Treibhausgas-Ausstoß bis 2040 um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 verringern? / Klimaziele 2030: Strengere Maßnahmen? (2 Umfragen + Kommentar) | Briefing 482 | KER Klima-Energie-Report, Umwelt, Wirtschaft, Gesellschaft

Briefing 482 Klima, Umwelt, Energie, Wirtschaft, Gesellschaft, Klimagerechtigkeit, 

Die Überbietung der Überbietung der Klimaschutzziele liegt nicht gerade im gesellschaftlichen Trend dieser Tage, Demos gegen die AfD hin oder her. Dennoch wird darüber nachgedacht, die Klimaneutralität der EU noch früher zu erreichen als bisher geplant, nämlich im Jahr 2050. Oder jedenfalls fast. Daraus hat  Civey eine Umfrage gemacht. Und es kam mittlerweile zu einer weiteren Umfrage, die in dieselbe Richtung zielt, wir bilden sie unterhalb des ersten Blocks ab:

Civey-Umfrage: Gehen Sie davon aus, dass es den EU-Staaten gelingen wird, die Treibhausgasemissionen bis 2040 um 90 Prozent gegenüber 1990 zu senken? – Civey

Es geht also nicht darum, was wir uns wünschen, sondern um das, was zu schaffen ist. Hier der Begleittext aus dem Civey-Newsletter:

Die EU will bis 2050 klimaneutral sein. Diese Neutralität liegt dem Europäischen Rat nach vor, wenn nur so viele Treibhausgase in die Atmosphäre freigesetzt werden, wie die Natur – etwa über Wälder oder Ozeane – absorbieren kann. Zur Begründung führt die EU das Pariser Klimaabkommen an, das eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter vorsieht. Dafür müssen die Mitgliedstaaten ihre Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent senken. Heute stellt die EU-Kommission laut FAZ ein Strategiepapier zur Klimapolitik ab 2030 vor. 

Demnach plant die EU, den Treibhausgasausstoß bis 2040 um 90 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. Je länger der Klimaschutz verzögert werde, desto größer seien die menschlichen und ökonomischen Kosten des Klimawandels, warnt die Kommission. Um das 2040-Ziel zu erreichen, will die EU etwa verstärkt auf grünen Wasserstoff und die Abspaltung und Nutzung von CO2 setzen. Die Stromversorgung soll möglichst bis 2045 komplett dekarbonisiert werden – 90 Prozent würden durch erneuerbare Energien ersetzt, aber auch durch Kernkraft ergänzt. 

Für den EU-Abgeordneten Michael Bloss (Grüne) seien diese Maßnahmen „an der Untergrenze von dem, was wissenschaftlich notwendig ist”. Er plädiert laut dpa für eine 95-Prozentige CO2-Reduktion. Dafür müsse man komplett auf erneuerbare Energien setzen und sich gänzlich von Gas- und Kohlekraftwerken verabschieden. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, begrüßt die Pläne. Solche Zwischenziele schaffen wirtschaftliche Planungssicherheit und machen Klimaschutzpolitik sozial verträglicher, sagte sie heute früh im RBB.

Die andere Umfrage lautet:

Civey-Umfrage: Sollte die Bundesregierung Ihrer Meinung nach strengere Klimaschutzmaßnahmen beschließen, um die deutschen Klimaziele für 2030 zu erreichen? – Civey

Der Begleittext dazu aus dem Civey-Newsletter:

Deutschland hat seine Klimaziele für 2023 erreicht. Das gab Bundeswirtschaftsminister Habeck (Grüne) kürzlich in einer Pressemitteilung bekannt. Er bezog sich dabei auf neue Daten des Umweltbundesamtes. Demnach wurden letztes Jahr rund zehn Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen als im Vorjahr, berichtet die Wirtschaftswoche. Auf diesem Weg könne Deutschland seine Klimaziele bis 2030 erreichen, so Habeck. Als Gründe für den Rückgang nannte er vor allem den schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien und dass weniger Kohle verbrannt wurde. Zudem sei die deutsche Wirtschaft schwächer gewesen als zuvor und habe auch deshalb weniger CO2 ausgestoßen.  

Bisher müssen alle Sektoren der Wirtschaft Emissionsgrenzen einhalten und bei Überschreitungen schnelle Maßnahmen ergreifen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Mit einer Gesetzesnovelle der Bundesregierung, die noch nicht endgültig ist, soll die Kontrolle der Klimaziele zukünftig jedoch sektorübergreifend erfolgen. Dann zählt also nur noch das Gesamtergebnis, berichtet der Spiegel. 

Insgesamt haben alle Sektoren ihre Emissionen verringern können. In zwei von ihnen wurden die Ziele zur Einsparung jedoch verfehlt: Sowohl der Verkehrs- als auch der Gebäudesektor konnten die gesetzlichen Vorgaben nicht erfüllen. Auch der Agrarsektor könnte in den kommenden Jahren ein Problem bei den Emissions-Einsparungen darstellen. Hier hat die EU zuletzt die Umweltauflagen abgeschwächt. So sollen Landwirtinnen und Landwirte künftig etwa nicht mehr verpflichtet werden, vier Prozent ihrer Nutzflächen brachliegen zu lassen.

Kommentar zur ersten Umfrage:

Spätestens seit Corona steht die wissenschaftliche Notwendigkeit in dem Ruf, vielleicht doch nicht so notwendig und nicht die ganze Wahrheit zu sein. In Sachen Klimawandel zum Beispiel so:
1.) Es gibt keinen Klimawandel.
2.) Es gibt den Klimawandel, aber er ist nicht (überwiegend) von Menschen verursacht, kann von ihnen als auch nicht in dem Maße begrenzt werden wie gewünscht.

Wir halten diese beiden Meinungen für falsch, aber uns beschäftigt etwas anderes: Der soziale Unmut, den die Klimapolitik der Bundesregierung auslöst, zerstört die Akzeptanz für die notwendigen Maßen. Es ist unglaublich, dass das Klimageld als Ausgleich für Wenig-Emittenten von CO2, auf 2026 vertagt wurde. Angeblich wegen technischer Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Sicher, in Deutschland kann jede Aufgabe zu einer beinahe unlösbaren geraten, aber wir halten das trotzdem für eine politisch gewollte Nichtlösung.

Nicht nur, aber auch, weil es mal wieder von der FDP kommt, die es nicht so mit der Gerechtigkeit hat oder noch weniger als andere Parteien. Alle Systeme, die man braucht, um das Klimageld auszuteilen, bestehen schon. Die Finanzverwaltung, die Rentenkasse, die Sozialkassen und Leistungsträger gibt es. Mit fast jedem Bürger, jeder Bürgerin, steht der Staat in irgendeiner Form in finanziellem Kontakt. Die Alternative wäre, eine eigene Stelle für die Verwaltung des Klimageldes zu schaffen. Vielleicht ist das alles tatsächlich nicht so einfach, aber dann darf man es auch nicht in Wahlprogramme schreiben, denn die Menschen verlassen sich darauf, dass Programmpunkte auch umgesetzt werden, die von Parteien vertreten werden, denen sie ihre Stimmen gegeben haben.

Zum Glück war aber nicht gefragt, ob wir eine Verschärfung der Klimaziele unterstützen, sondern, ob wir glauben, dass die 90-Prozent-Reduzierung gegenüber 1990 tatsächlich erreicht werden kann. Da war es einfach, mit „unentschieden“ zu stimmen. Wir wissen es einfach nicht. Es hat viel mit der Entwicklung der politischen Landschaft in der EU zu tun, ob das möglich ist. Die jüngere Entwicklung ist nicht gerade sehr grün, sondern geht nach rechts. Ob das zu einer Aufgabe der ehrgeizigen Klimaziele führen wird, wissen wir nicht. Wie weit amtierende Regierungen sich dahinterklemmen werden, die Ziele für 2030 zu erreichen, den nächsten Schritt, ist ungewiss. Deutschland wird die 2030er Ziele vermutlich verfehlen, obwohl die Konversion jüngst wieder gezielter vorangetrieben wird. Interessanterweise ist nicht der Stand des Jahres 2030 das Hauptproblem, sondern der Weg dorthin. Dieses Ziel selbst wird allerdings wiederum als viel zu unambitioniert dargestellt.

In diesem Artikel ist schön erläutert, wie eigentlich jede denkbare Anstrengung Deutschlands unzureichend ist, um das Pariser 1,5-Grad-Ziel de maximalen Erderwärmung, das 2015 festgelegt wurde, noch zu erreichen: Klimaschutz: Deutschland verfehlt laut Expertenrat Klimaziele | NDR.de – Nachrichten – ndrdata. Was uns daran unter anderem stört, ist der „historische CO2-Ausstoß“. Die industrialisierten Länder hatten logischerweise einen höheren CO2-Ausstoß als die nicht industrialisierten Länder, als man insgesamt noch nicht auf diese Emissionen geachtet hat. Jede Industrie, die die Welt mit Waren und Rohstoffen versorgt hat, wurde damals mit mehr CO2-Emissionen hergestellt als heute. Dass daraus abgeleitet werden kann, dass diese Länder eine historische CO2-Schuld abzutragen haben, mag politisch gewollt sein, logisch ist es nicht, denn damit wird eine Mangel an wirtschaftlicher Entwicklung zu einem klimapolitischen Vorteil umdefiniert, obwohl dieser geringe CO2-Ausstoß in einigen Weltregionen ganz gewiss nicht auf visionären Ideen bezüglich des Klimawandels fußt.

In Deutschland selbst wiederum kommen vor allem der Verkehrs- und der Gebäudesektor nicht wie gewünscht voran, bei den CO2-Emissionen. Wir sagen voraus, dass der Gebäudesektor es auch 2045 nicht geschafft haben wird, klimaneutral zu sein, es sei denn, man belegt ihn mit einem wirklich rabiaten Konversionsdruck. Auch der Straßenverkehr dürfte bis dahin per Saldo kein Gramm CO2 mehr ausstoßen, das kommt uns ziemlich schwierig vor. Also werden andere Sektoren diesen Mangel ausgleichen bzw. überkompensieren müssen. Am meisten trauen wie dem Energiesektor die Wende zu, die dann auch so aussehen müsste, dass Deutschland eine klimapositive Energieversorgung exportiert. Aber Sie haben sicher oben gelesen, dass auch Kernkraftwerke EU-weit zur Klimaneutralität beitragen sollen. Gehen die Grünen bei dieser Idee mit, weil sie den Abbau von CO2-Emissionen beschleunigen könnte?

Ergänzungskommentar nach der zweiten Umfrage:

Prinzipiell können wir gut an den vorherigen Kommentar anschließen, beide Umfragen zu einem Artikel kombinieren und es ist ein glücklicher Zufall, dass nun noch eine Umfrage zum Thema kommt.

Im Begleittext dazu wird nämlich genau das bestätigt, was wir oben bereits angedeutet haben: Der im wörtlichen Sinne statische Gebäudesektor und der nur auf die rein physischen Abläufen mobile Verkehrssektor werden die Erreichung der Klimaziele in Deutschland bremsen. Um auf die bisherigen Ziele für 2030 noch etwas draufzupacken, müsste also der Energiesektor in einem geradezu revolutionären Tempo umgebaut und die Industrie erheblich unter Druck gesetzt werden, um noch mehr rauszuholen, als ohnehin bereits in Zweifel steht bezüglich seiner Umsetzbarkeit.

Besonders dick unterstreichen müsste man einen Satz im Begleittext: Dass der CO2-Ausstoß auch sinkt, weil die Industrie schlecht läuft. Im Prinzip derselbe Effekt wie während der Corona-Zeit mit ihren Einschränkungen in vielen Bereichen. Nicht wegen besonderer Fortschrittlichkeit, sondern wegen eines gefährlichen Mangels an Wettbewerbsfähigkeit gehen also die klimaschädlichen Emissionen zurück.

Wenn es kein erträgliches Klima mehr gibt, gibt es auch keine Jobs mehr, diese Aussage hören oder lesen wir nicht selten. Sie kommt vor allem von Menschen, die noch nie auf eine Erwerbsarbeit angewiesen waren, um sich oder / und andere durchzubringen und die mit dem Begriff Wertschöpfung und ihrer Funtkion als Treibmittel auch für klimatechnischen Fortschritt nicht so viel anfangen können. Gleichwohl glauben sie aber, dass der grüne Kapitalismus funktionieren wird.

Es muss einen vernünftigen Kompromiss geben oder es muss einkalkuliert werden, dass die Kosten für den Umbau und der dadurch verursachte Wohlstandsverlust extrem hoch sein werden. Dass irreversibel Arbeitsplätze verlorengehen werden. Das ist ohnehin bereits unvermeidlich, aber die Größenordnung kann man noch beeinflussen und das muss die Politik unbedingt tun.

Und sie muss um Unterstützung der Klimaziele bei denen werben, die sich im Alltag, im Hier und Jetzt mit massiven finanziellen Problemen herumschlagen, auch dank der hohen Inflation der letzten beiden Jahre. Deswegen muss endlich das Klimageld ausgezahlt werden, auch wenn die Übertragung des Klimageldes auf die globalen Verhältnisse tricky ist, wie im ersten Kommentar ausgeführt. In einem einzigen Land wie Deutschland funktioniert es aber, die Hochverbraucher zu belasten und die Niedrigverbraucher, die persönlich ohnehin fast klimaneutral sind, zu entlasten. Zur Bemessung darf natürlich nicht der ökologische Fußabdruck dienen. Deutschland hat eine dichte industrielle und sonstige Infrastruktur, nach wie vor, der Grundverbrauch der hiesigen Bevölkerung ist daher hoch, auch wenn einzelne Personen in ihrem Privatleben dazu kaum etwas beitragen.

Wir haben auch bei dieser Umfrage mit „unentschieden“ gestimmt, ohne zuvor in das Ergebnis der anderen hineinzuschauen. Es gibt ein „ja, aber“. Noch strammere Ziele nur dann, wenn endlich auch eine aktuelle, neue Form von Gerechtigkeit damit verbunden wird: die Klimagerechtigkeit. Wir betrachten die Welt vor allem als einen Ort, in dem die Zivilisation sich daran bemisst, wie soziale Tatbestände ausgehandelt und gehandhabt werden und ob die Politik einer Gesellschaft sich traut, für Gerechtigkeit zu sorgen und ob die Gesellschaft dies fordert. Leider sieht es in beiden Bereichen in Deutschland nicht besonders gut aus, vor allem nicht in Ersterem. Damit aber konsequenterweise auch in Letzterem, denn wir haben schließlich die Politik, die viele von uns gewählt haben.

Mehr als ein „unentschieden“ ist deshalb von uns gegenwärtig nicht drin, und das ist schon ein großzügiger Beweis unserer grundsätzlichen Erkenntnis, dass mehr getan werden muss, um die Erde langfristig für die Menschheit zu erhalten. Wir sind uns aber auch klar darüber, wen negative Veränderungen zuvorderst treffen werden: Nicht die Hauptemittenten von Klimagasen, sondern diejenigen, die auch an diesem Desaster nur einen geringen persönlichen Anteil haben. Deswegen suchen wir an dieser Stelle auch nicht ernsthaft danach, wie man sein eigenes Leben noch klimafreundlicher gestalten, das Allerletzte an Effizienz herausholen könnte. Das werden wir an anderer Stelle auch wieder tun, aber hier würde es einen falschen Ton reinbringen. Zum Ausgleich sehen wir auch davon ab, wieder einmal darzustellen, wie viel ein nur sehr kleiner Prozentsatz von Menschen zur Belastung des Klimas mit Emissionen beiträgt.

Es bleibt bei dem Unmut darüber, dass das bisher in keiner Weise ausgeglichen wird. Die deutsche Politik hat es in der Hand, die Menschen geneigter für weitere Sparmaßnahmen und Einschränkungen zu machen. Wenn sie das tut, dann stimmen wir auch mit „ja“.

Apropos: Wir haben eingangs geschrieben, die immer weitere Steigerung der Klimaziele liegt nicht gerade im gesellschaftlichen Trend. Der Kommentar zu dieser Umfrage ist einige Wochen alt, wie die Umfrage selbst. Es stimmt aber weiterhin, die Umfrageergebnisse zeigen es: deutliche Mehrheiten halten weder eine 90-Prozent-Reduzierung des CO2-Ausstoßes von 1990 bis 2040 für machbar, noch möchten sie die Klimaziele noch einmal verschärften. Wir sind mit unseren beiden „Unentschieden“ da schon deutlich auf der progressiven Seite.

TH

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