Wo ist Kinderlosigkeit am häufigsten? (Statista + zusätzliche Daten + Kommentar)

Briefing Gesellschaft, Familie, Kinderlosigkeit, Fertilitätsrate, Geburtenrate,  negative Entwicklung, kontraprodukte Politik

Wir vermessen die Gesellschaft. Kann man das so sagen bzw. schreiben? Wir können hier natürlich nicht alle Hintergründe besprechen, dazu gibt es Studien – aber wir können dabei helfen, dass alle wissen, worüber sie in etwa sprechen, wenn es um die Fakten geht – und auch um manche Einstellung, Philosophie, Ideologie. Deswegen haben wir die kleine Serie mit den „Tradwifes“ begonnen, einem Phänomen, das wir erst einmal von einem üblichen traditionellen Familienbild ein wenig trennen mussten, weil es in einer Grafik mehr oder weniger synonym verwendet wurde. Hier zu unserem Tradwifes-Artikel.

Auch heute bekommen Sie wieder Zusatzinformationen von uns. Liegt zum Beispiel die Fertilität im Osten höher, weil es dort weniger kinderlose Frauen gibt als im Westen und ist sie in den Städten niedriger, weil dort (bzw. hier, wenn wir unseren Standort Berlin als Ausgangspunkt nehmen) in der Regel mehr als jede fünfte Frau gar keine Kinder hat? Zunächst die Statista-Grafik der Kinderlosigkeit nach Bundesländern:

Infografik: Wo ist Kinderlosigkeit am häufigsten? | Statista

Begleittext von Statista

Kinderlosigkeit ist bei Frauen in Hamburg am weitesten verbreitet. Hier liegt die Kinderlosenquote von Frauen im Alter von 45 bis 54 Jahre mit 29 Prozent an der Spitze des Bundesländervergleichs. An zweiter Stelle folgt Berlin mit 24 Prozent. Das zeigt die Statista-Infografik mit Daten des Statistischen Bundesamts. Hohe Lebenshaltungskosten, ein hoher Anteil an alleinlebenden Menschen oder Bildungs- und Karriereprioritäten können dazu beitragen, dass Kinderlosigkeit in den beiden bevölkerungsreichsten Städten am weitesten verbreitet sind. Am geringsten sind die Quoten dagegen in Ostdeutschland und im Saarland. Die Gründe für Kinderlosigkeit können freiwillig sein, wie die Ablehnung der Verantwortung oder die Priorisierung anderer Lebensziele. Zu den unfreiwilligen Gründen können unter anderem medizinische Ursachen zählen.

Seit Ende der 1990er-Jahre gingen die Geburtenzahlen in Deutschland deutlich zurück. Wurden 1997 noch über 810.000 Neugeborene gezählt, ging die Zahl der Geburten in den folgenden knapp 15 Jahren fast stetig zurück. Im Jahr 2011 wurde der Tiefstwert seit der Wiedervereinigung erreicht, das Statistische Bundesamt zählte in dem Jahr ca. 663.000 Neugeborene. In den folgenden fünf Jahren stiegen die Geburtenzahlen wieder deutlich an, seit 2017 lassen diese allerdings auch wieder nach.

Hauptinformationstabelle

Was folgt, ist die aufwendigste Recherche, die wir bisher via KI betrieben haben, was uns selbst verblüfft hat, weil wir davon ausgegangen sind, dass die nachfolgenden Daten relativ einfach bei Destatis einzusehen sind. Eine Meldung vorab, während die Hauptrecherche noch läuft: Es sieht schlecht aus, mit den Geburtenziffern in Deutschland, und es wird schlechter. Deswegen ist die sogenannte demografische Frage auch so wichtig. Wie können die sozialen Sicherungssysteme unter der Bedingung erhalten werden, dass immer weniger arbeitende Menschen sie künftig werden tragen müssen? Da stecken schon auf den ersten Blick so viele Gerechtigkeitsthemen drin: Kann man der jungen Generation das wirklich alles überhäufen, sie kann ja nichts dafür, dass sie zahlenmäßig so klein ist. Sie kann es höchstens besser machen, was bei der zunehmenden persönlichen Belastung, die sich aus der demografischen Entwicklung ergibt, wiederum schwierig werden dürfte. Warum werden nicht endlich die Superreichen, die von allen Entwicklungen auf unterschiedliche Weise profitieren und die einzigen sind, die noch echte Zuwächse erzielen, nicht endlich stärker zur Verantwortung für den Erhalt des Ganzen durch immer weniger Menschen herangezogen? Warum zahlen nicht alle in die Rentenversicherung ein, warum wird das Zweiklassen-Gesundheitssystem nicht geändert? Warum wird die Familienfreundlichkeit nicht nur finanziell, sondern auch durch Implementierung einer anderne Mentalität in den Alltag verbessert?

Die Politik löst keine der wirklichen Zukunftsaufgaben dieses Landes, und auch die Zuwanderung reicht nicht aus, um die Defizite bei der Geburtenziffer gegenüber der Sterbeziffer (die mit über 300.000 im letzten Jahr so hoch war wie nie zuvor) auszugleichen. Außerdem scheint sich abzuzeichnen, dass auch Menschen mit Migrationshintergrund bei der Geburtenrate nachlassen, ihrer Fertilität liegt traditionell über jener der autochthonen Deutschen – allerdings nicht so viel, dass man von einem Geburtenboom sprechen könnte. Auch sie erreicht schon lange nicht mehr die Reproduktionsquote von 2,1, und man sollte sich hier nicht an Klischeebildern von kinderreichen Familien orientieren, die optisch ins Auge stechen, sondern die Gesamtzahlen in den Blick nehmen.

Eine weitere Erkenntnis haben wir ebenfalls schon vorliegen. Die Werte in der Grafik werden tatsächlich durch die Fertilitätsraten der einzelnen Bundesländern gestützt. Sie sind dort noch am höchsten, wo die Kinderlosigkeit am niedrigsten ist. Wieso ist das nicht selbstverständlich? Das erklären einige Ausreißer am besten: Es gibt Länder, in denen die Kinderlosigkeit im Vergleich zur Fertilitätsrate relativ hoch ist. Das bedeutet, dass Frauen, die Kinder haben, in der Regel mehr Kinder haben als anderswo oder, umgekehrt ausgedrückt, dass es vermutlich weniger Einzelkinder gibt (das ist nur eine überschlägige Vermutung, Statistiker wissen sofort, was wir damit meinen, denn es könnte ja auch sein, dass in einem Landstrich das Vier-Kinder-Modell besonders populär ist, und das würde die Gesamtstatistik deutlich nach oben ziehen. Sehr wahrscheinlich ist das nicht, auch wenn es interessant wäre, es einmal zu überprüfen: der Aufwand ist zu groß). Was wir meinen, lässt sich aber gut am Vergleich Berlin-Hamburg erläutern: In Hamburt ist die Quote kinderloser Frauen um nicht weniger als 5 Prozent höher als in Berlin, trotzdem ist in der Hansestadt die Fertilität (wenigstens ein klein wenig) höher als in der Hauptstadt, siehe dazu die folgende Tabelle.

Aktuelle Fertilitätsraten und Tendenz von 2021 bis 2024:

Was wir zeigen, ist eine realistische Vorschau-Tabelle mit dem Stand bis 2023 (also Durchschnitt 2015–2023 statt, wie angefordert, für 2015–2024), zusammengestellt aus den letzten vollständigen Destatis-/Landesstatistikwerten. Die Unterschiede zur endgültigen 2024er-Version werden gering sein (meist 0,01–0,02 Punkte weniger durch den Rückgang 2024).


🧾 Vorschau: Durchschnittliche zusammengefasste Geburtenziffer (TFR) 2015–2023 nach Bundesland

RK

Bundesland

Durchschnitt 2015–2023 (Kinder je Frau)

Trend 2021→
2023

Bemerkung

1

Sachsen

1,58

−7 %

Stabiles Ostniveau, leichter Rückgang seit 2021

2

Brandenburg

1,56

−6 %

ähnlich stark wie Sachsen, konstant über 1,5

3

Thüringen

1,55

−6 %

2016–2019 leicht über 1,6, seither Rückgang

4

Sachsen-Anhalt

1,54

−7 %

Ostdeutschland allgemein hohes Niveau

5

Niedersachsen

1,53

−8 %

laut LSN 2024: 1,42 (geringster Rückgang 2024)

6

Bayern

1,51

−9 %

starkes Westland mit leicht sinkender TFR

7

Baden-Württemberg

1,50

−10 %

Rückgang seit 2016 deutlich

8

Mecklenburg-Vorpommern

1,49

−8 %

Ostdeutsch, ähnlich stabil wie Niedersachsen

9

Hessen

1,47

−9 %

stabile Mittellage, keine Ausreißer

10

Rheinland-Pfalz

1,46

−9 %

knapp unter Bundesdurchschnitt

11

Schleswig-Holstein

1,45

−8 %

nahe am Mittelwert Deutschlands

12

Nordrhein-Westfalen

1,44

−10 %

hoher Migrationsanteil, aber leicht sinkend

13

Saarland

1,42

−8 %

sehr kleiner Flächenstaat, Trend nach unten

14

Bremen

1,40

−10 %

schwaches Niveau, städtischer Effekt

15

Hamburg

1,36

−11 %

städtisch geprägt, konstant niedrig

16

Berlin

1,32

−12 %

niedrigster Wert bundesweit, 2024 ~1,21

17

Deutschland gesamt

1,50

−11 %

Ø aller Länder; 2024er-Wert ca. 1,35 → ~−15 % seit 2021


🔍 Quellen & Hinweise:

Kommentar

Wir erinnern uns noch gut, dass die AfD in einem der zurückliegenden Wahlkämpfe einen Slogan plakatiert hat: „Kinder? Machen wir selber!“ Gemeint war damit, man ist nicht auf Zuwanderung oder den Kinderreichtum von Migranten angewiesen. Natürlich stammt dieser Spruch aus dem Osten Deutschlands.

Und statistisch gesehen ist da etwas dran. Die Neuen Bundesländern haben die höchsten Fertilitätsraten und auch die geringsten Rückgänge in den letzten Jahren vorzuweisen. Und da es dort besonders viel AfD-Wählende gibt, ist dieser Slogan zumindest nicht komplett aus der Luft gegriffen. Und natürlich stützen die obigen Werte die Statista-Grafik, nach der es im Osten weniger kinderlose Frauen gibt als im Westen und die Quote in den Stadtstaaten besonders hoch ist, diese liegen auch am unteren Ende der Tabelle, die wir haben errechnen lassen. Aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben: Auch in den fünf ostdeutschen Flächenstaaten ist die Geburtenrate weit unterhalb der Reproduktionsquote von 2,1 angesiedelt.

Um es offen zu schreiben: Es ist der totale Wahnsinn, dass eine Stadt wie Berlin, die für ihr Funktionieren auf einigermaßen auskömmlichem dringend auf eine gesunde Generationenfolge angewiesen ist, eine Geburtenrate von nur noch 1,32 hat. Da wird nichts helfen, wir werden weiterhin Arbeitskräfte aus anderen Bundesländern und natürlich auch aus dem Ausland ansaugen müssen, damit hier nicht in ein paar Jahren alles vollständig zusammenbricht. Natürlich entlasten die geringen Geburtenzahlen erst einmal das Kita- und Schulsystem, aber was kommt danach? Und umso furchbarer, dass der Bildungsnotstand bei so wenigen Kindern, die zu betreuen sind, nicht in den Griff zu bekommen ist. Dabei ist jedes dieser Kinder unermesslich wertvoll für die Zukunft, wenn dieses Land noch eine Zukunft haben soll.

Die Politik hingegen zerstört diese Zukunft. Sie zerstört sie durch die Unterausstattung der Infrastruktur, im Moment aber vor allem durch ihre gruselige Spaltungsrhetorik, die für immer schlechtere Stimmung sorgt und damit auch für weniger Kinder, von den realen Belastungen in einem so niedergerittenen System für Eltern ganz abgesehen. Die Gesellschaft ist an einem Pessimismus erkrankt, der selbst für deutsche Verhältnisse extreme Ausmaße angenommen hat. Und wie sieht es in anderen EU-Ländern aus? Dass man es wenigstens ein bisschen besser machen kann, sehen wir hier:

Die fünf EU-Länder mit den höchsten Fertilitätsraten im Jahr 2024 sind folgende:

Rang

Land

Fertilitätsrate (Kinder pro Frau)

1

Frankreich

1,79 euronews+1

2

Rumänien

1,71 euronews+1

3

Bulgarien

1,78 theglobaleconomy

4

Irland

1,70 theglobaleconomy

5

Tschechien

1,62 theglobaleconomy

Diese Werte beziehen sich auf aktuelle Statistiken für das Jahr 2024 und zeigen, dass Frankreich weiterhin die höchste Geburtenrate innerhalb der Europäischen Union aufweist, gefolgt von mehreren osteuropäischen Ländern. Die Fertilitätsrate gibt die durchschnittliche Anzahl der Kinder an, die eine Frau im gebärfähigen Alter zur Welt bringt. Ein Wert von etwa 2,1 ist nötig, um die Bevölkerung ohne Zuwanderung stabil zu halten.euronews+1

Die unterschiedlichen Geburtenraten führen dazu, dass in Deutschland und Frankreich annährend gleich viele Kinder geboren werden (677.000 gegenüber 663.000 im Jahr 2024), obwohl die französische Bevölkerung mit 68 Millionen trotz eines langfristigen Aufholeffekts noch erheblich kleiner ist als die deutsche (84 Millionen).​

Frankreich hat ja auch so etwas wie Staatsziele und Strategien, anders als die planlose deutsche Politik, und eines davon ist, die Bevölkerungszahl aufrechtzuerhalten, weil das eben für die Zukunft eines Landes von entscheidender Bedeutung ist. Sie schaffen die Reproduktionsquote dort auch nicht mehr, das ist inzwischen in allen Industrieländern so, auch in den USA, die ebenfalls lange als ein relativ kinderreiches Land galten (Geburtenziffer im Jahr 2024 = 1,6). Raum für Immigration bzw. eine logische Nachfrage nach Zuwanderung gibt es also überall in der EU, wenn Europa seinen Wohlstand erhalten will und in allen anderen Industriestaaten. Deswegen ist eine generell migrationsfeindliche Politik ein Schlag ins Gesicht der bereits hier Lebenden, und vor allem der jungen Generation.

Die junge Generation in Deutschland weiß das auch: Merz’ Stadtbild-Angriffe auf die Migranten kommen in ihr weitaus weniger gut an als bei Älteren, die alles schon hinter sich und das Kinder kriegen weitgehend verpasst haben.

Kinderfeindlichkeit + Zuwanderungsfeindlichkeit = Menschenfeindlichkeit = Zukunftsfeindlichkeit.

Die perfekte Mischung, um dieses Land bei anhaltend auf negative Eigenschaften und Gefühle setzender und spaltender Politik in den Abgrund zu führen also. Nicht die „Überfremdung“, sondern zu wenig Zuwanderungsfreundlichkeit ist das Problem unserer Zeit, und natürlich wirkt sich Zuwanderung auf das Stadtbild aus, das ist unvermeidlich.

Dies bedeutet nicht, dass Immigration dysfunktional sein darf, denn wir sind ja bei dem massiven Bevölkerungsschwund durch zu niedrige Geburtenraten umso stärker darauf angewiesen, dass die Zuwanderung gelingt und die Einwandernden etwas zum Gelingen des Systems beitragen – insofern sind wir durchaus auch pragmatisch eingestellt und sagen, humanitäre und fähigkeitsorienterte Aspekte müssen austariert werden, es muss einen handhabbaren Mix davon geben, wenn die Gesamt-Immigration gelingen soll, die dafür sorgt, dass diese sich selbst auch langfristig erhalten und Deutschland damit attraktiv halten kann. Gegenwärtig muss man eher sagen: attraktiver machen kann für jene, die gut ausgebildet sind und Chancen wahrnehmen wollen; jene, die sich frei entscheiden können zwischen den Ländern, welche die besten Angebote an sie machen.

Wir müssen bei all den Daten, die hier besprochen werden, immer bedenken, dass wir die Ursachen dafür, dass die Daten so aussehen, selbst setzen. Die Gerechtigkeitsgedanken, die daraus erwachsen, haben wir oben nur kurz angerissen und glauben, wir haben jetzt auch genug kommentiert. Bis zum nächsten Beitrag „Vermessung der Gesellschaft“ also und bis dahin eine schöne Zeit. Wir geben jetzt keine Empfehlung, wozu man diese Zeit nutzen könnte, wenn man noch im gebärfähigen Alter ist, denn letztlich kann es passieren, dass Ansprüche, die man an andere stellt, als Bumerang zurückkommen.

TH

Quoten der Fertilität in den Top-EU-Ländern:

  1. https://de.euronews.com/gesundheit/2024/08/20/die-fruchtbarkeitskrise-in-europa-welches-europaische-land-bekommt-die-wenigsten-babys

  2. https://de.theglobaleconomy.com/rankings/Fertility_rate/European-union/

  3. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1493385/umfrage/laender-in-europa-mit-den-hoechsten-fertilitaetsraten/

  4. https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Fertilit%C3%A4tsrate

  5. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/353103/umfrage/geburtenraten-in-den-eu-laendern/

  6. https://www.dsw.org/laenderdatenbank-2024/

  7. https://de.wikipedia.org/wiki/Fertilit%C3%A4tsrate

  8. https://www.iwd.de/artikel/geburtenraten-in-der-eu-sinken-647742/

  9. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/200065/umfrage/geburtenziffern-in-ausgewaehlten-laendern-europas/

  10. https://www.reddit.com/r/Austria/comments/1i9kma0/fertilit%C3%A4tsrate_in_europa_2024/

 










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