, das zuvor am 30. Juni 2017 vom Bundestag beschlossen worden war1456. Seitdem können gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland heiraten und genießen dabei die gleichen Rechte wie verschiedengeschlechtliche Ehepaare, einschließlich des gemeinsamen Adoptionsrechts56. Zuvor war für homosexuelle Paare lediglich die eingetragene Lebenspartnerschaft möglich, die seit 2001 bestand, aber nicht alle Rechte einer Ehe umfasste18.
Wir kritisieren Deutschland häufig für seine nachlassende Exzellenz in Sachen Demokratie und Freiheit, aber hier gibt es zumindest noch keine Gegenbewegung: Der Stand von 69 Prozent ist der höchste in der deutschen Geschichte. Schaut man auf weitere Länder in Europa, gibt es große Auffälligkeiten:
- Der „alte Westen“ ist den osteuropäischen Ländern in Sachen LGBTIQ-Rechte nach wie vor weit voraus und es sieht nicht aus, als ob sich das ändern würde.
- Spitzenreiter Malta hatte schon bis zu 92 Prozent erreicht und ist damit ein Land, das auf sehr hohem Niveau zurückgefallen ist (derzeit 88 Prozent).
- In der ersten Grafik war ein anderes, ein wichtiges Land Spitzenreiter, das damals noch in der EU war: das Vereinigte Königreich. 76 Prozent waren damals der beste Wert in ganz Europa. Mittlerweile steht das UK bei erschütternden 45 Prozent. Nicht nur der schlechte Wert an sich macht betroffen, sondern auch der offensichtliche scharfe Rückbau von LGBTIQ-Rechten. Wird die Labour-Regierung diesen Trend wieder drehen? Unsere Befürchtung ist: zumindest nicht auf einen Stand wie 2013, der einen der einstigen Frontstaaten der LGBTIQ-Bewegung wieder in den grünen Bereich heben würde.
- Belgien ist weitaus LGBTIQ-freundlicher als die vorgeblich liberalen Niederlande nebenan.
- Das einst so konservativ-katholische Spanien liegt um einige Punkte besser als Deutschland und fährt, wie auf vielen anderen Gebieten, in Sachen gleiche Rechte für die LGBTIQ-Menschen eine so progressive Linie wie kein anderes Land im Süden Europas.
Der 17.Mai ist nicht der einzige „LGBTIQ-Tag“ im Jahr, hier weitere wichtige Daten:
Es gibt keinen einzelnen „LGBTI-Tag“, aber mehrere wichtige internationale Tage, die die LGBTI-Community und ihre Rechte thematisieren:
- 17. Mai: Der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT) wird seit 2005 jährlich am 17. Mai begangen. Er macht auf Diskriminierung und Gewalt gegen Menschen mit nicht-heterosexueller Orientierung oder nicht-cisgeschlechtlicher Identität aufmerksam. Das Datum erinnert daran, dass die WHO am 17. Mai 1990 Homosexualität aus der Liste der Krankheiten strich2467.
- 31. März: Internationaler Tag für trans* Sichtbarkeit (Transgender Day of Visibility), seit 2009, um die Erfolge von trans und gender-nonkonformen Menschen zu feiern und auf Herausforderungen aufmerksam zu machen35.
- 26. Oktober: Intersex Awareness Day, um auf die Situation und Rechte intergeschlechtlicher Menschen aufmerksam zu machen35.
- 11. Oktober: Coming-out-Tag, ein Aktionstag zum Thema „Coming-out“58.
- 14. Juli: Internationaler Tag der nichtbinären Menschen15.
- Juni: Pride Month, der Monat der Sichtbarkeit und Feier der queeren Community, insbesondere in Erinnerung an die Stonewall Riots 19693.
Diese Tage sind Teil eines queeren Kalenders mit verschiedenen Schwerpunkten, die zusammen die Vielfalt der LGBTI-Community und ihrer Anliegen repräsentieren. Der wichtigste und bekannteste Tag, der oft als LGBTI-Tag verstanden wird, ist der 17. Mai, der gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung eintritt246.
Leider geht die im Durchschnitt zunehmende Gleichstellung in Europa mit einem Anstieg von queerfeindlichen Straftaten einher. Wenn zum Beispiel der Anstieg von Hasskriminalität gegen bestimmte Gruppen immer sehr hervorgehoben wird, womit wir gerade nicht die LGBTIQ-Menschen meinen, empfiehlt sich zumindest eine Einordnung: Allgemein ist in einem aufgeheizten und nach rechts tendierenden Gesellschaftsklima die Zunahme von Hasskriminalität zu beobachten. Und die queere Community ist davon besonders stark betroffen, wie eine weitere Statista-Grafik belegt:
Infografik: Wie verbreitet ist queerfeindliche Kriminalität? | Statista

Begleittext zur Grafik
1.785 Straftaten gegen LGBTIQ*-Menschen hat das Bundeskriminalamt 2023 im Bereich Hasskriminalität registriert – gegenüber dem Vorjahr entspricht das einer Zunahme der Fälle von 50 Prozent. Die Abkürzung LGBTIQ* steht für lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie andere queere Menschen.
Dazu äußerte sich Innenministerin Nancy Faser Mitte Dezember 2024 bei der Vorstellung der Zahlen folgendermaßen: „Die Zunahme an queerfeindlichen Straftaten in den vergangenen Jahren ist erschreckend. Zudem müssen wir von einer hohen Dunkelziffer ausgehen, viele Betroffene zeigen Straftaten nicht an. Wir müssen mehr Bewusstsein, mehr Sensibilität und somit auch mehr Unterstützung für die Betroffenen schaffen – dazu kann dieser Bericht beitragen. Mehr Sensibilität für diese Taten erhöht auch die Bereitschaft, sich an die Polizei zu wenden und Schutz zu suchen.“
Die häufigsten queerfeindlichen Delikte sind Beleidigung (32,2 Prozent), Gewalttaten (18,2 Prozent) und Volksverhetzung (15,0 Prozent). Insgesamt wurden 158 Männer und 41 Frauen Opfer von Gewalttaten. In der Kategorie „divers“ führt die Statistik acht Betroffene auf.
Hier ist das Original-Ranking, die Regenbogen-Karte der Rainbowmap-Liga einsehbar. Das Ranking setzt sich aus sieben Kategorien zusammen:
- Gleichheit und Nichtdiskriminierung
- Familie
- Hassverbrechen und Hassreden
- Rechtliche Anerkennung des Geschlechts
- Intersexuelle körperliche Unversehrtheit
- Raum der Zivilgesellschaft
- Asyl
Mindestens in einer Kategorie ist Deutschland Europa-Spitze und damit wohl auch Weltspitze: Bezüglich der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts (88 Prozent), nur Island liegt mit 100 Prozent höher und auf dem Niveau vollständiger gleicher Rechte. Im Bereich Schutz gegen Hassrede sieht es nicht so gut aus, da kommt Deutschland auf 64 Prozent. Wie der Schutz hier umgesetzt wird, beeinflusst vor allem das Sicherheitsgefühl queerer Menschen – hier liegt Belgien mit 100 Prozent ganz vorne, aber Deutschland gehört bei allgemein zu geringem Schutz zur „noch grünen“ Spitzengruppe.
Wo Deutschland gegenüber anderen westeuropäischen Ländern viele Punkte fürs Gesamtranking verliert, ist die Kategorie „Familie“. Wir wissen, worum es der LGBTIQ-Community dabei geht – es hat mit dem konservativen Familienbild zu tun, das in Gesamtdeutschland aus dem Westen übernommen wurde, dass hier ein großer Gap zu den Spitzenreitern in Europa besteht.
Recherche zum Thema „Familie“
Deutschland hat in den letzten Jahren zwar Fortschritte bei der rechtlichen Gleichstellung von queeren Menschen gemacht, liegt aber im Bereich „Familie“ laut der aktuellen ILGA-Europe Rainbow Map noch deutlich hinter den Spitzenreitern wie Belgien, Dänemark, Malta, Spanien und Schweden zurück. Dafür gibt es mehrere Gründe:
- Langsame Gesetzgebung und politische Zurückhaltung
- Trägheit bei Reformen: Viele familienrechtliche Regelungen wurden in Deutschland erst spät angepasst (z.B. Ehe für alle 2017). Weitere Reformen, wie das Abstammungsrecht oder die vollständige Gleichstellung bei Adoption und Reproduktion, wurden immer wieder verschoben.
- Koalitionsstreitigkeiten: Fortschritte werden oft durch politische Kompromisse und Uneinigkeit innerhalb der Regierungskoalitionen gebremst.
- Lücken im Abstammungs- und Adoptionsrecht
- Abstammungsrecht: In Deutschland wird bei lesbischen Paaren, die gemeinsam ein Kind bekommen, die nicht gebärende Mutter nicht automatisch als rechtliches Elternteil anerkannt. Sie muss das Kind erst adoptieren. In Ländern wie Spanien, Belgien oder Schweden ist die Elternschaft beider Frauen von Anfang an anerkannt.
- Adoptionsrecht: Zwar dürfen gleichgeschlechtliche Paare gemeinsam adoptieren, aber das Verfahren ist oft langwierig und mit Hürden verbunden.
- Eingeschränkter Zugang zu Reproduktionsmedizin
- Künstliche Befruchtung: Der Zugang zu medizinisch assistierter Fortpflanzung (z.B. Samenspende) ist für lesbische Paare und alleinstehende Frauen in Deutschland noch immer nicht flächendeckend und diskriminierungsfrei geregelt. In Spitzenländern ist dieser Zugang längst selbstverständlich.
- Trans- und Inter-Elternschaft
- Fehlende Anerkennung: Die Elternschaft von trans oder inter Personen wird in Deutschland rechtlich kaum abgebildet. In Ländern wie Malta oder Schweden gibt es hier bereits fortschrittlichere Regelungen.
- Gesellschaftliche und rechtliche Tradition
- Konservativer Einfluss: Historisch und gesellschaftlich ist das Familienbild in Deutschland noch stark von traditionellen Vorstellungen geprägt. Das wirkt sich auf die Geschwindigkeit und den Umfang von Reformen aus.
- Fehlende explizite Schutzmechanismen
- Keine umfassende Antidiskriminierung: Im Familienrecht fehlen explizite Schutzmechanismen gegen Diskriminierung von Regenbogenfamilien.
Fazit
Deutschland hat wichtige Schritte gemacht, aber im europäischen Vergleich fehlen noch entscheidende Reformen, insbesondere beim Abstammungsrecht, beim Zugang zu Reproduktionstechnologien und bei der rechtlichen Anerkennung aller Familienformen. Die Spitzenreiter haben diese Lücken geschlossen und bieten queeren Familien umfassenden Schutz und Gleichstellung – Deutschland hat hier noch Nachholbedarf.
Tipp: Für aktuelle Entwicklungen und Hintergründe lohnt sich ein Blick in die jährlichen Berichte von ILGA-Europe und in die Empfehlungen von deutschen LGBTIQ-Verbänden wie dem LSVD.
Schlusskommentar
Die oben genannten Kategorien sind in der ILGA-Darstellung weiter ausdifferenziert und halten viele zusätzliche Informationen bereit. Im Grunde sind sie damit auch eine hervorragende Anleitung für die Politik dahingehend, wo Verbesserungsbedarf besteht.
Vor allem im Bereich Familie hängt Deutschland hinter anderen fortschrittlichen Ländern zurück und angesichts der neuen Mitte-Rechts-Regierung gerade hier weitere Fortschritte zu erzielen, dürfte einen Kraftakt seitens der LGBTIQ-Interessenvertreter:innen darstellen.
Wir weisen auch immer wieder darauf hin, dass formale Rechte einer Gruppe keine Gewähr echter alltäglicher Gleichstellung sind, dies vor allem aus ökonomischen Gründen. Aber ohne die rechtliche Gleichstellung zu gewährleisten, lassen sich auch faktische Ungerechtigkeiten nicht mindern, denn dafür braucht es eine rechtliche Absicherung. Der Ampelregierung hätten wir geschrieben: „Die Bundesregierung ist aufgefordert, folgendes zu tun …“. Angesichts der neuen Koalition aus Union und SPD müssen wir es anders formulieren: „Die LGBTIQ-Menschen dürfen gerade im jetzigen, von Rechtsauslegern vor allem in der Union im Sinne der AfD aufgeheizten, fortschrittsfeindlichen Klima nicht nachlassen, für ihre Rechte zu kämpfen und sich nicht einschüchtern lassen.“ Leichter gesagt als getan, das wissen wir natürlich. Aber letztlich ist es wieder der Kampf um Demokratie und Freiheit und gleiche Rechte für alle, der uns hier mit der queeren Community vereint.
TH
Quellen zu „Familie“
Quellen zum „queeren Kalender“
- https://queer-lexikon.net/queerer-kalender/
- https://de.wikipedia.org/wiki/Internationaler_Tag_gegen_Homo-,_Bi-,_Inter-_und_Transphobie
- https://www.queerweg.de/projekte/lsbtiq-koordinierungsstelle/lebenslagen/freizeit-kultur-alltag/queerer-jahreskalender
- https://www.coe.int/de/web/portal/17-may-international-day-against-homophobia
- https://de.wikipedia.org/wiki/LGBT
- https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/548455/17-mai-internationaler-aktionstag-gegen-homo-bi-inter-und-transphobie/
- https://www1.wdr.de/nachrichten/homophobie-gedenktag-queer-toleranz-100.html
- https://www.express.de/panorama/lgbtqi-kalender-das-sind-die-feiertage-der-queer-community-572712
Quellen zur gleichgeschlechtlichen Ehe in Deutschland
- https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2022/PD22_27_p002.html
- https://www.bundestag.de/webarchiv/textarchiv/2017/kw26-de-ehe-fuer-alle-513682
- https://de.wikipedia.org/wiki/Gleichgeschlechtliche_Ehe
- https://www.lsvd.de/de/ct/431-Ehe-fuer-Alle-in-Deutschland-30-Jahre-Kampf-fuer-die-gleichgeschlechtliche-Ehe
- https://www.ergo.de/de/Ratgeber/ehe/gleichgeschlechtlich
- https://www.spdfraktion.de/themen/volle-gleichstellung-ehe-alle-gilt
- https://www.anwalt.org/ehe-fuer-alle/
- https://www.spiegel.de/panorama/ein-jahr-ehe-fuer-alle-und-deutschland-ist-nicht-untergegangen-a-cef6591f-02ba-4b2d-a923-c1761315ba53
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