Briefing Wirtschaft, Economy, Arbeitsplätze, Beschäftigung, Arbeitsplatzabbau, Kündigungen, Industriestandort Deutschland, Konjunktur, Stagnation, Rezession, Wirtschaftsentwicklung, Ideologie und echte Zahlen, Autoindustrie, Dienstleistungen, Bauwirtschaft
Falls Sie gerade einen Job suchen und dafür von der Politik ständig eins auf die Mütze kriegen, dass das nicht so einfach ist: Die Politik ist mit schuld daran, dass Arbeitsplätze „abgebaut“, also Menschen gefeuert werden – im großen Stil. So steht es im Begleittext zur nachfolgenden Statista-Grafik, wenn es um die „Standortfaktoren“ geht.
Infografik: Wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt? | Statista

Begleittext
Die Arbeitslosigkeit in Deutschland steigt und das bereits das dritte Jahr in Folge. Und auch für 2026 sind die Aussichten laut einer aktuellen Konjunkturumfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) schlecht Demnach planen mehr als ein Drittel (36 Prozent) aller befragten Unternehmen, Stellen abzubauen. Dagegen gehen nur 18 Prozent den umgekehrten Weg. Besonders düster sind die Aussichten in der Industrie. Damit setzt sich die negative Entwicklung der Vorjahre fort, wie der Blick auf die Statista-Grafik zeigt. Die Unternehmen würden einerseits unter großem geopolitischen Stress leiden, so IW-Konjunkturexperte Michael Grömling. Andererseits seien „hausgemachte Standortprobleme – hohe Kosten für Energie, Sozialversicherungen und Bürokratie“ verantwortlich.
Kommentar
Natürlich, vor allem die Sozialversicherungen. Einen Tipp geben wir ganz schnell: Glauben Sie nicht alles, was neoliberale Ökonomen so erzählen, im Sinne einer Wirtschaft, die gerne die Arbeitnehmer wieder stellen würde wie im 19. Jahrhundert, als Lumpenproletariat. Und der Industriestrompreis bzw. der Preis, den die Großindustrie für Strom zahlt, ist auch nicht so viel höher als in anderen europäischen Ländern, wie er gerne von interessierter Seite dargestellt wird. Und er ist erheblich, nämlich etwa um die Hälfte, niedriger, als das, was Privatverbraucher in Deutschland zahlen müssen. Sie subventionieren die Industrie auf diese Weise mit. In allererster Linie ist die Industrie selbst schuld. Das gilt vor allem und ganz offen sichtbar für die Autoindustrie mit ihrer unglaublichen Arroganz gegenüber den Entwicklungen in anderen Teilen der Welt, und alle, die die Lage von der Automobilseite her analysieren, sind sich darin auch einig. Außerdem wird die Politik gerne in Regress dafür genommen, dass man sowieso auswandern wollte, mit seiner Fertigung.
Warum? Weil andere Länder viel protektionistischer sind und lokale Produktion verlangen. Vor allem, wenn große Länder das tun, wie die USA oder China, kann die deutsche Politik das aber nicht sinnvoll nachbilden oder dagegenhalten, weil der hiesige Markt viel zu klein ist, um seinerseits diese Relevanz oder dieses Drohpotenzial zu haben. Deswegen muss die EU dringend zusammenarbeiten, um jenseits von Nationalismen ihre Industrie besser zu schützen. Was in Deutschland gerne verschwiegen wird: Auch in anderen EU-Ländern, die, wie zum Beispiel Frankreich, sehr günstige Strompreise haben, geht die Autoproduktion seit Jahren zurück. Wir haben die Lage schon mehrfach analysiert, wir tun das heute nicht schon wieder. Erst im August haben wir einen ausführlichen, dreiteiligen Beitrag dazu verfasst:
Dass an manchen Narrativen etwas nicht ganz stimmen kann, zeigt zum Beispiel die ähnlich gerichtete Entwicklung bei den Dienstleistungen, die in der Regel nicht so standortsensitiv sind, weil sie vor Ort erbracht und bezahlt werden. Natürlich hängt alles miteinander zusammen, der Verlust von Arbeitsplätzen in der Industrie trifft auch die Dienstleister und der Handel hat seine eigenen strukturellen Probleme, aber grundsätzlich gelten hier andere Bedingungen als bei der auf den internationalen Wettbewerb ausgerichteten Industrie – es läuft aber trotzdem auch bei den Dienstleistungen schlecht.
Nur im Baugewerbe, so vermutlich die meisten Streichungen schon erfolgt sind, weil das hier schneller geht als in der Industrie und bei hochwertigen Dienstleistungen, scheint sich die Lage etwas zu beruhigen. Dies könnte neben dem erwähnten Effekt der schnellen Reaktion auf schlechte Auftragslage auch daran liegen, dass man von den großen Infrastrukturpaketen einen Aufschwung erwartet. Ob der wirklich eintritt und ob wir als Bürger:innen davon etwas Positives spüren werden, wird sich noch zeigen. Die Bauwirtschaft ist aber kein Gradmesser dafür, wie wettbewerbsfähig das Land ist, weil auch hier gilt, dass keine oder wenig Außenwirkung besteht.
Die Lage ist misslich und eines tut die Politik leider nicht: Sie aktiv verbessern auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Märchen der Unternehmen klar als solche benennen. Für Ersteres hat sie kein Konzept und für Letzteres nicht die … nicht den Mut, weil die aktuell waltenden Politiker so lobbyhörig sind wie keine Regierung zuvor. Aktiv verbessern würde heißen, endlich auch mehr einzugreifen, die Industrie einerseits zu schützen, dies europäisch abzustützen, auch mit dem Argument der Verflechtung innerhalb der EU, und andererseits zu Verbesserungen zu zwingen, welche die Wettbewerbsfähigkeit erhalten, wenn die hochnäsigen Manager es nicht von selbst hinkriegen. Selbst in den USA ist die Politik diesbezüglich viel offensiver, in den meisten europäischen Staaten sowieso. Wer andererseits glaubt, das alles habe mit ihm persönlich nicht viel zu tun:
Falsch gedacht, wenn man nicht gerade beim Staat sitzt, der die Seinen immer gut über Wasser halten muss, weil er dazu verpflichtet ist. Hier gehen unzählige hochgradig wertschöpfende Arbeitsplätze verloren, und es ist kein adäquater Ersatz in Sicht. Und das wird sich auf andere Wirtschaftszweige negativ auswirken, und es wird Infrastrukturmaßnahmen immer mehr erschweren, weil die Steuern sinken.
Was jetzt verschwindet, das hat sich schon in vielen Branchen gezeigt, die im Laufe der Jahrzehnte vom internationalen Wettbewerb verdängt wurden, wird nicht mehr zurückkehren. Mit der Besonderheit, dass dies bei der Autoindustrie und deren Zulieferern eine andere Dimension handelt als bei Branchen, die es in Deutschland schon lange nicht mehr gibt, zumindest nicht in Form vorhandener Arbeitsplätze in größerer Zahl. Marken, die deutsch klingen, sind zwar auf manchen Feldern der Konsumindustrie noch vorhanden, aber die Fertigung findet in der Regel nicht mehr hierzulande statt.
Politiker, die immer nur dem Kapital gedient haben, verfügen nicht über Werkzeuge, nicht über „Tools“, wie es heute so schön heißt, um einem Land auch dann zu dienen, wenn dies eine konfrontative Haltung dem Kapital gegenüber erfordern sollte. Sie sind immer nur der Rendite hinterher gejagt, und die lässt sich eben hier oder dort erzielen, überall auf der Welt, das gibt es kein Zuhause und keine Bevorzugung alter, ehrwürdiger Industriestandorte, wenn es woanders billiger geht. In diesem Denken sind Merz & Co. Aber gefangen. Es ist nicht der einzige Grund, warum wir dringend vor einer Wahl dieser Klasse gewarnt haben, aber wie wir sehen, war diese Warnung berechtigt. Die Steuererleichterungen, die die Industrie jetzt auf die ohnehin niedrigen Steuern der Bestverdienenden obenauf kriegen soll, wird sie gerne noch mitnehmen,um ihre Aktionäre mit hohen Dividenden zu erfreuen, bevor sie aus Deutschland ganz abzieht. Arbeitsplätze wird sie deswegen nicht wieder aufbauen, das zeigt die obige Grafik in aller Deutlichkeit.
Lassen Sie sich in diesem Zusammenhang auch nicht von Scheinkrachern wie der Investitionszusage bei irgendeinem Kanzler-Industrie-Gipfel blenden, auch Wirtschaftsjournalisten schreiben ja solchen Events gerne affirmativ hinterher. Die meisten dieser Investitionen waren ohnehin geplant, es ging eher darum, einen Rückbau der Investitionen zu verhindern – falls das gelungen ist, man wird es nicht überprüfen können, weil es viel zu vage ist, Investitions- und Kapitalströme nach dem Einfluss guter Worte zu beurteilen. Messbar wäre ein echter Eingriff in die Strukturen, und das in vielen Bereichen erst nach Jahren.
Sollte das BIP im Jahr 2026 tatsächlich mal um ein Prozent wachsen, wäre das so gut wie nichts, angesichts von drei Jahren Stagnation, in denen andere Industrieländer außerdem um mehrere Prozentpunkte zugelegt haben und damit beweisen, dass die deutsche Krise tatsächlich hausgemacht ist – aber anders akzentuiert, als es wirtschaftnahe Institute („IW“ heißt „Institut der deutschen Wirtschaft“, da steht es direkt im Namen, bei anderen ist es nicht so auffällig). Nur, damit das noch einmal klar ist, haben wir es recherchiert:
Das Kürzel „IW“ steht für das Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V. (englisch: German Economic Institute, kurz IW). (Wikipedia)
Wie ist das Institut aufgestellt?
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Das IW ist ein privates, nicht-staatliches Wirtschaftsforschungsinstitut mit Sitz in Köln; es unterhält zusätzlich Büros in Berlin und Brüssel. (Institut der deutschen Wirtschaft (IW))
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Es wurde 1951 gegründet unter dem Dach der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände. (Academic dictionaries and encyclopedias)
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Finanzierung und Trägerschaft: Mitglieder sind etwa 100 Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände sowie Einzelunternehmen. Diese tragen mit Mitgliedsbeiträgen die Grundfinanzierung. (Institut der deutschen Wirtschaft (IW))
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Aufbau/Organisation: Das IW umfasst mehrere Tochter- und Verbundgesellschaften (z. B. „IW Consult“, „IW Medien“, „IW Junior“, „IW Akademie“) und gliedert sich in Forschung, Beratung und Kommunikation. (Institut der deutschen Wirtschaft (IW))
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Mission: Es beschreibt sich selbst als „Anwalt der sozialen Marktwirtschaft“ und setzt sich für eine freie Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ein. (Institut der deutschen Wirtschaft (IW))
Wem steht das Institut nahe?
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Ideologisch ist das IW wirtschaftsliberal aufgestellt: Es spricht sich klar für freies Unternehmertum, Wettbewerb und offene Märkte aus. (IG Metall)
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Politisch wird es häufig der Arbeitgeberseite zugerechnet – es ist eng verbunden mit Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden, etwa der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). (Wikipedia)
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In der Fachliteratur wird das IW als ein „advokatorischer Think Tank nach US-Vorbild“ bezeichnet, also nicht rein akademisch neutral, sondern mit klarer Positionierung für wirtschaftsliberale Interessen. (IG Metall)
Deswegen sollte man die Zahlen oben aber nicht als Quatsch abtun, denn die Arbeitslosigkeit steigt ja wirklich. Dass dieses Institut aber nicht das augenfällige Unternehmerversagen (das Versagen des freien Marktes, mithin) in den Blick nimmt, muss man man jedoch anhand von dessen ideologischer Ausrichtung als bewusste Auslassung von Ursachen für die neue Jobmisere und das mangelnde Wirtschaftswachstum deuten. Wie das IW sind übrigens die meisten Institute dieser Art in Deutschland mehr oder weniger klar aufgestellt, was wiederum dazu führt, dass auch die „Wirtschaftsweisen“, die die Bundesregierung beraten, nicht insgesamt ausgewogen, sondern überwiegend neoliberal ausgerichtet sind. Das fällt in Deutschland nicht so auf, weil es hier ein vergleichsweise enges Spektrum an Politik und Wirtschaftsorientierung gibt, große alternative Modelle sind in Wissenschaft und Praxis kaum vorhanden.
Diese einseitige Ausrichtung, die auch die Exportlastigkeit Deutschlands immer unterstützt hat, rächt sich jetzt in hohem Maße, führt zu falschen Zuschreibungen und Erzählungen, damit die eigene Ideologie nicht ins Zwielicht gerät – und verhindert damit zukunftsorientierte Lösungen und Wege, die mehr an Gerechtigkeit und Gemeinsinn orientiert sind, die „Wirtschaft von unten“ fördern und die Krise nutzen könnten, um endlich eine Abkehr von einer Marktideologie vornehmen, die nur noch in Deutschland zum Schaden des ganzen Landes wirklich exekutiert wird, (längst) nicht (mehr) anderswo, wo man erkannt hat, dass man nationale Interessen und die Chancen der Mehrheitsbevölkerung mit Füßen tritt, wenn man das Kapital einfach machen lässt, was es will.
In Deutschland kann uns nur ein Wunder davor retten, dass es einfach so weitergeht und damit abwärts. Das Wunder beginnt übrigens nicht mit „A“, und wären jetzt Neuwahlen, würde es auch nicht besser aussehen. Man muss seine eigenen Interessen verstehen, wenn man eine bessere Politik haben will, und dieses Verständnis ist hierzulande nicht weit verbreitet. Stattdessen lässt man sich von der herrschenden Politik, die damit bloß ihre Feigheit gegenüber dem Kapital verbrämen will, lieber gegeneinander aufhetzen. So wird das nichts, mit einer neuen Vision von Wohlstand für alle. Vielmehr sehen wir einen toxischen Mix aus ideologiegeformtem Druck und Übertreibungen, Bürger:innen, die es nicht durchschauen, und einer Politik, die dem ideologischen Druck und standhält und die Zahlen, soweit sie real sind, nicht hernimmt, um die richtigen Konsequenzen zu ziehen.
TH / Recherche „IW“ mit Einsatz von KI
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