Briefing Wirtschaft, Economy, Geopolitik, Trump-Zölle, Trump Tariffs, Exportwirtschaft, deutsche Wirtschaft, Bundesländer-Aufschlüsselung, Handelsbilanz, Warenexport, Dienstleistungsexport, Leistungsbilanz
Im ersten und zweiten Teil des Artikels (unten angehängt) hatten wir uns mit den Auswirkungen dreier verschiedener Trump-Zölle-Szenarien auf die Wirtschaft Deutschlands befasst. Im dritten Teil schauen wir nach, ob seine Zölle gegenüber der EU überhapt eine reale Grundlage haben. Sie fußen auf seiner Behauptung, die EU würde die USA quasi ausplündern, mit einem gigantischen Handelsbilanzdefizit. Seit dem vorherigen Teil des Artikels und der Erstellung der Statista-Grafiken zu allen Teilen hat sich das Rad weitergedreht, eskaliert Trump den Handelsstreit.
Nun hat also Donald Trump 30 Prozent Zölle auf alle Waren aus der EU verhängt – ausgenommen einige Produkte, die nicht ganz unwichtig sind. Wir stellen diese Zollmaßnahme dar, räumen aber zunächst anhand einer Statista-Grafik mit Trumps Narrativ von der sehr unausgeglichenen Handelsbilanz mit der EU auf. Er meint damit die Waren-Handelsbilanz, aber diese sagt eben nicht alles über das wirtschaftliche Verhältnis zweier Blöcke aus. Waren sind das eine, Dienstleistungen das andere, und bei den Dienstleistungen weisen die USA einen fast so großen Überschuss gegenüber der EU auf wie umgekehrt bei den Waren. Insofern sind die Zoll-Erpressungen Trumps bereits vom Grundsatz her genau das: Erpressungen, die weitgehend auf Unwahrheiten beruhen.
Wie ausgeglichen ist der Handel zwischen EU und USA?
Begleittext von Statista
Sind die Handelsbeziehungen zwischen der Europäischen Union und den USA wirklich so einseitig, wie US-Präsident Donald Trump meint? Zahlen des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat) zufolge ist das Verhältnis zwar nicht gänzlich ausgeglichen, aber es fällt längst nicht so einseitig zugunsten der EU aus, wie Trump sagt. Demnach exportiert die EU in die USA nach Wert deutlich mehr Güter als sie von dort importiert – der entsprechende Handelssaldo (blaue Linie in der Grafik) ist tatsächlich positiv. Er wird gebildet aus dem Wert der Exporte in die USA abzüglich der Importe von dort in die EU. Bei den Dienstleistungen sieht es aber genau umgekehrt aus: hier hat die EU ein Handelsdefizit (orangene Linie), weil die USA in der EU deutlich mehr Dienstleistungen verkaufen als die EU dies in den USA tut. Hierzu zählen unter anderem Gebühren für die Nutzung von geistigem Eigentum sowie Telekommunikations-, EDV- und Informationsdienstleistungen. Der Gesamtsaldo (gepunktete gelbe Linie) ist seit 2020 deutlich kleiner geworden und lag 2024 bei 50 Mrd. Euro.
Erheben die USA Zölle auf Waren europäischer Unternehmen, verteuern sich diese Produkte und könnten weniger abgesetzt werden. Reagiert die EU mit Gegenzöllen auf US-Waren, würden diese für europäische Verbraucher teurer. Auch US-Zölle in anderen Teilen der Welt könnten die EU indirekt belasten. Betroffene Länder könnten ihre für die USA bestimmten Waren stattdessen nach Europa umleiten, was den Wettbewerb für europäische Unternehmen verschärfen würde. Zudem könnte die globale Vernetzung der Wirtschaft zu Unterbrechungen in den Lieferketten europäischer Firmen führen, wodurch bestimmte Produkte schwerer und teurer zu beschaffen wären. Die Unsicherheit über mögliche Zölle und deren Folgen könnte Unternehmen zudem dazu veranlassen, Investitionen aufzuschieben, was wiederum das Wirtschaftswachstum weiter dämpfen würde.
Beschreibung der aktuellen Zölle der USA gegenüber der EU
Kerndaten der Zölle
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Ab 1. August 2025 erhebt die US-Regierung unter Präsident Trump einen pauschalen 30-Prozent-Zoll auf alle Importe aus der Europäischen Union.
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Diese Maßnahme folgt auf gescheiterte Verhandlungen über ein umfassenderes Handelsabkommen zwischen den USA und der EU123.
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Die 30-Prozent-Zölle gelten zusätzlich zu bereits bestehenden sektoralen Zöllen, etwa auf Stahl, Aluminium oder bestimmte Industrieprodukte13.
Ausnahmen von der 30-Prozent-Regel
Die neuen Zölle gelten nicht für alle Produkte. Folgende Ausnahmen sind explizit vorgesehen:
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Stahl und Aluminium: Produkte, die bereits unter die bestehenden Section-232-Zölle fallen, sind von den neuen 30-Prozent-Zöllen ausgenommen.
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Automobile und Autoteile: Wenn sie bereits durch Section-232-Zölle belegt sind, sind sie ebenfalls ausgenommen.
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Weitere spezifische Produktgruppen:
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Kupfer
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Pharmazeutika
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Halbleiter
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Holzprodukte
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Bestimmte kritische Mineralien
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Energie und Energieprodukte
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Smartphones, Computer und andere Elektronik (seit Erweiterung der Ausnahmeliste im April 2025)4
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Produktionsverlagerung: Unternehmen aus der EU können die Zölle komplett vermeiden, wenn sie ihre Produktion in die USA verlagern56.
Weitere Hinweise
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Präsident Trump drohte, die Zölle weiter zu erhöhen, falls die EU mit eigenen Zöllen reagiert23.
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Die Maßnahme betrifft die gesamte EU, unabhängig von einzelnen Mitgliedstaaten oder Branchen.Die EU prüft Gegenmaßnahmen und bereitet sich auf mögliche Vergeltungszölle vor3.
Übersichtstabelle: Trump-Zölle und Ausnahmen
| Maßnahme | Gültig ab | Höhe | Ausnahmen |
|---|---|---|---|
| Pauschalzoll auf EU | 1. August 2025 | 30% | Stahl/Aluminium (Section 232), Autos/Autoteile (Section 232), Kupfer, Pharma, Halbleiter, Holz, Energie, Smartphones, Computer, weitere Elektronikprodukte4 |
| Produktionsverlagerung | – | 0% | Bei Verlagerung der Produktion in die USA5 |
Diese Zölle stellen einen erheblichen Eingriff in die transatlantischen Handelsbeziehungen dar und betreffen nahezu alle Sektoren, mit den genannten Ausnahmen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen für EU-Exporteure und US-Konsumenten sind erheblich, insbesondere für Branchen ohne Ausnahmeregelung.
Kurzkommentar
In der Tat gab es in den 2010ern einen Gesamt-Exportüberschuss der EU gegenüber den USA, der beträchtliche Ausmaße erreicht hatte. Doch schon während seiner ersten Amtszeit hat Trump diesen Überschuss wesentlich abgebaut. Seitdem sind zwar die Warenexportüberschüsse der EU nach den USA weiter gestiegen, aber noch mehr das Dienstleistungsdefizit, das die EU mit den USA hat. Die höchst unfaire gegenwärtige Methode Trumps basiert vor allem darauf, dass Waren nun hohen Zöllen ausgesetzt sind, während es viel schwieriger für die EU ist, das ausbordende Dienstleistungsminus gegenüber den USA koordiniert zu bremsen, indem zum Beispiel eine Digitalsteuer eingeführt wird. Eine solche würden wir übirgens als Verbraucher deutlich zu spüren bekommen, weil wir nahezu ausnahmslos auf Angebot von US-Internetdienstleistern zurückgreifen. Viele davon wären vermutlich dann nicht mehr kostenfrei, weil der Deal Daten gegen Kostenfreiheit gestört wäre.
Die Trump-Administration weiß genau, dass die Exportwaren der EU viel leichter mit Strafen zu belegen sind als die eigenen Dienstleistungen. Neben der Diversifizierung und der Stärkung der Binnenwirtschaft, zwei Maßnahmen, die wir bereits in den Teilen 1 und 2 des Artikels für Deutschland als Ausweg benannt haben, gilt es also auch für die EU, sich endlich bei den Digitaldienstleistungen unabhängiger von den USA zu machen. Das böte sogar die Chance, etwas anderes als diese Datenkraken-Großkonzerne zu schaffen, etwas, das mehr auf common source und Daseinsvorsorgeprinzipien beruht, mithin wäre Kostentragung und nicht Gewinne für Aktionäre das Grundprinzip. Ob die neoliberal ausgerichtete EU das auch nur ansatzweise hinbekommen kann, ist eine andere Frage. Ob sie es überhaupt schafft, digigal mitzuhalten, ist ebenso unsicher.
Schaut man sich hingegen auch die Leistungsbilanz an, muss noch einmal neu gerechnet werden, denn sie umfasst auch europäische Investitionen in den USA und US-Investitionen in Europa. Die USA deinvestieren auf der Warenproduktionsseite, während die EU in den USA das Gegenteil tut. Immer mehr EU-Unternehmen produzeiren in den USA, aber der Überschuss beim Warenexport sinkt kaum, weil gleichzeitig US-Unternehmenin der EU immer weniger Waren herstellen, vor allem Automobile (in Deutschland: Verkauf von Opel an Stellantis, Neupositionierung von Ford als mehr oder weniger Nischenhersteller). Für solche Entscheidungen können aber nicht die Europäer verantwortlich gemacht werden, zumal einige mittlerweile ihre größten Werke in den USA haben und allenfalls weiterhin Teile aus Europa oder Mexiko beziehen.
Trump versucht, die EU zu deindustrialisieren, und bevor deren Position immer schwächer wird, ist es dringend geraten neben der von uns seit Jahren und unabhängig von Trump geforderten strategischen Wirtschaftspolitik nun endlich einen Gegendruck aufzubauen, um kurzfristig aus der Defensive zu kommen, so schwierig diese Entscheidung für uns als Verbraucher auch sein mag.
TH
Quellen zu den aktuellen Trum-Zöllen gegen die EU
- https://www.reuters.com/business/trump-announces-30-tariffs-eu-2025-07-12/
- https://www.nytimes.com/2025/07/12/us/politics/europe-eu-tariffs-trade.html
- https://www.politico.eu/article/donald-trump-hits-eu-with-sweeping-30-percent-tariffs/
- https://www.tradecomplianceresourcehub.com/2025/07/11/trump-2-0-tariff-tracker/
- https://www.linkedin.com/news/story/us-hits-eu-mexico-with-30-tariff-6462364/
- https://www.nytimes.com/live/2025/07/12/us/trump-news
- https://www.wsj.com/economy/trade/trump-threatens-30-tariffs-on-eu-mexico-c48ce36f
- https://thehill.com/policy/international/5398158-european-union-mexico-donald-trump-tariffs/
- https://uk.finance.yahoo.com/news/trump-tariffs-live-updates-us-slashes-de-minimis-tariff-china-lifts-boeing-ban-amid-trade-war-thaw-191201959.html
TH
Im ersten Teil unseres Artikels über die Trump-Zölle hatten wir die grundsätzlichen Auswirkungen dreier möglicher Szenarien im vom US-Präsidenten angezettelten Handelskrieg dargestellt, heute schauen wir auf die einzelnen Bundesländer: Welches ist von welchem Szenario besonders stark betroffen?
Welche Bundesländer leiden am stärksten unter US-Zöllen?

Begleittext von Statista
Die Auswirkungen von Zöllen auf US-Importe aus Deutschland trifft die Bundesrepublik nicht überall gleichermaßen stark. Wie eine Studie des Münchner ifo Instituts (PDF-Download) zeigt, wären über alle drei Szenarien hinweg die Bundesländer Saarland, Niedersachsen und Baden-Württemberg am stärksten von der US-Zollpolitik betroffen. Je nach Szenario dürfte die industrielle Wertschöpfung in diesen Bundesländern zwischen 1,7 und 3,0 Prozent schrumpfen. Die drei Bundesländer zeichnen sich durch eine hohe Bedeutung der exportorientierten Automobilindustrie aus, wodurch sich laut ifo-Experten die starke Belastung durch Zölle erkläre. Nicht in der Grafik gezeigt: Die geringsten Auswirkungen sind für Sachsen-Anhalt und die drei norddeutschen Bundesländer Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zu erwarten.
Szenario eins basiert auf einem Fortbestand der Übergangsregelung nach dem Liberation Day. Hier wurde ein pauschaler Basiszoll von 10 Prozent eingeführt. Die Studienautoren haben dabei berücksichtigt, dass für manche Produktgruppen bereits höhere Zölle verhängt wurden (Stahl, Aluminium, Autos und Autoteile mit jeweils 25 %). Für Szenario zwei wird angenommen, dass die am 2. April 2025 verkündeten, reziproken Zölle in Höhe von 50 Prozent gegenüber EU-Importen nach der Verhandlungspause wieder eingeführt werden. Szenario drei basiert darauf, dass keine länderspezifischen Zölle verhängt werden, sondern ausschließlich produktspezifische Zölle.
Kommentar
Im ersten Teil (unten anhängend) haben wir die Ifo-Hypthesen bereits kurz analysiert und Schlüsse daraus gezogen. Was wir oben sehen, ist unter anderem, dass stark industriell geprägte Bundesländer auch stark von den negativen Folgen der Trump-Zölle betroffen sind. Das ist nicht verwunderlih und leider gehört auch unser Heimat-Bundesland zu den stärksten Verlierern, und zwar in allen drei Szenarien.
Das ist besonders betrüblich, wenn man bedenkt, wie viele industrielle Niedergänge und wirtschaftliche Anpassungen dieses Bundesland seit den 1970ern verkraften musste. Beim Szenario zwei, der härtesten Variante, trifft es aber auch dienstleistungsorientierte Bundesländer wie Berlin, wohingegen im Begleittext durchscheint, dass dort, wo kaum industrielle Wertschöpfung stattfindet, selbstverständlich auch die Trump-Zölle geringere Auswirkungen haben. Starke Bundesländern können gewisse Rückgänge aber auch besser verkraften als wirtschaftlich schwache, und vielleicht ist der Zwang zu mehr Diversifizierung und Binnenorientierung, den wir im ersten Teil als sinnvolle Antwort auf die Trump-Angriffe auf den europäischen Wohlstand herausgearbeitet haben, gerade für die Länder eine Chance, die bisher nicht so recht Anschluss halten konnten. Dazu müssten sie eine Art Innovation-aus-der-Not-Mentalität entwickeln, die in Deutschland schwierig zu etablieren ist und kreatives Potenzial ausgerechnet dort als möglichen Booster zu vermuten, wo Menschen zunehmend in die politische Regression gehen, ist nicht gerade eine naheliegende Variante, wenn es darum geht, wie das Land wieder aus der Defensive kommen könnte.
Seit vielen Jahren fordern wir, dass in Deutschland endlich eine strategische Wirtschaftspolitik etabliert wird, gerade jetzt täte sie mehr Not denn je. Unter der vielgescholtenen Ampelregierung gab es durchaus Ansätze dazu, auch wenn sie bruchstückhaft und genauso inkohärent waren wie die gesamte Politik. Gegenwärtig versucht die neue Bundesregierung, ihrer reaktionären Gesamtausrichtung gemäß, durch Rückschritte bei fast allen Standards die Wirtschaft „anzukurbeln“. Dieser an alte Zeiten, als Automotoren noch mit der Handkurbel in Gang gesetzt wurden erinnernde Begriff trifft den Charakter des Geschehens wirklich gut, weil Uralt-Rezepte die Wende bringen sollen.
Die Menschen werden ärmer, der Konsum stagniert, man handelt gegen jede Logik, nur, weil ein einziges Ziel über allem steht: Nicht die Wirtschaft fit für die Zukunft zu machen, sondern kurzfristig die Reichen noch reicher, indem man unsinnigerweise die Privilegierten noch mehr fördert, ohne dass sie dadurch vermutlich nur einen Cent mehr in Innovationen stecken, sondern lediglich ihre ohnehin absurd hohen Privatvermögen weiter vergrößern werden. Damit fallen auch die positiven Aspekte der Wirtschaftspolitik von 2021-2023 (negative gab es freilich zur Genüge) der Reaktion zum Opfer – und diese Wechselhaftigkeit ist per se antistrategisch und Deutschland wird weiter hinter Staaten zurückfallen, die eine nicht an den Partikularinteressen bestimmter Lobbys orientierte, sondern mit dem Ganzen im Blick operierende Politik betreiben.
TH
Was Sie im Folgenden lesen werden und worauf die Statista-Grafik basiert, die wir teilen, ist derzeit eine Hypothese – in drei Szenarien aufgefächert. Was wäre, wenn es keine Einigung mit Trump über den Dauerstreit bei den Zöllen gäbe? Wie würde die deutsche Wirtschaft dann abschneiden? Im heutigen ersten Teil betrachten wir die Ergebnisse für die klassischen Wirtschaftsbereiche Industrie und Dienstleistungen für die drei im Folgenden erklärten Szenarien.
Infografik: Wie stark treffen US-Zölle die deutsche Wirtschaft? | Statista
Begleittext von Statista
Welche wirtschaftlichen Folgen hätte es für Deutschland, wenn die handelspolitischen Maßnahmen der neuen US-Regierung über mehrere Jahre hinweg Bestand hätten? Diese Frage hat das Münchner ifo Institut (PDF-Download) anhand von drei Szenarien untersucht, die unterschiedliche Ausprägungen der Zollstrategie Trumps abbilden. Bei allen drei Szenarien würde die Industrie in Deutschland am stärksten unter den US-Zöllen leiden. Ihre Wertschöpfung könnte zwischen 0,9 und 2,8 Prozent sinken. Dies liegt laut ifo Institut an der hohen Exportorientierung der deutschen Industrie und ihrer starken Verflechtung mit dem US-amerikanischen Markt.
Innerhalb der Industrie würden sich deutliche Branchenunterschiede aufzeigen: Besonders getroffen wären laut Studienautoren die deutsche Automobil- und Pharmaindustrie. Während die Automobilindustrie mit Verlusten von bis zu 6 Prozent rechnen müssten, könnte die Pharmaindustrie sogar Wertschöpfungseinbußen von bis zu 9 Prozent verzeichnen. Dies läge zum einen an der besonderen Bedeutung des US-Absatzmarkts für diese Branchen und zum anderen an hohen produktspezifischen Zöllen für diese Branchen in Szenarien zwei und drei.
Bei den Dienstleistungen sowie bei Landwirtschaft und Bergbau könnten sich laut ifo Institut sogar leicht positive Wertschöpfungseffekte ergeben. Dies könnte sich ergeben, wenn zum Beispiel deutsche Dienstleistungsanbieter von der Verteuerung US-amerikanischer Konkurrenzprodukte profitieren würden und möglicherweise Marktanteile sowohl auf dem deutschen als auch auf internationalen Märkten gewinnen.
Szenario eins basiert auf einem Fortbestand der Übergangsregelung nach dem Liberation Day. Hier wurde ein pauschaler Basiszoll von 10 Prozent eingeführt. Die Studienautoren haben dabei berücksichtigt, dass für manche Produktgruppen bereits höhere Zölle verhängt wurden (Stahl, Aluminium, Autos und Autoteile mit jeweils 25 %). Für Szenario zwei wird angenommen, dass die am 2. April 2025 verkündeten, reziproken Zölle in Höhe von 50 Prozent gegenüber EU-Importen nach der Verhandlungspause wieder eingeführt werden. Szenario drei basiert darauf, dass keine länderspezifischen Zölle verhängt werden, sondern ausschließlich produktspezifische Zölle.
Kommentar
Angesichts der erratischen Politik von Donald Trump mit immer neuen Zoll-Ideen und Erpressungsversuchen gegenüber anderen Ländern sind die drei genannten Szenarien natürlich einige unter vielen, die denkbar wären. Sie bilden als eine Art von Orientierung und möglicherweise einen Leitfaden, der den Unternehmen eine regionale Diversifizierung anrät und den Politikern den Auftrag zur Stärkung der EU und auch des deutschen Binnenmarktes erteilt. Das ist unser spontaner Gedankengang gewesen, aber wir haben eine Schnell-Analyse des Papiers erstellen lassen, die Ihnen den Mehrwert bietet, den Sie von unseren Artikeln gegenüber reinen Grafiken und kurzen Begleittexten erwarten dürfen:
Analyse der Ifo-Hypothese zu Zolllücken und Zolleffekten unter Trumps Handelspolitik 2.0
Zentrale Erkenntnisse der Ifo-Studie
- Zolllücken: Die Ifo-Analyse widerlegt die von Trump behauptete systematische Benachteiligung der USA durch höhere EU-Zölle. Tatsächlich sind die durchschnittlichen Zolldifferenzen zwischen EU und USA gering. In rund der Hälfte aller Produktgruppen erhebt die EU sogar niedrigere Zölle als die USA. Die von Trump geforderte „Reziprozität“ ist also kein belastbares Argument für die Einführung pauschaler US-Zölle1.
- Zolleffekte: Die von Trump eingeführten und angekündigten Zölle (bis zu 50% auf EU-Importe) gehen weit über bestehende Unterschiede hinaus und dienen vor allem als Druckmittel, um Handelsbilanzdefizite zu reduzieren. Diese Politik stellt einen Bruch mit der regelbasierten multilateralen Handelsordnung dar und erhöht die Unsicherheit im Welthandel massiv1.
- Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft:
- Exporte: Die deutschen Exporte in die USA würden je nach Szenario um bis zu 38,5% einbrechen. Besonders betroffen wären die Automobil- und Pharmaindustrie, die Wertschöpfungsverluste von 6% bzw. 9% erleiden könnten. Insgesamt würden die Gesamtexporte Deutschlands aber nur moderat (bis zu 2,5%) sinken, da Verluste teilweise durch Handelsumlenkung kompensiert werden könnten.
- Branchen: Die Industrie ist am stärksten betroffen, während Dienstleistungssektor und Landwirtschaft leicht profitieren könnten, da sie Marktanteile gewinnen, wenn US-Konkurrenzprodukte teurer werden1.
Handlungsanleitungen für Wirtschaft und Politik
Für die deutsche Wirtschaft
- Diversifikation der Absatzmärkte: Unternehmen sollten ihre Exportabhängigkeit von den USA verringern und alternative Märkte (insbesondere innerhalb der EU und in Asien) stärker erschließen.
- Stärkung der Wertschöpfungsketten: Eine größere Resilienz gegenüber handelspolitischen Schocks kann durch stärkere Diversifikation der Lieferketten und Produktionsstandorte erreicht werden.
- Preisstrategie und Kostenmanagement: In Branchen, in denen die US-Nachfrage nicht vollständig durch lokale Anbieter gedeckt werden kann, sollten deutsche Exporteure versuchen, die Zusatzkosten der Zölle auf die Verkaufspreise umzulegen. Wo das nicht möglich ist, kann eine Verlagerung von Produktion in die USA geprüft werden1.
Für die deutsche und europäische Politik
- Doppelstrategie der EU: Die EU sollte weiterhin eine Balance aus Dialog und klaren Gegenmaßnahmen („Zuckerbrot und Peitsche“) verfolgen. Einseitige Zugeständnisse bergen das Risiko, die Glaubwürdigkeit des regelbasierten Welthandels zu untergraben.
- Verteidigung des Multilateralismus: Die EU sollte sich als Verteidigerin des regelbasierten Welthandels positionieren, neue bilaterale und plurilaterale Abkommen (z. B. mit Mercosur, Indien, Indonesien) anstreben und den EU-Binnenmarkt weiter vertiefen.
- Gezielte Vergeltungsmaßnahmen: Vergeltungszölle sollten als Signal an die USA und andere Staaten eingesetzt werden, um die Abschreckungswirkung zu erhalten, ohne jedoch einen Handelskrieg zu eskalieren.
- Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit: Investitionen in Innovation, Digitalisierung und Infrastruktur sind notwendig, um die Attraktivität des Standorts Europa zu erhöhen und die Abhängigkeit von einzelnen Märkten zu reduzieren1.
Fazit
Die Ifo-Hypothese zeigt, dass Trumps Zolllücken-Argumente empirisch schwach sind, die Zolleffekte jedoch für einzelne deutsche Branchen gravierend sein können. Die deutsche Wirtschaft und Politik sollten auf Diversifikation, Resilienz und eine aktive, multilaterale Handelspolitik setzen, um die negativen Folgen abzufedern und neue Chancen zu erschließen1.
Kommentar Teil 2
Das ist natürlich alles nicht neu, aber wie man es ausführt, kann sich jeden Tag ändern und verbessern. Vor einigen Jahren hatten wir in unseren Darstellungen das deutsche Exportmodell noch weitgehend verteidigt, von der Prämisse ausgehend, dass damit niemand beraubt wird, wie gewisse Linkskeynsianer unter Auslassung der kompletten deutschen Industriegeschichte behaupten, sondern deutsche Waren weltmarktfähig sind, weil sie eben aus dieser Tradition heraus gefertigt werden und nicht, weil sie so billig wären.
Wenn aber der faire Welthandel zusammenbricht, sieht die Sache anders aus, und wir sind mittlerweile der Ansicht, dass binnenorientierte Produkte und Dienstleistungen auf jeden Fall eine stärkere Berücksichtigung verdienen, wenn es darum geht, den Wirtschaftsstandort zu sichern. Plötzlich kann man sich etwas abschauen von Ländern, die man bisher sicher nicht als Vorbild gesehen hätte, weil ihre Deindustrialisierung viel weiter vorangeschritten ist als die Deutschlands.
Es hat mit einem Aspekt zu tun, der uns am Exportmodell hingegen schon länger stört: dass die Mehrheit der Bevölkerung davon nicht mehr profitiert, sondern nur noch Superreiche, die Anteile an exportierenden Unternehmen besitzen, mit dieser Privilegierung der Exportwirtschaft gut fahren. Derweil stockt die Entwicklung des Medianvermögens in Deutschland trotz der hohen Wertschöpfung, die von Industriearbeiter:innen erzeugt wird und bleibt hinter Ländern zurück, die als wirtschaftlich wesentlich schwächer wahrgenommen werden. Die deutsche Wirtschaftsordnung hat etwas zunehmend Antisoziales, wobei freilich der genannte Aspekt nur einer von vielen ist.
Auch der Verteilungskampf muss unter der gegenwärtigen Drucksituation, die durch die USA erzeugt wird, wieder neue Impulse erfahren, vor allem, wenn man den Rechtsdrall stoppen will, der sich unweigerlich verschärfen wird, wenn in Deutschland die Exportindustrie massenhaft Arbeitsplätze abbaut und die herrschende Politik darauf keine zukunftsorientierte Antwort findet.
TH
1: Von Zolllücken und Zolleffekten, Trumps Handelspolitik 2.0 und ihre Folgen für die deutsche Wirtschaft
- https://www.ifo.de/DocDL/sd-2025-06-zdg-baur-etal-welthandel-am-abgrund.pdf
- https://www.iwkoeln.de/studien/thomas-obst-samina-sultan-juergen-matthes-was-droht-den-transatlantischen-handelsbeziehungen-unter-trump-20.html
- https://www.ihk.de/ulm/online-magazin/themen/international/trump-2-0-6536756
- https://www.ifo.de/pressemitteilung/2025-06-23/trump-zoelle-koennten-deutsche-industrie-um-bis-zu-28-prozent
- https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Trump_2.0_Herausforderungen_fuer_Europa_und_Deutschland.pdf
- https://www.ifo.de/publikationen/2025/trumps-aggressive-zollpolitik
- https://www.ebnerstolz.de/pdfs/03/7/3/5/1/2/RSM_Ebner_Stolz_novus_April_2025_Web.pdf
- https://www.teacheconomy.de/aktuelles/trumps-handelspolitik/
- http://www.sr-mediathek.de/index.php?seite=7&id=155493
- https://kpmg.com/de/de/home/themen/2024/11/veraenderungen-fuer-deutsche-unternehmen-unter-us-praesident-trump.html
- https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Report/PDF/2025/IW-Report_2025-Trump_2.0.pdf
- https://rp-online.de/wirtschaft/us-zoelle-von-trump-diese-bundeslaender-am-meisten-betroffen_aid-130656727
- https://www.springerprofessional.de/globalisierung/expansion/deutscher-wirtschaft-graut-vor-donald-trump/50135116
- https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/zollpolitik-trump-usa-100.html
- https://www.ifo.de/publikationen/2025/aufsatz-zeitschrift/von-zollluecken-und-zolleffekten
- https://www.dihk.de/de/aktuelles-und-presse/tdw/harris-gegen-trump-auswirkungen-der-us-wahl-auf-die-deutschen-unternehmen-123202
- https://www.gtai.de/de/trade/usa/specials/trump-2-0-welche-folgen-fuer-die-weltwirtschaft-sind-zu-erwarten–1836020
- https://www.ifo.de/publikationen/2025/zeitschrift-einzelheft/ifo-schnelldienst-062025-welthandel-am-abgrund
- https://insm.de/aktuelles/publikationen/2038
- https://www.handelsblatt.com/politik/handelskrieg-der-donald-trump-tracker-fuer-die-maerkte-in-deutschland-usa-und-china-01/100124570.html
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