Filmfest 1364 Cinema – Werkschau Charles Chaplin (24)
Recreation ist eine Kurzkomödie von und unter Regie von Charlie Chaplin in der Hauptrolle. Es wurde am 13. August 1914 veröffentlicht. [1]/[1]
Falls Sie nach dem Anschauen des 24. Charles-Chaplin-Films den Eindruck haben, das alles schon einmal gesehen zu haben, so liegen Sie nicht komplett falsch. Erstens kennen wir vieles von späteren Werken, zweitens – kennen wir es von früheren. Zwei Dutzend Filme innerhalb eines knappen halben Jahres, da kann man schon einmal ins Sich-Wiederholen kommen, denn keine Kreativität ist unendlich.
Handlung
Der Landstreicher ist niedergeschlagen und bereitet sich darauf vor, sich in einem Parksee zu ertränken. Er ändert schnell seine Meinung, als ein attraktives Mädchen auftaucht, und flirtet mit ihr. Ihr Freund, ein Seemann, entdeckt dies jedoch und beginnt einen Kampf mit dem Tramp. Kurz darauf werden zwei Polizisten in die Schlägerei verwickelt. Der Film endet damit, dass alle in den See fallen.
Chaplin war der einzige Schauspieler in Recreation, der einen Screen-Credit erhielt.
Der Film war nur eine halbe Rolle lang. Ein Reisekurzfilm, The Yosemite, machte die andere Hälfte der Rolle aus.
Rezension (1)
Ob man den Film als Zeitverschwendung ansieht, hängt von der Einstellung ab. Wenn man sich durch sämtliche Chaplin-Filme zu arbeiten versucht, hat man natürlich die Einstellung, dass kein Film nicht angeschaut werden sollte. Außerdem ist der Aufwand fürs Betrachten viel geringer als für das Schreiben dieser Rezension, denn der Film dauert nur knapp sechs Minuten und ist damit der kürzeste aller Chaplins bisher, etwa gleichauf mit „Seifenkistenrennen in Venice“ („Kid Auto Races at Venice„), seinem zweiten Auftritt, am Veröffentlichungsdatum orientiert. Ich habe nicht mehr genau im Kopf, wann Chaplin den ersten a.) Parkbank-Film gemacht hat, in welchem Film b.) die ersten Ziegelsteine geflogen sind und in welchem c.) zum ersten Mal die ganze Besetzung des Films oder ein Teil davon im See gelandet ist.
Dieses Mal sind es alle, inklusive dem Mädchen und Chaplin selbst. Erstaunlich, wie man dieses Thema immer wieder leicht variieren kann. Ebenso die Annäherung an eine Frau auf einer Parkbank und das Bewerfen anderer Menschen, hier inklusive Polizisten, mit Ziegelsteinen, die natürlich nicht wirklich aus Stein waren. Was bei Roscoe Arbuckle die Torte im Gesicht war, das war bei Chaplin der Ziegelstein. Nun fragen Sie mich mal, für was ich mich im Ernstfall entscheiden würde, auch wenn ich wüsste, dass der Ziegel nicht echt ist.
Der Film ist natürlich ein echter Quickie, bei dem Charles Chaplin sich im Regie führen geübt hat, aber nicht viel Hirnschmalz in die Erfindung neuer Gags investieren musste. Vielleicht war man mit dem Produktionsplan im Rückstand. Es gibt viel Material zum Produzieren in dieser Firma, weil Keystone relativ gut dokumentiert ist, natürlich besonders, was Chaplin angeht und dessen Einbindung in das System des Studios, das er damals noch nicht so dominierte wie die Produktionen seiner späteren Arbeiten. Aber er war schon im Regiefach angelangt, und dies nicht zum ersten Mal. Das war nur ein paar Monate vor der Routine-Arbeit „Recreation“. Ich war etwas weniger eilig und habe vor „Recration“ eine Rezensionspause eingelegt. Vermutlich, weil „The Face on the Bar Rom Floor” für einen Chaplin-Film ungewöhnlich traurig endet. Vor allem aber, weil die Film so intensiv zu beschreiben und Chaplins Entwicklung bis ins Detail nachzuzeichnen, auch etwas Kraft gekostet hatte. Ich war die ganze Zeit auf der Suche nach dem romantischen Tramp und fand ihn nicht. 23 vergebliche Anläufe, da kann man schon einmal müde werden.
Gut möglich, dass er den Tramp erst bei Essanay in diese Richtung erweiterte, aber trotzdem gibt es immer wieder kleine Additionen. Und eine frohe Kunde. Ich musste zweimal lachen. Zum ersten Mal, als „der kleine Kerl“ versucht, ein Brückengeländer zu übersteigen, um sich ein einen See zu schmeißen und das so unbeholfen anstellt, dass er nach der falschen Seite herunterfällt und dann zum Glück dem Mädchen begegnet, das zweite Mal, als ebenjenes Mädchen ihm einen Tritt gibt und er ins Wasser fällt – oder noch nicht in dem Moment, sondern kurz darauf. Das Nasse also.
Das Schöne an dem Film ist aber auch das Egalitäre, jeder darf mal mit Ziegeln werfen und die anderen treten und ab in den See. Wir zählen im Wasser am Ende fünf Personen. Charlie, das Mädchen, deren Freund, einen Seemann, und zwei Polizisten in unterschiedlichen Uniformen. Wann genau man in den USA bei den Polizeiuniformen von der Haube zur Kappe übergegangen ist, weiß ich nicht, vielleicht von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Die Keystone-Cops wären jedenfalls ohne die Helme, die denen englischer Bobby ähneln, wie sie diese heute noch tragen, undenkbar gewesen, und man sieht in Chaplins Filmen bei Keystone immer mal wieder etwas von ihnen. Nun haben wir doch nachgeschaut:
Die ersten drei Regiearbeiten von Charlie Chaplin waren:
„Caught in the Rain“ (1914) – Dies war Chaplins Regiedebüt, das am 4. Mai 1914 veröffentlicht wurde.
„Twenty Minutes of Love“ (1914.
„Caught in a Cabaret“ (1914).
Nach diesen ersten Bemühungen führte Chaplin bei den meisten seiner nachfolgenden Filme in den Keystone Studios Regie. In den letzten sechs Monaten seines Vertrags mit Keystone führte er bei allen seinen Auftritten Regie, mit Ausnahme von „Tillie’s Punctured Romance“, dem ersten abendfüllenden Film von Mack Sennett (dem Eigentümer des Keystone-Studios).
Habe ich nun vielleicht doch auf der Suche nach dem mehr dramatischen Tramp etwas gefunden? Manchmal wirkt es auf mich, als habe Chaplin einen Plan gehabt und immer wieder getestet, anhand von Miniaturen von Gags oder auch nicht so witzigen Momenten, wie das ankommen könnte. Hier ist es natürlich der Beginn, obwohl man gleich sieht, dieses Gewässer ist vermutlich weder tief noch pflanzenfrei,und vermutlich nicht zum Sich-Ertränken eignet. Entweder hatten das Team keine andere Location mit Holzbückengeländer in richtiger Höhe parat, oder es war Absicht, dass der Komiker uns sagen wollte, es wird schon nicht so schlimm.
Dies konnte man sich ohnehin denken, weil der Film gerade erst anfängt, und es dann tun und wie es dazu kam in einer Rückblende erklären, das war nun wirklich nicht das Ding von Kurzfilm-Slapstick-Komödien bei Keystone im Jahr 1914 und ist auch nicht Chaplins Art zu filmen – soweit ich es im Kopf habe, sind alle seine Filme strikt chronologisch inszeniert. Aber er deutet einen Suizid an, und das Spiel mit dem Tod ist insofern die Fortsetzung vom Ende des Films, der in einer Bar spielt.
Und schon muss ich mich wieder korrigieren: Exakt in jenem Film „The Face on the Barroom Floor“ wird die Rückblende sogar als leitendes Stilmittel eingesetzt. Aber es war eine Ausnahme. Das Lesen einer Rezension hingegen erklärte mir, dass nicht nur Chaplin häufig Park-Komödien machte, in seiner Anfangszeit jedenfalls, sondern dass er vielleicht sogar deshalb dieses Sub-Subgenre (Slapstick als Subgenre der Komödie und der Park mit den Bänken, den Ziegelsteinen und der tiefen Pfütze als Subgenre der Slapstick-Komödie) so bevorzugte, weil er es eben bei Keystone gelernt hatte, wo das Setting zu ebenjenem Subgenre entwickelt wurde. Der Variantenreichtum kann dabei unmöglich größer gewesen sein als die Gleichheit vieler Elemente über viele Filme hinweg.[2]
Finale
Natürlich ist der Film (auch) rudimentär, und da er keine herausragende Stellung in Chaplins Werk einnimmt, was hingegen für einige simple Filme aus seiner Anfangszeit sehr wohl gilt, wollen wir es hier mit den Details nicht übertreiben. In einer weiteren Rezension können Sie nachlesen, dass und warum es um die visuelle Continuity nicht so gut bestellt ist (wie bei vielen Komödien aus dieser Zeit)[3] und ich möchte hinzufügen, dass der eine Polizist schon beginnt, in den See zu springen, bevor er von Charlie getreten wird, in einer Art von vorauseilendem Gehorsam, wie er für Menschen, die an Autorität glauben, typisch ist. Und Chaplin war zu der Zeit schon eine Autorität, allemal deswegen, weil er hier Regie führte.
Was ich sehr charmant fand, war, dass ein privater Rezensent in der IMDb dem Film tatsächlich 9/10 gegeben hat und eine große Verteidigung dieser frühen Kunst das späteren Meisters geschrieben hat, in der es vor allem darum geht, warum alles seinerzeit Pionierarbeit war, dass man diese Filme viel zu sehr aus heutiger Sicht bewertet, und dass er selbst auf dem College Kurzfilme erstellt hat und weiß, wie viel Arbeit dahintersteckt.[4] Vielleicht ist es auch eine Rezensentin, Frauen sind leider unter den Nutzer:innen und Bearbeiter:innen der IMDb immer noch eine Minderheit, aber die empathische Sicht auf Chaplins Sechsminüter würde zu einer Frau passen.
Ich konzentriere mich darauf, dass ich zwei Mal lachen konnte, auch 111 Jahre nach dem Erscheinen des Films, und das gelang mir nicht bei allen Chaplin-Frühwerken und nicht bei den Arbuckle-Keaton-Filmen, die ich mir jetzt parallel anschaue. Es ist für mich ein Kompromiss. Nach heutigen Maßstäben dürfte ich solchermaßen rohen Filmen nicht einmal 50 Punkte geben, aber wenn ich, wie die Rezensentin, die ich gerade erwähnt habe, so gut wie möglich in die Zeit einzutauchen (ohne Selbstmordabsichten) und mich in das damalige Publikum und in Chaplins Lage zu versetzen, also nicht aus der Distanz arbeite, dann kommt es plötzlich dass der Film mit späteren Meisterwerken gleichzieht, und das kann auch nicht die Lösung sein. Zum Gesamtbild gehört auch, dass der Film damals eben rudimentärer war als später, während andere Künste neue Stilrichtungen erfuhren, es hingegen seit vielen Jahrhunderten gleichrangige Meisterwerke gab, wie in der Musik oder in der Bildenden Kunst.
Meistens gehe ich aber schon etwas höher als die Durchschnittswertung der IMDb, wenn es keine ethischen Probleme mit einem Film gibt. Die sehe ich nicht schon dann als gegeben an, wenn jemand nicht gewaltfrei Komik machen kann, schon gar nicht in einem amerikanischen Film, schon gar nicht aus dieser das Faustrecht umarmenden Periode. Die IMDb-Nutzer:innen vergeben derzeit durchschnittlich 5/10 und damit liegt der Film auch unter Chaplins Frühwerken unter dem Durchschnitt.
55/100
2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke, Entwurf 2024
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Regie |
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Produzent |
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Kamera |
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Produktionsfirma |
Besetzung
- Charlie Chaplin – Der Landstreicher
- Charles Bennett – Matrose (im Abspann nicht aufgeführt)
- Helen Carruthers – Girl (im Abspann nicht aufgeführt)
- Edwin Frazee – Kurzer Cop (im Abspann nicht aufgeführt)
[1] Freizeit (Film) – Wikipedia
[2] Looking at Charlie – Das Jahr bei Keystone, Teil 2: Eine gelegentliche Serie über das Leben und Werk von Charlie Chaplin – Bright Lights Film Journal
[3] Recreation (1914, Charles Chaplin) – The Stop Button
[4] Anonymous_Maxine’s Review of Recreation – IMDb
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