Filmfest 1382 Cinema
Doch nicht der letzte Vorhang
Vorhang auf! ist ein US-amerikanisches Filmmusical von Vincente Minnelli aus dem Jahr 1953 mit Fred Astaire und Cyd Charisse in den Hauptrollen.
Diese Überschrift passt besonders gut zu einem Film, der die Bühne, das Musical, den Broadway zum Thema hat. Wenn man sehr jung ist, und über Film wenig weiß, aber Musik und Tanz ganz elementar auffasst, muss man „The Band Wagon“, wie der Film im Original heißt, sehr mögen. Da gibt es überhaupt nur wenige Unterschiede zwischen den großen MGM-Musicals, die alle exzellent ausgestattet, getanzt, gesungen und choreografiert waren. Mit der Zeit lernt man, Details herauszulesen und die Filme überdies in den Kontext ihrer Entstehung zu stellen. Ein Zusammenhang ist sicher, dass Fred Astaire in dem Film auch über sich selbst erzählt, denn Ende der 1940er wollte er schon einmal aufhören.
Handlung (1)
Schon seit Jahren hat Tänzer und Entertainer Tony Hunter (Fred Astaire) keinen Revueerfolg mehr gehabt. In der Branche gilt sein Tanzstil als veraltet und seine Interpretation von Unterhaltung als überholt. Nur seine Freunde Lester und Lily glauben weiterhin an ihn und schreiben ihm eine Revue auf den Leib. Inszenieren soll sie der aktuelle Shootingstar der Bühnen Jeffrey Cordova (Jack Buchanan), der jedoch eher auf ernste, tragische Stoffe wie Oedipus Rex spezialisiert ist. Zwar gelingt es Cordova mit einem Trick, den Ballettstar Gabrielle Gerard (Cyd Charisse) für die Revue zu engagieren, doch lässt er die leichte Revue zu einer schweren Tanzadaption des Fauststoffes umschreiben. Die Premiere in einer Kleinstadt wird ein grandioser Flop. (…)
Rezension
Deswegen schreiben wir heute, „The Band Wagon“ war ein Wendepunkt in der Geschichte des Filmmusicals. Er steht zeitlich an einer Scheidelinie, und das macht er inhaltlich auch sehr deutlich. Vergleicht man ihn mit „Singin‘ in the Rain“, der im Vorjahr entstand, ist er vom selben Studio, vom selben Produzenten, mit Fred Astaire, dem größten Filmtänzer aller Zeiten, und doch, da liegt ein Hauch von Abschied drin, und den konnte man in „Singin‘ in the Rain“ mit dem 13 Jahre jüngeren Gene Kelly in der männlichen Hauptrolle keinesfalls erkennen.
In manchen Szenen wirkt „The Band Wagon“ geradezu melancholisch. Vielleicht muss man aber selbst ein gewisses Alter erreicht haben, in dem man nachempfinden kann, wie es ist, wenn jemand nach großen Erfolgen seiner selbst unsicher geworden ist, so wie Tony Hunter in diesem Film, der anfangs mit zwei Herren im Zug nach New York sitzt, hinter einer Zeitung verborgen, und diese unterhalten sich über Stars und auch über ihn als einen Mann der Vergangenheit. Auch die chaotische Art, wie das ursprüngliche Musical im Film konzipiert und umgesetzt wird und dann die Wünsche des Publikums verfehlt und die Streitigkeiten zwischen Hunter und Gabrielle, die auf Unsicherheiten beiderseits fußen, wirken sehr lebensnah – und waren es wohl auch, wenn man kundigen Stimmen Glauben schenkt.
Was aber war der angesprochene Wendepunkt, der den Film heute in ein besonderes Licht stellt? Ein zeitgenössischer Kritiker hätte ihn wohl nicht beschreiben können, denn es zeigte sich erst in in den beiden Folgejahren, dass sich etwas verändert hatte im amerikanischen Kino. Aber 1953 war wohl das Jahr, in dem die klassischen Filmmusicals, die MGM über viele Jahre so erfolgreich produziert hatte, ein absteigendes Genre wurden. „Singin‘ in the Rain“ aus dem Vorjahr gilt nicht umsonst als das letzte ganz große und vielleicht das beste, ausgereifteste all dieser Musicals. Es ist bereits retrospektiv, referiert über die Anfänge des Tonfilms und durch die Darsteller und die Art, wie der erst 28jährige Stanley Donen Regie geführt hat, wirkt es frisch und man konnte sich gar nicht vorstellen, dass es bald zu Ende sein sollte mit der Musikfilm-Herrlichkeit. Aber auch „Singin‘ in the Rain“ verwendet schon beinahe ausschließlich Gesangs- und Tanznummern, die viel älter waren als der Film selbst, dazu gehörte auch die bekannteste Musicalszene überhaupt, der Song „Singin‘ in the Rain“, von Gene Kelly im strömenden Regen gesungen und getanzt.
So, wie „Singin‘ in the Rain“ über den Beginn des Tonfilms und damit die Möglichkeit, überhaupt erst Musikfilme zu machen spricht, tut es „The Band Wagon“ bezüglich der Bühne . Das sollte im Grunde zeitloser sein, ist es aber nicht. Denn der 54jährige Fred Astaire an der Seite seiner fast 20 Jahre jüngeren Tanzpartnerin Cyd Charisse und Vincente Minelli als Regisseur haben dem Film eine ganz andere Aura gegeben als Gene Kelly und das Donen-Team dem leicht satirischen, jedenfalls liebevoll-ironischen „Singin‘ in the Rain“. Obwohl „The Band Wagon“ eine Satire auf übersteigerte Kunstansprüche oder die Übertragung von Kunst ins Unterhaltungsgenre sein soll, funktioniert sie nur bedingt.
Allzu offensichtlich ist, dass der sensible Regisseur Vincente Minelli, der privat in Schwierigkeiten steckte und überhaupt viel ernster war als viele andere Schaffende im Genre, was ihn für romantische Stoffe prädestinierte, auch für die Dramen, die er nach der Musical-Ära inszenierte, dass Minelli also als Sprachrohr von MGM sichtbar wird, und das Studio hatte ebenfalls Probleme: Damit, die neuen Trends aufzunehmen, mit denen Universal oder Warner, auch der ehemalige Hauptkonkurrent Paramount, vor allem aber 20th Century Fox als technisches Avantgarde-Studio mit neuen Superstars, besser zurechtkamen. Die großen Erfolge der Vergangenheit machen scheu vor Riskio, man will irgendwann mehr bewahren als sich Neuem zuwenden. Das ist jedenfalls die Regel und dieses Verhalten ist verständlich.
Deshalb wird in „The Band Wagon“ die Idee, dem Musical einen mehr künstlerischen Anstrich zu geben, die Cordova hat, quasi verhohnepiepelt. Die Crux ist aber, dass das Musical in der Folge tatsächlich diesen Weg ging, nur meist ohne MGM: Nicht in der extremen Form, dass Faust in einen Revuefilm übersetzt werden sollte, aber wenn man sich anschaut, wie „Oklahoma!“ und vor allem „West Side Story“ gestrickt sind, merkt man, dass es sehr wohl eine Einheit zwischen künstlerischem Anspruch und unterhaltendem, dynamischen Tanzfilm geben konnte.
Im Grunde wollen die Macher und das Studio, das den Film produziert, die Zuschauer darauf einschwören, ihr Rezeptionsverhalten nicht zu verändern und das gute, alte Entertainment weiterhin zu bevorzugen: „That’s Entertainment“ ist denn auch das einzige wesentliche Stück, das für den Film neu komponiert wurde – und der mehr als 20 Jahre später erschienen MGM-Highlights-Zusammenstellung „That’s Entertainment“ den Titel gab. In diesem Sampler wird, bereits mit nostalgischem Duktus, noch einmal alles gezeigt, was dieses einst große und mächtige Studio hervorgebracht hat – so viele Entertainer und Allrounddarsteller wie kein anderes. Doch was würden deren Fähigkeiten wert sein, wenn die Zuschauer eine andere Art Filme sehen wollten? In den 50ern kam vor allem das Melodram auf, immer mehr auch mit zeitnahen, sozialkritischen Untertönen. Nicht, dass MGM solche Filme nicht konnte, aber es ging ums Business, und die Musicals waren Flagschiffe, die trotz hoher Produktionskosten lange Zeit ihr Geld eingespielt hatten. Sie waren MGM’s Signatur-Genre.
Gut nachvollziehbar, dass man sich also mit einer negativen Einstellung gegenüber dem, was als höhere Kunst gelten konnte, Luft verschaffen wollte und wohl hoffte, die Neuorientierung des Publikums sei nur ein kurzlebiger Trend. Ob es gewollt war oder nicht, „The Band Wagon“ war bereits nostalgisch, als er herauskam. Wie man eine Halle der Grand Central Station im Studio nachgebaut hat und überhaupt diese großen Sets und Dekorationen, das war noch einmal ein Aufbäumen gegen die ausstattungstechnisch einfacheren, aber inhaltlich tieferen Filme ohne Musik. MGM gab sich auch keineswegs geschlagen, als im Jahr darauf der ansehnliche „Brigadoon“ nicht den erhofften Erfolg hatte, trotz Gene Kelly und Cyd Charisse, sondern legte in Breitwand nach, mit „Always Fair Weather“, der bereits kritische Untertöne hatte und doch ein typisches MGM-Musical war. Kein schlechter Film, aber auch kein Erfolg mehr wie er noch wenige Jahre zuvor üblich war. In 1955 erschien auch mit „Seven Brides for Seven Brothers“ noch einmal ein Film, der das Publikum auf seiner Seite hatte und Fred Astaire lieferte mit seinen Stepptanz-Abschiedsnummern „Daddy Long Legs“ (1955), mit „Funny Face“ und „Silk Stockings“ immer noch ansehnliche Vorstellungen, doch wenn man bedenkt, dass er sich bereits 1946-47 zurückziehen wollte, weil er dachte, es sei nun genug getanzt, merkt man, dass alles vielleicht ein wenig überdehnt war.
Astaires Rückkehr kam im Grunde nur dadurch zustande, dass sich Gene Kelly verletzt hatte und er in „Easter Parade“ einsprang. Zum Glück, denn dies war die charmante Art von Film, in welcher er am besten war. Und da wirkte er noch ganz bei sich selbst.
In „The Band Wagon“ hingegen singt er das Lied „All by myself“ zu Beginn, wo er so tut, als ob es ihm egal sei, ob er noch einmal Erfolg haben wird. Er singt es wieder, als er glaubt, Gabrielle wende sich einem anderen zu, und natürlich wirkt das anders und viel melancholischer, als wenn Gene Kelly verliebt im Regen singt oder als Teil eines Trios „Guten Morgen!“ schmettert. Auch diese Songs waren recycelt aus dem großen Fundus, der vor allem in den späten 1920ern und den 1930ern entstand, wirken aber auche noch frisch, in ihrer Art der Darbietung.
Selbstverständlich, möchte man schreiben, hat auch „The Band Wagon“ einen sehr hohen Standard, was die Musicalnummern angeht. Die Tanzszene Astaire / Carisse im fingierten New Yorker Central Park ist so wunderbar fließend und harmonisch, wie es nur zwei absolute Profis können, auch wenn sie einander nicht so grün sind, dass die im Realleben nach diesem Moment Händchen haltend im Pferdewagen sitzen würden. Gut gelungen ist auch „Shoeshine“, der noch einmal alles zeigt, was Astaire kann. Minutiöses Timing, erstklassige Bewegungstechnik und die Fähigkeit, wie kein anderer Tänzer Requisiten in seine Nummern einzubauen.
An der Stelle müssen wir leider erwähnen, dass, wenn auch in HD, die vollsynchronisierte Variante des Films Grundlage unserer Besprechung ist. Das heißt, auch die Lieder sind übersetzt worden. Leider. Wir verstehen, warum man den Inhalt teilweise verflacht hat, um den Sprachklang zu erhalten und das Ganze überhaupt sinnvoll ins Deutsche übertragen zu können – nach den Maßgaben der 1950er. Aber wenn man die Lieder im Original kennt, wird man noch ein Stück melancholischer, wenn man sie nicht so hören darf und bedauern muss, dass sie übersetzt erheblich an textlichem Schwung verlieren. Wenn wir uns richtig erinnern, wurden mittlerweile auch schon Versionen ausgestrahlt, die nur Untertitel hatten – oder die Songs auf Englisch beinhalteten, ohne eingeblendeten Text auf Deutsch.
Finale
Wenn man den gesamten Subtext weglässt, in den man auch noch die Auftritte von Oscar Levant und von Nanette Fabray einbeziehen müsste, wenn nicht derzeit der Druck durch aufgezeichnte und noch nicht gesichtete Filme so hoch wäre, sich einigermaßen kurz zu fassen, wenn man also den Film frei von allen Hinterströmungen sieht, dann ist er mindestens in einigen Musiknummern so schwungvoll wie eh und je, aber jenseits der Nummern kommt man auch ohne diesen Background zu dem Ergebnis, der Film hat etwas mehr Herbstliches als viele andere MGM-Musicals.
Selbstverständlich gehört er zu den wichtigen Produktionen, in denen Fred Astaire seine Kunst zeigen durfte und wie auch immer der Film in eine Zeitschiene gestellt ist, was die Musical-Werdung und dessen Vergehen betrifft, Fred Asitaire und Tony Hunter hatte keinen Grund, auf Cyd Charisse eifersüchtig zu sein, auch nicht wegen der Körpergröße, was anfangs eine Rolle spielt. Sicher, sie war höher gewachsen als die meisten seiner früheren Tanzpartnerinnen, aber so sehr hätte man das nicht thematisieren müssen, denn die vier Zentimeter Unterschied zugunsten von Astaire reichen aus, um ihn zu einem immer noch sehr adäquaten Tanzpartner für die jüngere Kollegin zu machen.
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2025: Heute erhält der Film mit 7,4/10 eine ansehnliche Publikumsbewertung unter den IMDb-Nutzer:innen, sogar eine exzellente bei Rotten Tomatoes (95/100) und auch der Score von Metacritic ist herausragend, 93/100 gibt es dort nicht so häufig. Ganz so hoch gehen wir nicht, weil der Film damit die höchste Bewertung nach 1382 Filmfest-Kritiken hätte, und trotz der großen Tanzszenen gibt es auch einige Musicals, die wir höher einschätzen – oder uns mehr ansprechen.
75/100
2025, 2014 Der Wahlberliner, Alexander Platz
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Vincente Minnelli |
|---|---|
| Drehbuch | |
| Produktion | Arthur Freed |
| Musik | Adolph Deutsch |
| Kamera | Harry Jackson |
| Schnitt | Albert Akst |
| Besetzung | |
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