Deutschland, Land der Besorgten – und warum hat das keine politischen Konsequenzen? (Statista + Kurzkommentar)

Briefing Gesellschaft, Deutschland, Sorgen, Generationen, Generation Z, Babyboomer, Politik, Fortschritt, Wohlstand, die „Mitte“ und die „Ränder“

Die Deutschen bzw. die Menschen in Deutschland sind schon sehr besorgte Exemplare der menschlichen Spezies. Wir stellen die Sorgenfalten dieser Menschen thematisch dar, anhand einer Grafik von Statista, und kommentieren im Anschluss in kurzer Form.

Infografik: Machen Ältere sich mehr Sorgen? | Statista

Begleittext von Statista

Welches sind die wichtigsten Themen für Deutschland? Eine aktuelle Umfrage der Statista Consumer Insights zeigt: Mehr als die Hälfte der älteren Befragten zwischen 50 und 64 Jahren nennen hierbei die Themen Inflation und Einwanderung. Bei der Gesamtgruppe aller Befragten (18 bis 64 Jahre) liegen diese Themen ebenfalls vorne, allerdings liegen die jeweiligen Anteile lediglich bei 48 bzw. 44 Prozent. Auch bei den weiteren genannten Themen ist der Anteil der Älteren jeweils merklich größer, sie sorgen sich also mehr um die genannten Themen und nehmen sie insgesamt als relevanter für Deutschlands Gegenwart wahr.

Einen Alters-Gap gibt es auch bei der politischen Selbsteinschätzung der Deutschen: Menschen der Generation Baby Boomer (Jahrgänge 1946-1964) verorten sich auf einer politischen Skala von rechts bis links eher in der Mitte als Angehörige der deutlich jüngeren Generation Z (Jahrgänge 1997 bis 2012). Das Bild setzt sich an den Rändern der Skala mit umgekehrten Vorzeichen fort: hier ist die Generation Z stärker vertreten als die Baby Boomer.

Die Statista Consumer Insights bieten Umfragen zu vielen weiteren Themen. Unsere Daten decken über 50 Länder mit bis zu 60.000 Befragten pro Land ab. Erkunden Sie mehr als 500 Branchen und Themen aus der Online- und Offline-Welt. Sammeln Sie eine Fülle von Erkenntnissen über die Märkte und Zielgruppen, die für Sie wichtig sind.

Kommentar

Junge Menschen sind generell weniger besorgt als Ältere. Letztere müssten sich über einige der oben genannten Themen keine großen Sorgen mehr machen, weil sie gesettled sind, weil sie das Berufsleben schon hinter sich haben, weil bestimmte Themen wie die Wohnungsnot sie weniger betreffen als Jüngere, prinzipiell gilt das sogar für den gesamten Katalog: Wer noch länger zu leben hat, hat größere Chancen bzw. läuft eher Gefahr, von negativen Entwicklungen überrollt zu werden, und müsste sich demgemäß mehr Sorgen machen. Dass die Älteren aber nach dieser Umfrage besorgter sein sollen, widerspricht nicht direkt anderen Studien, nach denen die Jugend hierzulande so pessimistisch ist wie nie zuvor, seit solche Erhebungen veranstaltet werden.

Es würde auch zu einer anderen Feststellung passen: Dass die Jungen politische radikaler sind als ebenjene gesettleten, „mittigen“ Menschen, die es sich leisten können, in ausgefahrenen Bahnen zu leben und zu denken. Selbstverständlich wollen wir jungen Menschen nicht empfehlen, ihr Heil vor den offenbar doch großen Sorgen, die sie sich machen, bei den Rechten zu suchen. Was es bedeutet, rechte Parteien zu wählen, sehen wir gerade: Der Wohlstandsabbau für die Mehrheit wird vermutlich unter der Merz-Regierung die größten Dimensionen jemals erreichen und die Ungleichheit im Land wird weiterwachsen. Das kann nicht die Perspektive junger Menschen sein, es sei denn, sie haben große Vermögen geerbt. Dann sind sie bei der Union richtig, dann wären sie auch bei der AfD richtig, wenn diese regieren und die Verhältnisse noch extremer in Richtung ungerecht treiben würde.

Aber eine linke Radikalität tut mehr Not denn je, und wenn man sich die Ergebnisse der Linkspartei anschaut, die derzeit vielleicht am meisten en vogue von allen politischen Kräften ist, unbeschadet der jüngsten Erholung der C-Parteien in Umfragen, dann besteht die Hoffnung, dass junge Menschen sich wieder etwas trauen. Ob dahinter eine profunde progressive Haltung steckt oder eben die Sorge, alles zu verlieren, was die Arbeiterbewegung je erkämpft hat, ist erst einmal gar nicht so wichtig. Ursprünglich war links eher Klassenkampf als Gesellschaftspolitik, aber war es nie ganz ohne Gesellschaftspolitik, denn rechte Regime unterdrücken die Freiheit und die Gleichheit von Menschen, wie wir gerade wieder weltweit auf schauderhafte Weise vor Augen geführt bekommen.

Das eine gehört zum anderen, das gesellschaftlich Fortschrittliche und das Gerechtigkeitsdenken. Wer versucht, das auseinanderzudividieren, wie zum Beispiel Teile der „linken“ Presse oder das BSW, will in Wirklichkeit einen autoritären Staat, und verrät damit das Prinzip mehr Wohlstand für alle.

Es gibt also ein Rezept gegen die Sorgenfalten der Jugend. Mehr Demokratie, mehr Solidarität, mehr linke Politik wagen. Ob dieses Rezept auch älteren Menschen taugt, die sich vielleicht sogar in einem langen Arbeitsleben das Recht erworben haben, sich nicht mehr so stark verändern und anpassen zu müssen, ist eine andere Frage. Wir meinen, sie sollten es zumindest der Jungen wegen tun. Wegen ihrer Kinder und Enkelkinder, damit diese noch in Demokratie und ohne materielle Not aufwachsen können.

Sie haben Erfahrung genug und sind abgesichert genug, um nicht immer auf sich selbst schauen zu müssen und sie schulden den jüngeren Generationen auch etwas. Sie haben viel falsch gemacht, indem sie falsche Politik gewählt und zugelassen haben. Das können sie jederzeit durch fortschrittliche Wahlentscheidungen, wenigstens noch für die Zukunft, korrigieren.

Leider gibt es in Deutschland keine Partei, die ein ganz kohärentes Modell anbietet, das sozial, gesellschaftlich, die materiellen Verhältnisse im Inneren betreffend und bezüglich der Außenpolitik in Relation dazu überzeugend ist. Gerade deswegen führt aber an einer solidarischen, immer an den Menschen und ihren Rechten und ihrem Wohlergehen orientierten Politik nichts vorbei. Das ist auch nicht „am Rand“, eine solche Politik zu fordern, das ist zentral für die Mehrheit im Land. Sich ständig Sorgen machen, aber Parteien von vorgestern zu wählen, deren Politik wirklich Anlass zur Sorge gibt, das ist hingegen widersinnig. Immer so weiterzumachen, stellt den Menschen in diesem Land ein ganz schlechtes Zeugnis bezüglich der Vertretung ihrer eigenen Interessen und ihrer demokratischen Konstitution aus. 

TH


Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Hinterlasse einen Kommentar