Filmfest 1345 Cinema
Im Juli die Träume
Im Juli ist ein Spielfilm von Fatih Akin aus dem Jahr 2000. Als Genre-Mix aus Roadmovie, Komödie und Romanze angelegt, erzählt der Film, wie zwei junge Leute, gespielt von Moritz Bleibtreu und Christiane Paul, auf einer „modernen Odyssee“ von Hamburg nach Istanbul zu sich selbst und zueinander finden.[2][3][4]
Es ist ein wenig wie mit 9/11. Jeder weiß noch, was er am Tag der Sommersonnenfinsternis 1999 gemacht hat – oder? Wir wissen es noch. An Fatih Akins Film haben wir uns noch lange erinnert, obwohl wir ihn beim ersten Mal nicht ganz gesehen haben, zufällig beim Zappen eingestiegen. Zappen ist heute aus Zeitgründen nicht mehr drin, und wenn wir Filme anschauen, dann hauptsächlich, um über sie für den Wahlberliner zu schreiben.
Handlung (1)
Der etwas weltfremde, aus Hamburg stammende Lehramtsreferendar Daniel trifft als Anhalter „irgendwo in Bulgarien“ auf einer Landstraße auf einen deutsch-türkischen Autofahrer, der am Wegesrand angehalten hat, um die Sonnenfinsternis zu beobachten. Als Daniel ihn während des Versuchs, den unangenehmen Geruch einer Leiche in seinem Kofferraum mit Raumspray zu übertünchen, anspricht, ob er ihn mitnehmen könne, erschrickt der Autofahrer und nimmt die Flucht auf, bei der er Daniel anfährt und dieser benommen zu Boden geht. Der Unfallfahrer namens Isa wendet, da er befürchtet, Daniel getötet zu haben, und legt ihn auf den Rücksitz. Nachdem Daniel erwacht und Isa nötigt, ihn ein Stück als Anhalter mitzunehmen, bittet Isa seinen Mitfahrer die Geschichte zu erzählen, die ihn an diesen abgelegenen Ort in Bulgarien gebracht hat.
Daraufhin berichtet Daniel in einer Rückblende von den Ereignissen:
Daniel trifft zu Beginn der Sommerferien die alternative Schmuckverkäuferin Juli, die ihm einen Maya-Ring mit einem Sonnensymbol aufschwatzt. Dieser soll ihn im Zeichen der Sonne zur Frau seines Lebens führen. Da Juli sich in Daniel verliebt hat und ein Pendant zu diesem Ring als Tätowierung auf ihrem Rücken trägt, gibt sie ihm auch noch eine Einladung zu einer Party – in der Hoffnung, ihn dort zu treffen.
Daniel ist neugierig geworden, besucht die Party und begegnet dort Melek, die ein großes Sonnensymbol auf ihrem T-Shirt trägt. Daniel ist überzeugt, dass sie die Frau seines Lebens sein soll, und sie kommen ins Gespräch. Da Melek auf der Durchreise ist und zufälligerweise noch eine Unterkunft für die Nacht sucht, bietet Daniel an sie zu einer Jugendherberge zu fahren, doch zuvor zeigt er ihr den Elbestrand und sie verbringen den Abend an einem Lagerfeuer. Da es spät geworden ist nimmt Daniel Melek zu sich nach Hause mit, wo sie auch ziemlich bald an seiner Schulter einschläft.
Daniel und Melek verlassen die Party in dem Augenblick, als Juli mit einem Kleid mit Sonnensymbol eintrifft, die die beiden gerade noch weggehen sieht. Enttäuscht will sie die Stadt verlassen und stellt sich am nächsten Tag als Anhalterin an die Autobahn, um dem Zufall zu überlassen, wohin sie reisen wird. (…)
Rezension
Es ist nicht mehr alles so verträumt und märchenhaft wie früher. Die Zeiten haben sich geändert und es ist deutlich erkennbar, dass „Im Juli“ aus einer anderen Epoche stammt. Nicht, was das Filming angeht, das ist immer noch okay. Aber die Art, wie Moritz Bleibtreu in diesem Film spricht, war Ende der 1990er noch neu. Mittlerweile ist dieses Ruckige, Stakkatohafte bereits Standard unter jüngeren Darstellern. Es passt ja auch gut in diese abgehackten Zeiten. Es wirkt nur selten so komisch wie in „Im Juli“. Der Film ist originell und hatte uns zu einer Kurzgeschichte inspiriert. Es gibt auch ein Buch zum Film, aus der Sicht von Juli geschrieben. Wir hatten in der Kurzgeschichte die Position von Daniel eingenommen.
Regisseur Fatih Akin hat große Verdienste um die Erneuerung der deutschen Komödie und ihre Erweiterung hin zum deutschtürkischen Kino, das „Im Juli“ schon ansatzweise zeigt und das später mit „Gegen die Wand“ in der ernsten Variante und mit „Soul Kitchen“ als Komödie vollständige Ausprägung erfuhr. Wir sehen auch Mehmet Kurtulus in der Rolle eines Türken aus Berlin, der seinen toten Onkel nach Istanbul überführen will. Kurtulus ist uns vertraut als „Cenk Batu“, Sonderermittler in den Hamburg-Tatorten der Jahre 2008 bis 2013.
Thematisch ist „Im Juli“ nur in Maßen eine Migrationsgeschichte, aber eines zeigt er in schönster Blüte und nach unserer Ansicht mehr als die meisten späteren Filme von Fatih Akin: Eine orientalische Lust am Erzählen und auch am Schwadronieren.
„Im Juli“ ist eine wahre Klischeebombe, es gibt kaum eine Figur, eine Szene, mit und in der nicht ein solches abgerufen wird. Manchmal verliert sich der Film ein wenig in diesen Klischees, Details, Ausschmückungen, wird zu einer Erzählung, wie man sie sich vorstellt, wenn sie durch die Wüste hindurch von Karawane zu Karawane, von Lagerfeuer zu Lagerfeuer weitergegeben wird oder von Familie zu Familie im Zweistromland oder vielleicht auch in der Türkei.
Durch die intuitive Herangehensweise ist „Im Juli“ stilistisch bewusst uneinheitlich gehalten, zeigt klassische Roadmovie-Momente ebenso wie eine schön ausgeführte Technik, Fotos anstatt bewegter Bilder zu verwenden, um die Geschichte voranzutreiben, er hat romantische Szenen und mindestens eine surrealistische, in der Daniel und Juli auf einem kleinen Trip sind und über dem Deck eines Bootes schweben, in einer sternenreichen Nacht. Auch Georges Méliès berühmte „Reise zum Mond“ wird in einem Szenenbild zitiert.
„Im Juli“ fängt sich aber immer wieder selbst ein und präsentiert eine Handlung, die ebenso unwahrscheinlich wie konsequent durchgezogen und dann wieder sinnvoll durchbrochen wird, bis hin zum wunderschönen Ende, das irgendwie kitschig und irgendwie echt süß ist –
„Meine Herzallerliebste, ich bin tausende von Meilen gegangen, ich habe Flüsse überquert, Berge versetzt. Ich habe gelitten und ich habe Qualen über mich ergehen lassen. Ich bin der Versuchung widerstanden und ich bin der Sonne gefolgt, um dir gegenüberstehen zu können und dir zu sagen: Ich liebe dich.“
Das sagt Daniel am Bosporus zu Juli, er hat es also endlich auswendig gelernt und seine wahre Liebe und seine wahre Bestimmung erkannt. In jedem Lehrer steckt ja auch ein Poet, selbst wenn er Mathematik gibt.
Juli, gespielt von Christine Paul, trägt viel dazu bei, dass wir den Film so gelungen finden. Auf eine versponnene Art weiß Juli genau, was sie will, im Gegensatz zu Daniel. Es ist dann doch einer jener Zufälle, die es vornehmlich im Film gibt, die das zerrissene Band zwischen den beiden wieder zusammenfügt, und sie gehen auf eine Reise, auf der sie sich näherkommen, verlieren, alles, wie es in einem Roadmovie sein soll, das auch eine traditionelle Abenteuerfilm-Handlung hat und diese ist spannend erzählt. Juli ist ein tolles Medium, das unsere romantischen Gefühle weckt und ausdrückt, sie ist flippig, aber sie liebt Oldies (was allerdings nur der Tatsache zu verdanken ist, dass die Rechte für ein ursprünglich vorgesehenes, modernes Lied, zu teuer gewesen wären und in der Schwebeszene stattdessen „Blue Moon“ gespielt wird) während Daniel der Typ ist, den wir mehr oder weniger im Alltag darstellen, meist, ohne dass uns eine Juli begegnet, sodass wir uns eher an Menschen binden wie Melek, die ihre Qualitäten haben und nett oder hübsch oder beides sind und vielleicht sogar charmant, aber Bestimmung ist eben etwas anderes. Viele von uns haben kein Gespür für Bestimmung, glauben auch nicht daran. Die meisten haben auch nicht das Glück, dass ihr Schicksal sich so viele Zufälle zunutze macht, um der Bestimmung zu ihrem Recht zu verhelfen.
Vieles, was Kino schon immer ausgemacht hat, hat Fatih Akin in diesem Sommermärchenfilm zusammengefasst und in eine eigene, moderne Sprache übersetzt, sodass der Film, der so locker wirkt, ein ganz schöner Parforceritt ist, eine Werkschau, wenn man so will, ein langes Bewerbungsvideo, das ausdrückt: Ich habe verstanden, wie Film geht, und ich hoffe, ihr zollt dieser Fertigkeit Respekt!
Finale
„Im Juli“ lässt sich auch im Januar gut rezensieren. Er korrespondiert eben nicht mit der aktuellen Stimmung, sondern löst die Sehnsucht nach der warmen Jahreszeit und den Abenteuern des Lebens aus. Einen Tipp haben wir auch: Wenn das mit dem Zufall und der durch ihn erst so richtig in Fahrt gebrachten Bestimmung nicht klappt, es gibt insbesondere in den großen Städten viele Möglichkeiten, sich zu verlieben und zusammen zum Beispiel einen Film wie „Im Juli“ zu gucken. Das ist wirklich ein Film für Verliebte. Und dann weht so ein Hauch von Schicksal durch den Raum.
Wenn etwas mehr Zeit da ist und der Abend besonders kuschelig, empfehlen wir, als Double Feature „Sommer vorm Balkon“ nach, oder vielleicht besser vor „Im Juli“ anzuschauen. Beide Filme haben großen Charme und sind sehr individuell – voneinander verschieden, aber ähnlich in der Art, wie sie uns das Leben verkaufen. Es ist eine Warteposition oder eine Baustelle, aber jeder Tag kann etwas Besonderes bringen. Man kann sich Menschen annähern, die letztlich nicht passen, man kann Fehler machen bei der Wahl der Partner oder gar des Lebensentwurfs, aber es gibt kein Falsch, wenn in jedem Versuch ein Gewinn steckt.
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2025
Doch wieder Sommer, so hat es die Filmchonologie Nr. 2 / DACH-Raum gewollt. Und zehn Jahre weiter. Ein Jahr, nachdem der Film erschien, begann auch für uns ein neuer Lebensabschnitt: der Beginn des Schreibens, bis 2011 allerdings ausschließlich fiktional / Kurzgeschichten. Und 2007 die Übersiedlung nach Berlin. Beide markanten Punkte in unserer Biografie hatten die Dinge erheblich verändert, beschleunigt und viel Romantik erzeugt. Das ist nun auch wieder Geschichte, heute mit einem Lächeln in Erinnerung gerufen. Schön war’s. Nicht immer, wie es war, aber weil es war. Und ein bisschen Zeit für Aufbrüche bleibt vielleicht noch. Derzeit schauen wir uns generell keine Filme wiederholt an, nicht einmal die absoluten Lieblinge, weil wir immer mehr entdecken, was alles noch interessantes Kino sein könnte. Aber vielleicht einmal im Juli, unter den oben empfohlenen Umständen. Und das lassen wir uns auch nicht von Zeiten kaputtmachen, die nicht nur anders sind als das Jahr 2000, sondern in denen man sich auch 2015 dringend zurückwünscht. Es geht leider nur immer vorwärts, also muss man das Beste daraus machen.
Erwähnenswert ist die für einen eher „kleinen“ deutschen Film ungewöhnlich starke IMDb-Rezeption, sowohl die Bewertung (7,6/10) als auch die Zahl der bewertenden User betreffend (mehr als 23.000, Stand Juni 2025).
80/100
2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Fatih Akin |
|---|---|
| Drehbuch | Fatih Akin |
| Produktion | Stefan Schubert Ralph Schwingel |
| Musik | Alex Menck Daniel Puente Encina Ulrich Kodjo Wendt |
| Kamera | Pierre Aïm |
| Schnitt | Andrew Bird |
| Besetzung | |
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