Emil und die Detektive (DE 2001) #Filmfest 1352

Filmfest 1352 Cinema

Berlin-Abenteuer, verändert

Emil und die Detektive ist ein deutscher Spielfilm von Franziska Buch aus dem Jahr 2001. Er basiert frei auf dem gleichnamigen Roman von Erich Kästner.

Das kommt davon, wenn man als Kind bzw. Jugendlicher von den Eltern mit den Kinderbüchern von Erich Kästner versorgt wurde. Dann kann das Folgende passieren: Man schaut fragend auf eine Neuverfilmung und fühlt sich, in ihren Bildern gefangen, der eigenen Zeit viel fremder als den frühen 1930ern, in denen das betreffende Buch spielt.

Handlung (1)

Emil lebt zusammen mit seinem alleinerziehenden Vater in der fiktiven Kleinstadt Streiglitz an der Ostseeküste. Emils Mutter hat die Familie verlassen. Außer gelegentlichen Briefen aus Kanada, in denen die Mutter Geld schickt, hat Emil keinen Kontakt mehr zu ihr.

Emils Vater ist arbeitslos. Er bekommt aber die Chance auf eine neue Arbeitsstelle, als sich ein Unternehmen aus Westdeutschland in der kleinen ostdeutschen Stadt ansiedelt. Allerdings verursacht er kurz nach der Einstellung einen Unfall und verliert seinen Führerschein. Da er diesen als Vertreter braucht, droht ihm gleich wieder der Verlust der Arbeitsstelle.

Da der Vater nach dem Unfall im Krankenhaus liegt, soll Emil während der Ferien nach Berlin zur Pastorin Hummel fahren, einer Schwester seines Klassenlehrers. Emil hat von einem Freund erfahren, dass man in Berlin alles bekommen kann, auch gefälschte Führerscheine. Also beschließt er heimlich, seinem Vater einen solchen in Berlin zu besorgen, und leert dafür die „Zukunftskasse“ mit dem gesammelten Geld aus den Briefen seiner Mutter. Auf der Zugfahrt nach Berlin trifft er auf Max Grundeis. Dessen besondere Erkennungszeichen sind blondierte Haare, als Vampirzähne zugespitzte Eckzähne im Mund, schwarze Kleidung, ein roter Aktenkoffer und rote Cowboystiefel. Grundeis sieht, dass Emil 1.500 DM bei sich hat. Er arrangiert per Handy ein Treffen mit einer Bande, die zu diesem Preis gefälschte Ausweise und Führerscheine verkauft, und notiert den Treffpunkt auf einem Zettel für Emil. Auf das „gelungene Geschäft“ soll angestoßen werden. Dem Getränk sind aber K.-o.-Tropfen beigemischt, sodass Grundeis Emil das Geld rauben kann, ohne handgreiflich zu werden.

Rezension

Es gibt die berühmte Verfilmung von 1931, die zu den ersten Werken von Billy Wilder (als Drehbuchautor) gehört, es gibt die ebenfalls in die damalige Jetztzeit verlegte 1954er Version, die größtenteils als gelungen angesehen wird. Die Adaption von Franziska Buch aus 2001 ist der dritte in Deutschland hergestellte Film über Emil vom Land und seine Berliner Freunde. Insgesamt gibt es acht Filme zu diesem Werk, was belegt, wie geeignet der Stoff allgemein ist, der doch ursprünglich auch viel mit Berlin zu tun hatte.

Wir hätten den Film ein paar Jahre älter eingeschätzt, aus 1997-1998. Rein nach Gefühl. Es macht nur einen kleinen Unterschied, also halten wir fest, dass die Berliner U-Bahnen 2001 auch noch grüne Sitzbänke hatten und man noch durchs Brandenburger Tor fahren konnte. Aber die neue Version mit den schrägen Türen gab es schon, das hätten wir nicht vermutet – und sie wird deshalb für eine Szene verwendet, weil man durch sie ganz hindurchlaufen kann, im Gegensatz zu den älteren Varianten mit jeweils abgeschlossenen Waggons.

Wir können vorerst den Nach-dem-Millenniumwechsel-Film nur mit dem Buch vergleichen, ohne die anderen deutschen Umsetzungen des Stoffes zur Hand zu haben, aber es geht ja auch so. Die tolle Atmosphäre, die Kästner in seinen Kinderbüchern schafft – und es ist in jedem von ihnen eine andere! – muss man sich in diesem Film komplett wegdenken und schon aus Gründen der Zeitnähe war die 1931er Verfilmung mit Sicherheit um vieles werkgetreuer. Es fühlte sich so an, heute müsste man die Atmosphäre jener aufregenden und schwierigen Zeit aufwändig rekonstruieren, ohne vermutlich nur annährend authentisch zu wirken. Zudem heißt es, Billy Wilder sei sehr schonend mit dem Buch umgegangen. Warum auch nicht, es ist ein großartiges Buch (wenngleich unser Favorit von Erich Kästner für immer „Das fliegende Klassenzimmer“ mit seinen unvergleichlichen Schüler- und Lehrercharakteren und dem großen sozialen Herz bleiben wird).

Da ist es also besser, vielleicht auch für das Zielpublikum, gleich im Jahr 2001 zu bleiben. „Parole Emil!“ – das klingt in einem Film, der ansonsten an die Kindersprache um das Millennium herum angenähert ist, irgendwie seltsam. Auch die Namen hätte man im Grunde ändern müssen, wenn man einen Jetztzeitfilm macht. Wer hieß 2001 Emil Tischbein oder trug den Nick Pony Hütchen? Natürlich wäre es viel zu aufwändig gewesen, die erwähnte Möglichkeit eines Period Pictures ernsthaft zu versuchen, aber dieses Beharren auf bestimmten Anteilen des Buches, während das Meiste verändert wird, hat etwas Gewolltes. Wenn man in den Vorspann schreibt „frei nach …“, dann darf man auch so frei sein, Namen und Zuordnungen zu ändern und nicht bestehende Figuren umzudeuten, wie man es außer bei Emil selbst bei fast allen Kindern gemacht hat.

Klar, es soll ein Kinderfilm sein, nicht unbedingt gedacht für Leute, die alles so kritisch unter die Lupe nehmen, zudem für heutige Kinder, die in der Regel keine Bücher mehr lesen, also nicht feststellen können, wie anders die Vorlage ist. Deshalb sollten wir uns eher die Frage stellen, ob der Film heutigen Anforderungen gerecht wird und heutige Kinder an der Schwelle zum Jugendlichenalter so porträtiert, wie wir sie in Berlin wahrnehmen.

Eines dazu vorweg: Dass die beigemischten Migranten-Ethnien so klischeehaft gezeigt werden, wurde vielfach kritisiert. Das ist in der Tat ein heikler Punkt; mit Gypsie bekommt ein rumänischer Roma-Junge eine zwar auch klischeehafte, aber vielleicht die beste Rolle des Films und Maximilian Belfort, der diesen fantasievollen und unbekümmerten Jungen spielt, zeigt für uns die beste Leistung im Film, wenn man von Jürgen Vogel als Max Grundeis absieht, aber der Vogel, der war ja auch 2001 schon formal erwachsen. Hoffentlich kommen wir bald in den Genuss des „Originalfilms“ von 1931, denn Fritz Rasp als Grundeis muss mindestens ebensolch eine Show sein, wenn man von seinen vielen anderen Schurkenrollen ausgeht.

Sicher ist es nicht falsch, heutige Probleme wie Scheidungsnachwirkungen und Kinder, die ohne komplette Familie aufwachsen, in den Vordergrund zu stellen. 1930 war Emils Mutter, die ihn allein großzog, Witwe. So haben sich die Zeiten eben verändert, aber die Sehnsucht nach dem Kompletten, die gab es immer schon, und wenn man’s hatte, dann war es manchmal so wie bei Ponys Eltern, die nur streiten – und sich ebenfalls scheiden lassen wollen.

Was uns gestört hat, anders als die Umsetzungen familiärer Zustände auf heutige Verhältnisse und der Einbau von Ethnien, die heute in Berlin wichtiger Bestandteil des Bevölkerungsbildes sind, ist die vor allem zu Beginn kreuzbrave Umsetzung des Stoffes und insgesamt die beinahe umwerfende Bejahungstendenz des Films allen bescheuerten Zeiterscheinungen gegenüber: Statussymbole wie Handy und Apple-Computer machen auch die größten Nerds zu coolen Mittelpunkten großer Cliquen, und dann dieses Herumreiten auf dem Zwang zu coolen Klamotten. Pony Hütchen demonstriert, wie man mit affektiertem Oberschicht-Gehabe + -outfit im Adlon Eindruck schindet. Peinlich, leider. Und so entlarvend, was Maßstäbe zur Beurteilung anderer betreffend. Klar sind wir alle irgendwie und irgendwo in der Markenwelt zuhause gewesen, als wir erwachsen wurden, die 1970er sind endgültig vorbei, aber man muss den Neoliberalismus nicht so promoten. Gerade ein solcher Film hat die Möglichkeit, subtile Gegenakzente zu setzen und sich nicht gerade dort besonders deutlich vom Buch abzuheben, wo dieses jede Anbiederung vermeidet. Für Nichtberliner: Hier sind nicht alle Taxis von Mercedes.

Gut, dass der Film nicht 2014 gedreht wurde, weil da noch mehr am Originalplot hätte gefummelt werden müssen; weil heute nicht nur einer in der Clique ein Handy hätte, sondern alle über ein Smartphone verfügen würden, was verschiedene Abläufe, Handlungen und Gesten wiederum infrage stellen würde – man müsste weder Herumpfeifen, noch Parolen sagen, noch viel laufen, um eine „Stafette“ zu bilden. Kinder, die kaum noch lesen und schreiben können und den ganzen Tag mit dem iPhone daddeln, daraus hätte die Filmerin wahrscheinlich auch noch einen affirmativen Hype inszeniert. Unter Auslassung der Tatsache, dass diese Kids so mit sich selbst und ihren virtuellen Freunden befasst sind, dass sie eine solchermaßen aktive soziale Rolle wie die Gangmitglieder gar nicht mehr hinbekämen.

Positiver fällt unser Urteil zu den Kindern bzw. Kinderdarstellern aus. Gar nicht so einfach, in Deutschland eine Schar halbwegs begabter Jungdarsteller zusammenzubringen, aber das funktioniert hier ganz gut. Unseren Favoriten haben wir schon benannt, aber auch die übrigen Kinder sind okay, der Film ist flüssig und flott erzählt, hat den Nebenschauplatz Frau Hummels Heim, in das der falsche Emil namens Gypsie eingeschleust wird. Die Pastorin wird gespielt von Maria Schrader, der eine von Gypsie verfasste Anklage der Kinder gegen ihre Eltern in die Predigtwerkstatt platziert wird. Man sieht weitere Namen in der Besetzungsliste, die damals schon bekannt waren oder es mittlerweile geworden sind.

Selbstverständlich hilft die Buchvorlage enorm, aber auch bei allen Umschreibungen bliebt die Handlungslogik einigermaßen erhalten. Kinderpsychologisch allerdings darf man das, was man hier sieht, nicht zu ernst nehmen – dafür sind die Figuren eben doch wieder zu sehr nach Typen geformt und nicht als Individuen.

Finale

Ericht Kästner war ja auch ein hervorragender Psychologe – seine Kinderbücher strotzen geradezu vor Weisheit und Einsicht und schaffen so viel Menschlichkeit. Das kann ein heutiger Film kaum nachbilden, schließlich sind auch wir und die heutigen Kinder anders als die Erwachsenen und die junge Generation von 1930. Den heutigen Kids wird es wohl kaum passieren, dass sie zehn Jahre nach dem Mitwirken in einem Kästner-Film im Krieg getötet werden, wie es mehreren Darstellern des ersten deutschen Films von 1931 erging. Diese in jeder Hinsicht außergewöhnliche Zeit um 1930, die Paranoia, die damals herrschte, das wird nicht einmal in Filmen deutlich, die heute gefertigt werden und wirklich in jener Zeit spielen. Man kann die Uhr nicht zurückdrehen, und wenn man bedenkt, was nach 1930 kam, ist das gut so.

Aber man hätte etwas mehr wagen können und etwas schärfere Akzente setzen dürfen. Gerade heutige Kinder mit ihrem beinahe unbegrenzten Rezeptionsvermögen, visuelle Medien betreffend, gehen da sehr weit mit. Inwieweit sie emotional so ausgebildet sind, dass sie Klischeeabweichungen akzeptieren, wenn sie den ganzen Tag mit Klischees konfrontiert sind, die tatsächlich etwas Wahres haben und die an dieser Wahrheit mitarbeiten, ist eine andere Frage. Zeitströmungen gab es immer schon. Eine heutige ist, dass im Film wenig Neues kommt, weshalb wir uns auch so gerne mit den Klassikern beschäftigen. Vielleicht leihen wir uns doch mal den Film von 1931 aus, wenn er trotz des vielfältigen Senderangebots, über das wir mittlerweile verfügen, nicht ausgestrahlt wird. Die Darsteller der Erwachsenen sind überwiegend bekannte Namen, aber auch einige der Kinderdarsteller haben es als Profis mittlerweile geschafft, regelmäßig für das Fernsehen zu arbeiten.

60/100

2025, 2017, 2014 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Franziska Buch
Drehbuch Franziska Buch
Produktion Christoph Holch,
Uschi Reich,
Peter Zenk,
Susanne van Lessen
Musik Biber Gullatz,
Eckes Malz
Kamera Hannes Hubach
Schnitt Patricia Rommel
Besetzung


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