Filmfest 1344 Cinema
Pünktchen und Anton ist ein deutscher Kinderfilm aus dem Jahr 1999 von der Regisseurin Caroline Link. Während sich die erste Verfilmung des Romans von 1953 eng an die Vorlage hielt, basiert dieser Film nur entfernt auf dem gleichnamigen Buch von Erich Kästner.
Den Film aus dem Jahr 1953 hatten wir bereits gesehen, als wir die Neuverfilmung rezensiert hatten, außerdem kennen wir das Buch, das, wie schon die Wikipedia erwähnt, deutlich abgewandelt wurde. Funktioniert es, Kästner so stark umzumodeln? Funktioniert es, weil eine mittlerweile oscarprämierte Regisseurin sich hier ans Werk gemacht hat?
Handlung (1)
Luise, genannt Pünktchen, und Anton sind die besten Freunde. Während Pünktchen als Tochter eines Kardiologen in einer Villa mit Köchin und Au-pair-Mädchen lebt, teilt sich Anton mit seiner kranken Mutter eine kleine Wohnung und muss regelmäßig in Giovannis Eiscafé aushelfen, damit seine Mutter ihren Job nicht verliert. Pünktchen hat zwar keine finanziellen Sorgen, leidet aber unter der ständigen Abwesenheit ihrer Eltern. Antons Verhältnis zu seiner Mutter ist gut, jedoch hält er vor ihr geheim, dass er im Eiscafé arbeitet und deswegen in der Schule Probleme hat, damit sie sich keine Sorgen macht.
Auf einer Feier in der Villa klaut Anton ein wertvolles Feuerzeug. Er versucht es zu verkaufen, um von dem Geld mit seiner Mutter ans Meer zu fahren. Als seine Mutter das Feuerzeug findet und ihn zur Rede stellt, läuft Anton weg, um seinen unbekannten Vater in Berlin zu finden. Antons Mutter bringt das Feuerzeug zurück und will sich entschuldigen, wird aber von Pünktchens Mutter abgewiesen. Antons Irrfahrt in Giovannis Eisbus endet in einem Feld und er verträgt sich wieder mit seiner Mutter.
Pünktchen, die sich wegen des Feuerzeuges mit ihren Eltern gestritten hat, verkleidet sich als Straßenkind und singt nachts im U-Bahnhof Karlsplatz. Das so verdiente Geld schenkt sie Anton und seiner Mutter. Charlie und Ricky, die beiden Schulrowdies, entdecken Pünktchens geheimes Nachtleben und verkaufen für 100 Mark die Information an Pünktchens Eltern. Diese sind geschockt, als sie ihre Tochter mitten in der Nacht mit einem Obdachlosen singen und tanzen sehen. Zum ersten Mal fällt ihnen auf, wie wenig sie über ihre Tochter wissen.
Carlos, der Freund des Au-pair-Mädchen Laurence, klaut ihr auf einer Feier den Schlüssel, um in das Haus einzubrechen. Anton, der dies zufällig beobachtet, warnt die dicke Bertha (die Köchin der Familie) am Telefon vor und ruft die Polizei. Die dicke Bertha schafft es tatsächlich, mit Hilfe einer selbstgebauten Falle und einer Bratpfanne, Carlos zu überwältigen. Pünktchens Eltern bedanken sich bei Anton und beginnen, die Freundschaft der Kinder zu akzeptieren.
Da Pünktchen kein neues Au-pair-Mädchen will, beschließen ihre Eltern künftig weniger zu arbeiten und mehr Zeit mit ihrer Tochter zu verbringen. Pünktchens Mutter entschuldigt sich bei Antons Mutter für ihr Verhalten und lädt sie und Anton in ihr Ferienhaus am Meer ein. Am Ende des Films sieht man beide Familien zusammen am Strand.
Im Epilog erfährt man, dass sich Charlie und Ricky wegen der 100 Mark geprügelt haben und das Geld dabei im Hut des Obdachlosen vom U-Bahnhof gelandet ist.
Rezension von Anni und Tom
Anni: Ich weiß, was du sagen wirst. Man kann die Kästner-Bücher nicht ohne Weiteres auf heutige Verhältnisse übertragen oder so ähnlich. Wir haben das beim Fliegenden Klassenzimmer und bei Emil und die Detektive gesehen, wobei uns ja überall noch die wirklich alten Filme aus den 1950ern und den 1930ern fehlen. Nur bei „Pünktchen und Anton“ haben wir die erste Verfilmung aus 1953 angeschaut und die war ja recht gelungen. Und du wirst sagen, das war sie, weil noch eine Zeitnähe vorhanden war und weil natürlich 1953 es tatsächlich noch viele arme Leute gab. Da fing das Wirtschaftswunder ja gerade erst an.
Tom: Anhand all der Neuverfilmungen aus den 2000ern lässt sich wunderbar diskutieren, ob man es nicht doch mal mit einem Period Picture versuchen sollte, was eine Adaption mit Erhaltung der Originalzeit ja mittlerweile wäre. Ein Dokument aus einer anderen Zeit. Anstatt zu sagen, so kann man die Geschichte ins Hie rund Jetzt herübermodeln, würde man sich darauf konzentrieren, die in letzter Zeit wieder erstarkenden Parallelen zwischen den 1930ern und unserer Zeit herauszuarbeiten. Und dann noch die coolen Kostüme aus der Zeit, die könnten einen neuen Retro-Style auslösen.
Anni: Klar, Strümpfe mit Löchern, wie Pünktchen sich welche geschnitten hat, um als Bettlerin oder, im neueren Film, als Straßen- bzw. U-Bahn-Passagen-Musikantin authentischer zu wirken. Du kannst die Atmosphäre der Weltwirtschaftskrise, in der das Buch angesiedelt ist, nicht ohne Veränderungen ins Heute übertragen.
Tom: Bei fast allen Literaturverfilmungen lässt man sie aus guten Gründen in der Zeit, in der die Bücher sie haben wollten, alles andere sind mehr oder wenige freie …
Anni: Theaterinszenierungen.
Tom: Bei einem Film kann man sich etwas mehr Aufwand leisten. Wir haben doch gerade „Die Schatzinsel gesehen“. Kannst du dir vorstellen, wie sie die Handlung ins Jetzt verlegen und alle sich mit GPS zum Schatz beamen und wie Jack Hawkins sich eine eigene Crew per Crowd-Funding zusammenstellt? Die Atmosphäre der späten 1990er ist nun mal diametral anders als die von 1930, und da hilft es nicht, dass die böse Mutter, gespielt von Juliane Köhler, jetzt von einer Partylöwin in eine Schein-Weltretterin transformiert wurde. Außerdem diskreditiert das Menschen, die sich für andere in ärmeren Ländern einsetzen.
Anni: Tut es nicht. Dass sich die Frau Pogge nicht um ihre Tochter kümmert, wird kritisch beleuchtet, weil ihr Engagement die Beziehung zu ihrem Kind abwürgt. ie ist ja nicht in einem Dorfprojekt tätig und baut einen Brunnen, sondern stellt ihre Erscheinung und ihren Einfluss überall zur Verfügung, wo sie eben glaubt, dass sie verlangt wird, mithin wird sie als narzisstisch dargestellt, während der Mann, gespielt von August Zirner, ein braver Arzt ist, der sich tatsächlich aktiv kümmert, ein klassischer Helfer mit einem Helferberuf eben.
Tom: Und das haben sie auch geändert, war ja klar. Denn im Buch und in der ersten Verfilmung war Herr Pogge Fabrikant und sozial eher noch etwas höher angesiedelt, zumindest war er noch vermögender in Relation zu den anderen Menschen im Buch und im damaligen Realleben. Ich erinnere mich, dass die Pogges im Buch eine Zehnzimmerwohnung in der Tauentzienstraße in Berlin haben, das wäre heute eines der teuersten Objekte in der gesamten Stadt, während sie im Film von 1953 eine Villa besitzen und 1999 ein hübsches, aber eben dem gehobenen Mittelstand zuzurechnendes Haus. Im Grunde haben in der Verfilmung von 1999 die krassen sozialen Unterschiede, die das Buch so brisant machen, ziemlich eingeebnet. Dass Anton als Zehnjähriger in einer italienischen Eisdiele arbeiten muss, um die Stelle seiner Mutter freizuhalten, ist ein Witz. Wenn man so will, gegen jede Sozialstaatslogik von 1999 gerichtet, zumal die Mutter damals bei Krankheit ja noch abgesichert gewesen wäre. Heute, im Zeitalter von Lohndumping und Agenda 2010, könntest du das noch einmal anders darstellen, dass Menschen Angst haben, auch den letzten doofen Job zu verlieren und die Wirtschaft jubelt, weil die Krankenstände zurückgehen. Aber dafür steigt permanent die Zahl der Fälle von Berufsunfähigkeit wegen psychischer Probleme.
Anni: Du musst heutigen Kindern die Dinge in heutiger Form darstellen, und das hat der Film von 1999 für die damallige Gegenwart gemacht. Nicht die sozialen Gegensätze, sondern die individuelle Solidarität steht im Vordergrund. Und der Film ist von Oscarpreisträgerin Charlotte Link (ihr „Nirgendwo in Afrika“ brachte im Jahr 2003 den sogenannten Auslands-Oscar nach Deutschland).
Tom: Auch „Pünktchen und Anton“ hat ein paar kleinere Preise bekommen, ich frage mich bloß, wofür. Okay, Elea Geissler als Pünktchen ist nicht schlecht, aber nicht so überzeugend wie Sabine Eggerth in der Verfilmung von 1953, und die Darsteller von Anton fallen in beiden Filmen etwas ab gegenüber der weiblichen Hauptrolle, aber das Filming ist sehr konservativ und stellenweise hölzern, und dieses In-den-Pool-Gespringe am Ende albern. Wirklich albern. Wenigstens solche Entgleisungen gibt es im Film von 1953 nicht.
Anni: Weil es keinen Pool gibt. Da siehst du, was wir inzwischen für Fortschritte gemacht haben. Alle Konflikte lösen sich in lauwarmem Wasser auf und die Eltern wollen sich mehr um ihr Kind kümmern. Unglaubwürdig ist das übrigens in allen Filmen und auch im Buch. Besser als Pünktchen kann man sich in sozialintelligenter Hinsicht und überhaupt ja kaum entwickeln. Obwohl Pünktchen ja vor allem die dicke Berta als Bezugsperson hat, die sicher keine ausgebildete Erzieherin ist und im Buch und im älteren Film noch das unfähige Kindermädchen Fräulein Andacht. Ein Kind mit guten Anlagen kann sich auch bei vielbeschäftigten Eltern prächtig entwickeln.
Tom: Der Vater ist ja auch eine freundliche Figur und es macht nun mal einen Unterschied, ob man in materieller Sicherheit aufwächst oder nicht. Außerdem haben sie im Film von 1999 auch aus dem Kindermädchen, das als Charakter nicht mehr in die Zeit passen mag, ein modisches Au-Pair aus Frankreich gemacht. Und klar ist auch diese junge Frau ganz anders gezeichnet, nämlich überwiegend positiv. Auch durch sie verschiebt sich das emotionale Koordinatensystem und du hast bei Pünktchen nicht den Eindruck von einem emotional zurückgelassenen Kind. Vielleicht sogar besser für sie, dass sie von der Köchin und dem Au-Pair betreut wird als von ihrer überspannten Mutter.
Anni: Die Abwesenheit eines Elternteils, die ja hier beinahe ist wie bei einer Trennung, kannst du nie kompensieren.
Tom: Besser alleinerziehend mit enger und positiver Bindung als in einer dysfunktionalen und nur formal vollständigen Familie. Und das ist eben der Punkt. Wir reden hier über Familienaufstellungen, wohingegen im Buch und auch im ersten Film die soziale Komponente so wichtig war. Der Film von 1999 ist dermaßen system-affirmativ, weil er nicht die Umstände hinterfragt, weil es nicht viel zu hinterfragen gibt, offensichtlich. Aber würdest du heute den Bogen schlagen und einen Film machen, der tatsächlich in den frühen 1930ern spielt, könntest du das passgenau so filmen, dass Kinder die damalige soziale Realität auf die armen Kinder von heute, und das sind immerhin jedes fünfte in diesem angeblich reichen Land, übertragen. Oder du stellst Antons Mutter als Hartz IV-Empfängerin in einer Plattenbausiedlung dar und nicht als Tänzerin mit Lungenproblem in einer sozial überhaupt nicht definierten Umgebung. Fast jede andere Idee ist besser als die, die im Film von 1999 umgesetzt wurde, nämlich die soziale Komponente bis zur Unkenntlichkeit zu abstrahieren. Schon das Konstrukt mit der Krankheit – wenn die Frau wirklich so krank ist, bekommt sie eine medizinische Reha bezahlt und der Sohn kann entweder mitfahren oder bekommt durch die Schule eine Möglichkeit, in der Zeit selbige zu besuchen. Und der Lehrer lässt die Zustände auch nicht einfach laufen, nebenbei bemerkt. Auch so ein Aspekt, der sich vom Buch nicht wirklich auf die Verhältnisse Ende der 1990er übertragen lässt. Auf die Mildtätigkeit von Pogges sind kranke Menschen glücklicherweise noch nicht wieder angewiesen. Auch deswegen hätte man hier anders optieren und die Gasts vor allem als arm und von dem miserablen Hartz IV-System abhängig darstellen müssen.
Anni: Also gut. Wir empfehlen künftigen Filmemachern, wirklich ein „Period Picture“ zu machen. Was natürlich einen großen Aufwand bedeutet. Aber es würde mich auch reizen zu sehen, wie man das heute umsetzt. Aber dann stellt sich wieder die Frage, ob man heutige Kinder noch so spielen lassen kann, wie Kinder damals waren.
Tom: Wenn sie talentiert sind, wieso nicht? Du musst eben mehr Sorgfalt auf die Milieuzeichnung verwenden und die Darsteller, auch die Erwachsenen, mit Original-Filmdokumenten und Büchern und was alles vorbereiten. Klar erfordert das eine sichere Hand bei der Umsetzung historischer Stoffe, aber vielleicht sollte Michael Haneke („Das weiße Band“) mal an sowas herangehen. Obwohl mir auch in dem Film manche Wischer beim Verhalten der Menschen und der Dialoge nicht gefallen. Aber wenn jemand die Atmosphäre von 1910 doch insgesamt gut hinbekommt, wird er das mit der Stimmung von 1930 auch schaffen.
Anni: „Pünktchen und Anton“ spielt aber in der Großstadt, die kannst du nicht so leicht wiederauferstehen lassen wie ein kleines Dorf.
Tom: CGI.
Anni: Ist doch genauso teuer wie reale Kulissen. Ein deutscher Kinderfilm mit einem Budget von 100 Millionen Euro ist doch absurd. Aber natürlich kann man die Szenen so bauen, dass nicht ganz Berlin abgebildet sein muss. Doch, je mehr ich drüber nachdenke, desto toller würde ich es finden, wenn ein Kästner-Buch mal tatsächlich so verfilmt wird, dass es in den 1930ern spielt, als alle seine Bücher entstanden sind. Am besten wäre das übrigens bei „Das fliegende Klassenzimmer“ möglich, weil der ja in einem Kleinstadt-Internat angesiedelt ist, da fändest du sicher eine passende Location. Das ist überhaupt der allerbeste, obwohl er in einer Jungs-Welt spielt und Mädels dort nur als Gefangene vorkommen. Also, ich gebe für die vorliegende Verfilmung 7/10.
Tom: 5/10. Der Film hat mich mit seiner Oberflächlichkeit und allzu fluffigen Art einfach genervt. So kriegst du soziale Probleme nicht vermittelt.
Anni: In der IMDb hat er mit 7/10 (nach wie vor 7/10 im Jahr 2025, Anm. TH), also der Wertung, die ich auch gezogen hab, sogar 0,1 Punkte mehr als die 1953er Version und das ist auch insgesamt keine schlechte Benotung. Aber gut, wir sind also bei für mich zu geringen
60/100.
Finale als Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung 2025
Gerade, als wir die Rezension verfasst haben, wurde „Babylon Berlin“ als große „Period“-Serie gefilmt, allerdings mit dem größten Budget, das eine deutsche Fernsehproduktion bis dahin überhaupt zur Verfügung hatte. Grundsätzlich zeigt er aber, dass es möglich ist, die Atmosphäre um 1930 wiedererstehen zu lassen und sie gleichzeitig etwas zu verfremden und mit Elementen anzureichern, die irgendwo im epochenseitigen Nirgendwo angesiedelt sind. Aber gerade diese Großproduktion festigt meine Ansicht, dass es wichtig wäre, Kindern die Welt von damals zu vermitteln und sie bewusst zum Nachdenken über Parallelen und Unterschiede zur heutigen Zeit anzuregen, anstatt ihnen das Hier und Jetzt auf dem Tablett zu servieren, damit ein Film zugänglicher ist. Ein echtes Epochenbild erspart auch das schnelle Veralten von typischen Accessoires heutiger Jugendlicher und Kinder. Literarische Vorlagen zu verwenden, die in den 1930ern spielen, umgeht auch die Gefahr, dass Dialoge nicht passend für die Zeit, in der ein Film spielt, sind. Nochmals die Bewertung, weil sie bei den Filmfest-Rezensionen am Ende steht (das Filmfest gab es 2017 nicht, als der Text geschrieben wurde, sondern ein Zwischenblog zwischen dem ersten und dem heutigen Wahlberliner).
60/100
2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2017)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Caroline Link |
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| Drehbuch | Caroline Link |
| Produktion | Peter Zenk Uschi Reich |
| Musik | Niki Reiser |
| Kamera | Torsten Breuer |
| Schnitt | Patricia Rommel |
| Besetzung | |
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