Filmfest 1348 Cinema – Werkschau Charles Chaplin (22)
The Property Man ist eine US-amerikanische Stummfilmkomödie aus dem Jahr 1914 mit Charlie Chaplin in der Hauptrolle.
Wir zählen ja schön mit, deswegen vermelden wir, dass dieser Film Chaplins Nr. 22 darstellt und dass wir die Person, die die Frau des Gewichthebers spielt, nicht für Mabel Normand halten dürfen, obwohl sie so aussieht. Normand hätte sie wohl nicht mit einer Nebenrolle zufriedengegeben, auch wenn sie sehr großzügig gegenüber Charles Chaplin eingestellt war, der hier zum dritten Mal hintereinander Regie führt. Wie alle bisherigen Filme weist auch dieser einige Besonderheiten auf, die ihn von den bisherigen abgrenzen. Worum es dabei geht und mehr zum Film steht in der Rezension.
Handlung (1)
Charlie ist für die Bühnenrequisiten eines Varietés zuständig. Das sind die Auftritte für heute Abend:
- Die Goo-Goo Sisters: zwei junge Frauen tanzen
- Garlico in „Füße der Stärke“: ein starker Mann (Garlico), der von seiner Braut unterstützt wird
- „Trauer“: ein Drama, das von einem Mann und einer Frau aufgeführt wird.
Die Frau aus „Sorrow“ beschließt, die Garderobe des Stars zu übernehmen, die Garlico für sich beansprucht hat, indem er seine Karikatur an die Wand gemalt hat. Als seine Braut auftaucht, beginnt ein Streit darüber, wer das Zimmer bekommt. Das Problem mit der Umkleidekabine wird gelöst, als Garlico den Mann aus „Sorrow“ k.o. schlägt und das Zimmer für sich alleine bekommt.
Als nächstes muss Charlie Garlicos Koffer bewegen, aber er fällt aufgrund des schweren Gewichts auf den Boden. Als er aufsteht, beginnt er fröhlich mit den Goo-Goo Sisters zu plaudern. Garlico findet ihn im Leerlauf und lässt ihn wieder an die Arbeit gehen.
Charlie zwingt seinen alten Kollegen, den Koffer anzuheben, woraufhin dieser mit dem Koffer auf ihm auf den Boden fällt. Während Charlie versucht, es abzuheben, ruft Garlicos Braut Charlie zu sich und sie beginnen zu flirten. Garlico findet es heraus und wirft Charlie wütend zurück auf den alten Mann. Schließlich ruft Charlie um Hilfe, um den Koffer anzuheben, den Garlico leicht abhebt.
Zurück in der Umkleidekabine bringt Garlico seine Braut dazu, Charlie zu bitten, seine Strumpfhose zu nähen. Währenddessen beginnt die Matinee.
Während des Auftritts der Goo-Goo Sisters kommt es zu einem Streit zwischen dem alten Mann und Charlie, der unterbrochen wird, als Garlicos Braut Charlie um die Strumpfhose bittet. Als Charlie merkt, dass er sie vergessen hat, versucht er, Garlicos Auftritt zu verschieben, aber der verwirrte alte Mann bittet Garlico, auf die Bühne zu kommen, und zieht die Kulisse hoch, so dass er ihn ohne seine Strumpfhose sieht. Das Publikum bricht in Gelächter aus, aber Garlico beginnt trotzdem mit seinem Auftritt. In den Startlöchern kämpfen Charlie und sein alter Kollege und letzterer schlägt versehentlich Garlicos Braut k.o., woraufhin Charlie als Garlicos Assistent einspringt. Er erweist sich als wenig hilfreicher Assistent und geht hinter die Bühne, während Garlico weiterhin auf der Bühne floppt.
Garlicos Auftritt wird unterbrochen, als der alte Mann plötzlich die Kulisse für „Sorrow“ herunterreißt. Frustriert verlässt er die Bühne und bekommt einen Wutanfall. Er greift Charlie an, der ihm dann in den Rücken tritt.
Als „Sorrow“ beginnt, buht ein Zuschauer (dargestellt von Mack Sennett) und verlässt den Saal, während der Streit zwischen Charlie und Garlico die Aufführung auf der Bühne stört. Schließlich zieht Charlie einen Schlauch hervor und spritzt Wasser über alle.
Rezension
Die Länge der Handlungsangabe in der englischsprachigen Wikiepdia, deren Übersetzung wir nur an einer Stelle geändert haben, weil sie dort falsch ist, lässt eher auf einen 4-Reeler als auf einen 2-Reeler schließen, dabei hat man sich bezüglich der wasserreichen Schlussszene noch kurz gefasst. Wir wissen aber mittlerweile, dass die Keystone-Komödien dermaßen turbulent waren, dass man für die Zahl der Gags heute die doppelte Länge bräuchte, mindestens und ohne nennenswerte Handlung dazwischen. Allerdings spielt man sie heute auch besser aus. Nun ja, heute meint: Als der Slapstick auf seine Weise erwachsen geworden war, in der späteren Stummfilmzeit und bis etwa in die 1950er Jahre, als Lewis und Martin die letzten echten Slapstick-Comedians im Hollywoodfilm waren, im folgenden Jahr blitzten noch Werke wie die Matthau / Lemmon-Komödie „Ein verrücktes Paar“ auf und wieder ein paar Jahre weiter erhielt der Slapstick einen satirischen Anstrich, wie schon in den 1930ern bei den Marx-Brothes, als die Monty Pythons sozusagen die letztgültigen Filme in diesem Stil machten. Das ist alles lange her und man ist an diese Art von Komik nicht mehr so gewöhnt, wenn es um Spielfilme geht, anders natürlich im Fernsehen, wo immer noch Serials in den USA davon leben, die eine Mischung aus Wortwitz und Aktion darstellen.
Mit dem Abstand von 110 Jahren hat man immer das Problem, dass man einen guten Mittelweg finden muss zwischen dem, was die Zuschauer:innen wohl damals empfunden haben mögen, als sie solche Werke sahen und dem heutigen „Schon-alles-gesehen-und-woke-ist-es-auch-nicht“-Gefühl, das uns beim Rezensieren stets begleitet.
Natürlich hat uns der Gag mit dem zu schweren Koffer und dem alten Mann an „Der letzte Mann“ erinnert. Sicher gab es mehrere solcher Gags in verschiedenen Filmen, sodass F. W. Murnau dabei nicht auf diese komische Version zurückgreifen musste, um sie ernster, ja tragisch und zu einem magischen Kinomoment zu machen. Leider fällt, wenn man den herausragenden Murnau-Film mit Emil Jannings kennt, etwas noch mehr ins Auge, was langsam anfängt, mich generell zu stören: Dieses ständige Schlagen anderer Menschen auf alle möglichen Körperteile, auch ins Gesicht.
Gegenüber Frauen kommt es in vielen frühen Chaplin-Filmen vor, eigentlich sollte es daher nicht mehr überraschen, dass es dieses Mal einen alten Mann im wörtlichen Sinne trifft, der auch dem kleinen Tramp (Chaplin trägt hier, auch wenn er Theaterangestellte ist, wieder sein Tramp-Kostüm, nur ohne Jacke) nicht gewachsen ist. Schon im Vorgängerfilm „Laughing Gas“ gab es die unangenehme Variante, dass Chaplin tatsächlich einen Darsteller gefunden hatte, der noch wesentlich kleiner war als er selbst und den er vermöbeln konnte, ohne dass es komisch wirkt, weil er in dem Fall eben nicht der Underdog war. Ähnliches gilt hier für den alten Mann.
Was ich mich dabei frage: Hatte Chaplin keine andere Wahl, weil Studiochef Mack Sennett auf diese rohe Komik setzte und in diesem Film sogar für den Zuschauer sichtbar als – sic! – Zuschauer im Varieté sitzt? Oder sehen wir hier einen Chaplin, der nicht nur den Tramp, sondern auch sich selbst noch nicht sehr kultiviert hat? Ich befürchte, es ist eher Letzteres, denn immerhin hat er Regie geführt. Dass das Publikum diese Übergriffe witzig fand, im Jahr 1914, kann ich mir gut vorstellen. Wir sind ja bezüglich des Zivilisationsgrades fast wieder dort angekommen, nur im Film wird noch ein wenig darauf geachtet, dass nicht alles so diskriminierend wirkt.
A negative review of The Property Man came from Moving Picture World regarding some of the slapstick action in the two reels. The reviewer opined, „There are very few people who don’t like these Keystones. They are thoroughly vulgar and touch the homely strings of our own vulgarity. They are not the best pictures for parlor entertainment, that is true. There is some brutality in this picture and we can’t help feeling that this is reprehensible. What human being can see an old man kicked in the face and count it fun?“[1]
Wie wir sehen, gab es aber schon 1914 Menschen, die das zu derb fanden. Parallel dazu wird die Gewalt gegen Frauen nicht erwähnt. Wir tun das zwar, aber bisher habe ich daraus keine Abwertung „aus politischen Gründen“ resultieren lassen. Kann ich es jetzt wegen des alten Mannes tun, der mir wirklich leid tat? Ich glaube, es geht eben um das Alter, nicht um das Geschlecht. Bei einer alten Frau hätte mich das geradezu entsetzt und die jungen Frauen in den Chaplin-Filmen hauen durchaus zurück, gerade auf Mabel Normand trifft das zu, gemäß ihrem Star-Status. Manchmal fangen sie sogar an.
Ob der Rezensent es nicht ausschreiben wollte? Ich meine, er hatte mit Vulgarität noch etwas anderes gemeint, was mich weniger gestört als verblüfft hat. „The Proptery Man“ (die direkte Übersetzung ins Deutsche lautet „Der Immobilienmensch“, Charlie spielt aber einen Mann, der sich um das mobile Property = Besitzum, die Koffer und Utensilien der Artisten, zu kümmern hat) ist der bisher mit Abstand frivolste Chaplin-Film.
Es liegt schlicht daran, dass gleich mehrere Frauen in sehr kurzen Beinkleidern zu sehen sind und mit nackten Schenkeln und freien Knien. Erste Warnungen müssen aufgekommen sein: Dringend muss eine Zensur stattfinden. Das kam aber erst 20 Jahre später mit dem Hays Code. Chaplins „Property Man“ ist eine Art früher Pre-Code-Film, wie jene Streifen genannt werden, die eher kurz vor der Einführung des Codes gedreht wurden, also frühe Tonfilme, und in denen es ziemlich freizügig und sexuell deutlich zugeht.
Der Trick ist klar: Im Varieté sind die Sitten lockerer, da darf man mehr zeigen als im Büro. Nicht nur im Moulin Rouge von Paris, sondern auch auf amerikanischen Bühnen traten wohl auch in der Realität damals schon leicht gekleidete Mädchen als Tänzerinnen auf und auch die Assistentin des „starken Mannes“ steht keineswegs dahinter zurück. In der Tat sind ja solche Nummern so aufgebaut gewesen, dass die Physis des Mannes durch die Erotik der Frau auf eine zunächst ziemlich schlichte Art ergänzt wurde, die aber nicht ohne Hintergründigkeit ist.
A reviewer from Bioscope wrote, „There are so many uproariously absurd situations in this Chaplin comic, all consequent upon the ardent desire of our friend ‚Props‘ to run the whole of the affairs ‚behind‘ that the vaudeville entertainment becomes one long chapter of unrehearsed happenings, much to the delight of an audience of which comical Mack Sennett forms a distinguished member.
Was hat man gemacht, um die Zuschauer noch mehr zum Lachen zu bringen, als es das eingeblendete Gelächter späterer Fernseh-Sitcoms noch nicht gebe konnte, weil die Filme stumm waren? Man hat sich schepp lachende Zuschauer eingeblendet. Neben Mack Sennett, der ganz vorne sitzt und am Ende aufsteht, um sich emotional noch mehr zu engagieren, bevor sowieso alles nassgespritzt wird, auch die Zuschauer, fiel mir ein hübsches Mädchen in der zweiten Reihe auf, das stellenweise Kaugummi zu kauen scheint. Kaugummi gab es damals schon und es hat auch damals schon für einen weiteren Zuwachs an Vulgarität gesorgt, die ja diesem Film ohnehin eignet, wie wir bereits erläutert haben.
Allerdings habe ich mehrfach lachen müssen. Die ersten 22 Chaplin-Filme betreffend gibt es nur einen, bei dem das häufiger der Fall war, und das war „The Knock Out“, dem ich die bisher höchste Bewertung unter den Keystone-Chaplins gegeben habe. Nun ist „The Property Man“ immerhin ein ausgewachsener 2-Reeler, wenn schon nicht 60 Minuten lang. Eine so gute Einzelszene wie den Boxpuppen-Gag gibt es hier nicht, aber manchmal ist mir das Lachen einfach so, ohne besonderes Highlight als Grund entschlüpft, weil alles zusammen doch vielseitig, schnell und auf seine rohe Art eben doch komisch wirkt. Es ist ja nicht so, dass wir ganz andere Menschen wären als jene von 1914, zumal, wenn wir uns etwas Freude am Kind sein bewahrt haben. Und das sollte man, wenn man Slapstick rezensiert, sonst kann man ihm nicht gerecht werden in seiner befreienden, von einem damals wirklich noch harten Alltag ablenkenden Wirkung auf viele Millionen Menschen, die in der Regel einfacher zufriedenzustellen waren, als das heute auf uns zutrifft. Mich interessiert gerade deswegen, was heutige Rezensenten zu diesem Film geschrieben haben:
The Property Man ist der erste Zwei-Rollen-Film, der ausschließlich von Chaplin geschrieben und inszeniert wurde. Er spielt einen Requisiteur in einem Varieté-Theater. Charlie trinkt gerne hinter der Bühne Bier, raucht Zigaretten, bellt Befehle und misshandelt seinen älteren (…) Assistenten (Josef Swickard) brutal. Charlie wird vom starken Mann (Jess Dandy) herumgetreten, doch Charlie wiederum tritt seinem Assistenten kaltschnäuzig ins Gesicht. Charlie flirtet mit den Goo Goo Sisters (Vivian Edwards und Cecile Arnold) und setzt die Bühnenrequisiten geschickt in zahlreichen Slapstick-Gags ein. Mack Sennet taucht als Patron auf, der die schlechten Taten ausbuht und den (unfreiwillig) komischen Charlie anfeuert. Chaplin überarbeitete und zeichnete diese Idee später in The Circus (1928) aus. Das Chaos gipfelt darin, dass Charlie einen Schlauch zu allen nimmt (…). Trotz der Grobheit zeichnen Chaplins Schärfkünste ihn als unseren Protagonisten.[1]
Ich meine, der Schlauch-Gag taucht schon wenig später wieder in einem Essanay-Film von Chaplin auf namens „A Night in the Show“, nicht erst in „A King in New York. Die Derbheit wird also auch hier adressiert, aber es ist auch richtig, dass der Umgang mit den Requisiten schon recht geschickt ist und weist mich darauf hin, dass ich vergessen habe, herauszustellen, dass zwar die Ausgefeiltheit des Hauptgags von „The Knock Out“ nicht erreicht wird, aber Chaplin in dem ersten Zwei-Rollen-Film, in dem er Regie führt (diese Novität sei hier also auch repetiert) unzählige Möglichkeiten wahrnimmt, geradezu Standards der Klamotte zu zeigen, die immer wieder gerne variiert wurden. Ob erstmalig, ist eine andere Frage. Man muss davon loskommen, alles zu sehr sensationell zu finden aus Gründen der Innovation. Der Film hat sich, wie die meisten Medien und Techniken, sukzessive entwickelt und der Urknall fand selten statt. Chaplin hat später einige Gags in seinen Filmen untergebracht, die garantiert einzigartig sind, zum Beispiel in „Moderne Zeiten“, aber diese künstlerische Höhe hatte er 1914 natürlich noch nicht erreicht. Es ist bemerkenswert genug, dass sein erstes Filmjahr nicht nur ein Lehrjahr war, sondern er zur Halbzeit bereits als Regisseur tätig sein durfte.
Chaplin folgte auf Laughing Gas mit The Property Man, seinem ersten Versuch eines Zwei-Walzen-Films. Doppelt so lang, wenig überraschend, erweist sich als viel mehr als doppelt so hart. Um sich selbst etwas Struktur zu geben, kehrte Chaplin zu etwas zurück, das er auf der Bühne mit Fred Karno gemacht hatte.
„The Mumming Birds“2, das in den USA als „A Night in an English Music Hall“ angekündigt wird, ist eine aufwendige Meta-Produktion, in der Mitglieder des Publikums eine Reihe von absichtlich grausamen Auftritten stören. Für Karno spielte Chaplin einen betrunkenen Upper-Class-Trottel, der auf die Bühne stolpert, um entweder die Showgirls zu bestaunen oder die lahmen Acts hinter der Bühne zu verprügeln. In The Property Man nimmt uns Chaplin mit hinter die Bühne, wo er abwechselnd von den glamourösen Goo-Goo-Schwestern (Cecile Arnold und Vivian Edwards), Garlico dem starken Mann und seiner Assistentin/Ehefrau (Jess Dandy und Helen Carruthers) und einem Shakespeare-Paar, Lena Ham und George Fat (Phyllis Allen und Charles Bennett), belästigt wird und belästigt wird.
Hier sehen wir also bestätigt, dass nichts von nichts kommt. Ich glaube, dass die ganze große Erfindungsgabe zwar in einer Sekunde eine Idee gebären kann, aber bis sie so ausgefeilt ist wie die großen, ikonischen Sequenzen von „Modern Times“, braucht es eine längere Zeit. Um aus der Grundidee etwas ganz Großes zu machen, dazu hatte Chaplin aber bei Keystone nicht die Zeit, da jede Woch eine Film fertig werden musste. Also variierte er mehr von dem, was er schon kannte, als wir meinen würden, wenn wir Chaplin als ein Genie betrachten, das er zweifelsohne war, aber ohne die Tricks und Arbeitstechniken, die auch Genies brauchen, um immer wieder und in kurzen Abständen zu performen. Es war eine Komödien-Massenfertigung, bei Keystone, das darf man nicht vergessen, wenn man darüber räsonniert, wie rudimentär viele Gags im Vergleich zu späteren Filmen wirken.
Die Rezension, die ich anzitiert habe, ist um einiges länger und sehr kompetent wird zum Beispiel auch der Handlungsablauf des Films beschrieben. Dabei fiel mir wieder etwas auf, und eine andere Sache möchte ich gleich miterwähnen:
Dass ich das Verhalten von Charlies Figur gegenüber dem älteren Kollegen so übel fand, lag auch an einer Szene, die in dieser Rezension deutlich beschrieben wird: Charlie schafft es nicht, den Koffer von seinem älteren Kollegen herunterzuziehen, auch weil er so blöd ist, sich darauf zu setzen, wodurch sein eigenes Gewicht die Sache buchstäblich erschwert. Der Eigner des Koffers, der starke Mann, muss kommen und löst das Problem so, wie man es von einem starken Mann erwartet, innerhalb von wenigen Sekunden und kickt zu allem Überfluss das Gepäckstück mit einem Fuß in die Ecke.
Charlies Figur ist frustriert und schlägt, um auch eine überlegene Situation zu haben, den alten Mann. Natürlich ist das tiefgreifend soziologisch und äußerst unangenehm anzuschauen, weil es uns daran erinnert, wie wir oft vor Stärkeren buckeln, einknicken, ihrer Kapazität wegen frustriert sind, die sie natürlich auch gnadenlos ausspielen, den Frust darüber lassen wir dann an Schwächeren ab. Ist Ihnen das noch nie passiert? Dan sind Sie sehr ausgeglichen und immer in Ihrer Mitte oder Sie belügen sich gerade selbst. Bei mir ist es so, dass derlei Verhalten mich gar nicht erleichtert, muss ich allerdings beifügen. Ich bemerke den humanitär-zivilisatorischen Grundfehler darin und fühle mich danach in der Regel nicht besser.
Wollte Chaplin sich zu diesem frühen Zeitpunkt seiner Karriere einfach andienen an ein genau so gestricktes Publikum oder diesem tatsächlich schon den Spiegel vorhalten? Für mich schwer einzuschätzen, ich bin kein Chaplin-Analytiker. Jedenfalls verlegte er sich später darauf, das Publikum regelrecht einzuwickeln mit dem hilflos-gewitzten Charme, den er seinem Tramp zusehends auf den weiteren Weg zum Ruhm mitgab. Von Charme und Romantik aber auch im 22. Film noch nichts zu sehen. Langsam kommt der Verdacht auf, dass Chaplin erst in der zweiten Hälfte seiner Karriere, die insgesamt 93 Werke umspannt, diese Weltikone werden konnte, wenn man seine Karriere nur nach der Zahl der Filme, nicht in Jahren rechnet. Einstweilen reichte es aber aus, witzig und auch gerne mal böse zu sein.
Finale
In einer weiteren Rezension wir gesagt, die sei der erste von vier oder fünf 2-Reelern, die Chaplin bei Keystone selbst inszenieren durfte und dass sich darin sein wachsendes Prestige zeige. Das ist zweifellos richtig und deswegen ist es ebenfalls richtig, dass wir herausstellen, dass Chaplin nicht alles, was er darin und in anderen Filmen zeigt, einfach in den Schoß fiel, sondern dass er auf viele bereits vorhandene Ideen zurückgreifen musste, um die Herausforderung eines 30-Minüters zu bestehen (in der IMDb und in der englischsprachigen Wikipedia ist der Film mit jeweils 28 Minuten angegeben, die gesehene Version beträgt 24 Minuten).
Möglicherweise gab es wieder eine mit mehr Zwischentiteln versehene Variante. Ich mag diese Versionen trotz häufigerer Unterbrechungen des Spielflusses. Die restaurierten und in diesem Fall mit einer wirklich guten, passenden Klavier-Filmmusik aufgrund der Lobster-Restaurierung versehenen Varianten setzen beim Zuschauer eine gewisse Autonomie im Deuten von Handlungen voraus, die sehr kurz und ruckartig aufeinanderfolgen, die mir zuweilen fehlt. Ich sehe alles, kann es mir auch merken, aber das weil, die Begründung für eine Aktion aus der vorherigen heraus, fällt mir schwerer als einigen anderen modernen Rezensenten, die problemlos ohne Zwischentitel die Motivation der Figuren ermitteln zu können scheinen.
Eine weitere Besonderheit gilt es zu beachten: Die bisher finale 24-Minuten-Version enthält deutlich erkennbar Material von sehr verschiedener Qualität. Das Publikum, aber auch viele der Schläge von Charlies Figur gegen seinen Kollegen müssen bei einer früheren Variante gefehlt haben und wurden nachträglich eingefügt, ohne restauriert zu wirken, um den Film zu vervollständigen, die Musik ist aber auf diese vollständige Version hin konzipiert. Was das Herausschneiden von Szenen alles verändern kann, sieht man hier wieder exmplarisch: Der Film hätte nicht ganz so rabiat gewirkt, ohne das ergänzte Material, dafür auch weniger redundant, mithin eleganter. Es ist nämlich richtig, dass manche Szenen dem Film nicht viel geben, wenn es um inhaltliche Konsistenz oder die wichtigen Gag-Bestandteile geht.
Ich nehme nun keine spezielle Brutalitäts-Abwertung oder Diskriminierung alter Menschen-Abwertung vor, die die Bewertung unter 50/100 drücken würde, aber dass mir das nicht gefallen hat, fließt natürlich in den Gesamteindruck ein. Damit liege ich aber 0,5/10 über der durchschnittlichen IMDb-Nutzerbewergung (5,6/10).
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung der Rezension im Jahr 2025: Einige Handlungselemente wiederzulesen, hat mich ein wenig an Fatty Arbuckles und Buster Keatons „Backstage“ erinnert, der aber fünf Jahre jünger und schon um einiges subtiler und ingeniöser gestaltet ist als „The Property Man“, inklusive der Erfindung der legendären Szene, in der eine Kulissen-Hauswand umfällt und ein Mensch das Glück hat, genau im Fensterausschnitt zu stehen (eine Idee, die Keaton später weiterverwenddet hat).
61/100
2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2024)
| Regisseur / Drehbuchautor | Charlie Chaplin |
|---|---|
| Produzent | Mack Sennett |
| Hauptrollen | Charlie Chaplin , Phyllis Allen, Alice Davenport , Charles Bennett, Mack Sennett , Norma Nichols, Joe Bordeaux , Harry McCoy, Lee Morris |
[1] CHAPLIN BEI KEYSTONE, TEIL ZWEI | 366 seltsame Filme (366weirdmovies.com)
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