Filmfest 1371 Cinema – Werkschau Charles Chaplin (25) – Die große Rezension
The Masquerader ist ein Film aus dem Jahr 1914, der von Charlie Chaplin während seiner Zeit in den Keystone Studios geschrieben und inszeniert wurde. Der Film mit Chaplin und Roscoe Arbuckle in den Hauptrollen hat eine Laufzeit von 13 Minuten. Es ist der zehnte Film unter der Regie von Chaplin.1
In nur einem halben Jahr hatte Charles Chaplin seit seiner Ankunft in den Keystone-Studios 25 Filme gedreht. Davon, wie oben erwähnt, bereits zehn in eigener Regie oder Co-Regie. Bereits im zweiten Halbjahr 1914 sollte sich sein Output deutlich verlangsamen – es kamen noch 11 Filme hinzu, bevor er das Studio wechselte und seine zweite Station bei Essanay begann. Dort drehte er insgesamt 15 Filme, davon 14 im Jahr 1915.
Die hohe Anfangsfrequenz war damals, speziell im Fach der schnell heruntergekurbelten Slapstick-Filmkomödie, nicht ungewöhnlich, und viele Schauspieler kamen auf wesentlich mehr Filme allein in den Jahren um 1910, als Chaplin während seiner ganzen Karriere gemacht hat (93). Chaplin wollte sich entwickeln, das bezweifelt niemand, und dazu ist es notwendig, sich mehr Zeit zu lassen, Gags und Schauspiel zu perfektionieren. Merkt man davon schon etwas in „The Masquerader“? Einen deutschen Titel hat der Film nicht, die Wikpedia kennt 23 Sprachversionen zu diesem Werk, aber in der deutschen Ausgabe ist es (wie die meisten Chaplin-Fime dieser Phase) nicht zu finden. Daher ist auch die folgende Handlungsausgabe aus dem Englischen automatisch übersetzt.
Handlung (1)
Der Film dreht sich um das Filmemachen in den Keystone Studios. Charlie spielt einen Schauspieler, der mehrere Szenen verpfuscht hat und aus dem Studio geworfen wird. Am nächsten Tag taucht eine seltsame, schöne Frau auf, um für den Film vorzusprechen – es ist Charlie in Verkleidung. Indem Charlie eine Frau perfekt verkörper, zieht er die Aufmerksamkeit des Regisseurs auf sich, der die neue „Schauspielerin“ für seine Filme engagiert. Der Regisseur überlässt der schönen Frau die Herrengarderobe zum Umziehen. Dort kehrt Charlie in sein Tramp-Kostüm zurück. Als der Regisseur zurückkehrt, um nach der Frau zu suchen, findet er Charlie und erkennt, dass er ausgetrickst wurde. Wütend jagt der Regisseur Charlie durch das Studio, bis Charlie beschließt, in etwas zu springen, das er für eine Requisite hält. Der Film endet damit, dass der Regisseur und die anderen Schauspieler über Charlie lachen, als er auf dem Grund eines echten Brunnens gefangen ist. Die Handlung um einen Mann, der sich als Frau verkleidet, war in Stummfilmen sehr beliebt.
Rezension
Auf mich hat die Schlussszene so gewirkt, als wolle Charlie gar nicht in die „Requisite“ springen, sondern fällt hinterrücks hinein – in den Brunnen. „Unten“ wird er dann gezeigt, wie er, komplett durchnässt, in die Kamera prustet. Innerhalb der Analyse von mir eingefügte Passagen sind mit * gekennzeichnet.
The Masquerader (1914): Eine komplette Analyse von Charles Chaplins 25. Film
Historische Einordnung und werkgeschichtliche Bedeutung
„The Masquerader“ nimmt eine bemerkenswerte Stellung in Charles Chaplins frühem Filmschaffen ein. Als 25. Film seiner Karriere (einschließlich des verschollenen „Her Friend, The Bandit“) und zehnter Film unter seiner eigenen Regie markiert das Werk einen bedeutsamen Entwicklungsschritt. Der am 27. August 1914 bei Keystone Studios veröffentlichte 13-minütige Kurzfilm entstand in einer Zeit rasanter künstlerischer Entwicklung für Chaplin, der erst wenige Monate zuvor seine Laufbahn vor der Kamera begonnen hatte. wikipedia+1
*Bei diesem Teil der Analyse gehe ich schon nur bedingt mit. Natürlich war jeder Film von Chaplin damals wichtig für seine künstlerische Entwicklung, und er hatte in dem zurückliegenden halben Jahr (der erste Film, in dem er zu sehen war, startete in den Kinos am 2. Februar 1914), und es gibt einige Elemente in „The Masquerader“, die bemerkenswert sind, wir schauen sie uns im Folgenden an, aber den bedeutsamen Entwicklungsschritt muss man schon etwas genauer suchen.
Statistische Einordnung der spezifischen Fragestellungen
Zur präzisen filmhistorischen Einordnung sind folgende Fakten relevant: „The Masquerader“ ist Chaplins zweite Verkleidung als Frau, nach „A Busy Day“ (7. Mai 1914) und vor „A Woman“ (1915). Es handelt sich um das zweite filmische Werk über das Kino nach „A Film Johnnie“ (2. März 1914). Als zehnter Film unter Chaplins eigener Regie folgt er auf „Caught in the Rain“ (4. Mai 1914), seinem ersten Regiedebut. Die Zusammenarbeit mit Roscoe Arbuckle war bereits die vierte gemeinsame Produktion nach „Making a Living“, „Tango Tangles“ und weiteren Filmen. Minta Durfee, Arbuckles Ehefrau, arbeitete ebenfalls mehrfach mit Chaplin zusammen, wobei „The Masquerader“ eine dieser Kooperationen darstellte. wikipedia+9
*Ein First, das einen bedeutenden Entwicklungsschritt hätte markieren können, gibt es hier also nicht, aber eine Weiterentwicklung. In der Tat hat er einen künstlerischen Aufschwung genommen, der sich vor allem in den wenigen Minuten ausdrückt, in denen er eine Frau spielt.
Narrative Struktur und thematische Innovationen
Der Film präsentiert eine meta-cinematische Erzählung, die das Filmemachen selbst zum Gegenstand macht. Chaplin spielt zunächst sich selbst als Schauspieler in den Keystone Studios, transformiert sich dann in seinen berühmten Tramp-Charakter und schließlich in eine elegante Dame. Diese dreifache Identitätstransformation war für 1914 bemerkenswert innovativ. charliechaplin+2
Die Handlung folgt einem klaren dramatischen Bogen: Ein inkompetenter Schauspieler (Chaplin) wird nach mehreren verpatzten Szenen entlassen, kehrt jedoch als überzeugende Schauspielerin zurück und bezirzt den Regisseur. Die Enthüllung seines wahren Geschlechts führt zu einer wilden Verfolgungsjagd durch das Studio, die mit seinem Fall in einen Brunnen endet. wikipedia+1
Technische und künstlerische Bewertung
„The Masquerader“ zeigt Chaplins wachsende Meisterschaft in der Filmregie. Die Geschlechtsverkleidung ist deutlich raffinierter als in „A Busy Day“, wo Chaplin lediglich grob als Frau kostümiert war. Hier unternimmt er einen ernsthaften Versuch, als attraktive Frau zu überzeugen, was zeitgenössische Kritiker beeindruckte. Ein Rezensent von Bioscope schrieb: „Hier haben wir Mr. Chaplin bei der Probe für eine Filmproduktion, in der er eine wirklich bemerkenswerte weibliche Imitation gibt. Das Make-up ist nicht weniger erfolgreich als die Charakterisierung, und es ist ein weiterer Beweis für Mr. Chaplins unbestrittene Vielseitigkeit“. chaplinfilmbyfilm.wordpress+4
Die Selbstreferenzialität des Films war für die Zeit außergewöhnlich. Durch die Verwendung der tatsächlichen Keystone Studios und echter Schauspieler wie Arbuckle, Conklin und Murray, die sich selbst spielten, schuf Chaplin eine frühe Form des Meta-Kinos. Diese Technik sollte später in „His New Job“ (1915) und „Behind the Screen“ (1916) weiterentwickelt werden. apocalypselaterfilm+4
Sozialgeschichtlicher Kontext der Geschlechterverkleidung
Die Darstellung von Cross-Dressing in der Stummfilmzeit war ein komplexes gesellschaftliches Phänomen. In Deutschland beispielsweise existierten bereits etablierte Traditionen der Hosenrolle, während in Amerika solche Darstellungen weniger mit homoerotischen Interpretationen verbunden wurden. Chaplins Geschlechterverkleidung in „The Masquerader“ nutzte diese Ambiguität geschickt für komödiantische Zwecke, ohne explizit kontroverse Themen anzusprechen.suffrageandthemedia+1
Die Metathematik des Filmemachens reflektierte auch die wachsende Popularität und kulturelle Bedeutung des neuen Mediums. 1914 war das Kino noch jung, und Filme über das Filmemachen boten dem Publikum faszinierende Einblicke in die entstehende Industrie. apocalypselaterfilm+3
*Die Hosenrolle ist allerdings der umgekehrte Fall, in dem eine Frau in Hosen auftritt und einen Mann spielt – offenbar eine speziell deutsche Variante des Cross-Dressing, aber keine ausschließlich deutsche. „Viktor / Viktoria“ (1933) zeigt diese Variante schon im Tonfilm, in den USA spielte Katharine Hepburn 1935 in „Silvia Scarlett“ eine solche Rolle. Die berühmteste Verkleidung eines klar definierten Mannes als Frau ist wohl bis heute „Daphne“ (Jack Lemmon) in „Manche mögen’s heiß“ (1959), gefolgt von „Josephine“ (Tony Curtis) im selben Film. „Eine Frau“ von Charles Chaplin haben wir bereits im Rahmen des „Essanay-Projekts“ rezensiert, das vor einigen Jahren von Arte gezeigt wurde.
Durch die Sichtung der Werke von Buster Keaton komme ich auch auf Chaplins Partner in „The Masquerader“ bzw. einen davon, Roscoe Arbuckle“, der schon im allersten Keaton-Film „The Butcher Boy“, in der zweiten Hälfte des Streifens, eine hinreißende Darstellung als Mädchen in einem Pensionat abliefert, die auf jeden Fall höher steht als Chaplins erste Versuche und beinahe auf der Stufe wie „Eine Frau“. Arbuckle hatte, wie Chaplin, weibliche Anteile, die ihn für solche Rollen gut geeignet machten, natürlich fielen die Frauen etwas korpulenter aus als bei dem schmächtigen Chaplin (und als bei Buster Keaton, der ebenfalls in mindestens einem Film als Frau auftritt, in einem weiteren als solche während einer Theatervorstellung, Keaton war aber aufgrund seiner Physiognomie nicht der perfekte Crossdresser, anders bei der Bewegungstechnik).
In der Tat liegt das Cross-Dressing von Chaplin in „The Masquerader“ qualitativ zwischen „A Busy Day“ und „A Woman“. In Ersterem verhält Chaplin sich ausgesprochen männlich, in seiner Verkleidung, gibt mehr oder weniger den Rohling, den er auch in seinen frühen Tramp-Rollen gerne verkörperte, tritt ständig anderen Menschen in den Hintern, während er sich in „The Masquerader“ spezifisch weiblich gibt, inklusive der verdrucksten Verwendung einer Zigarette, was damals bei Frauen sehr wohl in der Realität und sogar im Film bereits vorkam, aber nicht der Form von verspielter Weiblichkeit entsprach, die Chaplin in „The Masquerader“ verkörpert, die ja auch etwas leicht Tuntiges hat. In „A Woman“ transformiert Chaplin dann sogar seine weiblichen Anteile wie das verlegene Greifen auf die untere Zahnreihe beim verschämten Lächeln und die Verwendung einer Blume in die Darstellung von „A Woman“, der Moment wird in einer Nahaufnahme gezeigt, während der gesamte „The Masquerader“ noch kein Close-Up enthält.
Zeitgenössische und moderne Rezeption
Die Rezeption 1914 war überwiegend positiv. Kritiker lobten besonders Chaplins überzeugende weibliche Darstellung und seine komödiantische Vielseitigkeit. Die Bioscope-Rezension betonte die Qualität sowohl des Make-ups als auch der schauspielerischen Leistung. Der Film war kommerziell erfolgreich und trug zu Chaplins rasant wachsender Popularität bei.wikipedia
Die moderne Bewertung ist differenzierter. Während der Film historisch bedeutsam ist, gilt er nicht als Chaplins stärkste Arbeit dieser Periode. Mit einer IMDb-Bewertung von 5,9/10 und gemischten kritischen Stimmen wird er heute eher als interessantes Zeitdokument denn als komödiantisches Meisterwerk betrachtet. Moderne Kritiker schätzen besonders die meta-cinematischen Aspekte und die historischen Einblicke in die Keystone Studios.imdb+3
*Hier muss ich wiederum die Einschätzung der KI etwas nach oben ziehen, zumindest, wenn es um die IMDb geht. 5,9/10 sind die höchste Bewertung aller 25 Filme, die Chaplin bis dahin gedreht hatte, er sollte aber kurz darauf erstmals zwei Filme machen, die über 6/10 liegen (Stand Mitte 2025). Das heißt, der Film fällt in der Tat in eine Phase des künstlerischen Auftriebs und wird auch von den IMDb-Nutzer:innen, bei freilich engen Abstufungen, als sein bis dahin bestes Werk angesehen. Nach meiner Ansicht kann das nur dem gelungenen Cross-Dressing zu verdanken sein, alles andere war in vorherigen Filmen schon besser gelungen – zumindest in der Ausführung der Details. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist allerdings das „Meta-Kino“, das hier sozusagen „intern“ ist, während „A Film Johnnie“ einen kleinen Mann zeigt, der ein Filmfan ist und sozusagen ins Business hineinfällt.
Diese Entwicklung ist nicht unwichtig, denn sie zeichnet auch die Etablierung von Chaplin nach, die sich zwischen März und August 1914 bei Keystone vollzogen hatte. Chaplin war mittlerweile „in“, und das drückt sich auch durch die Handlungsgestaltung ausschließlich hinter den Kulissen bzw. in den Kulissen aus, eine Außenwelt, eine Filmvorführung, ein begeistertes Publikum, einen enthusiastischen Fan, das alles gibt es in „The Masquerader“ nicht.
Nachdem ich kürzlich „Limelight“ angeschaut habe, füge ich einen weiteren Aspekt bei: Chaplin zeigt hier schon etwas von der Angst, die ihn mit zunehmendem Ruhm zunehmend begleiten sollte: Es geht um das Versagen im Job. Nach bloß einem halben Jahre Filmtätigkeit und der doch immer noch spielerischen Atmosphäre bei Keystone konnte er sich als Frau einfach neu erfinden, wenn er – fiktional – als Mann, der sogar eher elegant gekleidet ist, nicht schauspielerisch funktioniert, und schließlich zeigt er sich auch noch als Tramp, damit das Publikum nicht vergisst, welche neue Marke auf dem Markt der Stummfilmkomödie es vor sich hat. Das ist in der Tat recht geschickt miteinander verknüpft, zumindest inhaltlich.
Stärken und Schwächen im Werkkontext
Stärken des Films liegen in seiner innovativen Selbstreflexivität und der geschickten Nutzung der Studioumgebung. Chaplins Geschlechterverkleidung ist deutlich überzeugender als beim oben erwähnten ersten Versuchn. Die Zusammenarbeit mit etablierten Keystone-Stars wie Arbuckle und Murray verleiht dem Film zusätzliche Authentizität. chaplinfilmbyfilm.wordpress+5
Schwächen sind in der begrenzten Laufzeit und der dadurch bedingten oberflächlichen Behandlung des Themas zu sehen. Der Film nutzt das komödiantische Potenzial der Geschlechterverkleidung nicht vollständig aus, im Gegensatz zu späteren Werken wie „A Woman“. Die Handlung bleibt konventionell und bietet wenig narrative Überraschungen jenseits der zentralen Verkleidungsidee. charliechaplin+3
Einmalige Elemente und Innovationen
„The Masquerader“ weist mehrere erstmalige Elemente auf: Es ist Chaplins erste ernsthafte Auseinandersetzung mit überzeugender Geschlechterverkleidung, sein zweiter meta-cinematischer Film und einer der wenigen Keystone-Filme, in dem er explizit sich selbst vor seiner Transformation zum Tramp spielt. Die Verbindung von Selbstdarstellung, Charaktertransformation und Geschlechterverkleidung in einem einzigen Werk war 1914 einzigartig. charliechaplin+1
Wenn man „überzeugend“ einsetzt, ist es also doch ein „First“, aber in dem Fall bleiben wir dabei, es ist ein „Second“.
Filmhistorische Bedeutung
„The Masquerader“ dokumentiert einen wichtigen Moment in Chaplins Entwicklung als Filmkünstler. Der Film zeigt seine wachsende Kontrolle über das Medium und seinen Willen, zu experimentieren. Die Selbstreferenzialität des Werks antizipiert moderne meta-cinematische Techniken und beweist Chaplins frühe Erkenntnis der reflexiven Möglichkeiten des Films.bbc+2
Im Kontext der Keystone-Periode repräsentiert der Film Chaplins zunehmende Reife als Regisseur und seine Fähigkeit, persönliche und professionelle Themen zu verbinden. Die Zusammenarbeit mit Roscoe Arbuckle und anderen Keystone-Stars dokumentiert die kollegiale Atmosphäre des Studios und gibt Einblicke in die Arbeitsweise der frühen Filmindustrie.apocalypselaterfilm+1
Bewertung und Einordnung
„The Masquerader“ ist ein historisch bedeutsamer, künstlerisch jedoch mittelmäßiger Film in Chaplins frühem Werk. Seine Bedeutung liegt weniger in komödiantischer Brillanz als in seiner dokumentarischen und experimentellen Qualität. Als zweiter Cross-Dressing-Film, zweiter meta-cinematischer Film und zehnter Regieversuch markiert er wichtige Entwicklungsstufen in Chaplins Karriere.
Die technische Ausführung ist kompetent, die schauspielerische Leistung überzeugend, aber die narrative Entwicklung bleibt oberflächlich. Der Film funktioniert besser als historisches Dokument der Keystone-Ära denn als zeitlose Komödie. Dennoch beweist er Chaplins experimentellen Geist und seine Bereitschaft, mit den Grenzen des neuen Mediums zu spielen – Eigenschaften, die später zu seinen unsterblichen Meisterwerken führen sollten.
Rezension / Finale
Es ist keine Frage, dass Chaplin stark im Kommen war, als er „The Masquerader“ inszenierte. Ein kleines Echo davon findet man heute noch in den IMDB-Wertungen. In 25 Filmen hatte er nun zehn Mal Regie geführt und sollte das fortan ausschließlich tun. In der sehr jungen und beweglichen Filmindustrie jener Jahre konnte man sich schnell etablieren, und es war Raum für viele Talente, weil die Filme billig hergestellt wurden und das Angebot der riesigen Nachfrage nach immer neuen Komödien entsprach. Und natürlich ist man heute schlauer, deswegen kann man Chaplins Aufstieg leicht als kometenhaft bezeichnen. Hingegen war es noch nicht üblich, dass ein:e Newcomer:in, wie in späteren Jahrzehnten, durch einen einzelnen Film berühmt wurde, Großfilme mit nationaler oder gar internationaler Bedeutung gab es noch kaum. Im Folgejahr sollte sich das allerdings mit D. W. Griffiths „Birth of a Nation“ ändern.
Grundsätzlich jedoch erarbeitete man sich sein Publikum mit großem Einsatz, indem man unermüdlich vor der Kamera stand. Chaplin zählte dabei nicht zu den Vielfilmern, auch wenn er 1914 sogleich den höchsten Output seiner Karriere innerhalb eines Jahres mit 36 Streifen erzielte. Er wollte davon weg, so viel, so schnell, so einfach zu filmen.
Trotzdem war Chaplin nicht vollkommen, schon gar nicht Mitte 1914, auch später nicht. Niemals kam einer seiner Filme in die Verlegenheit, sich um den Oscar für die beste Montage / den besten Schnitt bewerben zu müssen, obwohl viele Nominierungen in anderen Kategorien zu verzeichnen waren, nachdem die Academy Awards 1929 gestartet waren – jeder seiner folgenden US-Filme vor „Limelight“ erhielt Nominierungen.
Aber technisch ist „The Masquerader“ eben nicht so gut, wie die KI ihn darstellt (im Vergleich wozu, muss man allerdings fragen). Inwieweit die von mir gesehene 12-Minuten-Version dem Original entspricht, kann ich nicht sagen, aber in den ersten Minuten kommt es zu fehlerhaften Montagen und allgemein existieren mehrere Szenen, die nur aus wenigen Bildern bestehen, welche schlecht miteinander verzahnt sind, die Proportionen stimmen nicht. Der Film hätte etwas länger sein müssen, das wurde oben schon angedeutet.
Ich habe schon besser geschnittene Filme mit Chaplin aus dieser Phase gesehen, was beweist, dass es schon möglich war, flüssiger zu filmen. Chaplin legte darauf aber wohl keinen maximalen Wert, und dieses Phänomen werden wir auch in seinen Meisterwerken beobachten. Generell war Chaplin kein sehr visueller Regisseur, sondern ein meisterhafter Komödiant und Geschichtenerzähler, der immer auch ein wenig der Bühne verbunden blieb. Und die kennt eben keine Schnitttechnik. Und sie kennt kein dramatisches Spiel mit Licht und Schatten, das beweglich ist, statisch geht das natürlich, von Bühnenbild zu Bühnenbild gesehen. Man muss auch hier unterscheiden: 1914 war flache Bildgestaltung noch üblich, aber Chaplin blieb hier in späteren Jahren – nicht in allen Filmen gleichermaßen allerdings – etwas hinter der Entwicklung zurück, es mangelte an visueller Dynamik. In „The Masquerader“ wirken diese Schwächen so zusammen, dass sich ein ziemlich ruckeliges und nicht sehr visuell ansprechendes Bild ergibt. Auch der Inhalt lässt Fragezeichen entstehen: Roscoe „Fatty“ Arbuckle war trotz Chaplins raschem Aufstieg noch die größere Nummer bei Keystone, deshalb war es logisch, dass man ihn anfangs neben Chaplin in die Garderobe setzt und ihn auf seine typisch kindlich-listige Weise den werdenden Tramp reinlegen lässt, als dieser ein Getränk schnorren will, das wie eine Coca-Cola ohne die typische Flasche aussieht (die es 1914 vielleicht noch nicht gab). Aber warum lässt man Arbuckle nicht auch in dem Film mitspielen, der dann inszeniert werden soll, sondern beendet seine Anwesenheit in dem Film mit der ersten Szene in der Garderobe? Vielleicht, weil Chaplin es schon damals mit der Konkurrenz nicht so hatte, sondern die Bühne, den Raum, das Studio am liebsten für sich. Und da er Regie führte, konnte er ein wenig zaubern und den in jeder Hinsicht raumfüllenden Arbuckle verschwinden lassen. Auch das ist ein Zeichen von Chaplins Werdung. Nicht besonders kohärent, handlungstechnisch, aber Chaplin war nun schon weiter in der Eroberung des Mediums als z. B. in „Tango Tangle“, und auch weiter in der Eroberung des Starruhms.
Hierzu ein Nachtrag: Mittlerweile habe ich „The Rounders“ gesichtet, der laut IMDb-Bewertungsdurchschnitt als bester Chaplin-Film bei Keystone gilt, hier arbeitet er vollumfänglich mit Arbuckle zusammen und bildet für dieses Mal eine Art Vorläufer-Duo zu Laurel & Hardy heraus.
Für die gelungene Verkleidung geben wir ein paar Extra-Punkte, ebenso für die „Selbstreferenzialität“. Da haben wir nämlich zum Schluss noch etwas nachgedacht, mithilfe einer IMDB-Nutzer-Rezension aus dem Jahr 2016: Die Maskerade (Kurzfilm 1914) – Benutzerrezensionen – IMDb. Nicht nur das Filmemachen wird referiert, sondern auch Chaplin als Schauspieler, wie er anfangs als solcher erscheint und am Ende den Tramp spielt, den er erfunden hat. Wenn man so will, ist das ein Cameo-Auftritt, Applaus dafür extra, sodass wir noch ein wenig über der IMDb-Durchschnittswertung herauskommen:
63/100
2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Regie | Charlie Chaplin |
|---|---|
| Drehbuch | Charlie Chaplin |
| Produzent | Mack Sennett |
| Hauptrollen | Charlie Chaplin Roscoe „Fatty“ Arbuckle Chester Conklin Charles Murray |
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https://www.apocalypselaterfilm.com/2014/03/a-film-johnnie-1914.html
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https://chaplinfilmbyfilm.wordpress.com/2014/03/02/a-film-johnnie-2-march-1914/
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https://chaplinfilmbyfilm.wordpress.com/2014/08/27/the-masquerader/
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https://chaplinfilmbyfilm.wordpress.com/2015/07/12/a-woman-12-july-1915/
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https://www.apocalypselaterfilm.com/2014/08/the-masquerader-1914.html
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https://travsd.wordpress.com/2014/08/27/century-of-slapstick-46-the-masquerader/
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https://suffrageandthemedia.org/source/busy-day-originally-titled-militant-suffragette/
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https://necsus-ejms.org/girls-will-be-boys-in-german-silent-cinema/
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https://www.bbc.com/culture/article/20141016-rarely-seen-images-of-chaplin
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https://bayflicks.net/2017/11/27/chaplin-diary-part-1-directing-at-keystone/
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https://www.apocalypselaterfilm.com/2014/09/the-rounders-1914.html
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https://www.charliechaplin.com/en/articles/153-Filmography?category=filming
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http://www.charliechaplinarchive.org/en/collection/cerca/list-of-charles-chaplin-pictures-1914-1952
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https://www.silentera.com/PSFL/filmographies/actors/Chaplin-Charles.html
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http://thelooniverse.com/movies/west/chaplin/Chaplin_movies.html
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https://travsd.wordpress.com/2020/07/12/century-of-slapstick-87-charlie-chaplin-as-a-woman/
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https://www.pinterest.com/pin/charlie-chaplin-a-busy-day-1914–856598791630298931/
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https://www.gendersexualityitaly.com/11-vestiti-semimaschili-in-silent-cinema/
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https://pubdata.leuphana.de/bitstreams/98878d74-8af4-413b-ba66-e919c9f462b1/download
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https://chaplinfilmbyfilm.wordpress.com/2016/05/15/the-floorwalker-15-may-1916/
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https://cinetext.wordpress.com/2016/05/13/a-florida-enchantment-usa-1914/
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https://thebioscope.net/2009/11/09/charlie-chaplin-in-zepped/
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https://www.apparatusjournal.net/index.php/apparatus/article/view/354/660
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https://www.charliechaplin.com/en/filming/articles/211-Mutual-Chaplin-Specials
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https://www.bu.edu/writingprogram/journal/past-issues/issue-6/laverriere/
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https://famousclowns.org/charlie-chaplin/charlie-chaplin-collections/chaplin-at-keystone/
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https://caitlinsorokasfilmstudiesblog.wordpress.com/tag/charliechaplin/
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