Filmfest 1395 Cinema – Werkschau Charles Chaplin (28) – Die große Rezension
The New Janitor ist die 27. Komödie der Keystone Studios mit Charlie Chaplin.1
Wir gehen wieder etwas schneller voran beim Rezensieren von Chaplins Werken bei Keystone, mit der notwendigerweise die Werkschau gestartet ist, da wir sie chronologisch erstellen wollen. Der Film ist sehr interessant, wie die Analyse zeigen wird. Wir zählen den Film allerdings als Nr. 28, den Grund haben wir in Ergänzung der Analyse ausführlich beschrieben. Damit nähern wir uns bereits dem Ende seiner Zeit auf seiner ersten Filmstation und haben viel über Chaplin gelernt, viele neue Einblicke in sein Werk und die Entwicklung seiner Kunst erhalten. „The New Janitor“ ist interessant, weil er einen Aha-Effekt bei uns auslöste.
Handlung (1)
Der Tramp, in diesem Film Hausmeister eines Bankgebäudes, wird von der Arbeit gefeuert, weil er versehentlich seinen Eimer Wasser aus dem Fenster auf seinen Chef, den Chefbanker (Dandy), geworfen hat. In der Zwischenzeit wird einer der Junior-Manager (Dillon) von seinem Buchmacher mit der Entlarvung seiner unbezahlten Spielschulden bedroht und beschließt daher, das Unternehmen zu bestehlen. Er wird bei der Plünderung des Tresorraums von dem Banksekretär (Carruthers) auf frischer Tat ertappt, der mit einer Waffe bedroht wird und deshalb den Hausmeisterknopf um Hilfe drückt. Der Landstreicher kommt zu Hilfe und schnappt sich die Waffe des Managers, wird aber vom Bankchef und einem Polizisten fälschlicherweise für den Dieb gehalten. Die Sekretärin erklärt dem Chefbanker die Wahrheit. Am Ende wird der Manager verhaftet und der Landstreicher vom Chefbankier für seine Heldentat belohnt.
Analyse / Einleitung
The New Janitor (Keystone, 1914) ist ein kompakter Einreeler, der in Chaplins produktivem Keystone-Jahr entstand und oft als eines der reiferen, erzählerisch geschlosseneren Werke dieser Phase beschrieben wird. Anders als viele Keystone-Schnellschüsse zeigt der Film eine klar aufgebaute Handlung, in deren Zentrum die Entwicklung einer moralisch bestimmten, sympathischen Tramp-Figur steht. Damit markiert er einen frühen Wendepunkt auf dem Weg zu Chaplins späterer Synthese von Komik und Pathos. (charliechaplin.com)
a) Besonderheiten des Films
Formal auffällig ist die Narrativität: The New Janitor zeigt eine vollständige, stringente Mini-Erzählung — Einführung (der neue Hausmeister), Eskalation (der Diebstahlplan des Managers), Moment der Gefahr (die Sekretärin wird bedroht), Missverständnis (der Hausmeister wird verdächtigt) und schließlich Auflösung (Wahrheitsklärung, Belohnung des Helden). Diese geschlossene Dramaturgie unterscheidet den Film von vielen Keystone-Produktionen, die oftmals aus lose verknüpften Gags bestanden. Ebenfalls bemerkenswert ist die Einbettung eines ernsthaften, beinahe melodramatischen Momentes (Gewalt gegen die Sekretärin), der mit klassischem Slapstick kontrastiert — ein Effekt, der beim Publikum gleichzeitig Lachen und Mitgefühl erzeugt. (silentera.com)
b) Stellung des Films im Werk Chaplins
Chronologisch liegt The New Janitor in Chaplins extrem produktivem Jahr 1914; in diesem Jahr spielte er in mehreren Dutzend Kurzfilmen, neben Auftritten in unterschiedlichsten Keystone-Produktionen. Innerhalb dieser Frühphase gilt The New Janitor als eine derjenigen Arbeiten, in der Chaplin bewusst an einer „volleren“ Figur arbeitete und erzählerische Kohärenz suchte — Merkmale, die sich in den nächsten Jahren (Essanay, Mutual) vertieften. Manche Quellen bezeichnen den Film ausdrücklich als einen Vorläufer von The Bank (1915), in dem Chaplin die grundlegende Situation erneut und ausführlicher thematisiert. (silentera.com)
c) „Firsts“ / Innovationen
Was wurde hier erstmals sichtbar? Zwei Punkte fallen hervor:
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Eindeutiger Einsatz von Pathos in einem Keystone-Kurzfilm. Chaplin beginnt hier, Rührung gezielt neben Lachen zu setzen; das ist kein Nebeneffekt mehr, sondern Teil der Dramaturgie. (charliechaplin.com)
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Narrative Einbindung der Gags. Die komischen Einfälle dienen nicht nur der Belustigung, sie treiben die Handlung voran (z. B. das Missgeschick mit dem Eimer, das zur Entlassung und damit zur Spitze der Dramaturgie führt). Diese Art, Gag und Handlung zu verknüpfen, ist ein Schritt weg von der „Gag-Maschine“ hin zum auteuristischen Kino Chaplins. (silentera.com)
Als „radikale Innovation“ im technischen Sinne ist der Film nicht zu lesen — vielmehr handelt es sich um eine formale Reifung innerhalb bereits vorhandener komödiantischer Mittel. Chaplin verfeinerte hier seine Kontrolle über Tempo, Bildfolge und die psychologische Zeichnung seiner Figur. (chaplin.bfi.org.uk)
d) Tonalität
Die Tonalität schwankt zwischen heiterem Slapstick und ernsthaftem Moment: die überwiegende Stimmung ist warmherzig und optimistisch (der Tramp als liebenswerter Außenseiter), doch der kurze, harte Gewaltakt (Bedrohung / Niederschlagung der Sekretärin) bringt ein Element realer Gefahr ins Spiel. Diese Mischung erzeugt frühe Züge jener Tragikomik, die Chaplin später meisterhaft ausbauen sollte — Lachen und Mitgefühl sind hier bereits organisch verbunden. Zur Bewertungsfrage: die „Grundstimmung“ ist nicht zynisch oder anarchisch, sondern sozial (der einfache Arbeiter als moralische Kraft). (Wikipedia)
e) Rezeption damals und heute
Zeitgenössisch: Fachpresse nannte den Film „gute Komödie“; etwa Moving Picture World lobte die Handlung und Chaplins komödiantisches Spiel (Name-Verwechslungen in Rezensionen nicht ungewöhnlich). Gleichzeitig sorgte die Gewaltsequenz für Aufmerksamkeit bei regionalen Zensoren. (Wikipedia)
Moving Picture World kommentierte: „… Eine umwerfend gute Comedy-Nummer mit Chas. Champman [sic] in der Rolle des Hausmeisters. Er interpoliert viel von seinem unnachahmlich komischen Geschäft und die Handlung ist besser als sonst.“ [2]
Motion Picture News hat in seiner Kritik auch Chaplins Nachnamen falsch angegeben: „Der komische Charles Chapman [sic] in einer lustigen Farce, die bei jedem Publikum schallendes Gelächter hervorrufen wird.“ [3]
Heute: Filmhistoriker und Restauratoren sehen The New Janitor als einen der besseren Keystone-Beitrage Chaplins; Retrospektiven und Sammlerausgaben (z. B. BFI/Restaurierungen) heben seine erzählerische Reife hervor. Moderne Essays betonen, dass der Film eine erkennbare Vorstufe zu Chaplins Essanay-Arbeiten ist. (silentera.com)
f) Technische Aspekte und Fassungsproblematik
Technisch ist das Stück konventionell für 1914: statische Kameraeinstellung, Halbtotalen, lineare Montage. Wichtiger als technische Brillanz ist hier die montagetechnische Präzision: Einstellungen werden gezielt gesetzt, um Spannung (die Bedrohung) zu erzeugen und aufzulösen. Die Quellenlage zur Laufzeit ist uneinheitlich: in Sammlerangaben und im Internet kursieren Kopien mit Laufzeiten um 12 Minuten, während Filmographien (z. B. SilentEra, Wikipedia) bis zu 16 Minuten nennen — das verweist auf unterschiedliche Schnittfassungen, Restaurationen oder Vorführgeschwindigkeiten. (silentera.com)
Restaurierungsprojekte (z. B. BFI in Kooperation mit Cineteca di Bologna/Lobster Films) haben ältere, teils vollständigere Materialien verwendet, sodass manche Archivfassungen länger und „kompletter“ sind als populäre Online-Uploads. (silentera.com)
g) Die Gewaltszene: Rezeption, Zensur, Fassungsfragen
Die Szene, in der der Manager die Sekretärin niederschlägt und mit einer Pistole bedroht, war nicht nur dramaturgisch wirksam, sondern auch zensorisch brisant: Das Chicago Board of Censors forderte Kürzungen genau dieser Szenen. Das belegt, dass schon zeitgenössische Instanzen die Szene als über die Norm der leichten Komödie hinausgehend empfanden. (Wikipedia)
In heutigen Online-Kopien fehlt in manchen Fällen Material (die 12-Minuten-Uploads sind häufiger gekürzt), während Archiv- oder Restaurationsversionen längere Sequenzen enthalten. Eine definitive „Urfassung“ lässt sich nur mit Vergleich mehrerer Archiv-Prints bestimmen; die Forschungslage spricht dafür, dass es Variantenversionen gibt (Zensurschnitte, spätere Re-edits, State-Rights-Releases 1918). (silentera.com)
h) Chaplin als „moralischer“ Tramp — neu oder Kontinuität? (Vergleich)
Ihre Beobachtung, dass der Tramp hier auf Aggression verzichtet und aktiv Gutes tut, trifft den Kern. Der Film zeigt Chaplins Tramp als verantwortungsbewussten Retter, nicht als reinen Unruhestifter. Doch das ist weniger ein völlig neuer Zug als vielmehr eine konsequente Ausprägung von Tendenzen, die in Chaplins Werk bereits angelegt waren:
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Vergleich The Bank (1915): Chaplin griff das Motiv des janitors/Bank-Settings erneut auf und erweiterte es — mit einer Traumsequenz: einem ironischen, zugleich rührenden Heldentraum. The Bank baut die Fantasie-/Tagtraum-Komponente aus und zeigt, wie Chaplin inneres Heldentum filmisch inszeniert. The New Janitor kann als Ausgangspunkt für diese größere, ausformulierte Variante gesehen werden. (Wikipedia)
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Vergleich The Tramp (1915): In diesem frühen, namensgebenden Film festigte Chaplin das Tramp-Persona als ambivalente Figur — komisch, verletzlich, mit romantischem Anspruch. Die Mischung aus Hoffnung, gescheitertem Aufstieg und Resignation in The Tramp entspricht der Tendenz, die in The New Janitor bereits angelegt ist: das soziale Herzstück des Charakters. (Wikipedia)
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Vergleich The Kid (1921): Hier erreicht Chaplins Kombination aus Komik und Pathos eine neue Dimension: Das Verhältnis zwischen Tramp und Kind ist gezielt rührend, dramaturgisch ausgebaut und technisch auf Feature-Länge entwickelt. The New Janitor ist kein direkter Vorläufer in Stofflichkeit, wohl aber in der Grundhaltung (Kombination von Rührung und Witz). Die Entwicklung ist also kontinuierlich — vom kleinen, moralischen Akt (1914) hin zur moralisch-epischen Trennung (1921). (The Criterion Collection)
Kurz: The New Janitor zeigt Chaplins Tramp bereits als potenziellen moralischen Agenten; spätere Filme erweitern und vertiefen dieses Motiv. (charliechaplin.com)
*Für einen Moment ist in dieser Rezension gut beschrieben, wie erstmals bei Chaplin, auch innerhalb von „The New Janitor“, dieser Ton einsetzt:
Er versucht, in den Aufzug zu steigen, aber der kluge Aufzugswärter Al St. John, 15, der die gleiche Rolle in „The Rounders“ hatte, schließt die Tür, bevor Charlie sie erreichen kann, und lässt ihn mühsam die Treppe hinaufsteigen. Obwohl er jung ist, geht er wie ein alter Mann, als wäre er irgendwie verletzt worden und lädt unser Mitleid ein, was Charlie noch nie zuvor getan hat. Zum ersten Mal präsentiert sich Chaplin als „der, der geohrfeigt wird“ und nicht als „der, der ohrfeigt“. Looking at Charlie – Das Jahr in Keystone, Teil 2: Eine gelegentliche Serie über das Leben und Werk von Charlie Chaplin – Bright Lights Film Journal
Die Bemerkung im letzten Satz ist eine Anspielung auf den tragischen Horrorfilm „He Who Gets Slapped“ aus dem Jahr 1924 mit dem herausragenden Lon Chaney unter der Regie von Victor Sjöström, der die defensive Rolle bis zum Exzess durchspielt. Da jeder Filmkenner auch diesen Film kennt, hat sich der Autor den Hinweis auf die Herkunft der Bemerkung erspart.
i) Zählung: 27. oder 28. Chaplin-Film?
Die Zählung variiert je nach Katalogisierungsprinzip (Produktions- vs. Veröffentlichungsdatum, Berücksichtigung von Split-Reels oder Cameos). Institutionen wie das BFI führen The New Janitor in ihren Listen als den 27. Chaplin-Beitrag für Keystone; andere Sammlungen zählen etwas anders und kommen zu 28 bzw. zu leicht abweichenden Nummerierungen. Die Differenz erklärt sich also methodisch, nicht durch einen offensichtlichen Fehler. (chaplin.bfi.org.uk)
*Ich habe diesen Film so ausführlich wie keinen anderen zuvor von mehreren Künstlichen Intelligenzen beschreiben lassen. Die vorliegende Fassung ist eindeutig die beste. Aber einen Fehler machten sie alle: Sie halten die Abweichungen in der Zählweise für einen Fehler (sic!) oder machen eine Abweichung bei Produktions- / Veröffentlichungsdaten dafür verantwortlich. Aber auch wissenschaftliche Publikationen haben wahrscheinlich noch nicht integriert, dass inzwischen ein weiterer Chaplin-Film in seine Werkliste integriert wurde, der früher entstand („Her Friend the Bandit“), der aber nicht verfügbar ist und somit als einziger verlorener Film von Chaplin gilt.
The New Janitor ist kein „großes“ Chaplin-Meisterwerk im Sinne eines späteren Features — aber gerade deshalb wichtig: In nur wenigen Minuten bündelt er die Anlagen jenes Stils, der Chaplin zum modernen Komödiendichter machte: narrative Ökonomie, die Kombination von Humor und Empathie, die Bereitschaft, ernste Momente in die Komik einzubauen. Die Frage nach Vollständigkeit der Gewaltszene und die Zahl der Fassungen zeigt die typische Überlieferungsproblematik des Stummfilm-Zeitalters; Restaurierungen haben seit den 1990er/2000er-Jahren vieles ergänzt, lassen aber weiterhin Varianten bestehen. Insgesamt also: Ein kleiner, aber dichter Wendepunkt in Chaplins filmischer Entwicklung. (silentera.com)
Unsere Sicht auf den Film
Ich habe kein einziges Mal lachen müssen. Das hat mich dieses Mal aber nicht gestört, denn der Film hat etwas, was ich hier erstmals in einem der Chaplin-Kurzfilme wahrgenommen habe (nicht persönlich, aber der Chronologie folgend): Spannung. Spannung, die zum Mitfiebern führt, und durch welche die Gags in den Hintergrund treten. Im Grunde ist dies bereits eine richtige Krimi-Komödie, wobei mir, wie immer, schwummerig wurde, als Chaplin beinahe aus einem Fenster nach hinten auf die Straße kippt. Das wird sich wohl nie ändern, ich habe Höhenangst, die sogar wirkt, wenn ich einen Filme schaue, und dies sogar an einem kleinen Computerbildschirm, wie häufig bei diesen frühen Komödien.
Die KI-Analyse fertigen wir mittlerweile anhand präziser Fragen ab, die sich von Film zu Film so verändern, wie dieser Film es sinnvoll erscheinen lässt. Daher auch Bemerken wie die mit der richtigen Beobachtung, weil ich dazu mehr wissen wollte. Es ist nämlich wichtig.
„The New Janitor“ ist spürbar anders als die vorherigen Chaplin-Filme. Bezüglich seiner Gags nicht unbedingt besser, aber er zeigt schon einen Gag mit Steigerung, denjenigen mit dem Lift, der immer weg ist oder vom Liftboy absichtlich weggeschickt wird, um den neuen Hausmeister zu ärgern, der am Ende natürlich japst – und trotzdem seinen Mann steht. Gut, dass das Gebäude offenbar nur zwölf Stockwerke hat, nicht 100. Trotzdem liegt auch schon eine Übertreibung in diesem humoristischen Element, die ebenfalls auf etwas hinweist, nämlich auf einen mehr surrealistischen Einsatz von Steigerungen, wie ihn später Laurel & Hardy perfektionieren sollten.
Seit 28 Filmen bin ich auf der Suche nach dem romantischen Tramp – auch dieses Mal habe ich ihn noch nicht gefunden. Aber etwas anderes: Das Vertraute. Der anfängliche Nerd im Hausmeisterberuf wird zum Helden, das ist ein ganz klassisches Narrativ, das, wenn auch nicht so basal, auch von Regisseuren wie Thriller-Spezialist Alfred Hitchcock verwendet werden sollte. Der Mann, der über sich hinauswächst, das ist ein Narrativ für sich, das immer und immer wieder funktioniert. Es steht dem Profi entgegen, der seinen Job besonders eloquent macht, wie James Bond, und beide funktionieren hervorragend, wenn sie eine Figur in den Mittelpunkt stellen, mit der man sich identifizieren kann. Die Identifikation mit dem Hausmeister ist jedoch einfacher. Denn wäre es nicht möglich, dass wir in einer Gefahrensituation alle mehr zeigen, als wir zuvor dachten, dass wir zeigen können? Der Überprofessionalismus, verbunden mit absoluter Frauenwirksamkeit, der heute ins Superhelden-Kino führt, der ist, das wissen wir alle, für unsere Berufslaufbahn nicht erdacht worden und wir können auch nicht so sein, niemals.
Chaplin ist immer den ersten Weg gegangen, obwohl man mit dem zweiten auch Komik erzeugen kann, aber sie ist eben anders, sie kommt aus ironischer Souveränität, nicht aus Tollpatschigkeit, die sich doch mit Mut verbinden lässt und auf diese Weise ein gutes Ende herbeiführt. Dadurch hat der Film etwas sehr Vertrautes, während ich mit der Trampfigur in ihrem rüden und übergriffigen Zustand, wie Chaplin sie zuvor häufig gezeigt hat, immer noch fremdele. Anfangs ist er also nicht für seine geniale Verbindung von Pathos und Gagfähigkeit gerühmt worden, sondern nur für Letzteres. Als jemand, der schnell lernt und nicht begrenzt ist, brauchte er also nur 9 Monate – aber immerhin 28 Filme, bis er auf die Variante kam, den Tramp auch moralisch und vorbildlich handeln zu lassen. Das wird er später auch wieder tun, aber es wird nicht zentral für seine Komik sein, sondern das Element der (Be-) Rührung steht dann im Vordergrund. Keine Heldentaten, sondern Versuche, sein Leben zu machen und dabei vielleicht sogar Liebe zu finden.
Gerade der oben erwähnte „The Kid“ zeigt das deutlich. Er arbeitet dort mit dem Kind zusammen als Kleinkrimineller, um beide über Wasser zu halten, während er in „The New Janitor“ (dass die Beschäftigung für den Tramp neu ist, erschließt sich nur aus dem Titel, und, wenn man es eng sieht, daraus, dass er noch seine abgerissenen Klamotten trägt, die ihn als Hausmeister eines respektablen Geldinstituts im Grunde unmöglich wirken lassen; er betätigt sich eher als Putzmann) keine eigenen Aktien an seinem Handeln hält, niemanden beschützen, sondern einfach nur die Ordnung wiederherstellen will. Aus eigenem Antrieb, er hätte locker flüchten können. Dass der Gangster-Bankster eine Angestellte bedroht, weiß der Tramp-Hausmeister noch nicht, als er sich entschließt, aktiv zu werden. Was ihn wiederum von Hitchcocks Zufallshelden unterscheidet, sie sich in eine Situation verstricken, die sie nicht provozieren, aus der sie aber auch nicht günstig entweichen können. Im weiteren Verlauf der Handlung mischen sie sich dann aktiv in die Dinge ein und es entsteht neben viel Spannung auch eine Form von dezent gebrochenem moralischem Pathos.
Dieses Pathos sehen wir auch in „The New Janitor“ und deshalb wirkt der Film vertrauter, denn nicht nur Chaplin bedient sich dieses Musters, es ist ein Standard, der eindeutig universell funktioniert.
Ich habe flüchtig gesehen, dass der Film bei Rotten Tomatoes nur eine professionelle Kritik erhalten hat, aber die Einlassungen des Publikum nur als mit 30 Prozent positiven Bewertungen angegeben ist. Vielleicht haben manche den anarchischen Chaplin, den wir zuvor sehen, lieber gemocht, und die Berechnung, die mehr und mehr in seine Filme einfließt, nicht gerne gesehen – aber Chaplin ist nicht die Marx Brothers, die bis zum Schluss anarchisch und nicht darauf aus waren, Mitgefühl zu erzeugen (wenn man von Harpos Harfen-Musikeinlagen als emotionalem wiederkehrendem Element absieht). Chaplin zupfte die Harfe in seinen späteren Filmen sehr ausdauernd, und zwar in der am meisten rührenden Version, wie wir sie von „At the Circus“ mit der visuell ausgesprochend reizend gemachten Interpretation von „Blue Moon“ sehen.
Finale
Auch wenn Chaplin anfängt, berechnender zu werden und das Publikum mehr zu emotionalisieren, anstatt es nur zum Lachen zu bringen, wenn er es aber auch spannend macht und wirklich den Zuschauer integriert, ich mag den Film gerade deshalb. Sicher ist er, wie oben zusammengefasst wird, kein Meisterwerk, das waren die Keystone-Chaplins alle nicht. Sie stellten auch 1914 nicht den Gipfel der Filmkunst da, denn der Langfilm war bereits geboren und mit ihm die Ambition, das neue Medium mehr auszureizen, als Chaplin es bei Keystone tat. Aber es handelt sich um einen Meilenstein, der wegführt von den turbulenten typischen Werken des Studios. Wenn man so will, befindet sich Chaplin hier schon auf Abschiedstour und man ließ ihn gewähren, solange die Kasse stimmte und gönnte ihm schon etwas wie einen eigenen Stil, der stark auf seine späteren Werke hinweist. Wegen der historischen Bedeutung dieses Übergangsfilms und weil er frei ist von Sonderabzügen, wie wir sie für diese alten Werke leider häufig vergeben müssen – die Gewaltszene haben wir nicht mit einem Minus bedacht, denn wenn wir damit anfangen würden, hätten wir amerikanische Filme beinahe standardmäßig abzuwerten. Für die damaligen Verhältnisse ist er aber ein abgerundetes Werk, und das in der von uns gesichteten Version bei einer Spieldauer von nur 12 Minuten.
70/100
2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
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Regie |
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Produzent |
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Hauptrollen (alle Rollen) |
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Fußnoten / Quellen (Auswahl)
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Offizielle Chaplin-Website: The New Janitor (Filmdaten, Kurzbeschreibung, Zuordnung zu Keystone). (charliechaplin.com)
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BFI / Chaplin Filmography — Eintrag 27. The New Janitor (1914) (Filmographische Einordnung). (chaplin.bfi.org.uk)
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SilentEra — Progressive Silent Film List: The New Janitor (Cast, Format, Veröffentlichungsinfos, Hinweise zu Re-edits). (silentera.com)
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Wikipedia-Eintrag The New Janitor (Zusammenfassung, Laufzeitangaben, Zensurhinweis zum Chicago Board of Censors; als Orientierung, mit Quellhinweisen). (Wikipedia)
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Wikipedia / The Bank (1915) — zum Vergleich und zur Bedeutung von The Bank als erweiterte Verarbeitung des janitor/bank-Motivs. (Wikipedia)
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Chaplin-Film-by-Film / Blog-Analysen (z. B. The Bank, The New Janitor) — gute, detaillierte Kurzanalysen und Kontext. (Chaplin: Film by Film)
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Artikel/Essay über Chaplins Tramp und die Entwicklung von Komik und Pathos (u. a. The Guardian / Essay-Material zur Persona). (The Guardian)
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Criterion Essay / Besprechungen zu The Kid (zur Herausbildung von Chaplins Tragikomik, späterer Höhepunkt). (The Criterion Collection)
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Berichte zur Restaurierung der Keystone-Sammlung (BFI / Cineteca di Bologna / Lobster Films) und Hinweise darauf, dass früheres Material wieder sichtbar gemacht wurde. (silentera.com)
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Timeout Chicago: Hintergrund zur lokalen Zensurpraxis (Kontext zu Chicago Board of Censors und regionalen Schnitten). (Time Out Worldwide)
Wenn Sie möchten, mache ich als nächsten Schritt (a) einen tabellarischen Vergleich (Szenen, Laufzeit, erhaltene Fassungen) zwischen drei bekannten verfügbaren Fassungen (z. B. populäre 12-Min-YouTube-Kopie vs. BFI-Restoration vs. SilentEra-Listing), oder (b) ein streng zitierfähiges PDF mit Fußnoten im Chicago-Stil (inkl. Quellenverzeichnissen). Welche Variante bevorzugen Sie?
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