Homo Faber (DE / FR / GR 1991) #Filmfest 1314 #DGR

Filmfest 1314 Cinema – Die große Rezension

Homo Faber ist ein Film des Regisseurs Volker Schlöndorff aus dem Jahr 1991. Er basiert auf dem Roman Homo faber des Schweizer Schriftstellers Max Frisch.

Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt, das waren Schweizer Schriftstellerikonen unserer Jugend, und wenn wir uns richtig erinnern, war „Homo Faber“ Schullektüre, „Stiller“ haben wir dann freiwillig gelesen, ähnlich mit Dürrenmatts Stücken und „Der Richter und sein Henker“ und „Der Verdacht“. Natürlich war es interessant, Verfilmungen dieser Werke anzuschauen, wie von Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ (z. B. die 1964er Version mit Ingrid Bergman) oder eben eine Schlöndorff-Adaption von „Homo Faber“. 

Handlung (1)

Der Ingenieur Walter Faber lernt auf einer geschäftlichen Flugreise Herbert Hencke kennen. Als das Flugzeug in der Wüste notlanden muss, stellt sich heraus, dass dieser der Bruder seines Studienfreundes Joachim ist, zu dem er die Verbindung verloren hat. Faber beschließt, sich Hencke anzuschließen, der in den Dschungel von Guatemala unterwegs ist, wo Joachim eine Tabakplantage besitzt. Am Ende einer gespenstischen Urwaldfahrt finden sie Joachims Leiche. Fabers Freund hatte sich in seinem Büro mit einem Kabel erhängt.

Zurück in New York verlässt Faber seine Geliebte Ivy und tritt eine Schiffsreise nach Europa an. Während des einwöchigen Aufenthaltes an Bord lernt er die junge Elisabeth kennen und verliebt sich in sie. Er beschließt, Elisabeth zu begleiten, die ihre Mutter in Athen besuchen will. Auf der Reise findet Faber heraus, dass Sabeth, wie er Elisabeth nennt, die Tochter seiner ehemaligen Studienfreundin Hanna ist. Er hatte Hanna vor 21 Jahren heiraten wollen, diese hatte jedoch abgelehnt, da er lediglich von „deinem“ statt „unserem gemeinsamen“ Kind gesprochen hatte.

Am Strand in der Nähe von Athen wird Sabeth von einer Schlange gebissen, stolpert und stürzt unglücklich. Faber bringt sie daraufhin unter großen Umständen in ein Athener Krankenhaus. Obwohl der Schlangenbiss mit einem Serum erfolgreich behandelt werden kann, stirbt die junge Frau an einer undiagnostizierten Fraktur der Schädelbasis infolge des Sturzes.

Seit Sabeth im Krankenhaus lag, wohnt Faber bei Hanna und erfährt von ihr (noch vor Sabeths Tod), dass er ihr Vater ist und somit mit seiner Tochter geschlafen hat.

Der Film endet mit der Verzweiflung Fabers über die Endgültigkeit des Todes Sabeths. 

Anni und Tom über „Homo Faber“

ANNI: Wie einen Film unbefangen rezensieren, bei dem sich so Vieles überlagert? Die Rezeption des Buches und seine Aufbereitung in der Schule, dass über die Romanvorlage von Max Frisch mittlerweile in der Wikipedia jeder Deutungsaspekt nachzulesen ist. Super für Schüler übrigens, die müssen nur noch abschreiben.

TOM: So werden heute die meisten Schularbeiten angefertigt. Die Rache einer literaturlosen Generation an Dingen, die sie machen muss, falls sie sie machen  muss, die ihr aber ferner sind als der Mond. Wer, bitte denkt heute noch über Technizität als Ausdruck von Selbstverlust nach? Ich hab den Faber damals gerne bearbeitet. Und ich finde, die heutigen Schüler haben es schwerer. Sie dürfen nicht mehr selbst ganz frisch über den Fisch nachdenken, sondern müssen um das, was man öffentlich lesen kann, herumschreiben, damit man ihnen überhaupt noch eine eigene geistige Leistung zubilligen kann. Nun, was hat das mit dem Film zu tun? Ich glaube, einiges.

ANNI: Ich hab mich mal einfach von allem versucht zu lösen, was so geschwollen in dem Buch und über das Buch geschrieben wird und ich trau dem Frisch nicht. Ich hab das Gefühl, er hat einfach eine Männerfantasie geschrieben, mit allen philosophischen und mythologischen Verschleierungen, die man sich nur denken kann, dafür war er ja ein Intellektueller. Und Volker Schlöndorff, der  immerhin nachgewiesen hat, dass er schwierige Literatur verfilmen kann („Die Blechtrommel“ (1979), „Auslands-Oscar“, Rezension beim Wahlberliner), reduziert das Buch dann wirklich gnadenlos auf diesen Aspekt, in dem ein junges Mädchen sich an einen älteren Mann heranmacht und ihn, diesen Technokraten, diesen schutzgepanzerten und unsicheren, am Leben vorbeihastenden Mann, aufzubrechen und seine Gefühle freizulegen. Kaum kennt er sie, sagt er, der Bindungsverweigerer „Willst du mich heiraten?“. Ich wär umgekippt, hätte ich nicht gesessen, als das so plötzlich kam.

TOM: Und du meinst, da schreibt Frisch das, was wir Männer uns alle wünschen?

ANNI: Wir sind im Jahr 1957. Da gab es noch nicht den neuen, sozialpädagogisch geformten Mann, diesen Typ, der nicht nur sich selbst, sondern auch Frauen verstehen kann, also Exemplare wie dich … hihi … und dieser Gegensatz zwischen dem fühlenden und beobachtenden und schreibenden Künstler und dem machenden Technokraten, dem Homo Faber an sich, der war damals noch ziemlich eindeutig zu verorten. Heute sind ja die meisten irgendwie dazwischen, zumindest mit Bildungsabschluss Abitur aufwärts.

TOM: Vielleicht hat Frisch das aber auch nur so pointiert. Ich habe damals nicht gelebt, aber ich meine, das ist eine literarische Aufstellung von Gegensätzen, davon gibt es im Buch einige, im Film einige weniger, aber ein Film muss sich konzentrieren und eine in diesem Fall ohnehin literarisch verdichtete Vorlage noch einmal verdichten. Das ist nicht so einfach. Zumal durch den Stil, den Frisch damals verwendet hat. Ich war mal ein richtiger Fan davon, als ich angefangen habe, fiktional zu schreiben, also jenseits von Fingerübungen wie diesen Rezensionen.

ANNI: Ah ja.

TOM: Aber es kam bei den Lesern überhaupt nicht an, und ich hab auch gemerkt, dass ich mich überhoben habe, weil mir der große Bogen gefehlt hat, zumal in Kurzgeschichten, zudem vollkommen ungeübt, die das Philosophisch-Mythologische, die vielen sprachlich-inhaltlichen Elemente eines solchen Buches, nicht entfernt spiegeln kann. So ist es aber auch, wenn man versucht, dieses Buch in Kinobilder umzusetzen.

ANNI: Selbst, wenn man ein renommierter Regisseur ist? Mich hat der etwas dröge Stil des Films übrigens nicht so gestört, ich finde, Faber wird nicht nur in der Darstellung von Sam Sheperd, sondern auch durch den Stil gut getroffen. Es war mehr der Inhalt, siehe oben, und der kommt, wenn auch anders akzentuiert, vom Buch. Und wenn ich mich an das Buch erinnere, ist es auch bei mir die Story von Faber und Sabeth, die geblieben ist, und das komische Gefühl, da … nein, das sage ich jetzt nicht. Aber ich könnte es anhand bestimmter Details belegen. Ich glaube aber, das ist mir hier zu heikel. Dummerweise kenne ich das alles von Männern, die durchaus etwas von Frisch oder Faber haben, wenn auch nicht so talentiert oder nicht ganz so technokratisch-naiv … sie sind. Sorry, das musste jetzt sein, ich belasse es aber nun wirklich dabei.

TOM: Und wenn ich die Griechenland-Bilder aus dem Film sehe, denke ich: Typisch. Schon 1957 nichts als Chaos, und eine junge Frau wird nicht einmal geröntgt, nachdem sie doch offensichtlich mit dem Kopf aufgeschlagen ist. Die Mythologie verschwindet dahinter etwas. Die sollen unsere Leser auch bitte in der Wikipedia, Interpretationen zum Buch, nachlesen.

ANNI: Das war jetzt ein Tiefschlag. Dabei wird diese mögliche Reise zum Ich ja ab dem Unfall als Orientierungsverlust bezeichnet. Dafür muss man Chaos filmen, auch wenn kein Mensch einem Lastwagenfahrer als erstes seine einzige und nicht ganz billige Armbanduhr anbietet, nur, damit er eine ganz offensichtlich Schwerverletzte ins Krankenhaus bringt. Das ist auch eine Form von Diskriminierung der Südländer. Nicht der klassischen Griechen natürlich, aber der heutigen. Alles, was Kultur bedeutet, ist Vergangenheit. Frisch war ein echter Deutschschweizer, das darf man nie vergessen.

TOM: Jetzt wirst du also politisch.

ANNI: Nein, du hattest eben damit angefangen. Ich reagiere nur. Aber du bist nicht Faber, du musst keine Angst haben, du bist anders sozialisiert und kannst Nähe zulassen. Zumindest für ein paar Tage. Dann verhältst du dich doch wie Faber und alles wird fad. Ja, das hat er selbst gesagt, dieser Verhinderte, der nicht an Fügung glaubt und damit natürlich auch nicht an die Fügung, die zwei Menschen für immer zusammenführen kann.

TOM: Glaubst du daran?

ANNI: Säße ich sonst so viele Stunden hier und würde mit dir Filme gucken und dann noch  zusätzliche Lebenszeit mit der Besprechung verbringen? Tut ein Mensch sowas, wenn er nicht eine Art höheren Zweck oder die Erfüllung von etwas sieht, was er sich immer gewünscht hat? Wenn dabei nicht Gefühle im Spiel sind, die er zulässt und Momente, die er genießt?

TOM: Es gibt eine Menge Leute, die nichts davon sehen oder fühlen, bei dem, was sie täglich tun.

ANNI: Das sind eben die Fabers dieser Welt. Ich möchte nicht so sein. Und ich hoffe, du sagst jetzt nicht, in den konnte ich mich aber gut  hineinversetzen, der hat bis zum Schluss nichts dazugelernt.

TOM: Das kommt auch daher, weil die Havanna-Episode im Film nicht vorkommt. Dadurch wirkt er eindeutiger und, je nach Interpretationsansatz, aufs Buch bezogen, pessimistischer als das Buch selbst. Nach dem Film hat Faber in der Tat noch nicht zu sich gefunden. Und ich glaube, jemand der immer irgendwie am Suchen ist, kann sich da hineinversetzen. Es muss ja nicht genau derselbe Erkenntnisstand sein wie bei Faber, der eine mentale Verbindung evoziert.

ANNI: Es kann auch die Love Story sein, nicht? Ich weiß, dass ich versuche, alles etwas zu banalisieren, aber ich tue das jetzt mit voller Absicht. Ich will darauf hinaus, dass dies letztlich ein Werk der Spekulation ist, das Männer zum Träumen  und Frauen  zum Weinen bringt. Faber hatte seine romantische Initiation, aber was hat Hanna? Faber kann jetzt endlich etwas suchen, und sich daran delektieren, dass es vielleicht niemals mehr zu finden sein wird. Er kann sagen, es gibt die Fügung doch, und es ist schön, das begriffen zu haben, er kann auch sagen, es war immer schon richtig von mir, sehr vorsichtig mit Dingen zu sein, die nicht mehr unter meiner Kontrolle sind. ER war immer schon genug in sich selbst gefangen, um daran nicht zu zerbrechen. Aber Hanna?

TOM: Ich mochte die Art, wie Barbara Sukowa sie gespielt hat, nicht besonders. Ich verstehe die Idee dahinter, glaube ich, sie als frühe moderne, aber auch vom Schicksal zerrissene Frau jüdischer Herkunft zu zeigen, aber schon die Unähnlichkeit zu Sabeth … wie will Faber in der Tochter bitte die Mutter sehen? Sie sind mental und optisch grundverschieden. Und sag jetzt nicht, ein Mann fühlt sich zu seiner Tochter hingezogen, auch wenn er nicht weiß, dass sie seine Tochter ist und seine Gefühle falsch deutet, nämlich als sexuelle Attraktion, wo es in Wirklichkeit Vaterliebe ist. Nein. Das geht nicht.

ANNI: So ist es ja auch nicht. Und in achtzig Prozent aller Filme werden Generationenfolgen gecastet, bei denen man sich fragt, ob es da nicht fähige Schauspieler gegeben hätte, die typmäßig eher Mutter und Tochter, Vater und Sohn sein könnten. Ich finde, dass man Julie Delpy genommen hat, sehr gut, sie entspricht der Sabeth im Buch am meisten von allen Filmfiguren. Wir müssen uns übrigens mal endlich die „Before …“-Thrilogie anschauen. (Before Sunrise, Before Sunset, Before Midnight)

TOM: Immerhin wird aus dem Buch auch die Begegnung mit Herbert und Joachim übernommen und rückblendig die Geschichte der Männer und Hannahs erzählt. Damit ist mehr Epik drin, als wenn man wirklich nur die Liebesgeschichte zwischen Ungleichaltrigen genommen hätte.

ANNI: Das war aber auch notwendig, damit überhaupt genug Handlung zustande kommt, und damit sich erklärt, wer ist wer und hat welche Verbindung und Vergangenheit. Mithin, um Sabeth als Fabers Tochter möglich zu machen. Eines muss man dem Film natürlich lassen, er ist toll bebildert. Für die frühen 1990er sogar hervorragend. Wie heute üblich, möchte man sagen.

TOM: Ja, aber er hat dadurch auch diese gewisse Sterilität, die internationale Produktionen aktueller Prägung leider generell kennzeichnet. Da fehlt das Individuelle und Dezidierte. Der Film könnte irgendwo entstanden sein, obwohl er klar ein deutsches Thema behandelt. Und dass Faber im Film Amerikaner geworden ist (mir war das übrigens beim Anschauen gar nicht so klar) steigert das Unverbindliche noch, weil es auf den Erfolg an der US-Kinokasse gemünzt scheint, wo Schlöndorff ja doch ein Name war, nach dem Blechtrommel-Erfolg. Nur die USA würde ich nie als Herkunftsland verorten.

ANNI: Weil der Film zu … eklektizistisch ist? Zu kunstvoll und emotionslos? Die Amerikaner hätten da sicher etwas mehr Saft reingetan, aber hätte das dem Buch entsprochen, in dem es um eine Figur geht, die zwar vielleicht in ihrer Lebensauffassung amerikanisch sein kann, aber nicht vom emotionalen Gepräge typisch amerikanisch ist.

TOM: Deswegen ist es ja so schwierig, den Faber zum Amerikaner  zu machen, obwohl er von einem Amerikaner gespielt wird. Was man auch merkt, aber – dann eben doch so etwas Zwitterhaftes wahrnimmt.

ANNI: Das sagst du alles nur, weil du selbst in die Faber-Rolle schlüpfen willst, dich distanzieren, dich unbehaglich dabei fühlst, dass irgendetwas an dem Typ nicht deiner Auffassung von ihm entspricht – und der Witz ist, dass du vorhin gesagt hast, du kannst dich mit ihm gut identifizieren, und das vielleicht genau daher kommt: Weil diese Unbehaglicheit gegenüber den Dingen des Lebens, den Gefühlen, dem Spirituellen, die man ihm anmerkt, etwas in dir triggert.

TOM: Da siehst du mal, wie wenig 40 Jahre Sozialpädagogik wirklich ausmachen. Alles ist immer noch wie früher, man kommt nie zu einem Ende mit sich selbst.

ANNI: Aber wenigstens kann man auf die Reise gehen und entdeckungslustig sein. Und ich glaube, das tun wir doch hier, oder? Und ist das nicht schön, auch wenn es kein Geld bringt und keine Energie durch aufgestautes Wasser erzeugt? Jetzt sag nicht, kann ja gar nicht, wenn  man die Tränen bei jeder kleinen Emotion laufen lässt, sodass sie nie zu einem Stausee anwachsen, der mit einem Donnerschlag geöffnet wird und seine Wassermassen zu Tal lässt, dabei eine Turbine antreibt, die halb Berlin mit Strom versorgen könnte.

TOM: Jetzt müssen wir den Lesern aber erklären, dass dies eine Anspielung auf die Konferenzszene ist, in er Faber den Delegierten in Paris sein Projekt erklärt und dabei ein paar ökologische Fragen triggert, wie du es nennst, die vielleicht im Buch von 1957 und im Film von 1991 verschiedene Assoziationen auslösen. Ja, natürlich ist das Leben eine Reise. Und man sollte die Augen für das öffnen, was man auf ihr sieht. Für die vielen Details, wie den Kopf der Statue, auf dessen verschiedene Ausdrücke Sabeth den Faber erst aufmerksam macht. Frisch war übrigens Architekt, der kannte sich mit Perspektiven aus.

ANNI: Im Sommer gucken wir, dass wir irgendwo einen alten Citroen DS kriegen und auf geht’s nach Paris, und von da bis Griechenland. Und ich werde mich nicht von einer Schlange beißen lassen, mach dir keine Hoffnungen. Da kannst du noch so lang im Unterhemd und mit Hosen im Meer herumschwimmen und mich einfach allein lassen. Ich kenne diese Spielchen und ihre Symbolik. So, ich notiere meine Wertung.

TOM: Ich gebe 7/10. Ich bin eben doch auch durch das Buch und seine literarische Qualität beeinflusst, und vielleicht hab ich gerade einen Erkenntnisflash gehabt. Ich mag diese verzweifelt unerfüllte Liebesgeschichte. Auch wenn ich sie im Ganzen wirklich nicht für einen Männertraum halte.

ANNI: Wow. Ich hab auch 7/10. Wie selten ist das denn? Aber ich hab von dem, was ich rein filmisch geben würde, eher abgewertet, weil ich zu sehr diese Pflege eines auf den ersten Blick romantischen Prinzips sehe, das euch zu sehr das Recht gibt, euch nie wirklich einzulassen, behaust und mehr als oberflächlich involviert zu sein. Und da sind heutige Männer nicht so viel anders als frühere Generationen, auch wenn sie durch den Sprech linksalternativer Eltern von Geburt an auf kommunikativ pflegeleicht getrimmt wurden – und eher Mühe haben, nicht wie ist eh scheißegal zu wirken, nach dem Motto, meine Toleranz ist meine versteckte Gleichgültigkeit gegenüber allem, was nicht ich ist  und nicht mich selbst beschreibt und nicht im Bildnis steckt, um auch diesen Aspekt noch wenigstens zu erwähnen – als dass sie so kantig-abweisend wirken wie Faber, wenn er mit anderen diskutiert. Uff, dieser Absatz hat mich erschöpft. Machen wir Schluss?

TOM: Wenn du mit der Narzissmus-Umschreibung durch bist, gerne.

ANNI: Siehst du, genau das meine ich. Werdet ihr je so werden, wie ihr sein könntet, wenn ihr nicht sein wolltet, wie ihr euch seht?

Nachbetrachtung (Beigefügt anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2025)

Viele der im obigen Modus geschriebenen Rezensionen der Jahre 2016 und 2017 haben den Test der Zeit nicht so bestanden wie diese, die sich dem Werk auf eine sehr spielerische und vielleicht gerade dadurch reizvolle, nur scheinbar wenig analytische Weise anzunähern versucht. Viele Assoziationen verbinden sich  nach wie vor mit der Zeit und der Welt von Homo Faber, wann wir ihn gelesen haben, den Film geschaut usw. Deswegen habe ich an dem Text auch nichts verändert, zumal er orthografisch einigermaßen sauber gestaltet ist, von der etwas ungestümen Art, lange Sätze mit Satzzeichensparsamkeit zu bilden vielleicht abgesehen. Wir sind mittlerweile mit dem Wahlberliner einen weiten Weg gegangen, von der ersten Ausgabe (2011 bis 2016), während deren Bestehen der obige Text verfasst wurde, über das Zwischenblog „Rote Sonne 17“ und den Start des zweiten Wahlberliners (2018) bis heute. Aktuell sind unsere Rezensionen wieder vergleichsweise experimentell, aber auf eine andere Weise, weil wir versuchen, die sachliche Schreibweise einer KI-gestützten Analyse mit eigenen Beobachtungen und Assoziationen zu verknüpfen. Homo Faber at work, consequently supported by the Machine?

Kritiken (2)

Die Verfilmung gilt bei der Kritik als gescheitert; Zustimmung fanden nur einzelne Darstellerleistungen.

  • epd Film: „Sam Shepard ist das Beste an Schlöndorffs Film; er ist in fast jeder Szene zu sehen, und kann ihn doch nicht vor dem Absturz ins Banale retten. (…) Schlöndorff nähert sich dem Buch zu ehrfürchtig: Er bebildert jede Wendung der Fabel, versucht, durch Voice-over so viel Text wie möglich im Film unterzubringen und den literarischen Stil Frischs durch verschachtelte Rückblenden zu imitieren. (…) Dadurch wird sein Homo Faber zu einem Film, der mit viel zu viel Aufwand eine viel zu einfache Geschichte erzählt.“[2]
  • Fischer Film Almanach: „Sam Shepard, Julie Delpy und Barbara Sukowa hätten durch ihre schauspielerische Präsenz einen großen Film ermöglicht. Buch und Regie allerdings lassen die Kühnheit vermissen, Frischs künstlerische Verve adäquat ins Medium des Bildes zu übertragen.“[3]
  • Lexikon des internationalen Films: „Ein in der Interpretationsnähe zur Ödipus-Tragödie nach Max Frischs Roman gestaltetes Drama, das in mitunter überwältigenden Bildern, überwiegend aber allzu ehrfurchtsvoll-schwerfällig die Stationen einer falschen Selbstdefinition beschreibt. Vor allem der glaubhafte Hauptdarsteller macht den Prozeß der leidvoll auferlegten Selbsterkenntnis eines Menschen deutlich, der sich dem Glauben an ein höheres Walten entzieht.“[4]
  • Cinema: „Trotz starker Besetzung will es Volker Schlöndorff nicht gelingen, der schulischen Pflichtlektüre Leben einzuhauchen. Das einer griechischen Tragödie gleiche Drama wirkt bei ihm zu ästhetisiert. Fazit: Bemühtes Kunstkino nach großer Vorlage“[5]
  • Positif: „Was ein packendes Melodram hätte sein können, ähnelt einem Groschenroman. Der Film ist eisig und hoffnungslos ernst, die Dialoge gestelzt und leer, die Figuren bewegen sich wie Automaten, ohne dass ein Schicksal sie ins Tragische wendet. Die Bilder nähern sich ärgerlichen Postkartenansichten. Der einzige gute Grund, sich den Film anzusehen, ist Julie Delpy. Aus einer unmöglichen Rolle macht sie eine romantische Heldin, eine sinnliche und unschuldige Kindfrau.“[6]

Die IMDb-Nutzer:innen geben dem Film durchschnittlich 6,7/10, angesichts der Ambitionen und der in den Kritiken angedeuteten Möglichkeiten ist das wenig, noch schlechter sieht es bei Rotten Tomatoes mit 56 Prozent positiven Bewertungen aus, was nicht als „fresh“, sondern als „rotten“ gilt. Wir behalten die Ursprungsbewertung aber bei und finden den Kontrast zwischen dem Stil des Films und der Rezension dazu umso interessanter.

70/100

2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2016)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
(2) Beigefügt anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2025

Regie Volker Schlöndorff
Drehbuch Rudy Wurlitzer
Produktion Klaus Hellwig,
Eberhard Junkersdorf,
Vasilis Katsoufis,
Bodo Scriba,
Ernst Alexander von Eschwege
Musik Stanley Myers
Kamera Yorgos Arvanitis,
Pierre Lhomme
Schnitt Dagmar Hirtz
Besetzung

 


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