Filmfest 1322 Cinema
Vielleicht … oder auch nicht?
Der bewegte Mann ist eine deutsche Filmkomödie von 1994, die auf dem gleichnamigen Comic und dem Nachfolgeband Pretty Baby von Ralf König basiert.
„Der bewegte Mann“ zitiert Filme wie „Das Appartement“ oder „Männer“ von Doris Dörrie, aber das läuft eher nebenbei, hauptsächlich setzt er zwei Comics von Ralf König in bewegte Bilder um. Es wäre interessant gewesen, sie tatsächlich als Comics zu verfilmen, aber es geht auch als Realfilm, wie der überragende Erfolg (6,5 Millionen Kinobesucher) beweist. 1994, das war so eine Zeit. Im wiedervereinigten Deutschland herrschte eine recht tolerante Stimmung, auch wenn die Regierung konservativ war (den konservativen Rollback, den man 1983 befürchtet hatte, gab es sowieso nicht, lediglich eine Verlangsamung der gesellschaftlichen Gesamtentwicklung).
Nachdem Hetero-Männer als solche schon in den 1980ern hinreichend porträtiert worden waren, kamen nach den Hetero-WGs nun die Schwulen-WGs auf den Bildschirm und mit ihnen dermaßen viele Klischees, dass es einerseits witzig ist, andererseits auch, wie Kritiker bemängelt haben (unter anderem Ralf König selbst), die Sichtweise mehr heterokonform macht, weil sich das Satirische nun vor allem auf die Schwulen konzentriert. In der Tat hat man als Hetero mit diesem Film ein komfortables Gefühl, aber ob das anders gewesen wäre, wenn man auch sie bzw. uns mehr durch den Kakao gezogen hätte? Vermutlich nicht, also hätte man’s ruhig tun dürfen.
Handlung (1)
Axel Feldheim (Til Schweiger) wird in flagranti ertappt, auf dem Klo des Tanzlokals, in dem sie beide arbeiten. Es ist nicht, wie e scheint, klingt doof in dieser Situation und Freundin Doro (Katja Riemann) schmeißt ihn aus der gemeinsamen Wohnung. Nach einiger Suche findet er bei Günter einen Platz für seinen Koffer, bei dem gerade eine Männergruppe Sitzung hält. Dorthin wurde der schwule Walter (Rufus Beck) eingeladen, um die Sicht der Homosexuellen darzulegen.
Walter findet sofort Gefallen an Axel, aber der gibt den Avancen nicht nach. Nach einem weiteren Tag erfolgloser Wohnungssuche will er die Einladung von Walter zur Übernachtung annehmen, dieser nimmt ihn mit zu einer Schwulenparty und er lernt Walters guten Freund Norbert kennen (Joachim Król), der ebenfalls Gefühle für Axel entwickelt und in dessen Wohnung Axel erst einmal eine Bleibe findet.
Inzwischen stellt sich heraus, dass Doro schwanger ist und versucht, Axel aufzutreiben, um sich mit ihm zu versöhnen, was sich zunächst als unmöglich erweist. Allerdings fahren Axel und Norbert zu Doros Wohnung, um Axels restliche Sachen abzuholen und schauen sich, gemeinsam auf dem Bett sitzend, Dias aus Axels Privatleben an. Doro kommt nach Hause, Norbert versteckt sich im Schrank, aber Doro findet ihn und ist beinahe so entsetzt, als wenn’s eine Frau gewesen wäre, weil sie glaubt, Axel sei schwul geworden. Doch sie versucht, die Beziehung mit Axel wieder aufzunehmen.
Wir sind ein paar Monate weiter. Axel hat Probleme, mit der hochschwangeren Doro zu schlafen und trifft im Park seine alte Schulfreundin Elke. Er braucht eine Bleibe für das geplante Stelldichein mit ihr und bittet ausgerechnet Norbert um Überlassung seiner Wohnung.
Rezension
Wie auch immer, Regisseur Sönke Wortmann hatte den richtigen Mix zur richtigen Zeit gefunden, und den Zeitgeist zu treffen, ist nun einmal eine Kunst, die man nicht unterschätzen darf. Die König-Comics sind kein Mainstream, aber der Film über „Der bewegte Mann“ und „Pretty Baby“ (der Fortsetzung) hatten Einfluss auf die Etablierung des schwul seins als Teil der Alltagskultur – weniger im Sinn der sexuellen Ausrichtung als der Auftritte von Tunten und ihrer Wahrnehmung durch eine breite Öffentlichkeit. CSDs (Christoper Street Days – Schwulen- und Lesbenparaden) sind heute fast ein Teil der Folklore, in Deutschland mit den Hochburgen Köln (wo der Film spielt und wo alles natürlich immer auch Karneval ist) und Berlin.
Im Jahr 2014 ist trotz allem, was die 1990er so erstaunlich machte, vieles selbstverständlich geworden und wir wohnen in Berlin in einer Gegend, in der männliche Paare, die Hand in Hand gehen, nichts Außergewöhnliches darstellen.
Der Film profitiert von vielen Faktoren, die uns echt zum Lachen gebracht haben, man kann also hier schon festhalten, er hat uns erreicht. Da ist zum einen das Timing von Wortmanns Pointen, die mit so schöner Beiläufigkeit kommen, die sich zusammensetzen aus schrillen Details oder Ensemble-Auftritten und der Fähigkeit, trockenen Witz in kleinen Sätzen, Wörtern und Gesten unterzubringen. Der Witz liegt oft im „Wie“ und ist zum Beispiel schwer in andere Sprachen zu synchronisieren, obwohl es sich nicht um Dialektelemente handelt.
Vor allem Joachim Król als Norbert bietet eine herausragende Leistung und trägt viel von diesem Humor, der auch menschlich ist und anrührend. Eine tolle Figur, dieses Sensibelchen unter den Sensiblen, von einem kongenialen Darsteller verkörpert. Man denke sich dessen Bemerkungen und die Art, wie er sie beiläufig-alltäglich und immer voller erkennbarer Stimmungen spricht hinweg, und man weiß, was dem Film fehlen würde: Das Herz. Und eine Komödie mit Herz funktioniert nun einmal besser als eine beißende Satire, wenn die breite Zuschauermasse erreicht und von dort, wo sie erreicht wird, auch mitgenommen werden soll. Man kann dem Film keinesfalls vorwerfen, dass Norbert als Identifikationsfigur auch für Nichtschwule taugt.
Auf Till Schweiger als Alex und überhaupt hat der amerikanische Starkritiker Roger Ebert, der den Film immerhin besprochen hat, ein ganz neues Licht geworfen. Dass er gut aussieht, hat Ebert angemerkt. Das ist für uns weniger relevant, zumal wir unter den vielen gutaussehenden Schauspielern vor allem aus den USA auch nach Typ unterscheiden, und unser Typ ist Schweiger sicher nicht in dem Sinn wie zum Beispiel George Clooney. Ebert hat ihm innerhalb der Rezension eine eigene Passage gewidmet, auch deshalb, weil Schweiger sich nach „Der bewegte Mann“ dort versucht hat. Sich in den USA durchzusetzen ist aber, wie wir wissen, eine andere Hausnummer, vor allem, wenn man als Deutscher was anderes spielen will als ekelhafte Nazi-Rollen. In „Inglorious Basterds“ ist Schweiger dann 15 Jahre später doch immerhin zu einer Anti-Nazi-Rolle gekommen, die aber dennoch klischeehaft wirkt.
Der amerikanische Großkritiker bezeichnet Schweigers Stil als „easy and unforced“ und wir dachten, nach dem wir’s gelesen haben: Genau. So kann man’s auch sehen. Alles, was uns hier in Deutschland stört, weil es unter anderem nicht dem stark vom Theater beeinflussten Stil der meisten deutschen Film- und Fernsehdarsteller entspricht, den wir nun einmal gewöhnt sind, das kann ja auch einfach nur leicht und ungezwungen sein. Dass wir da nicht früher drauf gekommen sind. Nein, das ist keine komplette Ironie, denn das amerikanische Kino kommt aus einer anderen Richtung als das europäische und speziell das deutsche. Die ersten großen Hollywoodstars waren selten gelernte Schauspieler, bestenfalls hatten sie ein wenig Broadway-Erfahrung. Demgemäß spielten sie vor allem sich selbst und sahen gut aus und waren auch meist für ihre Zeit sehr groß gewachsen.
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2025: Das stimmt so nicht ganz, denn viele von ihnen kamen vom Vaudeville, das eine hervorragende Schule vor allem für komische Filmtalente war, nur vom modernen Sprechtheater kamen sie damals noch nicht, das ohnehin erst in den Ansätzen steckte.
Also hatte Schweiger das Potzenzial zum Hollywoodstar (hoch aufgeschossen muss man ja heute nicht mehr sein, um dort Erfolg zu haben). Die Wahrheit ist, jenseits aller Stile, dass er limitiert ist, das sieht man auch in diesem Film wieder, wenn man ihn in einer Szene mit dem optisch wesentlich unauffälligeren Król beobachtet. Die Varianz, die Król außerdem in seinen verschiedenen Rollen zeigt, die kann er nicht. Nicht so wild, in diesem Film schon eh nicht, wo die Schwulen-Darsteller auch schauspielerisch dominieren. Aber wenn man bei den Schauspielern ist, muss man auch die Frauen kurz besprechen. Katja Riemann als Doro kann nämlich ebenfalls nicht mit Król und Konsorten mit, und sie hat sich ja häufig über die Besetzung von Rollen in Deutschland geäußert. Das etwas Zickige, das sie als Doro auszeichnet, wirkt authentisch, aber ihre Emotionen sind bei weitem nicht so vielschichtig wie die von Norbert. Blöd für die anderen, dass Król hier so brillant ist, und das ohne sichtbare Eitelkeit. Er will den Rest des Ensembles nicht an die Wand spielen, aber er ist am präsentesten.
Aber auch er käme nicht so gut in Szene, wenn nicht die Dialoge stimmen würden. Sie gehören zu den besten, die wir in einem deutschen Film dieser Dekade gehört haben. Dabei mag die Vorlage geholfen haben. Es ist immer gut, etwas Gelungenes zu adaptieren, denn die Verfasser von Originaldrehbüchern, besonders hierzulande, sind zumeist keine Vollblutschriftsteller. Trotzdem muss man das Wort im Film wirksam machen und zum Beispiel den Schnitt so gestalten, dass die Worte trocken und fetzig wirken, dass sie nicht durch falsch getimte Einstellungen ihrer Wirkung beraubt werden. Und der Ausdruck der Schauspieler muss stimmig sein, und all das hat Wortmann gut hinbekommen.
Ein Bonus des Films ist Max Raabe mit seiner Musik. Da wir Raabe schon live erlebt haben und seine herrlichen Revivals der 1920er und 1930er ebenso wie seine eigenen Lieder schätzen (unser Favorit: „Klonen kann sich lohnen“), stimmt es uns wohlgesonnen, wenn wir „Schöner Gigolo, armer Gigolo“, gesungen von Max Raabe, hören, während Alex gerade vor die Tür gesetzt wurde und verzweifelt nach einem Obdach sucht. Es passt halt, zumal Alex ja in einem Tanzlokal arbeitet, in dem Max Raabe mit seinem Palastorchester auftritt.
Finale
Jaja, die Handlung ist nicht sehr glaubwürdig. Aber es wirkt auch nicht kompetent, wenn Kritiker bei einer überdrehten und mit echten Screwball-Elementen angereicherten Komödie genau das verlangen. Wo kämen wir hin, wenn wir den kompletten Realismus ausgerechnet dort verlangen würden, wo er am wenigsten wichtig ist, wo er doch bei wesentlichen ernsteren Filmen immer mehr in den Hintergrund tritt?
Ganz gewiss gehört „Der bewegte Mann“ zu den besten deutschen Komödien der 1990er Jahre, und wir ziehen jetzt auch nichts ab, weil wir denken, vielleicht, ja, vielleicht hätte es einen versierteren bewegten Mann geben können. Manchmal kommt es auch auf den Sexappeal an, und auf dem Gebiet hatte Schweiger in den 1990ern nicht viel Konkurrenz in Deutschland. Hätte er heute auch nicht, nebenbei bemerkt, wenn er noch in jener Altersklasse um 30 wäre. Deutschland hat schon seit längerer Zeit einen Mangel an schauspielerisch erstklassigen, zudem viril wirkenden Stars. Bei den Frauen sieht es einen Tick besser aus, da gibt es mehr virile Typen – ein Scherz, der darauf basiert, dass ich bei der Durchsicht anlässlich der Veröffentlichung die Doppeldeutigkeit des ursprünglichen Satzes identifziert habe.
Joachim Król, den wir deutlich hervorgehoben haben, ist somit zum zweiten Mal hintereinander ein Hauptdarsteller in Filmen der laufenden deutschen Filmchronologie Nr. 2 (nach „Wir können auch anders …“ aus dem Vorjahr“).
76/100
2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)
| Regie | Sönke Wortmann |
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| Drehbuch | Sönke Wortmann |
| Produktion | Bernd Eichinger |
| Musik | Torsten Breuer Andy Knote |
| Kamera | Gernot Roll |
| Schnitt | Ueli Christen |
| Besetzung | |
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