Briefing Geopolitik: Zwei Jahre seit dem 7. Oktober 2023, zwei Jahre Gazakrieg, 20-Punkte Plan von Donald Trump, Israel, Palästina
Kein anderes Thema bearbeiten wir derzeit so intensiv wie den Gazakrieg, nur summarisch liegen andere Gegenstände, wie die deutsche Innenpolitik und Beiträge zur Wirtschaft, vorne. Daher können wir heute eng an diese Beiträge anknüpfen:
Zwei Jahre Gaza-Krieg (der Artikel von vorgestern ist auch unten angehängt, die zunächst folgenden Darstellungen zur aktuellen Lage ein Update dazu)
Trumps Gaza-Plan – eine echte Chance?
Was ist heute geschehen? Ist ein echter Frieden greifbar, gibt es wenigstens Hoffnung auf eine Verbesserung der humanitären Lage im Gazastreifen? Dies besprechen wir informatorisch, fassen Stimmen zusammen und kommentieren in kurzer Form im Anschluss.
Kurzfassung — was heute passiert ist
US-Präsident Donald Trump kündigte heute an, Israel und die Hamas hätten sich auf die erste Phase eines von den USA vermittelten Gaza-Abkommens geeinigt. Kernpunkte dieser ersten Phase sind ein Waffenstillstand, die Freilassung aller noch verbliebenen israelischen Geiseln durch Hamas, ein teilweiser Rückzug israelischer Truppen auf eine vereinbarte Linie und die Freilassung hunderter palästinensischer Gefangener durch Israel. Die Vereinbarung wurde in indirekten Verhandlungen in Scharm el-Scheich (Ägypten) ausgehandelt; Trump sprach von einem «ersten Schritt» hin zu einem dauerhaften Frieden. (Reuters)
a) Wie weit geht die Einigung — und haben alle relevanten Parteien zugestimmt?
Was die Einigung formal abdeckt (erste Phase):
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Waffenruhe / erster Waffenstillstand: Ein befristeter Stillstand der Kämpfe soll beginnen; die genaue Uhrzeit/Kontrollmechanismen sind abhängig von der Kabinetts-Ratifikation Israels. (Reuters)
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Geiselfreilassung: Hamas hat laut Vereinbarung zugesagt, die verbliebenen israelischen Geiseln freizulassen (Trump sprach davon, „alle Geiseln sehr bald“ freizugeben). Viele Medien berichten, dass die Freilassungen in Wellen innerhalb weniger Tage erfolgen sollen. (Reuters)
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Gefangenenaustausch: Israel will im Gegenzug hunderte palästinensische Gefangene freilassen. (Reuters)
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Rückzug israelischer Truppen: Israel soll seine Truppen auf eine vereinbarte Linie innerhalb des Gazastreifens zurückziehen — de facto bleibt aber in Berichten die Kontrollfrage (wer kontrolliert welche Gebiete) offen. (Der Guardian)
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Humanitäre Hilfe: Vereinbart ist eine massive Erhöhung der humanitären Konvois (anfänglich hunderte Lastwagen pro Tag). (Deutschlandfunk)
Wer hat zugestimmt?
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Die Hamas: Mehrere Quellen berichten, dass Hamas die erste Phase akzeptiert hat — gezeigt durch indirekte Verhandlungen in Ägypten und Statements von Hamas-Sprechern. Allerdings betonten Hamas-Vertreter Bedingungen (zum Beispiel: Rückzug der IDF müsse tatsächlich beginnen, und Details zur Freilassung müssten stimmen). Das bedeutet: Hamas hat dem Rahmen zugestimmt, aber mit Vorbehalten hinsichtlich der Umsetzung. (Al Jazeera)
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Die israelische Regierung: Trump und mehrere Medien berichten, Israel habe der ersten Phase zugestimmt — die Umsetzung hängt jedoch von der formellen Ratifizierung durch das israelische Kabinett/Sicherheitskabinett ab. In Israel gibt es politisch starke Opponenten (insbesondere rechtsgerichtete Minister und Teile der Sicherheitselite), die dem Deal ablehnend gegenüberstehen oder Auflagen fordern; Berichte sprechen davon, dass eine «solide Mehrheit» erwartet wird, das Abkommen zu billigen, aber das war zum Zeitpunkt der Berichterstattung noch nicht vollständig finalisiert. (Reuters)
Wichtiger Punkt zur Verbindlichkeit:
Bis zur formellen Ratifizierung durch die israelische Regierung und zur praktischen Durchführung (Truppenbewegungen, tatsächliche Freilassungen, Hilfslieferungen, Überwachung des Waffenstillstands) bleiben Teile der Einigung provisorisch. Einige Aktenschreiber sprechen deshalb von einer „vereinbarten Rahmenvereinbarung“ oder „Phase-1-Abmachung“, nicht von einem umfassenden Friedensvertrag. (Reuters)
b) Welche Punkte sind noch offen?
Obwohl die erste Phase viele unmittelbare Konfliktpunkte adressiert, bleiben mehrere zentrale und konfliktentscheidende Fragen unbeantwortet / offen:
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Langfristige Governance und Souveränität in Gaza
– Wer wird die zivile Verwaltung übernehmen? Wird Hamas als politische/administrative Kraft abtreten, weiter teilhaben oder ersetzt? Diese Frage ist nicht geklärt. (Der Guardian) -
Entwaffnung / Sicherheitsgarantien
– Wie wird die Bewaffnung von Hamas (und anderer bewaffneter Gruppen) geregelt? Wer sorgt künftig für Sicherheit — israelische Streitkräfte, internationale Truppen, ägyptische/Qatar-überwachte Sicherheitsmechanismen? Dies fehlt in der ersten Phase. (ISPI) -
Dauerhaftigkeit des Waffenstillstands
– Mechanismen zur Überwachung, Durchsetzung und Sanktion bei Verstößen sind nicht hinreichend präzisiert. Wer kontrolliert Grenzen, Häfen, Luftraum? (Der Guardian) -
Wiederaufbau & Zugang humanitärer Hilfe
– Volumen, Verteilung und Sicherheit von Rekonstruktions- und Hilfsprojekten sind zwar angekündigt, konkrete Finanzierungs- und Verwaltungspläne (wer zahlt, wer überwacht) sind noch zu definieren. (Deutschlandfunk) -
Internationale Rechtsfragen / Gerechtigkeit
– Verantwortlichkeit für mutmaßliche Kriegsverbrechen, Reparationen, Rückkehr von Vertriebenen — all das bleibt ausstehend. Viele NGOs und Staaten fordern Aufarbeitung; das wurde nicht im heutigen Phase-1-Abkommen gelöst. (The Cairo Review of Global Affairs) -
Interne israelische Zustimmung & politische Stabilität
– Teile der israelischen Regierungskoalition (v.a. rechtsnationale Kräfte) sind gegen wesentliche Nachgiebigkeiten. Das kann Umsetzung gefährden oder zu innerpolitischem Druck führen. (Jerusalem Post)
Kurz: die Einigung behandelt dringende humanitäre und sicherheitsrelevante Sofortfragen, aber Schlüsselfragen für einen dauerhaften Frieden (Regierungsform in Gaza, Entwaffnung, Rechtsfragen, nachhaltige Sicherheitsarchitektur) sind nicht gelöst. (ISPI)
c) Internationale Reaktionen — Befürworter und kritische Stimmen
Positive / begrüßende Reaktionen
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EU-Vertreter (z. B. Kaja Kallas) und mehrere westliche Regierungen haben die Einigung als „wichtigen diplomatischen Durchbruch“ bezeichnet und Unterstützung bei der Umsetzung zugesichert. (Al Jazeera)
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Arabische Staaten (Ägypten, Qatar u. a.) wurden als Vermittler genannt und äußerten Erleichterung; humanitäre Organisationen bereiten Hilfslieferungen vor. (Al Jazeera)
Kritische Stimmen und Vorbehalte
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Rechtsnationalisten in Israel und einige Sicherheitskreise warnen, die Freilassung von palästinensischen Gefangenen und ein Rückzug könnten Sicherheitsrisiken bergen; Politiker wie Bezalel Smotrich kündigten Widerstand an. Diese Kräfte bezeichnen das Abkommen teils als zu nachgiebig. (Jerusalem Post)
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Fachleute und Think-Tanks (z. B. Analysen in CNAS, ISPI, EJIL-Kommentar) äußern strukturelle Kritik: Trumps 20-Punkte-Plan (auf dem die Phase-1-Vereinbarung aufbaut) werde zwar als praktische Konfliktmanagement-Lösung gelobt, verfalle jedoch in bekannten Fallen — er adressiere nicht in ausreichendem Maße die Grundlagen (politische Partizipation, langfristige Governance, Rechtstaatlichkeit), setze stark auf Entwicklung/Neustrukturierung ohne vorherige Sicherheits- und Governance-lösungen und erscheine in Teilen pro-israelisch ohne glaubwürdige Mechanismen zur Entwaffnung. (CNAS)
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Menschenrechts- und humanitäre Organisationen fordern verlässliche Mechanismen zur Untersuchung von mutmaßlichen Kriegsverbrechen, transparenten Zugang für Hilfsorganisationen und Schutz der Zivilbevölkerung — Punkte, die in Phase 1 nicht abschließend geregelt sind. (The Cairo Review of Global Affairs)
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Teils misstrauische internationale Stimmen (einige EU- und UN-Offizielle in Wortlauten, die in Medien dokumentiert sind) warnen davor, die Einigung zu glorifizieren: sie sei ein mögliches Alibi für das Nichtadressieren tieferer Probleme, und die praktische Umsetzung bleibe komplex. (Al Jazeera)
Zusammenfassende Einschätzung der Kritiker:
Viele Experten sehen die heutige Einigung als wichtigen, aber begrenzten Schritt: sie kann akute humanitäre Not lindern und Geiseln zurückbringen — das ist faktisch eine große humanitäre Errungenschaft — aber ohne belastbare Vereinbarungen zu Entwaffnung, Governance, Rechtsaufarbeitung und langfristiger Sicherheitsarchitektur ist die Gefahr groß, dass der Konflikt später wieder aufflammt. Analysten, die bereits zuvor Trumps 20-Punkte-Plan geprüft haben, bezeichnen die heute erreichte Phase entsprechend als Konflikt-Management (nicht Frieden) und kritisieren, dass strukturelle Fragen ausgespart blieben. (CNAS)
Fazit
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Heute wurde eine Phase-1-Vereinbarung verkündet: Waffenruhe, Geiselfreilassung, Gefangenenaustausch, Rückzüge, humanitäre Lieferungen — ein bedeutender Sofort-Durchbruch. (Reuters)
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Formelle Ratifizierung (insbesondere in Israel) und die tatsächliche praktische Umsetzung sind noch abzuwarten; Teile der israelischen Koalition opponieren. (Times of Israel)
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Kernfragen bleiben offen: Entwaffnung, dauerhafte Governance in Gaza, Rechtsfragen, Sicherungsmechanismen und Finanzierung des Wiederaufbaus. Experten warnen, die Einigung dürfe nicht als vollständiger Frieden missverstanden werden. (ISPI)
Kommentar
Eine Tatsache sticht sofort ins Auge: War das Kriegsziel der israelischen Regierung nicht, die Hamas zu vernichten? Wieso ist sie dann im aktuell eingeleiteten Prozess der Deeskalation ein Ansprechpartner für den Geiselaustausch? Hier läuft schon seit Längerem mit dem Narrativ etwas aus dem Ruder, und wir werden sehen, dass die Hamas nicht tot ist. Vielleicht zum Glück für die bei ihr verbleibenden israelischen Geiseln, die ansonsten vermutlich auch nicht mehr am Leben wären. Wir sind sehr für eine Aufarbeitung dieses Konflikts, inklusive des seltsamen Umstandes, dass der Anschlag vom 7. Oktober stattfinden konnte, ohne dass offenbar die herausragenden israelischen Geheimdienste zumindest eine drohende Gefahr an die Regierung gemeldet haben, welche die Regierung hätte zum präventiven Handeln veranlassen müssen.
Aber wir sehen auch bei Untersuchungen zu politischem Versagen in Deutschland, wie es immer wieder und vor allem immer häufiger passiert, dass nichts Greifbares herauskommt, und dass es selbst, wenn klar ist, dass es großes Fehlverhalten gab, keine Konsequenzen mehr erfolgen. Die Politik ist immun geworden gegen die Anforderungen von Anstand und Gerechtigkeit. Die Demokratie leidet. Würde sich als sicher herausstellen, dass Netanjahu gewarnt worden war, in welcher Form auch immer, aber aus dem Angriff politisches Kapital schlagen wollte, im Verein mit den Rechtsextremen in seiner Regierung, wäre dies (hoffentlich) sein politisches Ende.
Dass ausgerechnet Donald Trump den seit vielen Jahrzehnten nicht gelösten Nahostkonflikt beendet, nachdem viele Politiker daran gescheitert sind, die wesentlich integrer waren, will uns noch nicht ganz in den Kopf. Falls es so ist und falls der Frieden tatsächlich hält und Mechanismen für eine dauerhafte Zweistaatenlösung entwickelt werden, wollen wir aber in der Hinsicht sagen: Wer immer es auch geschafft hat, es macht die Welt ein wenig besser. Wir konzentrieren uns dann mehr auf das, was Trump gerade aus den USA macht, nämlich einen Hexenkessel, in dem staatliche Übergriffe und Angriffe auf die Demokratie exponenziell anwachsen und der Hass der Unvereinbaren zu eskalieren droht. Auch wegen des Anheizens, ja des Arrangements dieser inneren Konflikte haben wir Schwierigkeiten mit Trumps Rolle als Friedensfürst. Trotzdem ist ihm zuzubilligen, dass sein 20-Punkte-Plan die erste substanzielle Einlassung seit dem Beginn des Gazakriegs ist – während die Europäer nichts dergleichen hinbekommen haben – sie haben allerdings auch nicht die Macht, die Durchsetzung zu erzwingen, und ob Trump sie hat, werden wir erst noch sehen.
Gänzlich ausgeklammert aus einer Friedenslösung, die am Ende der Durchführung des 20-Punkte-Plans stehen könnte, scheint das Westjordanland zu sein, die sogenannte Westbank. Wir meinen, ohne den ständigen illegalen Erweiterungen des israelischen Siedlungsgebiets und der gewaltsamen Vertreibung von Palästinensern aus dem Westjordanland Einhalt zu gebieten, ist ein Frieden nicht umfassend, nicht nachhaltig, weil er dann keine Zweistaatenlösung ermöglicht. Eine solche Lösung muss den Gazastreifen und das Westjordanland einschließen, um völkerrechtlich legitimiert zu sein.
Nun wollen wir uns nicht in Spekulationen ergehen, nachdem wir oben schon unser Befremden über das Plötzliche des Angriffs vom 7. Oktober geäußert haben, ohne dass es bisher Belege dafür gibt, sondern abwarten, was passiert. Den Menschen im Gazastreifen wünschen wir vor allem, dass die Waffen endlich schweigen und sie humanitäre Hilfe in angemessenem Umfang erhalten können, den Menschen in Israel, dass die restlichen noch lebenden Geiseln frei werden und die Toten auf eine würdige Weise an ihre Angehörigen übergeben werden, anders als es teilweise bisher geschah.
TH / informatorischer Teil mit Einsatz von KI erstellt
07.10.2025
Der schwärzeste Tag und seine Folgen
Der 7. Oktober 2023 markiert eine dramatische Zäsur im Nahost-Konflikt. An diesem Tag durchbrachen radikale Kämpfer der Hamas und anderer militanter Gruppen die stark gesicherten Grenzanlagen des Gazastreifens, drangen tief in israelisches Territorium vor und töteten über 1.200 Menschen, hauptsächlich Zivilisten. Mehr als 250 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Für Israel war es der tödlichste Terroranschlag seiner Geschichte, für viele Jüdinnen und Juden weltweit ein Trauma, das ihr Leben in ein Davor und Danach teilte.focus+4
Zwei Jahre später ist die Bilanz verheerend: Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums in Gaza sind mehr als 65.000 Palästinenser getötet und über 160.000 verletzt worden. Über 90 Prozent der Wohnhäuser sind laut UN zerstört oder beschädigt, mehr als 1,9 Millionen Menschen sind Binnenflüchtlinge in einem Gebiet, das nur geringfügig größer ist als Bremen. Von den ursprünglich 251 israelischen Geiseln befinden sich noch 47 in der Gewalt der Hamas, von denen nur etwa 20 noch am Leben sein sollen.wikipedia+3
Die lange Vorgeschichte des Konflikts
Von der osmanischen Zeit bis zur Nakba
Um die gegenwärtigen Ereignisse zu verstehen, ist ein Blick auf die lange Geschichte des Nahost-Konflikts unerlässlich. Jahrhundertelang lebten Juden, Muslime und Christen unter osmanischer Herrschaft weitgehend friedlich zusammen. Palästina war seit 1516 Teil des Osmanischen Reiches und erlebte eine bemerkenswerte 401-jährige Periode der Stabilität.trtdeutsch+1
Diese Harmonie zerbrach mit dem Ende des Ersten Weltkriegs. Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches erhielt Großbritannien 1922 das Völkerbundsmandat für Palästina. Die Briten sahen sich der schwierigen Aufgabe gegenüber, sowohl ihre Verpflichtungen aus der Balfour-Erklärung von 1917 zur Errichtung einer „nationalen Heimstätte für das jüdische Volk“ als auch die Rechte der arabischen Mehrheitsbevölkerung zu berücksichtigen.israel-spezialist+1
1947 beschloss die UN-Vollversammlung den Teilungsplan für Palästina, der die Gründung eines jüdischen und eines arabischen Staates vorsah. Während die jüdische Führung den Plan akzeptierte, lehnten ihn die arabischen Führer ab. Sie empfanden es als ungerecht, dass der jüdischen Minderheit, die nur etwa ein Drittel der Bevölkerung ausmachte, ein bedeutender Teil des Territoriums zugesprochen werden sollte.wikipedia+1
Die Nakba: Flucht und Vertreibung 1948
Am 14. Mai 1948 proklamierte David Ben-Gurion die Unabhängigkeit Israels. Bereits am folgenden Tag griffen fünf arabische Staaten das junge Israel an. Was folgte, war der erste arabisch-israelische Krieg, der für die palästinensische Bevölkerung zur Nakba – zur „Katastrophe“ – wurde.zms.bundeswehr+3
Zwischen 1947 und 1949 flohen oder wurden 700.000 bis 750.000 Palästinenser aus ihren Häusern vertrieben. Ein interner Bericht des israelischen Militärgeheimdienstes SHAI von 1948 stellte fest, dass mindestens 55 Prozent des gesamten Exodus durch israelische Militäroperationen verursacht wurden. Weitere 15 Prozent gingen auf das Konto der paramilitärischen Gruppen Irgun und Lechi. Dutzende von Massakern wurden durchgeführt, 400 bis 600 palästinensische Dörfer zerstört, und Eigentum wurde geplündert, um die Rückkehr der Flüchtlinge zu verhindern.wikipedia+2
Die größte einzelne Vertreibung ereignete sich im Juli 1948 in Lydda und Ramla, als 60.000 Einwohner auf Befehl von David Ben-Gurion und Yitzhak Rabin gewaltsam vertrieben wurden – ein Ereignis, das als „Lydda-Todesmarsch“ in die Geschichte einging.wikipedia
Nach der israelischen Staatsgründung gab es mehrere bewaffnete Konflikte zwischen dem neuen Land und seinen Nachbarn, wie den Sechstagekrieg 1967 und den Jom-Kippur-Krieg 1973, es gab eine Zeit, in der die PLO unter ihrem Anführer Yassir Arafat als Terrororganisation weltbekannt wurde, und es gab eine Zeit der Hoffnung, als Ende der 1970er, Anfang der 1980er, der Beginn einer Befriedung und der Normalisierung des Verhältnisses von Israel zu seinen Nachbarn eintrat.
Es gab mehrere Versuche, die Zweistaatenlösung zu etablieren, bis in die 2000er und 2010er Jahre hinein, die aber schon in Zeiten am Widerstand politischer Kräfte in Israel scheiterten, als die Hoffnung auf einen Ausgleich noch weitaus größer war als unter der Ägide der aktuellen, weit rechts stehenden Regierung.
Deutschlands besondere Verpflichtung: Historische Verantwortung und ihre Grenzen
Die Wurzeln der deutsch-israelischen Beziehungen
Die deutsch-israelischen Beziehungen sind von Deutschlands historischer Verantwortung für den Holocaust geprägt. Bereits am 27. September 1951 bekannte sich Bundeskanzler Konrad Adenauer vor dem Bundestag zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung: „Im Namen des deutschen Volkes sind unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten“.bundestag+2
Das Luxemburger Abkommen von 1952 verpflichtete Deutschland zu Leistungen von 3,45 Milliarden DM an Israel und die Jewish Claims Conference. Diese Vereinbarung legte den Grundstein für die besonderen deutsch-israelischen Beziehungen, die Angela Merkel später mit dem Begriff der „Staatsräson“ umschrieb.lpb-bw+3
Die Staatsräson-Debatte: Bedingungslose Solidarität oder differenzierte Verantwortung?
Deutschland steht in einem „einzigartigen Verhältnis zu Israel“, begründet durch die Verantwortung für die Shoah. Diese historische Verantwortung ist unbestritten und bleibt eine fundamentale Säule der deutschen Außenpolitik. Doch die konkrete Auslegung der „Staatsräson“ ist Gegenstand intensiver Debatten geworden.auswaertiges-amt+3
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, betonte, dass die deutsche Staatsräson „keine Rechtfertigung für alles“ sein könne. „Die Palästinenser auszuhungern und die humanitäre Lage vorsätzlich dramatisch zu verschlimmern, hat nichts mit der Sicherung des Existenzrechts Israels zu tun“. Diese Position verdeutlicht die Spannung zwischen historischer Verantwortung und völkerrechtlichen Verpflichtungen.zeit
Über 100 Nahost-Experten fordern in einem Positionspapier „Jenseits der Staatsräson“ eine Neudefinition der deutschen Haltung. Sie argumentieren, dass die bedingungslose Solidarität mit Israel deutsche Interessen untergrabe und im Widerspruch zum Völkerrecht stehe.taz+1
Die deutsche Öffentlichkeit und der Gaza-Krieg: Ein Stimmungswandel
Kritische Haltung der Bevölkerung
Die deutsche Öffentlichkeit zeigt eine zunehmend kritische Haltung gegenüber Israels Vorgehen in Gaza. Laut ZDF-Politbarometer vom Mai 2025 halten 80 Prozent der Deutschen den Militäreinsatz mit der hohen Zahl ziviler Opfer für nicht gerechtfertigt – ein Anstieg von 69 Prozent im März 2024. Nur 12 Prozent bezeichnen den Einsatz als angemessen.spiegel
Eine YouGov-Umfrage vom September 2025 ergab, dass 62 Prozent der deutschen Wahlberechtigten Israels Vorgehen in Gaza als Völkermord bezeichnen würden. Besonders ausgeprägt ist diese Einschätzung bei Wählerinnen und Wählern von SPD (71 Prozent), Grünen (71 Prozent) und Linken (79 Prozent).yougov
Eine Forsa-Umfrage im Auftrag von Plan International zeigte, dass 80 Prozent der Deutschen einen sofortigen Stopp der Waffenlieferungen an Israel fordern. 57 Prozent halten den Völkermord-Vorwurf für gerechtfertigt.plan
Die Diskrepanz zwischen Regierungshandeln und öffentlicher Meinung
Diese Zahlen verdeutlichen eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Haltung der Bundesregierung und der Bevölkerung. Während die Regierung weiterhin an der grundsätzlichen Unterstützung Israels festhält, wächst in der Gesellschaft die Kritik am israelischen Vorgehen in Gaza.internationalepolitik
Bundeskanzler Friedrich Merz hat jedoch begonnen, schärfere Töne anzuschlagen. Er kritisierte Israels Vorgehen in Gaza und erklärte: „Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen“. Am 8. August 2025 stoppte die Bundesregierung zeitweise die Genehmigung von Rüstungsexporten nach Israel.bundesregierung+1
Kriegsziele und ihre (Nicht-)Erreichung
Israels ursprüngliche Ziele
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu definierte nach dem 7. Oktober zwei Hauptkriegsziele: die Befreiung aller Geiseln und die vollständige Zerschlagung der Hamas. Zwei Jahre später sind beide Ziele nicht vollständig erreicht.dw+2
Von den 251 Geiseln sind 148 lebend nach Israel zurückgekehrt, wobei nur acht durch militärische Operationen befreit wurden. Die restlichen wurden von der Hamas freigelassen, meist im Austausch gegen inhaftierte Palästinenser. Noch 47 Geiseln befinden sich in der Gewalt der Hamas, von denen nur etwa 20 noch am Leben sein sollen.euronews+2
Die Hamas existiert weiterhin, obwohl ihre militärische Führung stark dezimiert wurde. Nach Schätzungen wurden 17.000 bis 23.000 Hamas-Kämpfer getötet. Führende Persönlichkeiten wie Ismail Hanija und Jihia al-Sinwar wurden eliminiert, doch die Organisation hat sich von einer paramilitärischen Gruppe zu einer Guerillatruppe gewandelt.dw
Die Erweiterung der Kriegsziele
Im Laufe des Krieges erweiterte Israel seine Ziele erheblich. Der ursprüngliche Fokus auf Selbstverteidigung wurde durch weitreichendere Ambitionen ersetzt. Ein Drittel der israelischen Minister, darunter der rechtsextreme Itamar Ben-Gvir, vertritt die Ansicht, dass Israels Sicherheit nur durch eine Wiederbesiedlung Gazas gewährleistet werden könne.prif+1
Der sogenannte „Plan der Generäle“ sieht vor, Palästinenser durch Belagerung und Hungerblockade aus dem nördlichen Gazastreifen zu vertreiben. US-Präsident Donald Trump stellte Anfang 2025 einen noch radikaleren Plan vor: Die USA sollten die Kontrolle über Gaza übernehmen, es wiederaufbauen und die Bevölkerung nach Jordanien, Ägypten oder andere Länder umsiedeln.wikipedia
Die internationale Debatte um Verhältnismäßigkeit und Völkermord
Völkermord-Vorwürfe und internationale Reaktionen
Der Vorwurf des Völkermords gegen Israel wird von einer wachsenden Zahl internationaler Akteure erhoben. Die International Association of Genocide Scholars, die weltgrößte Vereinigung von Genozid-Forschern, wirft Israel vor, in Gaza einen Völkermord zu begehen.sueddeutsche+1
Ein unabhängiger UN-Bericht vom September 2025 kam zu dem Schluss, dass Israel seit dem 7. Oktober eine völkermörderische Kampagne inszeniert. Amnesty International veröffentlichte im Dezember 2024 einen 300-seitigen Bericht, der Israel systematische Genozid-Handlungen vorwirft.vaticannews+3
Human Rights Watch spricht von „genozidalen Handlungen“ und dokumentiert, wie Israel gezielt die Wasserinfrastruktur angriff und die Verfügbarkeit von sauberem Wasser einschränkte. Selbst israelische Organisationen wie B’Tselem und Physicians for Human Rights – Israel beschreiben das Vorgehen als Genozid.wikipedia
Kritik an der Verhältnismäßigkeit
Die internationale Gemeinschaft äußert zunehmend Kritik an der Verhältnismäßigkeit der israelischen Kriegsführung. Deutschland, Großbritannien, Italien, Neuseeland und Australien warnten gemeinsam vor Völkerrechtsverstößen und bezeichneten Israels Gaza-Pläne als „gefährliche Eskalation“.zeit
UN-Generalsekretär António Guterres sprach von einer „alarmierenden“ Entwicklung, die zu weiteren Zwangsvertreibungen, Tötungen und massiver Zerstörung führe. Die humanitäre Lage sei bereits „katastrophal“, und Millionen von Menschen litten unter „unvorstellbaren Bedingungen“.zeit
Antisemitismus in Deutschland: Der dramatische Anstieg nach dem 7. Oktober
Erschreckende Zahlen
Der Terrorangriff der Hamas hatte unmittelbare Auswirkungen auf das jüdische Leben in Deutschland. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) dokumentierte 2023 insgesamt 4.782 antisemitische Vorfälle – ein Anstieg um 83 Prozent gegenüber 2022. 58 Prozent dieser Vorfälle ereigneten sich nach dem 7. Oktober.report-antisemitism
Die Zahl antisemitischer Vorfälle stieg von rechnerisch 7 pro Tag im Jahr 2022 auf 13 pro Tag im Jahr 2023. Zwischen dem 7. Oktober und Jahresende 2023 dokumentierte RIAS 32 Vorfälle pro Tag. 2024 stieg die Zahl erneut drastisch auf 8.627 Vorfälle – statistisch fast 24 antisemitische Vorfälle täglich.tagesschau+1
Formen und Charakteristika des neuen Antisemitismus
71 Prozent der antisemitischen Vorfälle nach dem 7. Oktober wurden dem israelbezogenen Antisemitismus zugeordnet. Häufige Stereotype waren Delegitimierungen Israels sowie Gleichsetzungen von Jüdinnen und Juden in Deutschland mit Israel.report-antisemitism
RIAS-Geschäftsführer Benjamin Steinitz beobachtet eine „bedrückende Normalität“: „Aufrufe zur Vernichtung Israels, Befürwortung von Gewalt gegen Jüdinnen und Juden, offene Unterstützung des Hamas-Terrors sowie die Relativierung der Shoah“ seien zwei Jahre nach dem 7. Oktober zur Routine geworden.tagesschau+1
Besonders alarmierend ist die Vernetzung verschiedener extremistischer Milieus. Antisemitismus und Israelfeindlichkeit fungieren als „Scharnierfunktion“ zwischen ansonsten gegensätzlichen Gruppierungen und schaffen unerwartete Allianzen.verfassungsschutz
Ethische Herausforderungen: Zwischen Mitgefühl und Verantwortung
Das Dilemma der doppelten Solidarität
Deutschland steht vor der ethischen Herausforderung, seiner historischen Verantwortung gegenüber Israel gerecht zu werden, ohne die Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung zu ignorieren. Bundesaußenminister Johann Wadephul formulierte dieses Dilemma: Deutschland müsse Israel unterstützen, dürfe aber „das Leid der Menschen in Gaza nicht übersehen“.mdr
Diese Position verdeutlicht, dass Mitgefühl für beide Seiten nicht nur möglich, sondern ethisch geboten ist. Die historische Verantwortung Deutschlands für den Holocaust verpflichtet nicht zur Blindheit gegenüber anderem Leid, sondern zu besonderer Sensibilität für alle Formen von Menschenrechtsverletzungen.
Die Grenzen der Staatsräson
Die Debatte um die deutsche Staatsräson zeigt die Notwendigkeit einer differenzierten Herangehensweise auf. Während die Sicherheit Israels unzweifelhaft ein deutsches Staatsinteresse bleibt, kann dies nicht bedeuten, völkerrechtswidrige Handlungen zu legitimieren oder zu unterstützen.taz+2
Der ehemalige Verteidigungsminister Moshe Ya’alon konstatierte im Dezember 2024 eine auf „Eroberung, Annexion und ethnische Säuberung“ ausgerichtete Kriegsführung. Solche Entwicklungen stellen Deutschland vor die Herausforderung, seine Unterstützung an völkerrechtliche Standards zu knüpfen, ohne die grundsätzliche Solidarität mit Israel aufzugeben.wikipedia
Ausblick: Wege aus der Krise
Die Notwendigkeit einer politischen Lösung
Zwei Jahre Gaza-Krieg haben gezeigt, dass militärische Mittel allein keine dauerhafte Lösung bieten können. Die ursprünglichen Kriegsziele Israels sind nicht erreicht, während das Leiden der Zivilbevölkerung exponentiell gewachsen ist. Eine politische Lösung wird unumgänglich.
Die Zweistaatenlösung, so umstritten sie auch geworden ist, bleibt nach Ansicht vieler internationaler Akteure die einzige realistische Perspektive für dauerhaften Frieden. Deutschland und seine Partner in der EU müssen sich entschiedener für dieses Ziel einsetzen und dabei beide Seiten in die Verantwortung nehmen.bundesregierung+1
Deutschlands Rolle als Friedensmittler
Deutschland kann und muss seine besondere Rolle konstruktiv nutzen. Dies bedeutet nicht, die historische Verantwortung gegenüber Israel aufzugeben, sondern sie in einen umfassenderen Rahmen des Friedens und der Menschenrechte einzubetten.boell+1
Konkrete Schritte könnten die Anerkennung eines palästinensischen Staates, die verstärkte Unterstützung des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA und der Einsatz für den Schutz von UN-Mitarbeitern und Journalisten in Gaza umfassen. Gleichzeitig muss Deutschland weiterhin für Israels Sicherheit und gegen Antisemitismus eintreten.taz
Fazit: Zwei Jahre später – Lehren und Verpflichtungen
Zwei Jahre nach dem 7. Oktober 2023 ist die Bilanz ernüchternd. Der Terroranschlag der Hamas war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das auf das Schärfste verurteilt werden muss. Die israelische Reaktion, so verständlich ihre Motive auch sind, hat jedoch Dimensionen angenommen, die weit über das Maß der Verhältnismäßigkeit hinausgehen und selbst völkerrechtliche Fragen aufwerfen.
Für Deutschland bedeutet dies eine komplexe ethische Herausforderung. Die historische Verantwortung für den Holocaust verpflichtet zur Solidarität mit Israel – aber sie verpflichtet auch zur Wahrung universeller Menschenrechte und völkerrechtlicher Standards. Diese scheinbare Spannung lässt sich nur auflösen, wenn Deutschland seine Verantwortung umfassend versteht: als Verpflichtung für Israels Sicherheit und als Engagement für eine gerechte und dauerhafte Lösung des Nahost-Konflikts.
Die dramatische Zunahme des Antisemitismus in Deutschland zeigt, wie wichtig es ist, zwischen legitimer Kritik an politischen Entscheidungen und antisemitischen Ressentiments zu unterscheiden. Mitgefühl für das Leid der Menschen in Gaza darf niemals in Hass gegen Jüdinnen und Juden umschlagen.
Der Weg zum Frieden im Nahen Osten bleibt lang und schwierig. Doch nach zwei Jahren verheerenden Krieges ist klarer denn je: Nur eine Lösung, die die berechtigten Ansprüche beider Völker auf Sicherheit, Würde und Selbstbestimmung anerkennt, kann dauerhaften Frieden bringen. Deutschland hat aufgrund seiner Geschichte eine besondere Verantwortung, zu diesem Frieden beizutragen – nicht durch blinde Gefolgschaft, sondern durch prinzipientreue und ausgewogene Politik.
Kommentar
Selten war unsere konsequent an Menschenrechten für alle ausgerichtete Haltung so wertvoll wie im Fall des Gaza-Krieges. Das bedeutet natürlich auch, dass sich von unserer Berichterstattung direkt nach dem 7. Oktober bis heute ein Wandel in der Bewertung von Aktion und Reaktion ergeben hat, der sich auch in Umfragen abbildet. Demnach wären, je nach Gegenstand und Ergebnis der Umfragen 57 bis 80 Prozent der Menschen hierzulande und gut drei Viertel der Weltgemeinschaft Antisemiten.
Dieses Narrativ trägt nicht, und wäre es wirklich so, woher käme es, müsste man dann auch fragen. Deshalb wäre es auch seitens der Interessenvertreter der Juden in Deutschland nach unserer Ansicht angezeigt, nicht reflexartig jede kritische Bemerkung zu den aktuellen Geschehnissen im Gazakrieg als antisemitisch zu brandmarken. Das kann nur dazu führen, dass sich auch diejenigen verhärten, die, wie wir, vor allem an dem Prinzip Menschenrechte für alle orientiert sind und jede exzeptionalistische, mithin rassistische Haltung diesbezüglich ablehnen.
Die Zahl der antisemitischen Übergriffe im Jahr 2024 bedeutet, dass etwa jede zwölfte jüdische Person in Deutschland einen Angriff oder eine wie auch immer geartete Reaktion gegen sich zu verzeichnen hatte, weil er dieser Gruppe angehört und dies sichtbar für Dritte ist. Mehrfach-Angriffe auf dieselbe Person berechnen wir dabei nicht ein und wir hinterfragen diese Zahlen auch nicht, sondern nehmen sie als Ausdruck einer gefährlichen Polarisierung im Land wahr, die auf diesem Feld ebenso die Gesellschaft auseinandertreibt wie auf anderen. Mit der Besonderheit freilich, dass aus historischen Gründen diese Über- und Angriffe besonders in der Diskussion stehen, unserer Meinung nach zu Recht. Auch wenn es nicht immer leicht ist, die teils sehr rechten Ansichten auch von die Interessen der Gemeinschaft formulierenden Juden in Deutschland, oft vorgetragen in Form von deren unbedingter Unterstützung für die israelische Politik, müssen auf einer Ebene behandelt werden, die keinen Hass auf die gesamte Gemeinschaft aufkommen lässt.
Das heißt, man muss diese rechten, exzeptionalistischen, rassistischen Ansichten lösen von ihrer Herkunft und die etwas feige Idee markieren, dass hinter der Flagge Israels jede Ansicht legitim ist, auch wenn sie den Prinzipien der deutschen Verfassung widerspricht, die sich ausdrücklich zum Völkerrecht bekennt. Dieser Aspekt wird viel zu wenig in der politischen Diskusssion thematisiert. Alle möglichen Menschen hierzulande stehen im Verdacht, nicht ganz auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen, nicht aber jene, die unverhohlen den völkerrechtswidrigen Expansionismus der rechten israelischen Regierung gutheißen, indem sie jede Kritik am aktuellen Vorgehen (auch im Westjordanland, wir haben uns mehrfach dazu geäußert, die Entwicklung dort unbedingt mit in den Blick zu nehmen, und sicht nur auf den Gazakrieg zu fokussieren) versuche als antisemitisch zu brandmarken. Wer hier ein echtes Gegenargument sucht, das kaum zu widerlegen ist, wenn international der Einsatz der IDF in Gaza als völkerrechtswidrig angesehen wird, der kann zum Beispiel Art. 25 GG heranziehen:
„Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ (Art. 25 GG)gesetze-im-internet+2
Daraus kann man sogar die Pflicht herauslesen, gegen völkerrechtswidriges Vorgehen zu protestieren, um Druck auf die Bundesregierung zu erzeugen, die ihrerseits diesen Vorgaben nicht nachkommt. Es gibt auch keine Staatsräson, die das Grundgesetz aushebeln kann und darf, die also verfassungswidrig ist, wenn sie klar völkerrechtswidrige Handlungen billigt oder gar durch militärische Hilfe unterstützt oder wahrscheinlicher macht.
Darüber hinaus enthält die Präambel des Grundgesetzes ein allgemeines Bekenntnis zur Verpflichtung des deutschen Volkes, für Frieden in der Welt zu sorgen, was den Geist der Völkerrechtsbindung zusätzlich unterstreicht. Auch andere Artikel des Grundgesetzes, wie Art. 1 Abs. 2 GG (Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft) und Art. 24 GG (Integration in internationale Friedens- und Sicherheitssysteme), betonen die Bedeutung von Völkerrechtsprinzipien.
Das heißt, sogar der „ewige“, unabdingbare Artikel 1 hat eine völkerrechtliche Implikation. Das ist komplett sinnvoll, es ist sogar unabdingbar für die Geschlossenheit der Konstruktion der deutschen Verfassung, denn wer das Völkerrecht nicht achtet, der verletzt dadurch unweigerlich Menschenrechte. Wir sprechen uns, auch wenn es nur Symbolik ist, unter bestimmten Bedingungen, nicht unbedingt, für die Anerkennung eines Staates Palästina aus. Gewisse Voraussetzungen wie die Freilassung der restlichen israelischen Geiseln der Hamas müssten dafür selbstverständlich gegeben sein und der Frieden müsste starke, von einer breiten internationalen Koalition getragene Sicherheitsaspekte beinhalten. Jüngst hat aber der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu geäußert, Europa werde zunehmend irrelevant. Diese Aussage fiel am 5. Oktober 2025 in einem Interview mit Euronews und wurde von zahlreichen Medien weitergegeben. euronews+6
Warum also im Zeichen dieser Irrelevanz nicht wenigstens ein Zeichen für die international nach wie vor geforderte Zweistaatenlösung setzen, die, wie wir oben gelesen haben, eine Vereinbarung erfüllen würde, die weit jenseits des Zeithorizonts liegt, der bis zum 7. Oktober 2023 reicht. Es hat ohnehin keine Konsequenzen, solange die USA nicht mitmachen. Sollte Deutschland irrelevant werden, kann es sich endlich an einer kohärenten Pro-Menschen-und-Völkerrechtspolitik ausrichten, Irrelevanz als Segen, wenn man so will. Es würde niemandem schaden, aber der Reputation Deutschlands in der Welt Auftrieb und damit mit etwas Glück und längerfristig auch Relevanz (zurück-) geben, sei sie zum Besseren nur rechtlich-ethischer Natur, nicht ökonomischer oder gar machtpolitisch-militärischer Art.
Wir werden diesem Artikel noch eine Betrachtung dazu folgen lassen, warum mehr Menschen aus dem linke(ren) politischen Spektrum Deutschlands kritisch gegenüber dem Vorgehen Israels im Gazakrieg sind. So viel vorweg: Es ist gefährlich, gerade diese Menschen als Antisemiten brandmarken zu wollen. Wir werden auch erklären, warum dies so ist.
TH / Essay-Hauptteil des Artikels unter Einbeziehung von KI gestaltet
Quellen zum Hauptteil:
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https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/unterstuetzung-israel-2228198
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https://de.wikipedia.org/wiki/Krieg_in_Israel_und_Gaza_seit_2023
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https://www.dw.com/de/zwei-jahre-gazakrieg-was-hat-israel-erreicht/a-74190004
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https://www.israel-spezialist.de/heiliges-land/geschichte-heiliges-land/osmanische-herrschaft.htm
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https://zms.bundeswehr.de/de/publikationen-ueberblick/zmg-2025-3-nahostkonflikt-5982386
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https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/israel-2023/520482/75-jahre-nach-der-nakba/
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https://de.wikipedia.org/wiki/Vertreibung_und_Flucht_der_Pal%C3%A4stinenser_1948
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https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/1953-03-18-wiedergutmachung-israel-937558
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https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/israel-node/bilateral-203806
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https://internationalepolitik.de/de/warum-deutschland-die-staatsraeson-neu-definieren-muss
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https://taz.de/Deutsche-Unterstuetzung-fuer-Israel/!6117504/
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https://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkermordvorw%C3%BCrfe_gegen_Israel_im_Gaza-Krieg_seit_2023
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https://www.vaticannews.va/de/welt/news/2025-09/un-gaza-bericht-spricht-von-voelkermord.html
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https://www.zeit.de/politik/ausland/2025-08/nahostueberblick-gaza-israel-kritik-un-sicherheitsrat
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https://report-antisemitism.de/documents/25-06-24_RIAS_Bund_Jahresbericht_2023.pdf
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https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/antisemitismus-2024-bericht-100.html
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https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/antisemitismus-studie-rias-100.html
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https://www.boell.de/de/2025/07/18/die-truemmer-gazas-die-truemmer-des-voelkerrechts
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https://www.kas.de/de/laenderberichte/detail/-/content/zwei-jahre-krieg-wohin-steuert-israel
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https://www.deutschlandfunk.de/israel-gaza-krieg-hamas-iran-hisbollah-100.html
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https://www.tagesschau.de/ausland/asien/israel-arabische-staaten-102.html
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https://www.zeit.de/politik/ausland/2025-08/krieg-in-gaza-liveblog
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https://www.domradio.de/artikel/wie-es-um-den-antisemitismus-nach-dem-7-oktober-deutschland-steht
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https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/gaza-news-kinder-hoffnungsschimmer/350376
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https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-nahost-dienstag-294.html
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https://www.swp-berlin.org/publications/products/fachpublikationen/Geschichte_des_Nahost_ks.pdf
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https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/199894/israels-sicherheit-als-deutsche-staatsraeson/
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https://www.dw.com/de/deutschland-und-israel-immerw%C3%A4hrende-verantwortung/a-65355011
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https://www.thepipd.com/wp-content/uploads/2024/04/PUBLIC-Overview-of-findings-Germany-1.pdf
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https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/29124/deutsche-israelpolitik-etappen-und-kontinuitaeten/
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https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/deutschland-israel-staatsraeson-100.html
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https://mediendienst-integration.de/desintegration/antisemitismus.html
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https://www.tagesschau.de/faktenfinder/kontext/deutschland-staatsraeson-israel-100.html
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http://www.lib-hilfe.de/mat/ausstellung/Ausstellung_Nakba.pdf
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https://www.tagesschau.de/ausland/asien/nakba-gazastreifen-israel-106.html
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https://www.tagesschau.de/ausland/asien/israel-gazastreifen-ngo-vorwurf-voelkermord-102.html
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https://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkerbundsmandat_f%C3%BCr_Pal%C3%A4stina
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https://www.zdfheute.de/politik/ausland/israel-gaza-palaestinenser-nakba-tag-100.html
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https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_arabischen_Bev%C3%B6lkerung_in_Pal%C3%A4stina
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