Filmfest 1357 Cinema – Werkschau Buster Keaton (20)
Nachbarschaft im Klinch (Originaltitel: Neighbors; Alternativtitel: Buster Keaton verliert die Hosen und Nachbarn) ist eine US-amerikanische Kurzfilm–Slapstick–Komödie aus dem Jahr 1920 mit Buster Keaton in der Hauptrolle, der auch gemeinsam mit Edward F. Cline für Drehbuch und Regie verantwortlich war.
Mit „Nachbarschaft im Klinch“ gehen wir nach „Das vollelektrische Haus“ zwei Jahre rückwärts, in die Anfangszeit von Buster Keatons Alleinkünstlerschaft. Sie begann nach dem Ende seiner Zusammenarbeit mit Roscoe „Fatty“ Arbuckle (1917-1920). Bei der Veröffentlichung auch der etwas älteren Rezensionen halten wir uns aber wieder an die Chronologie, zumal wir sie in die Werkschau Buster Keaton des Jahres 2025 integrieren.
An diesem Kurzfilm muss etwas Besonderes sein, denn Kritikerstar Roger Ebert hat ihm 2002 nicht nur eine Kritik gewidmet, sondern ihn in seine Sammlung von „Great Movies“ eingeordnet. Insgesamt kann man in der IMDb derzeit 16 Kritiken zu ihm nachlesen, das sind mehr als zu einem der anderen Keaton-Kurzfilme, die wir bisher rezensiert haben. Mit einer IMDb-Wertung von 7,6/10 zählt er nach Meinung der Nutzer auch zu den besten, wenngleich er nicht an „Flitterwochen im Fertighaus“ mit herausragenden 8,2/10 herankommt (7,5/10 und 8,1/10 im Jahr 2025, alle Keaton-Stumm-Kurzfilme von 1920 bis 1928 betrachtet, liegt er etwa in der Mitte).
Handlung (1)
In dieser Abwandlung von Pyramus und Thisbe spielen Buster Keaton und Virginia Fox ein junges Liebespaar. Die beiden Liebenden wohnen sich direkt gegenüber, nur durch einen Hof getrennt, der von einem Holzzaun durchzogenen ist, durch den sie sich Nachrichten zustecken. Alles könnte schön sein. Doch ihre beiden Familien sind untereinander verfeindet. Vor allem der Vater des Mädchens hält nichts von der Verbindung. Es kommt zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Jungen und dem Vater des Mädchens, die sich zuspitzt und auch die Polizei sowie den Vater des Jungen mit hineinzieht. Erst vor Gericht kann der Streit durch den Friedensrichter beigelegt werden und die Heirat wird beschlossen. Während der Trauzeremonie bemerkt der Vater des Mädchens jedoch, dass der Hochzeitsring, den der Junge besorgt hat, aus dem Schnäppchenladen stammt, woraufhin er die Feier zornig absagt und seine Tochter nach Hause zerrt. Um zusammen glücklich sein zu können, entführt der Junge das Mädchen. Auf der Flucht stoßen die beiden zufällig auf den Friedensrichter, der die Trauzeremonie schließlich vollendet.
Rezension
Ebert bezeichnet Keaton, ganz der seit ca. 1950 von Kritikern propagierten Linie folgend, als den besten der Stummfilmkomiker.
Chaplin habe die Menschen zwar tiefer bewegt, aber Keaton habe am meisten gewagt. Das heißt, seine Komik wird deshalb besonders hochgeschätzt, weil sie viele gefährliche physische Gags enthält. Dass Keaton Wagnisse einging und sich dabei auch mal selbst verletzt, wie kürzlich in der Rezension für „Das vollelektrische Haus“ beschrieben, ist bekannt und man sieht es in „Nachbarschaft im Klinch“ häufig, etwa, wenn er zwischen zwei Hinterhöfen passgenau und in mehreren Metern Höhe auf einer Leine und- und herschwingt. Die Akrobatennummer, in der zwei Männer, aufeinander stehend, erst ihn und dann sogar ihn und seine Filmpartnerin Virginia Fox tragen, ist offenbar echt und hat ein fantastisches Timing. Dieses gleichzeitige Einsteigen ins Fenster, wieder herausschauen und auf dem Weg die Balance halten ist grandios, man beachte auch den Moment mit dem Baugerüst. Dass sich Keatons Filmpartnerin in dieser Szene und in einigen weiteren den akrobatischen Fähigkeiten der Männer anvertraut hat, ist bewundernswert, sie muss ein recht unkomplizierter Mensch gewesen sein.
Roger Ebert nimmt seine lesenswerte Kritik zum Anlass, in die Arbeits- und Ausdrucksweise von Buster Keaton einzuführen, und wir finden alles richtig, was dort steht – bis auf die Bewertung, die zwischen den Stummfilmkomikern vorgenommen wird. Ist es eine höhere Kunst, so zu wirken, als sei man dem Publikum gleichgültig als den Wunsch auszudrücken, von ihm geliebt zu werden? Steht Akrobatik über der Passion für menschliche Gefühle? Manchmal kommt es uns vor, als sei diese doch etwas auffällige Heraushebung von Buster Keaton ein Ausdruck unseres neoliberalen Zeitalters, in dem Technik und unerschütterlicher Glaube an das eigene Ziel höher bewertet werden als die Interaktion mit anderen. Chaplin war in seinen frühen Filmen ganz schön bösartig, das wird gerne vergessen, das ist die andere Seite: Keaton hatte nie einen solchen Drive in Richtung sofortiger Rache, sondern versucht immer nur, so gut wie möglich durch die Situation zu kommen. Aber sich für eine Demütigung zu revanchieren, ist menschlich und nachvollziehbar. Es ist nicht christlich oder buddhistisch, man kann alle möglichen Triebe dämpfen, wenn man sich darauf konzentriert und eine gewaltfreie Philosophie tatsächlich leben kann, im Alltag ist das ja, vor allem, wenn Gewalt sich in Konkurrenz übersetzt, nicht immer möglich.
Die Wiederentdeckung von Keaton ab den 1950ern ist auf jeden Fall gerechtfertigt, aber man sollte davon Abstand nehmen, ihn als Chaplin überlegen einzuordnen, nur, weil man bestimmte Eigenschaften seiner Komik mehr schätzt. Sicher, man nimmt damit eine Priorisierung vor und beide können sich nicht mehr gegen dieses „Gegeneinander-ausspielen“ wehren, das sie vielleicht beide gar nicht geschätzt hätten. Es ist, als würde man Douglas Fairbanks oder Errol Flynn über Laurence Olivier stellen, weil Erstere (neben oder nach Keaton) die besten Stunts in langen Swashbucklern machten, Letzterer aber nur lange Dramen dominierte.
Immerhin trat Buster Keaton auch in Chaplins „Limelight“ auf und bekam so just in jenen Jahren, in denen er auch von den Kritikern wiederentdeckt wurde, von seinem Kollegen eine Möglichkeit, sich zu beteiligen. Keaton wurde von Chaplin im Grunde aus der Vergessenheit befreit, weil „Limelight“ ein großes Kinoereignis war. Der Film, den wir kürzlich rezensiert haben (2025) kündet auch davon, dass alle Karrieren ihren Verluaf haben, auch die von Chaplin selbst, der für uns mit „The Great Dictator“ seinen Höhepunkt erreicht hatte – viele meinen, das sei schon mit „City Lights“ der Fall gewesen. Danach ging es allerdings nicht steil abwärts, auch „Monsieur Verdoux“ (1947) und „Limelight“ (1952) sind außergewöhnliche Filme.
An dieser Stelle fügen wir einen eigenen Abschnitt anlässlich der Veröffentlichung ein. Wir wollen nicht darüber spekulieren, ob es ein Zufall war, dass Keaton just wiederentdeckt wurde, als Chaplin aus den USA ausgewiesen und zur persona non grata erklärt wurde. Chaplin war auch sehr politisch (aber nicht kommunistisch, wie ihm unterstellt wurde), er hatte ein nicht einfaches Privatleben, deswegen war er in der Spätphase seiner Karrere viel kontroverser als Keaton. Dieser hingegen wirkt geradezu neutral, wäre nie in die Gefahr gekommen, ins Visier der Staatsmacht zu geraten. Vielleicht hat Chaplin sich hin und wieder ein bisschen überhoben, aber man sollte den Aspekt, dass er in Ungnade gefallen war, nicht vergessen, wenn man darüber nachdenkt, warum Keaton mit einem Mal als der größere Künstler angesehen wurde.
Zurück noch einmal zu „Nachbarschaft im Klinch“. Gemäß Wikipedia soll der Film eine Variante von „Pyramus und Thisbe“ sein, geht aber glücklicherweise nicht so tragisch aus, vielmehr bekommt Buster, wie in den meisten seiner Kurzfilme, das Mädchen. Angesichts der rasanten Action ist es nicht verwunderlich, dass in diesem nur 18 Minuten langen Film, der damit aber ein 2-Reeler ist, einige Schnittfolgen nicht recht passen, typisch ist dies ohnehin für Keatons erste „Allein-Filme“, die Flüssigkeit verbessert sich ab 1921 merklich. Wirklich funny ist „I love you 2“. Dass man vor fast 100 Jahren schon die heutige Mode kannte, Wörter durch (exakt oder nahezu) gleich klingende Zahlen zu ersetzen und damit die Schreibarbeit zu verkürzen, ist schon sehr interessant – ob Keaton das in „Nachbarschaft im Klinch“ („Neighbours“) erfunden hat, wissen wir nicht. 1920/21 scheint auch die Zeit gewesen zu sein, in der die Polizisten in den USA von Helmen, die jenen der englischen Bobbys ähneln, auf Schirmmützen gewechselt sind, denen auch die heutigen Modelle noch in wesentlichen Zügen ähneln. In „Nachbarschaft im Klinch“ tragen sie noch jene voluminöseren Kopfbedeckungen, in Filmen, die wenig später entstanden sind, nicht mehr, während die Uniformen weitgehend gleich aussehen. Dem Spaß der Komiker am Einbau von überforderten Cops in ihre Filme tat diese Änderung der Kleiderordnung aber keinen Abbruch.
Nach heutigem Kenntnisstand kam es darauf an, um welche Art Polizist es sich handelte und wo er tätig war, die Uniformen waren regional und nach Einheit unterschiedlich gestaltet. Da die Rezension aus dem Jahr 2019 um einiges kürzer ausfallen als die eigens für die Werkschau geschriebenen des Jahres 2025, ist hier noch Platz für etwas Cop-Kopfbedeckungs-Historie:
Hier finden Sie eine Tabelle mit möglichst genauen Zeitangaben zur Umstellung der US-Polizeiuniformen von Bobby-Helmen („Police Helmets“ ähnlich den britischen Helmen) auf Schirmmützen („Peaked Caps“) im frühen 20. Jahrhundert. Die Entwicklung war tatsächlich abhängig von Stadt, Staat und sogar Funktion (z.B. Verkehrspolizei vs. regulärer Streifendienst).
Stadt/Region Helm-/Bobby-Ära Umstellung auf Schirmmütze Details zur Abhängigkeit Baltimore, MD 1886–06.11.1908 ab November 1908baltimorepolicemuseum Wechsel durch Polizeichef, ab 1908 runde Mützen für Streife, später 8-Punkt-Mütze ab 1944. Ranghöhere schon vor 1908 mit Schirmmütze. Washington, DC ca. 1880er–vor 1915 ca. 1915dcpolicememorial 1915 Helme + weiche Kappen verschwinden, Einführung Military Dress Cap für alle. Allgemein (trend USA) späte 1800er–frühes 20. Jh. ca. 1910–1930 (je nach Region)wikipedia+2 Zunehmend Schirmmütze Standard, v.a. in Großstädten; ländliche und kleinere Police Departments z.T. länger Helme oder Mischformen. Verkehrs-/Mounted-Units weitere Sonderformen (z.B. Pith-Helme) bis in 1930er moderne Caps phasenweise späterbaltimorepolicemuseum+1 Sonderformen in Einzelfällen bis in 1930er-Jahre, z.B. Pith-Helme. Bemerkungen:
Die Umstellung erfolgte schrittweise, teils parallel – Offiziere trugen oft schon früher Schirmmützen, während Streifenpolizisten länger Helme nutzten.
Städte im Nordosten (New York, Baltimore, DC, Boston) waren meist Vorreiter. Midwest-/Southern-Städte und ländliche Departments übernahmen die neue Kopfbedeckung oft erst später.
In einigen Metropolen wurde der Bobby-Helm erneut als Ehren- oder Paradeausrüstung bis ins 21. Jh. getragen, normale Patrouille aber spätestens ab den 1930ern mit Schirmmütze.
Quellenhinweise:
Baltimore: 1886 Einführung des Helm, 1908 Umstellung auf „Round Cap“, 1944 „Eight Point Cap“baltimorepolicemuseum
Washington, DC: Um 1915 Wechsel auf Schirmmützedcpolicememorial
Allgemein: Peaked Cap setzte sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh. als neuer Standard durch, mit starken regionalen Unterschiedenwikipedia+2
Fazit:
Der Wechsel fand nicht landesweit gleichzeitig, sondern je nach Stadt/Einheit zwischen ca. 1908 und 1920 statt. Regionale Unterschiede waren groß. Manche Sondereinheiten hatten länger eigene Kopfbedeckungen.
Stadt/Region Helm-Ära Schirmmütze eingeführt Details Baltimore, MD 1886–1908 November 1908 Officers teils früher Schirmmütze, breite Einführung im Streifendienstbaltimorepolicemuseum Washington, DC ca. 1880er–<1915 ca. 1915 Uniformumstellung für alle (Military Cap)dcpolicememorial Sonstige Städte bis ±1910–1920/30 ab ±1910–1930 Unterschiedlich: zuerst Metropolen, dann landesweitwikipedia+2 Diese Angaben bieten einen exemplarischen Überblick für die größeren US-Städte und spiegeln die regionale Diversität des Polizeiuniformwandels wider.
- https://baltimorepolicemuseum.com/en/component/content/article/404-hat-and-helmet-history
- https://www.dcpolicememorial.org/a-look-at-mpd-uniforms-through-history/
- https://en.wikipedia.org/wiki/Peaked_cap
- https://www.bella-hats.com/news/what-is-the-history-of-the-peaked-cap.html
- https://en.wikipedia.org/wiki/Police_uniforms_in_the_United_States
- https://en.wikipedia.org/wiki/Kepi
- https://www.niton999.co.uk/blog/police-uniform-history.html
- https://www.reenactor.ru/ARH/PDF/Rankin.pdf
- https://www.inthehills.ca/2016/03/tip-hat-history/
- https://www.tampabay.com/archive/1996/02/07/bobby-s-tall-pointed-helmet-a-part-of-history-in-manchester/
Finale
Nun sind wir natürlich weit vom Film abgewichen, konnten unserem Spaß an der KI noch ein wenig frönen, aber für eine Neusichtung und verlängerte Rezension, die sich enger mit dem Sujet befasst, fehlt uns leider im Moment die Zeit.
Auch „Nachbarschaft im Klinch“ war für uns wieder mehr zum Betrachten und stellenweise zum Staunen ob der wilden Seilschaften und der Akrobatik, aber dass wir hätten lachen müssen, können wir nicht behaupten. Vielleicht ist das die Quintessenz der Komik des Mannes, der „Stoneface“ genannt wurde, was wir bekanntlich übertrieben finden – dass man versucht, die raschen Szenenfolgen nachzuvollziehen und manchmal nicht ganz hinter den Sinn und die Qualität einzelner Momente steigt (Die Fliegenklatsche, Buster kopfüber im morastigen Hofboden steckend), aber nicht aufgewühlt ist oder sich vor Lachen schüttet. Das hat Buster Keaton ja selbst nie getan. Aber sicher hätten wir auch fürs Anschauen seiner Werke, ebenso wie für Chaplins Kurzfilme, einen Nickel ausgegeben.
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2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2019) / Recherchen im Text wurden durch KI unterstützt
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | |
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| Drehbuch |
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| Produktion | Joseph M. Schenck |
| Kamera | Elgin Lessley |
| Besetzung | |
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