Filmfest 1354 Cinema
Le Frotteur ist ein französisches Filmdrama von Alice Guy aus dem Jahr 1907.[1]Im Deutschen heißt der Film „Der Bodenputzer“ und zählt zu den 14 „Frauen-Kurzfilmen“ aud den Jahrn 1906 bis 1927, die Arte im Jahr 2024 gezeigt hat. Der erste, den wir rezensiert haben, ist „Die klebrige Frau“ („La Femme collante“).
Sie wissen doch, was ein Frottée-Handtuch ist, oder? Es wird verwendet, um den Körper nach dem Duschen abzurubbeln. Ähnlich rubbelt der Protagonist dieses 4-Minuten-Kurzfilms den Boden in einem mehrstöckigen Haus ab. Was mit dem Boden passiert, möchten wir Ihrem Körper nicht wünschen, wenn Sie etwas zu heftig rubbeln. In der Regel wird es höchstens ein wenig Hautabrieb geben.
Handlung (1)
Ein Bodenputzer gibt sich so viel Mühe, dass Schutt von der Decke in das Esszimmer der darunter liegenden Wohnung fällt.
Da sie es nicht länger aushalten, rufen die Bewohner einen Polizisten durch das Fenster und alle gehen die Treppe hinauf. Aber nichts hilft, mitgerissen von seiner Aufgabe, reibt der Schrubber immer stärker und lässt bald den Boden einstürzen, durch den alle Helden der Geschichte gehen. Das nächste Stockwerk gibt seinerseits nach: Der Sturz endet auf dem Bett eines Schläfers, der nach dem letzten Sturz in seinem Traum einen unruhigen Moment zu erleben glaubt und wieder ins Bett geht, als wäre nichts geschehen.
Rezension
Gaumont, die den Film restauriert und Arte zur Verfügung gestellt haben, geben den bekannten Filmpionier Louis Feuillade als Regisseur an – Arte aber schreibt ihn Alice Guy zu und so steht es auch in der französischen Wikipedia. Vermutlich wird Feuillade deshalb als Regisseur genannt, weil er zu der Zeit, als diese Miniatur entstand, gerade Chef-Regisseur bei Gaumont geworden war. Und auch das kennen Sie: Frauen und ihr Wirken werden marginalisiert, unsichtbar gemacht. Zu Alice Guy haben wir uns schon anlässlich der oben erwähnten Rezension von „Die klebrige Frau“ geäußert, aber aus der deutschen Wikipedia ergänzen wir gerne noch etwas:
Oder stimmt das vielleicht gar nicht und warum sollte Gaumont heute noch Alice Guy verstecken?
Den Zuschreibungen von Gaumont in Bezug auf Filme aus dieser Zeit ist nicht zu trauen. Die einzige Möglichkeit, Filme aus dieser Zeit zu datieren, ist ihre Position im Gaumont-Katalog von 1908, der glücklicherweise sehr geradlinig chronologisch zu sein scheint. Mehr dazu in meinen Rezensionen von La Vérité sur l’homme-singe (ca. Januar 1907), La Course à la saucisse (März 1907) und Le Billet de banque (ca. April-Mai 1907).
Alice Guy verlobte sich am Weihnachtstag 1906 mit Herbert Blaché. Sie heirateten am 4. März, und sie kündigte unmittelbar danach ihren Posten bei Gaumont, um ihn in die USA zu begleiten, wo er von Gaumont mit der Vermarktung von Tonträgern beauftragt worden war.
Diese Phonoszenen („Tonfilme“, die hauptsächlich auf Opern und Volksliedern basieren) waren eine wichtige Priorität für Gaumont, der – zwanzig Jahre zu früh – glaubte, dass sie die Zukunft des Films darstellten. Über hundert wurden zu dieser Zeit gedreht und Alice Guy war für die schwierige (die Schauspieler, manchmal eine große Besetzung, mussten im Playback zu den Aufnahmen mimen) und zeitraubende Produktion verantwortlich.
So wurden bereits Ende 1906 viele der Kurzkomödien von ihren drei sehr fähigen Assistenten inszeniert – Louis Feuillade, der für alle Drehbücher verantwortlich war, einschließlich der Drehbücher von Guy selbst), Roméo Bosetti und Étiene Arnaud. In den meisten Fällen wissen wir in der Praxis nicht, wer der Regisseur war.
Anfang 1907 fand Guy jedoch durchaus Zeit, bei zwei Filmen Regie zu führen – Les Résulats du féminisme (den sie viel später in den USA neu verfilmte) und L’Asssassin (ein „Grand Guignol“-Melodram, das sie in ihrer Biografie erwähnt). Diese unterscheiden sich stilistisch deutlich von den Slapstick-Komödien der drei Jungs. Es sind wohl auch die letzten Filme, die Guy vor ihrem Rücktritt und ihrem Abgang Anfang März gedreht hat.
Dieser Film und La Glu, den Gaumont ebenfalls fälschlicherweise Guy zuschreibt, erscheinen erst lange später im Katalog. Zur Veranschaulichung: La Vérité sur l’homme-singe (Regisseur unbekannt, der auf die Weihnachtsfilme von 1906 folgt) hat die Nummer 1570, Guys Les Résulats du féminisme (Jan-Feb 1907) ist 1573 und L’Assassin (Jan-Feb 1907) ist 1574. Arnauds La Ceinture Electrqiue, mit ziemlicher Sicherheit nach der Abreise Guys entstanden und 1907 in London aufgeführt) ist wahrscheinlich im März 1907 entstanden und hat die Nummer 1584 im Katalog. Le Billet de banque (April-Mai), fälschlicherweise Guy zugeschrieben, trägt die Nummer 1616.
Le Frotteur (Juli-August 1907) ist noch viel später im Katalog (Nummer 1648) und muss viele Monate nach Guys Abreise entstanden sein. Gleiches gilt für La Glu (1666), das im November 1907 in den USA gezeigt wurde.
Alle diese Filme (unabhängig vom Regisseur) wären von Feuillade geschrieben worden. Sie hätten von Feuillade selbst inszeniert werden können, oder von Roméo Bosetti oder von Étienne Arnaud. Die späteren wurden offensichtlich nicht von Guy gemacht, die zu dieser Zeit eher damit beschäftigt war, ihr erstes Kind, Simone, in New Jersey zur Welt zu bringen.[2]
Diese sehr akribische uns ausführlichste Darstellung, die ich zu dem Film gefunden habe, wird in der IMDb nicht als professionelle Kritiker-Rezension, sondern als Nutzer-Rezension geführt. Das ist erstaunlich, denn auch wir ordnen unsere Darstellungen bei den professionellen ein, obwohl wir zum Beispiel in diesem Fall bei Weitem nicht so viel über den betreffenden Film wissen.
Wie auch immer, Arte ist beim frühen Film-Feminismus stellenweise wohl etwas übers Ziel hinausgeschossen, wenn die obige Auseinandersetzung mit den Quellen zum richtigen Ergebnis geführt hat. Wir bedanken uns natürlich im Namen der Filmwisssenschaft für diese wichtige Arbeit. Wir hätten diese Recherche natürlich auch gezeigt, wenn das Ergebnis umgekehrt gewesen wäre. Also hat Gaumont wohl doch die neuesten Erkenntnisse verwendet, als der Film Louis Feuillade zugeordnet hat.
Wir werden noch mehrere Filme von Alice Guy sichten, aber ich war in der Tat über die Art des Slapsticks erstaunt, der sehr „männlich“ wirkt und auch nur Männer in aktiven Rollen zeigt. Vor allem natürlich den Schuhputzer, der dafür sorgt, dass es Durchbrüche durch gleich zwei Stockwerke gibt. Wenn Sie in einem Altbau wohnen, können Sie sich vielleicht vorstellen, wie der Mann so lange die Dielen abschrubbt, bis sie durch sind. Im Normalfall würde jemand, der durch das dadurch entstandene Loch fällt, nicht durch ein weiteres Stockwerk purzeln, auch nicht bei Dielenböden der Zeit um 1900, aber es ist ein Slapstick, und für ihn gelten manche Gesetze der Physik nicht. Glücklicherweise, denn wir hätten unzählige wunderbar witzige Filme niemals zu sehen bekommen, wenn man diese Gesetze darin ernstgenommen hätte.
Finale
Es ist ja gerade die Eigenschaft des Slapsticks und der Action-Komödie, wie man es heute nennen würde, dass das Unerwartete aus dem Unwahrscheinlichen oder Unmöglichen resultiert und uns zum Lachen bringt, weil wir es witzig fänden, wenn sich derlei wirklich zutrüge im realen Leben. Nicht jeder Slapstick basiert auf Tricks, wie sie zwangsläufig angewendet werden müssen, um physisch unmögliche Vorgänge zu zeigen. Mir fallen gerade die Tortenschlachten der Keystone Filmstudios, in ihnen resultiert der Lacher daraus, dass Menschen mit Tortencreme im Gesicht einfach irre blöd aussehen, vor allem dann interessanterweise, wenn nicht die getroffen wurden, auf die man gezielt hat. Gemeinsam hat dieser Effekt auch mit dem, was wir auch in „der Schuhputzer“ sehen, dass ein Ergebnis von dem, was beabsichtigt war, erheblich abweicht. Der Film zeigt in Ansätzen sogar etwas, was Laurel und Hardy zur Perfektion entwickelt haben: Die kontinuierliche Steigerung. Die Suppe, die man sich eingebrockt hat, fördert immer größere Klöße oder Klopse zutage, wenn man genug im Trüben der Flüssigkeit fischt. Was fehlt, ist, dass das ganze Haus einstürzt.
Dass ihre Pionierleistung lange Zeit vergessen blieb, war auch männlichen Filmhistorikern zu ‚verdanken‘, die ihre frühen Filme einfach männlichen Regisseuren zuschrieben. 1953 wurde sie für ihre Verdienste um den Film in die Ehrenlegion aufgenommen. Ihre Autobiographie wurde erst nach ihrem Tod veröffentlicht.[5]
Alice Guy-Blaché schrieb, produzierte und inszenierte über tausend Filme, vor allem Komödien, Musicals und Western. In ihren Filmen thematisierte sie Antisemitismus, Immigration, die Situation der Arbeiter, die Rolle der Frau und Kindesmisshandlung. Die meisten ihrer Filme sind verschollen.[3]
Die meisten Filme jener frühen Kinojahre sind verschollen, leider. Auch die ersten Werke großer deutschsprachiger Regisseure, die den Kunstfilm der 1920er prägten, zählen häufig dazu. Sehr weit ist man beim Aufspüren früher Filme mittlerweile bei Charles Chaplin gekommen, sein Werk ist fast komplett gesichert. Ihn werden wir bei den Frauenfilmen auch noch sehen, weil er mehrfach mit dem damaligen Keystone-Komödienstar Mabel Normand zusammengespielt hat. Sie hat ihn auch gefördert, ihn in den Vordergrund der gemeinsamen Filme treten lassen und war dabei „viel großzügiger, als Chaplin es später jemals gegenüber jemand anderem sein sollte“, wie es in einer Rezension zu einem seiner frühen Filme bei Keystone heißt, in denen Normand noch der nominelle Star Nummer eins war („Mabels seltsame Lage“).
Während die IMDb-Nutzer:innen für „Der Bodenputzer“ durchschnittlich 5,6/10 vergeben, haben sie für „Die klebrige Frau“ 6/10 vergeben. Allerdings ist „Der Bodenputzer“ wohl viel geläufiger, er hat mehr als zehn Mal so viele Stimmen erhalten. 5,6/10 ist etwa die Bewertung, die zum Beispiel Charles Chaplin für seine frühen Filme maximal bekommen hat (bis zu Nr. 14 gerechnet). Ich meine, das kommt ganz gut hin, denn man sieht in Feuillades Etüde in Deckenbruch auch schon ein bisschen etwas von Buster Keaton und Laurel und Hardy. Freilich sehr gerafft und stellenweise als Standbild. Ich dachte zunächst, der Film läuft mal wieder nicht ruckfrei, aber offenbar sind ein paar Sekunden nicht als Bewegtbilder erhalten, sodass man die Stellen „eingefroren“ hat, um auf die Originallänge zu kommen. Die neue eingespielte Musik geht diese beiden Sprünge von jeweils etwa 10 Sekunden offensichtlich mit, auch deshalb hatte ich zunächst an einen technischen Fehler gedacht.
Ich sehe den Film etwa auf einer Stufe mit mit „Die klebrige Frau“, vielleicht im Sinne der Action und Absurdität etwas höher. Der Tanz des Putzmanns oder der männlichen Reinigungskraft als Blankwienern des Bodens hat sogar etwas von einem „Shuffle“ und hat mir an Chaplins Meisterleistung als Kellner und Entertainer in „Moderne Zeiten“ erinnert (das Lied mit dem vorgeblichen Nonsense-Text). Was ich nicht bemerkt hatte, es steht aber auch in einer Rezension, die man in der IMDb nachlesen kann: Dass er Mann, der im Erdgeschoss oder untersten zu sehenden Geschoss schläft und bei dem schlussendlich mehrere Personen landen, das Ganze als Traum erlebt. Sei’s drum, es passiert mir gar nicht so selten, dass ich Szenen in diesen frühen Filmen anders oder weniger exakt deute als Menschen, die offenbar dafür einen genaueren Blick haben.
60/100
2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2024)
Regie: Louis Feuillade (Alice Guy)
Besetzung: Keine Namen bekannt
Land: Frankreich
Jahr: 1907
[1] Der Scrubber, die freie Enzyklopädie (wikipedia.org)
[2] Le frotteur (1907) – Le frotteur (1907) – User Reviews – IMDb
[3] Alice Guy-Blaché – Wikipedia
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