Filmfest 1334 Cinema
Ein basischer Film noir?
Der gläserne Schlüssel (Originaltitel: The Glass Key) ist ein in Schwarzweiß gedrehter Kriminalfilm von Stuart Heisler aus dem Jahr 1942, eine Neuverfilmung des Films Der gläserne Schlüssel aus dem Jahr 1935. Das Drehbuch basiert auf dem gleichnamigen Roman von Dashiell Hammett.
Auf Filme wie „Der gläserne Schlüssel“, die nach langer Zeit in restaurierter Version wieder gezeigt werden, kann man nur gespannt sein – demnächst wird mit „Die blaue Dahlie“ (1946) ein weiterer Film mit Alan Ladd und Veronica Lake als kleines Traumpaar des Film noir ausgestrahlt werden. Noch mehr Spaß macht das Ganze, wenn es dem gegenwärtigen ARTE-Konzept folgt, Thriller, Films noirs aus verschiedenen Epochen und Nationen zu einer Show zu verbinden, die unser Wissen über dieses Genre weiter verbessert. Gestern lief vor „Der gläserne Schlüssel“ der Polizeithriller „Serpico“, der ebenfalls zum erweiterten Genre gehört und für den wir 9/10 (ca. 88-90/100) vergeben haben.
Handlung (1)
Der einflussreiche korrupte Politiker Paul Madvig hält in Baltimore die Zügel fest in der Hand und verschachert seine Loyalität an den Meistbietenden. Als er sich in Janet Henry, die Tochter des ehrenhaften Senators Ralph Henry verliebt, wechselt er die Seiten, um den Senator bei den bevorstehenden Gouverneurs-Wahlen zu unterstützen. Madvigs rechte Hand Ed Beaumont hält dies für einen Fehler, weil er Janets Motiven misstraut. Als Madvig damit prahlt, dass der Senator ihm praktisch den Schlüssel zu seinem Haus überlassen hätte, warnt ihn Beaumont, dass es sich dabei um einen gläsernen Schlüssel handeln könnte, der jeden Moment zerbrechen kann. Beaumonts Besorgnis nimmt noch weiter zu, als Madvig dem Gangster Nick Varna mitteilt, dass er ihn nicht länger vor der Polizei schützen wird.
Bei einem Empfang im Hause Henry wird Beaumont klar, dass er Janet Henry richtig eingeschätzt hat. Sie hat sich nur zur Verbesserung der Wahlchancen ihres Vaters mit Madvig eingelassen und beabsichtigt, die Beziehung nach den Wahlen sofort wieder zu beenden. Janets wahres erotische Interesse richtet sich dagegen auf Beaumont selbst, der ihren Avancen zwar aus Loyalität zu Madvig widersteht, diesen allerdings auch nicht über Janets wahre Absichten informiert. (…)
Rezension
Allerdings bemerkt man, wenn man zwei solche Film in kurzem Abstand schaut, durchaus, dass modernere Filme auch ihre Vorzüge haben, was die Schlüssigkeit und die Figurenzeichnung angeht – zumindest, wenn man unter „moderner“ die Filme des New Hollywood ab Mitte der 1960er versteht. Es gibt frühe Films noirs von sehr hoher Qualität wie „The Maltese Falcon“ (1940) von John Huston oder „High Sierra“ aus demselben Jahr – beide mit Humphrey Bogart, der mit diesen Filmen sein Dasein als Bösewicht vom Dienst aufgeben konnte und zum Superstar mutierte. Doch den Begriff „Film noir“ gab es zu jener Zeit noch nicht und man erkannte die ersten Werke, die heute darunter zusammengefasst werden, noch nicht als eigenes Genre innerhalb des Kriminalfilms.
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes 2025: Mittlerweile sind wir im Thema etwas tiefer drin, zweifeln viele Zuordnungen zum Film noir an, wenn man den Kanon zur Grundlage nimmt, den u. a. Raymond Borde und Étienne Chaumeton in den 1950ern für die Abgrenzung zu anderen Spielarten des Krimis entwickelten.
„Der gläserne Schlüssel“ zeigt sogar, dass die Zurechnung nicht unproblematisch ist, soweit es sich um diesen Film selbst handelt. Er hat weder ein schlechtes Ende für die Hauptfiguren, im Gegenteil: Lake und Ladd kriegen einander und das hat sich wohl jeder Zuschauer gewünscht, obwohl die Lady undurchsichtig und ihr Ritter etwas zu clever und rücksichtslos ist, als dass man sie beide rundum sympathisch nennen könnte. Es ist eine raue Welt, die wir sehen, das zumindest gehört zum Noir-Touch. Aber auch düstere Vorbestimmung, oft durch einen Narrator verkörpert, der von einem bestimmten Punkt aus in die Vergangenheit hinein erzählt und wie es zu diesem Punkt kommen konnte, von dem aus die Handlung dann zur Klimax geführt wird, das alles gibt es weder im „Falken“ noch in „Der gläserne Schlüssel“.
Man hat hier jederzeit das Gefühl, die Figuren haben ihr Schicksal selbst in der Hand – auch wenn sie zuweilen etwas fahrlässig damit umgehen und manche Szenen sich nicht vollständig entschlüsseln – wie zum Beispiel diejenige, in der Ed Beaumont seinen Freund Madvig in einem Restaurant verprügelt. Das tut er offenbar, damit Madvigs Gegner davon erfahren und er einen vorgeblichen Grund hat, sich an diese zu wenden – dieser manipulierte Zwist scheint aber zwischen den beiden vorher nicht abgesprochen worden zu sein, und dieser möglicherweise korrupte, aber gegenüber dem in der Inhaltsangabe als ehrenwert apostrophierten, jedoch aalglatten langjährigen Politiker doch kumpelhaft und integer wirkenden Typ, ist auch ein gutmütiger Mann.
Das Schönste an dem Film ist deswegen vielleicht die Männerfreundschaft zwischen Madvig und Beaumont, die einander offenbar viel zu verdanken haben – so viel, dass Beaumont den anderen immer wieder aus schwierigen Lagen heraushaut, weshalb der andere ihm am Ende auch das Mädchen überlässt, das er selbst haben wollte. So muss es sein, oder?
Handwerklich und schauspielerisch kann der Film nicht mit den Top-Werken der Schwarzen Serie mithalten, und einiges von dem Spaß, den wir beim Anschauen hatten, resultierte auch aus den oftmals etwas rudimentären Momenten, die uns unter anderem daran zweifeln lassen, ob Regisseur Stuart Heisler wirklich so ein guter Handwerker war, wie ihm nachträglich bescheinigt wird. Da gibt es zum Beispiel die Szene, in der Beaumont das Testament des Zeitungsverlegers zerreißt und in den Kamin wirft. Die Zettel fallen aber nicht ins Feuer, sondern bleiben vor dem Kamin unverbrannt liegen. Oder der Moment, als Beaumont in Madvigs Büro die Zigarette aus dem Etui fällt. So etwas hätte man im Grunde herausschneiden müssen, denn es wirkt für diesen coolen Typ linkisch und außerdem erschließt sich der Sinn nicht. Hingegen wirkt der in einer späteren Szene mitten auf seinem Abschieds-Seekoffer platzierte weiße Handschuh mit den riesigen Initialen „J.H.“ so gewollt auffällig, dass ihn keinesfalls ein Zuschauer und dass ihn auch Paul Madvig nicht übersehen kann, als er unversehens in Beaumonts Wohnung kommt, wo sich zuvor gerade Janet Henry eingefunden hat.
Es gibt weitere Beispiele für entweder nicht ganz saubere Arbeit oder für eine etwas plumpe Inszenierung, zudem hat man den Eindruck, Brian Donlevy als Madvig ist der beste unter den Darstellern, nicht Alan Ladd oder Veronica Lake, wirkt natürlicher, versatiler und als Nebenfigur ohne Weiteres in einem A-Film denkbar.
Anmerkung 2 / 2025: Brian Donlevy haben wir mittlerweile in weiteren Filmen, auch Films noirs gesehen, er ist auf jeden Fall in der Lage, auch einen A-Film zu tragen, wenn ihn nicht ein Superstar in den Schatten stellt, der vielleicht nicht besser performt, aber diese Starqualitäten hat, die ihn im Hollywoodsystem besonders wertvoll machen.
Damit kommen wir zur ursprünglichen Einordnung von Filme wie diesem. Der Plot nach Dashiel Hammetts Roman, schon die zweite Verfilmung nach einer aus dem Jahr 1935 ist fraglos komplex und recht gut konstruiert, ist ein Whodunnit, aber nicht aus Polizeisicht, sondern aus der Perspektive eines Mannes gefilmt, der in einem Mordfall sozusagen ermittelt, weil er seinen Freund beschützen und wissen möchte, ob dieser ihm die Wahrheit sagt.
Aber die Kritik sah die dunklere und gewalttätigere Spielart des Krimis als „Sex and Crime“ an und war nicht so begeistert, wie wir die Films noirs heute oftmals aufnehmen. Nach unserer Ansicht kann man anhand von „Der gläserne Schlüssel“ und der oben beschriebenen Klassiker-Einschränkungen auch verstehen, warum das so war.
Viele dieser Filme waren von den produzierenden Studios nicht als A-Filme konzipiert, sondern eher günstige Produkte, für die unter anderem keine astronomischen Gagen gezahlt werden mussten, weil man in ihnen keine Superstars einsetzte. Auch Humphrey Bogart war in „The Maltese Falcon“ noch nicht teuer und John Huston führte erstmalig in einem Film Regie. Dass aus dieser Zusammenarbeit ein Klassiker hervorgehen sollte, konnte man bei Warner Brothers, dem ausführenden Studio, nicht voraussehen. Allerdings waren die Warner Bros. entscheidend am Entstehen des Genres Film noir beteiligt, da ihre realistisch-herben Gangsterfilme und sozialkritischen Werke der 1930er schon eine gute Grundlage bildeten – der Sprung war nicht so groß, hin zum Detektivfilm „Der Malteser Falke“ und späteren, noch dezidierter schwarz gefärbten Filmen, die nur noch um expressionistische Elemente und eine gewisse Mystifizierung angereichert werden mussten, um bereits bestehende Grundmuster ins neue Jahrzehnt hinein weiterzuentwickeln.
Noch weniger hatte Paramount mit „Der gläserne Schlüssel“ gewiss vor, ein neues Genre zu kreieren, sondern wollte wohl vor allem die aufsehenerregende blonde Mähne des aufstrebenden Sterns Veronica Lake gut ins Bild setzen, was auch gelingt. Ansonsten ist „Der gläserne Schlüssel“ ein Routineprodukt, das nicht die Veredelungstendenzen und exzeptionellen Bildgestaltungselemente aufweist, die sich im Lauf der 1940er immer zahlreicher im Film noir einfanden und einschließlich mächtiger, düsterer Filmmusik immer mehr in Richtung deutschem Expressionismus tendierten. Der Name des Regisseurs Stuart Heisler ist auch nicht, wie man denken könnte, ähnlich wie bei William Wyler oder Billy Wilder, die leicht amerikanisierte Version des Namens eines aus dem deutschen Sprachraum stammenden Immigranten, der mit der deutschen Filmtradition groß geworden wäre – Heisler wurde bereits in den USA geboren und war somit keiner der Männer, die ihr Handwerk in Berlin erlernt und ihre visuelle Gestaltungskraft mit über den Atlantik genommen hatten.
Was die KI sagt
The Glass Key (1942) erfüllt einen Großteil der klassischen Film-noir-Kriterien, erreicht aber nicht in jedem Aspekt die maximale Ausprägung.
Bewertung nach den angesprochenen Kriterien
-
Stilistische Merkmale:
Der Film nutzt Schwarzweißfotografie, starke Hell-Dunkel-Kontraste und zahlreiche Nachtaufnahmen. Die Bildästhetik und Inszenierung gelten als stilbildend für den Noir und werden von der Kritik als „ihrer Zeit voraus“ beschrieben135. -
Atmosphäre und Thematik:
Die Handlung ist geprägt von Korruption, Verrat, moralischer Ambivalenz und einer pessimistischen Grundstimmung. Die Figuren agieren in einem von Machtgier und Intrigen bestimmten Milieu, was dem klassischen Noir-Bild entspricht35. -
Schicksal/Fatalismus:
Das Motiv der Ausweglosigkeit und der Kampf gegen übermächtige Umstände sind vorhanden, auch wenn der Film nicht ganz so fatalistisch wie etwa Double Indemnity oder Out of the Past wirkt35. -
Femme fatale:
Veronica Lake spielt zwar eine zentrale Frauenfigur, aber sie verkörpert eher das „bad good girl“ als die klassische Femme fatale. Ihr Charakter ist ambivalent, aber weniger zerstörerisch als bei anderen Noirs3. -
Happy End:
Das Ende ist für Hollywood-Verhältnisse typisch und weniger düster als bei anderen Noirs, was dem Film einen leichten Abzug in der Gesamtwertung gibt3.
Prozentuale Einordnung
Angesichts der sehr starken Noir-Elemente in Stil, Thematik und Figurenzeichnung, aber mit kleinen Abstrichen bei Fatalismus und Femme fatale, liegt The Glass Key bei etwa 85–90 % auf der Noir-Skala. Er ist ein nahezu prototypischer, aber nicht der absolut archetypische Film noir351.
| Kriterium | Erfüllung |
|---|---|
| Bildsprache/Ästhetik | Sehr hoch |
| Atmosphäre/Thematik | Sehr hoch |
| Fatalismus/Schicksal | Hoch |
| Femme fatale | Mittel |
| Happy End | Leichter Abzug |
- https://www.der-film-noir.de/v1/node/942
- https://de.wikipedia.org/wiki/Der_gl%C3%A4serne_Schl%C3%BCssel_(1942)
- https://www.der-film-noir.de/v1/node/84
- https://www.amazon.de/The-Glass-Key-Blu-ray/dp/B07J34NSKK
- https://de.wikipedia.org/wiki/Film_noir
- https://mubi.com/de/de/films/the-glass-key
- https://www.hhprinzler.de/2016/05/film-noir-the-glass-key-casbah/
- https://www.reddit.com/r/criterion/comments/17jthat/intro_to_film_noir/?tl=de
Finale
Unser Text aus dem Jahr 2015: Fraglos ist „Der gläserne Schlüssel“ ein spannender Krimi mit einem kleinen Hauch von Erotik, aber nach unserer Ansicht unterfällt er allenfalls knapp dem Kerntatbestand des Genres „Film noir“. Ihm fehlen typische inhaltliche Elemente dieser Krimi-Spielart und auch gestalterisch ist er noch nicht so weit entwickelt, dass man ihn allein aus Gründen der Visualität dem Subgenre zuordnen könnte – die düstere Welt, in der es keine sauberen Charaktere zu geben scheint, kann allerdings ein Argument für ebenjene Zurechnung sein. Wir lassen die Eingliederung in die Reihe der „basischen Films noirs“ offen.
Ergänzung 2025: Die KI-Befragung ist natürlich ein Nachtrag und ein Extra, weil wir uns heute einmal die Zeit genommen haben, eine ältere Rezension deutlich mit neuen Elementen anzureichern. Ist damit eine tragende Idee geboren, nämlich den Kanon für einen Film noir abzuspeichern und jeden Film, der in Frage kommt, künftig auf diese Weise zu prüfen? Wir sind skeptisch. Denn einmal noir, immer noir, das hat die sehr hohe prozentuale Bewertung ergeben, die nach unserer Ansicht die Abweichungen nicht stark genug berücksichtigt und in Bezug auf die Ästhetik des Films eine grundsätzlich andere Einordnung vornimmt als wir. Wir ändern also unsere Einschätzung nicht wesentlich. Wir freuen uns aber, dass zwei „absolute“ Films noirs genannt werden, von denen „Out of the Past“ einen unserer Referenzfilme innerhalb des Subgenres darstellt, also wirklich 100 Prozent erreicht. Auch der berühmte „Double Indemnity“ erfüllt alle Kritieren aufs Beste, bis auf die Vorbestimmung, der Protagonist wirkt hier freier in seinen Entscheidungen und ist nicht so angelegt, dass man sich mit ihm identifizieren könnte oder sollte, dafür ist diese große Fingerübung von Billy Wilder natürlich noch ruchloser als „Out of the Past“.
70/100
2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Regie | Stuart Heisler |
|---|---|
| Drehbuch | Jonathan Latimer |
| Produktion | Fred Kohlmar Buddy DeSylva (ungenannt) |
| Musik | Victor Young |
| Kamera | Theodor Sparkuhl |
| Schnitt | Archie Marshek |
| Besetzung | |
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(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
Quellen der KI-Kurzanalyse
- https://www.der-film-noir.de/v1/node/942
- https://de.wikipedia.org/wiki/Der_gl%C3%A4serne_Schl%C3%BCssel_(1942)
- https://www.der-film-noir.de/v1/node/84
- https://www.amazon.de/The-Glass-Key-Blu-ray/dp/B07J34NSKK
- https://de.wikipedia.org/wiki/Film_noir
- https://mubi.com/de/de/films/the-glass-key
- https://www.hhprinzler.de/2016/05/film-noir-the-glass-key-casbah/
- https://www.reddit.com/r/criterion/comments/17jthat/intro_to_film_noir/?tl=de
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