Briefing Economy Wirtschaft Staatsschulden National Debt
Wenn demnächst wieder eine Finanzkrise anstehen sollte – sagen Sie nicht, wir haben Sie nicht informiert und gewarnt. Für die meisten von uns ist eine solche Krise allerdings nicht besonders relevant, sofern dadurch nicht Arbeitsplätze vernichtet werden.
In der Bankenkrise von 2008-2009 war das nicht so, zumindest in Deutschland. Es war im Sinne der Beruhigung der Bevölkerung gar nicht ungeschickt, wie die damalige Regierung mit Kurzarbeitergeldprogrammen und anderen Stützungsmaßnamen wie der Abwrackprämie zwar in Kauf nehmen musste, dass das BIP im exportorientierten Deutschland im Jahr 2009 um mehr als 5 Prozent sank, während andere Länder etwas glimpflicher davonkamen. Doch in den folgenden Jahren erholte sich die deutsche Wirtschaft besonders schnell. Warum?
In erster Linie, weil die EZB infolge der Bankenkrise zur Flutung mit Kapital durch Niedrigzinsen übergegangen war, sogenannte Nullzinspolitik. Die Märkte sogen alles auf, obwohl die Renditen immer mehr nachgaben, aber es war so viel Geld da. Dadurch entstand in Deutschland auch eine wirtschaftliche Scheinblüte, die heute ihr ganz hässliches Gesicht in Form einer fundamental geschwächten Wettbewerbsfähigkeit zeigt. Aber Deutschland nutzte die Gunst der Stunde nicht, sondern fuhr mitten in der Phase, in der man sich hätte besonders günstig verschulden können, um endlich Investitionen anzuschieben, die über viele Jahre versäumt wurden, die sogenannte Agenda der Schwarzen Null.
Dann kam Corona. Die Staatsschulden explodierten, auch in Deutschland. Dann ging die Niedrigzinsphase zu Ende und trotzdem müssen immer mehr Staatsanleihen ausgegeben werden, um die Staaten funktionsfähig zu halten – auch in Deutschland wird das alsbald wieder eine große Rolle spielen. Nur: Die Renditen steigen, die Zinsen steigen, die Staaten können nicht mehr fast ohne Zinsen neue Anleihen begeben, wie das insbesondere in Deutschland während der 2010er Jahre möglich war. Damit läuft die Staatsverschuldung in eine gefährliche Langfristfalle, wie vor der Bankenkrise bereits. Sie nimmt immer weiter zu – nicht nur in Form von Staatsanleihen, aber diese sind natürlich ein guter Gradmesser für die Gesamtverschuldung.
Vor diesem gefährlichen Hintergrund muss man auch den Streit zwischen Donald Trump und dem FED-Chef Powell sehen, der die Zinsen nicht nach Trumps Wunsch senken möchte, weil er befürchtet, dass dies die Inflation anheizt. Während der 2010er war dieses im Grunde volkswirtschaftliche Standardphänomen in Deutschland nicht zu beobachten, weil die Niedrigzinsen eben nicht zu einer echten Rallye aus Preisen und Löhnen geführt haben. Auch das Fehlen dieses klassischen Zusammenhangs hätte darauf aufmerksam machen müssen, dass etwas mit dieser Konjunktur nicht stimmt, dass die Fundamentaldaten der Volkswirtschaften, besonders der deutschen, nicht wirklich auf Expansion deuten lassen. Die Produktivität stieg kaum noch, die Produktion auch nicht, lediglich die Preise für bestimmte Anlageklassen, etwa Immobilien, gingen durch die Decke und führen anhaltend zu sozialen Verwerfungen. Hinterher ist man immer schlauer.
Infografik: Wie viel Schulden machen Staaten durch Anleihen? | Statista

Begleittext von Statista
Das Volumen der Emission von Staatsanleihen von OECD-Ländern hat sich in den vergangenen 10 Jahren nahezu verdoppelt. Wie die Statista-Infografik mit Daten des aktuellen OECD Global Debt Reports zeigt, stieg sie von 8 Billionen US-Dollar im Jahr 2014 auf 15,7 Billionen US-Dollar im Jahr 2024. Für das laufende Jahr rechnet die OECD mit einem Anstieg des Emissionsvolumens auf 17 Billionen US-Dollar. Auch für die Schwellen- und Entwicklungsländer weist der OECD-Report im genannten Zeitraum eine Verdopplung der neu aufgenommenen Schulden durch Anleihen aus – von 1,4 auf 2,8 Billionen US-Dollar.
Die globalen Anleihenmärkte stehen laut OECD-Experten vor schwierigen Zeiten. Die Dynamik niedriger Zinsen und der Unterstützung durch die Zentralbanken bis zum Jahr 2022 sei 2024 nicht zurückgekehrt. Die Anleiherenditen seien in mehreren wichtigen Staatsanleihenmärkten trotz sinkender Leitzinsen gestiegen, während die Staatsverschuldung zunahm. Diese Kombination aus höheren Kosten und höherer Verschuldung berge das Risiko, die Kapazität für zukünftige Kreditaufnahmen in einer Zeit einzuschränken, in der der Investitionsbedarf größer denn je sei.
Die bisherige Kreditaufnahme, ein Erbe der Finanzkrise von 2008 und der COVID-19-Pandemie, sei in erster Linie zur Förderung der Erholung genutzt worden, wodurch viele langfristige Investitionsbedürfnisse ungedeckt geblieben seien. Gleichzeitig sei der Marktzugang für bestimmte Unternehmens- und Schwellenländeremittenten äußerst schwierig, was die Mobilisierung von Finanzmitteln erschwere. Hinzu kämen erhöhte geopolitische und makroökonomische Unsicherheiten, welche die Finanzierung von langfristigem und nachhaltigem Wachstum erschweren würden.
Kommentar
Nach unserer Ansicht war eine expansivere Verschuldung während der Corona-Krise richtig. Es gab schon genug Menschen, die während der Zeit frei gedreht haben, ohne dass die Ökonomien zusammengebrochen sind. Wäre dies noch der Fall gewesen, wären die Demokratien noch schneller erodiert, als sie es ohnehin gerade tun. Aber was war danach? Gerade Deutschland wird in die Falle hineinlaufen, dass es sich zu einem Zeitpunkt erhebliche neue Schulden auflädt, der nicht mehr günstig ist, auch, weil die Politik hierzulande daran gewöhnt ist, Papiere am Markt platzieren zu können, die für die Käufer kaum Rendite erwirtschaften.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat vom Hochpunkt der letzten Jahre ihre Leitzinsen ab Mitte 2024 deutlich gesenkt – insgesamt mehrfach. Besonders ab Juni 2024 begann die EZB, die Zinsen stufenweise zu senken, nachdem sie zuvor auf ein 20-Jahres-Hoch gestiegen waren. 2025 gab es insgesamt bereits vier Zinssenkungen um jeweils 25 Basispunkte, d.h. insgesamt 1 Prozentpunkt. Damit wurden die Leitzinsen von ihrem Hoch (Hauptrefinanzierungssatz 4,5% im Frühjahr 2024) auf zuletzt 2,15% im Juli 2025 zurückgenommen (upgedateter Text).
Diese Senkungspolitik ist zum aktuellen Zeitpunkt sinnvoll, denn es gibt in Euroland kaum Inflationsgefahr durch zu sehr aufgeheizte Konjunktur, vielmehr befindet sich die wichtigste Volkswirtschaft in der Dauerstagnation, während die EZB in den 2010er Jahren einfach „durchregiert“ hat und vermutlich selbst erstaunt darüber war, wie wenig die Zinssenkungen zur Inflation in Kernländern wie Deutschland beigetragen haben. Nach unserer Ansicht war diese ungewöhnliche Lage, niedrige Zinsen und niedrige Inflation, so nicht vorauszusehen und deutete eben auf das hin, was wir oben angerissen haben. Es ist für Staaten also besser, jetzt neue Schulden zu machen, als es vor etwa 15 Monaten war. Die Statista-Tabelle stammt aus dem März, deswegen stimmt die aktuelle Lage nicht ganz mit jener überein, die im Begleittext beschrieben wird. Aber 2,15 Prozent als Basis lassen keine 0,5 Prozent Rendite, mit denen einige Bundesanleihen vor der Corona-Krise ausgestattet waren.
Es ist aktuelle die zu erwartende US-Schuldenkrise, die in aller Munde ist, falls Trump tatsächlich seine Vorhaben umsetzen kann, die sowohl zum Streit zwischen ihm und Elon Musk als auch mit FED-Chef Powell geführt hat. In den USA liegt der Leitzins immer noch zwischen 4,25 und 4,5 Prozent.
TH
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

