Ein Wodka zuviel – Tatort 288 #Crimetime #Tatort #Hamburg #Stoever #Brockmöller #NDR #Wodka

Crimetime 1209 – Titelfoto © NDR

 Ein Wodka zuviel ist ein Fernsehfilm aus der Kriminalreihe Tatort der ARD und des ORF. Der Film wurde vom Norddeutschen Rundfunk produziert und am 6. März 1994 erstmals ausgestrahlt. Es handelt sich um die Tatort-Folge 288. Für den Kriminalhauptkommissar Paul Stoever (Manfred Krug) ist es der 21. Fall. Für seinen Kollegen Peter Brockmöller (Charles Brauer) ist es der 18. Fall, in dem er ermittelt.

Es gibt ja die berühmten oder berüchtigten Räuberpistolen. Dies hier ist eine Schmugglerpistole, die sich sozusagen gewaschen hat. Ich verstehe, warum man den Film lange in der Schublade gelassen und erst in den Zeiten des Ukrainekriegs wieder ausgepackt hat. Warum? Dazu und zu weiteren Aspekten mehr in der –> Rezension.

Handlung[1]

Ein Obdachloser wird ungewollt Zeuge eines Mordes. Er beobachtet, wie mitten in der Nacht zwei Russen auf einer Baustelle einen Mann mit einer Drahtschlinge erdrosseln, und verständigt die Polizei. Als erstes suchen Stoever und Brockmöller die Firma „Petrimex“ auf, zu der das Baustellengelände gehört. Sie erfahren vom Firmeninhaber Nikita Gurganov, dass der Tote bei ihm angestellt war. Daher erfahren sie Namen und Adresse des Opfers und sehen sich in dessen Wohnung um. Stoever, der des Russischen mächtig ist, entdeckt eine russische Polizeiplakette, was Brockmöller zu der Vermutung veranlasst, dass das Opfer jemandem auf der Spur gewesen sein könnte und daraufhin umgebracht wurde.

Die Nachfrage auf dem russischen Generalkonsulat führt Brockmöller zu Jevgeni Kossov. Er erkennt auf einem Foto den Toten als seinen Partner Igor Ragov. Er berichtet von einer organisierten Schmugglerbande, die in Hamburg rege Geschäfte betreibt, vorwiegend bei der Verschiebung von Bargeld. Einer der Hauptakteure wäre Nikita Gurganov, der früher sogar beim KGB gearbeitet hätte. Er und sein Kollege wären deshalb nach Hamburg geschickt worden, um diesen Ring zu zerschlagen.

Als Stoever, da er auf der Suche nach einer neuen Wohnung ist, die Maklerin Lea Richter kennen lernt, erfährt er, dass sie mit dem Rechtsanwalt Reinhard Schwinger zusammenlebt. Dieser wird derzeit von ihrem Kollegen Wenzel und seiner Abteilung observiert, da er im Verdacht steht, in großem Maße illegal mit Zigaretten zu handeln. Stoever ist der Name bei seinem Besuch bei „Petrimex“ bereits aufgefallen, da Schwinger Teilhaber dieser Firma ist. Damit ist den Ermittlern klar, dass ihr Mordopfer den Schmugglern auf der Spur war und diese ihn somit liquidiert haben dürften. Um das zu beweisen, setzen sie ihren neuen Kollegen Lukas Thorwald ein, damit er Jevgeni Kossov beschattet. Als sich dieser im Hafen auf einem Schiff umsieht, gerät er mit Leonid Tschernych, einem Mitarbeiter von Nikita Gurganov, in einen Schusswechsel. Thorwald kann Tschernych verhaften. Auch den Zivilbeamten gelingt ein erster Erfolg bei ihrem Ziel, den Schmugglerring zu zerschlagen. (…)

Rezension

Der Film wurde 1993 gedreht, entstammt somit also der „mittleren Phase“ des Hamburg-Duos Stoever und Brockmöller (Gesamtdienstzeit 1984 [Stoever] bzw. 1986 [Brockmöller] bis 2001). Die Mauer war gefallen, Deutschland seit drei Jahren wiedervereinigt und es ging allenthalben wild zu. Besonders im Osten. Im Osten Deutschlands, noch mehr in den Staaten des früheren Ostblocks, besonders natürlich in Russland, wo alles begann und wo alles enden wird, wenn wir nicht aufpassen. Die Tatorte jener Jahre behandeln oft Themen, die mit dem abrupten Wandel zu tun haben, der durch den Mauerfall eingeläutet wurde. Nicht immer hatte man dabei ein glückliches Händchen, denn dieses Mittendrin bedingt eine andere Art des Filmens, als wenn man es aus der heutigen zeitlichen Distanz in Form von Rückblenden Revue passieren lässt, um beispielsweise die Gründe für Verbrechen im Hier und Jetzt zu erläutern, die weit zurückliegen können oder es poppt ein uralter Mord hoch und macht Stress.

„Ein Wodka zu viel“ hat zwar keine epische Tiefe, aber das Herkommen der OK, die so plötzlich da zu sein schien aus dem Sowjetsystem wird ganz passabel erklärt. Ohne Kommentar wird zudem Geschichte gemacht. Der verdeckte Ermittler, der ums Leben kommt, trägt noch eine Leningrader Dienstmarke mit rotem Stern bei sich, während die Stadt bereits im St. Petersburg um- bzw. zurückbenannt wurde. Diese Rückbenennung fand allerdings schon 1991 statt, also gehe ich davon aus, dass die veraltete Blechmarke Absicht war und die Connections und Gründe, die  ins alte System hineinreichen, erläutern soll. Wenn die Stadt erwähnt wird, dann bereits ausschließlich als St. Petersburg. In mancher Weise ist der Film sehr hellsichtig, denn er stellt dar, wie das Alte das Neue gebar, in Form von Männern, die schon zu Sowjetzeiten wichtige Positionen hatten und gute Verbindungen und diese nutzen, um das neue Oligarchensystem zu errichten. Der Unterschied zuvor war vor allem in exzessivem Reichtum sichtbar, der sich alsbald breitmachte und dazu führte, dass Russland heute eines der Länder weltweit mit der größten Ungleichheit ist.

In „Ein Wodka zu viel“ wird außerdem kräftig auf die Klischeepauke gehauen, das dürfte der Grund sein, warum der Film nicht so beliebt ist und nicht so oft gezeigt wird wie andere Stoever-Brockmöller-Fälle. Man kann sagen, das eine oder andere  ist ein wenig peinlich und trashig, aber so fing es nach der Wende wohl an, als die russischen Gangleader darüber zu philosophieren begannen, warum es so schön ist, sich in Deutschland breitzumachen und den schwachen Staat zu feiern. Das wird im Film wörtlich so behauptet. Zum Glück haben sie nicht mit Stoever und seinen wackeren Mitstreitern gerechnet, die dem wüsten Schmuggeln von Zigaretten und gefälschten Dollars noch einmal gerade so Einhalt gebieten können. Heute haben sich die russischen Mobbosse erheblich nach oben gearbeitet, wie wir jüngst im Berlin-Tatort „Das Mädchen, das allein nach Haus‘ ging“, sehen konnten. Anhand dieses Films haben wir heutige Klischees behandelt, weil sie im Film zu sehen sind, hier gehen wir nun 30 Jahre zurück und es wird weniger die Polizei geschmiert als die Kehle genässt mit Wässerchen. Trotzdem ist das, was heute wohl nicht nur im Film vorhanden ist, im Grunde die Bestätigung dessen, was der russische Schmuggelbandenchef prophezeit: Der deutsche Staat ist zu schwach, um die OK niederzuhalten. Das gilt nicht nur für russische Banden.

Diese allzu emotionale und alkoholselige deutsch-russische Ballade, die Stoever bereits in den frühen 1990ern als einen Polizisten mittendrin und unter Mordverdacht zeigt, ist allerdings wiederum so zeitgeistig, dass ich alle paar Minuten dachte: Wäre heute unmöglich, das so zu filmen. Weil es natürlich auch diskriminierend ist, unabhängig vermutlich gut recherchierter Praktiken in der Nachwende-Bandenkriminalität, wie sie sich anfänglich zeigte. Die wirklich Großen im Business saßen allerdings nicht in Hamburg und fuhren Mercedes-Limousinen, die damals schon über 20 Jahre alt waren, sondern dealten mit russischen Rohstoffen. Auch heute stellt das, was z. B. für Berliner Verhältnisse so protzig wirkt, eher den russischen oberen Mittelstand dar, denn nicht kann die alten Beziehungen toppen, mit denen man auch legal reich werden kann. Legal muss nicht ethisch sein und die meisten Menschen in einem System wie dem russischen haben nichts von allem, was die Macht zusammenhält.

TV Spielfilm befand: „Nicht ganz so hochprozentig wie gewohnt“. Der unrasierte und besoffene Manfred Krug „ist auch schon der größte Reiz an diesem allzu vordergründig aufgezogenen Fall um die Gefahr aus dem Osten, der außer markigen Sprüchen wenig zu bieten hat“.[2]

Die Tatorte der frühen 1990er hatten ohnehin einen sehr eigenartigen Stil, man merkt ihnen an, dass die alte Sicherheit verloren war, dieses große Selbstbewusstsein, mit dem die Reihe just in Hamburg 1970 gestartet war. Der markige Charakter von Stoever, der dem von Manfred Krug, seinem Darsteller, ziemlich nahekommen dürfte und der soziale Kollege Brockmöller, gespielt vom sympathischen Charles Brauer, waren ein Glücksfall, mit den beiden konnte man sich gut in die neuen Zeiten retten, ohne groß den Ton der Hamburg-Tatorte  ändern zu müssen. Man nahm die Tatorte, die Toten, wie sie kamen oder im Müll abgelegt wurden, wie in „Ein Wodka zu viel“. Das Verbrechen blüht mitten in einem abgewrackt wirkenden Teil des Hafens auf und ist fremd in dieser verlassenen Welt und in sich selbst, ebenso wie die Tatortmacher damals mit neuen, fremdartigen Verhältnissen konfrontiert waren und dabei eine seltsame Mischung aus in die Kacke hauen und einer unübersehbar schwindsüchtigen Dynamik und Präsenz zustande brachten. Filme wie „Ein Wodka zu viel“ waren deutlich schwächer gebaut und inszeniert als die Filme der ersten Jahre. Auch einige Stoever-Brockmöller-Werke zählen zu den Klassikern der Reihe. „Ein Wodka zu viel“ gehört nicht dazu. Vor allem die frühen und die letzten Filme der beiden sind relativ gut geworden. Kompakt zu Beginn und am Ende stilisiert mit Jazz und einer unübersehbaren Selbstironie.

Dazwischen, also etwa 1993, wusste man nicht, wohin die Reise gehen würde, es war zudem das erste Nachwende-Rezessionsjahr -, während heute klar ist, die Karre steckt im Dreck und da bringen sie keine zehn Pferde und keine noch so ambitionierten Ermittler:innen so einfach wieder raus.

Finale

Am zeitlosesten in dem ganzen Film und mir am sympathischsten ist der Mietwucher-Part. Ich weiß nicht, was ein KHK verdient, aber 2.500 Mark NKM schien ein solcher Beamter  1993 stemmen zu können und die Möbel gab es gratis obenauf. Das riecht geradezu nach einer Falle, ist es auch eine. Offenbar ist „Ein Wodka zu viel“ der Film, in dem Stoever seine bisherige Behausung durch einen Wohnungsbrand verliert, bei Brocki einzieht und gleich wieder aus. Da natürlich das Mietverhältnis, das auf weiblichem Schutzbedürfnis begründet wurde, nicht bestehen bleiben konnte, nachdem das Schutzobjekt das Zeitliche gesegnet hat, zog Stoever erst einmal wieder bei dem Kollegen ein und bildete damit die zweite WG der Tatort-Geschichte nach Schimanski und Thanner in Duisburg. Diese Idee schien damals sehr reizvoll zu sein. Da heute meist Duos oder größere Teams unterwegs sind, vermeidet man diese Konstellation meist. Das letzte Zusammenwohnen, das auseinanderging, war das von Lena Odenthal und Mario Kopper, noch vor dessen vollständigem Ausscheiden aus dem Ludwigshafener Polizeidienst.

Was bleibt von „Ein Wodka zu viel“, außer einem Mordskater für Menschen, die so viel Wässerchen nicht gewöhnt sind? Das Zeitdokument natürlich, das Tatorte nun einmal sind; und das in mehrfacher Hinsicht. Bezüglich der Entwicklung des Stils, der Mode, der politischen und gesellschaftlichen Umstände, unter denen sie gedreht wurde. So viel Zeit ist seit der Premiere des Films schon wieder vergangen – und das merkt man auch. Der Nostalgiefaktor hält sich dennoch in Grenzen, weil man sich weder besonders gruselt noch beinahe vor Spannung platzt, der Film ist aber auch kein Wohlfühlkrimi, denn leider zeigt er etwas, das durchaus Relevanz besitzt: Wie in der rauen Nachwendeluft das Verbrechen gewiss nicht neu erfunden wurde, aber begann, seine heutige Gestalt anzunehmen. Dieser kalte Wind aus dem Osten ist gerade besonders spürbar, obwohl wir für Anfang Januar recht  hohe Temperaturen haben.

6,5/10

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Werner Masten
Drehbuch Dieter Hirschberg
Produktion Studio Hamburg Filmproduktion
Musik Klaus Doldinger
Kamera Dragan Rogulj
Schnitt Michael Breining
Premiere 6. März 1994 auf Das Erste
Besetzung

 

 

 

 

 

 

 

 

[1] Tatort: Ein Wodka zuviel – Wikipedia

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