Engere China-Deutschland-Kooperation? (Umfrage + Kommentar) | Briefing 508 | Wirtschaft, Geopolitik

Briefing 508 Wirtschaft, Geopolitik, China, Scholz, Äpfel & Rindfleisch

Bei den letzten Civey-Umfragen, über die wir hier geschrieben haben, konnten wir uns immer recht eindeutig positionieren. Mal mit dem Strom, mal gegen ihn. Dieses Mal geht es um etwas besonders Wichtiges, die deutschen Handelsbeziehungen zu China. Wie Sie wissen, war Kanzler Scholz kürzlich dort.

Civey-Umfrage: Würde eine engere Kooperation Deutschlands mit China Ihrer Einschätzung nach der deutschen Wirtschaft langfristig eher nutzen oder eher schaden? – Civey

China ist in den letzten Jahren zu einem der größten Handelspartner Deutschlands aufgestiegen. Das politische Verhältnis kühlte sich dagegen ab. China steht hierzulande regelmäßig für die Missachtung von Menschenrechten in der Kritik. Die russlandfreundliche Positionierung Chinas nach dem Einmarsch in die Ukraine führte zu weiteren Spannungen. Diese Woche reiste Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in die Volksrepublik. Dabei standen Klimaschutz, Wirtschaft sowie die derzeitigen Kriege im Mittelpunkt des deutsch-chinesischen Austausches. 

Vorab warb Chinas Präsident Xi Jinping für eine engere Zusammenarbeit mit Deutschland. Seit Kurzem befände man sich in einer neuen Epoche der Turbulenzen und Umbrüche, sagte er dem rbb nach. Daher sei es wichtig, dass die Großmächte miteinander kooperieren. Gemeinsam könnte man der Welt mehr Stabilität und Sicherheit geben. Ministerpräsident Li Qiang versicherte Scholz, dass China sich an die Regeln der Welthandelsorganisation halte. Man sei bereit, den Handel mit Deutschland auszubauen und mehr deutsche Produkte einzuführen. China plane etwa Import-Beschränkungen auf Rindfleisch und Äpfel aufzuheben, berichtete Deutschlandfunk.

Scholz pochte bei seinem Besuch auf faire Wettbewerbsbedingungen. Bei einer Rede in Shanghai verurteilte er Lohndumping und Überproduktion und betonte die Wichtigkeit, Urheberrechte zu schützen. Momentan prüft die EU, ob sie Anti-Dumping-Zölle auf chinesische E-Autos verhängen kann. Die EU vermutet, dass diese rund 20 Prozent billiger als europäische Autos sind, weil sie mit unerlaubten Subventionen hergestellt würden. Deutsche Autokonzerne lehnen Strafmaßnahmen jedoch ab. Sie fürchten Gegenmaßnahmen aus China,  ihrem größten Markt laut ARD. Scholz hält Strafzölle eher für ungeeignet und warb für offene und selbstbewusste Märkte, jedoch ohne protektionistisches Agieren.

Einer unserer ersten Wirtschaftsartikel im „ersten Wahlberliner“ beschäftigte sich mit China. Das war im Sommer 2011. Schon damals warnten wir vor einer zu großen Abhängigkeit von dem Land und forderten eine strategische Wirtschaftspolitik. Bis heute gibt es zum Beispiel nicht die Reziprozität, die wir damals als wichtig erachteten. Meint: Die gleichen Bedingungen wie für China in Deutschland müssen auch für Deutschland in China gelten. Würde bedeuten: Deutsche Unternehmen dürfen chinesische ebenso erwerben, wie es umgekehrt häufig der Fall ist. Und zwar in einem Ausmaß mittlerweile und in strategischen Bereichen, das auch bei europäischen Nachbarn große Besorgnis hervorruft. Ein spektakuläres Beispiel war vor einigen Jahren der Erwerb des weltführenden Herstellers von Industrierobotern Kuka durch ein chinesisches Unternehmen. Kuka verfügte über Mastertechnologie zum Beispiel im Bereich der Automobilherstellung, in der dessen Roboter eingesetzt werden und belieferte viele große Autohersteller des Westens. 

Hingegen darf in China ein Unternehmen nur dann ausnahmsweise mehrheitlich übernommen ist, wenn es sich um einen Sanierungsfall handelt, wie es zuletzt bei BMW mit einem chinesischen Hersteller gelaufen ist, ansonsten sind weiterhin nur Minderheits-Joint-Ventures zugelassen, aber natürlich mit vollem Technologietransfer.

Das beinahe unlösbare Problem: China zieht mit seinem riesigen Markt von 1,4 Milliarden Menschen, der zudem viel schneller wächst als alle westlichen Märkte, sogartig Unternehmen an, die dort Geschäfte machen wollen. Risiko hin oder her, langfristige Perspektiven lieber nicht so genau analysieren, Hauptsache, man ist dabei. Im Grunde ist der Deal der: Ihr dürfte eine zeitlang mitmachen, bis wir genug gelernt haben, danach machen wir unser Ding selbst und subventionieren auch hochgradig, wenn’s sein muss, um euch von anderen Märkten zu verdrängen.

Den Größenvorteil  nutzt die chinesische Führung gnadenlos aus und das gibt einer der härtesten Diktaturen der Welt eine Macht im Westen, die systemgefährdend ist, selbst, wenn man die geopolitischen Fortschritte, die China gemacht hat, außer Acht lässt. Es hätte dringend einer Allianz zwischen der EU, den USA und Russland bedurft, um dem Druck, der von China ausgeht, standhalten zu können. Wie wir wissen, ist das mittlerweile obsolet und die USA glauben, ihrerseits mit mehr Protektionismus dem China-Syndrom begegnen zu können.

Dass dabei die Europäer gleich  mit benachteilgt und unter scharfen protektionistisch orientierten Wettbewerbsdruck gesetzt werden, who cares? Deswegen bräuchte die EU dringend eine gemeinsame, vorsichtige China-Strategie. Hingegen schmeißen sich einige Länder geradezu in dessen Arme, auch Deutschland mit seiner großen Offenheit für chinesische Aufkäufe hiesiger Firmen zählt dazu. Erstmals überhaupt eine leichte Korrektur gab es beim geplanten Erwerb eines Terminals des Hamburger Hafens durch eine chinesische Staatsfirma, mithin durch einen Betrieb, der bei jedem Wettbewerb mitzubieten in der Lage ist, weil er direkt vom Staat mit Geld versorgt wird, um expandieren zu können. Hier hat man eine Grenze bei der Sperrminorität von 25 Prozent gesetzt. 

Man muss sich diese Gefahr immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass diese Abhängigkeit sowohl den hiesigen Wohlstand als auch die Demokratie schädigen kann, es hängt ja hierzulande eh beides eng zusammen. Zumal China, das war 2011 noch nicht so, der größte Handelspartner Deutschland ist. Allein in dieser schlichten Tatsache spiegelt sich die seitdem erheblich gewachsene Abhängigkeit.  Und sie ist relativ einseitig, denn der Wegfall deutscher Produkte in China wäre für das Land weitaus eher zu verschmerzen als für die deutschen Unternehmen dort, die in China schon mehr Umsatz machen als in ganz Europa, oder die hiesigen Konsumenten als Gerne-Nutzer günstiger chinesischer Produkte. Die Hochtechnologie, die China noch auswärts einkaufen muss, kommt hingegen her aus den USA oder aus Taiwan, was die Festlandchinesen besonders wurmt und mit zu der Gefahr beiträgt, dass die hochprofitable Insel doch bald überfallen werden könnte. Damit wäre allerdings das Narrativ hinfällig, dass China ja nur Frieden und Fortschritt will.

Das Thema ist sehr komplex, sehr facettenreich, deswegen ist es nicht einfach, eine klare Antwort zu finden. Nach unserer Ansicht müsste der China-Kontrakt des Westens neu ausverhandelt werden, solange der Westen noch stark genug dazu ist, auf Augenhöhe zu agieren. Das würde aber eine Einigkeit erfordern, die schlichtweg nicht vorhanden und auch nicht zu erwarten ist. Natürlich wissen das die Strategen in Peking und vesuchen, jedes Land einzeln zu bearbeiten.

Und dies gerne mit Peanuts bzw. Äpfeln und Rindfleisch. Das ist eine Frechheit, so muss man diesen Vorschlag lesen, wenn er wirklich für sich alleine steht und auf chinesischer Seite nicht mehr Fairness beim Export und bei den Expansionsmöglichkeiten ausländischer Unternehmen im Land beinhaltet. Man kann es so lesen, dass Deutschland nicht mehr ernstgenommen wird. Höchstens als möglicher Spaltpilz des Westens, wegen seine hohen Exportabhängigkeit und den vielen  Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in China und umgekehrt. Da kann man von Glück sagen, dass noch nicht die harte Linie gefahren wird, die besagt, wir handeln nach dem Willen Chinas oder es schneidet uns seine Marktzugänge ab. Zumindest wird das noch nicht offen kommuniziert. Deutschland ist wie kein anderes Land im Westen anfällig für Verschiebungen in der Welthandelsordnung und somit für geopolitische Probleme, Krisen, Kriege, Welthandelskonflikte zwischen den USA und China  usw.

Da man, wie auf so vielen Gebieten, viele Jahre verschlafen hat, in denen man eine strategische Wirtschaftspolitik hätte wenigstens für den Notfall ausarbeiten können, hängt Kanzler Scholz nun in der Luft. In einem Fall ist das wörtlich zu nehmen. Im Anflug auf Peking erreichte ihn die Nachricht des iranischen Angriffs auf Israel.

Ein Weltthema mehr, das den Fokus weg von den Wirtschaftsbeziehungen verschiebt. Und dann die Ukraine und Russland. Auch daran bemerkt man den Stellenwert Deutschlands für China: Keine Chance für Scholz, Herrn Xi dazu zu bewegen, aus Gründen dieser guten Beziehungen auch nur ein bisschen Entgegenkommen in Sachen Ukrainekrieg zu zeigen. China sitzt am längeren Hebel und darauf wurde im Westen geradezu hingearbeitet, weil es keine abgestimmte Politik gab und immer noch nicht gibt. Also bleibt es bei Äpfeln und Rindfleisch.

Welche Konsequenz zieht man daraus, wenn man die obige Civey-Frage zu beantworten hat? Es ist spannend wie lange nicht mehr, denn über alle fünf Antwortmöglichkeiten hinweg, inklusive der neutralen Stellung, sind relativ lange Balken zu erkennen. Die Sorge überwiegt dennoch, und so sehen wir es auch. Wir haben kein vollkommen negatives, sondern ein vorsichtig-negatives Votum abgegeben. Ein positives wäre möglich, wenn die Beziehungen tatsächlich auf Kooperation, und nicht auf strategische, langfristige Dominanz seitens Chinas ausgerichtet wären. Es ist schon  lange zu erkennen, dass dies niemals der Fall sein wird, wir haben daran schon 2011 keinen Zweifel gelassen.

Seitdem hat sich alles mehr oder weniger entwickelt wie von uns erwartet. Über die Konflikte hinweg gibt es also große Trends, die nicht vom Himmel fallen und die jeder sehen kann. Dass die Politik darauf nicht reagiert, ist ihr großes Versagen. Der Hintergrund ist wieder einmal, dass sie sich von einer Wirtschaft mit kurzfristigen Profitinteressen und einem ganz und gar durch Abwesenheit gekennzeichneten Verhältnis zu den „Werten“ beständig am Nasenring durch die Manege führen lässt, während andere Regierung, auch im Westen, sehr wohl Einfluss auf strategische Wirtschaftsentscheidungen privater Unternehmen ausüben – und damit zunehmend besser fahren als die letzten neoliberalistischen Ideologen, die in Deutschland unfassbarerweise noch immer das Sagen haben und die Zukunftsorientierung des Landes ausbremsen. Also ob es hier und weltweit wirklich einen freien Markt gäbe, der nicht staatlich flankiert würde, als ob ein Land von der Größe Deutschlands tatsächlich ohne staatliche Abstimmung mit anderen Ländern noch langfristig wettbewerbsfähig sein könnte. Die Rahmenbedingungen werden hierzulande sträflich vernaschlässigt und das gilt auch bezüglich der Abwehr ungehemmter Übernahmelust chinesischer, mit Staatsgeld gepäppelter Unternehmen hierzulande. Ein Drittel des Prunkstücks der deutschen Industrie, des Maschinenbaus, ist bereits ganz oder teilweise in chinesischer Hand. Wenn China im eigenen Land die Technologie aus diesen Unternehmen implementiert hat und es zu Überkapazitäten kommt. Wo wird man dann wohl Werke schließen? In China oder in Deutschland?

Die einzige sinnvolle Gegenmaßnahme ist, dass auch in Europa, und zwar für die gesamte EU, die Local-Content-Strategie gefahren wird, die in China gilt und auch in den USA immer mehr durchgesetzt wird: Nur, was hier zu gewissen Anteilen produziert wird, darf auch hier verkauft werden und für die Ansiedlung von Unternehmen, die das vorhaben, gibt es auch erhebliche Staatskohle, wie etwa für die Chipfabriken, die in Deutschland entstehen (sollen). Von wegen freier Markt, dieser ist auf dem Industriesektor, wo der Kampf um Zukunftstechnologien tobt, eine komplette Illusion, von der man sich dringend verabschieden muss, wenn man in Europa den ohnehin gefährdeten Anschluss nicht komplett verlieren will. Die hiesigen Volkswirtschaften könnten sehr wohl gemeinsam so  handeln, dass sie ähnliche Möglichkeiten haben wie China, aber dafür dürfen sie natürlich von diesem Land nicht zu abhängig sein. Und, leider kommt auch hier ein nie bewältigtes Problem wieder hoch, auf das wir seit der Bankenkrise hinweisen: europäische Staaten dürfen nicht dermaßen überschuldet sein, dass sie beim Investieren und Subventionieren nicht mitmachen können und sich wieder einmal von anderen mehr oder weniger durchfüttern lassen müssen.

Alles in allem aber wird viel von der Finanzpolitik und der Geldpolitik abhängen: Unterstützt die EZB eine strategische Wirtschaftspolitik der EU, ist viel gewonnen, denn warum nicht einmal Geld für progressive Zwecke ausgeben, anstatt marode Banken damit zu retten?

Das „Whatever it takes“ aus der Bankenkrise auf eine strategische Wirtschaftspolitik anzuwenden, wäre jetzt das Gebot der Stunde. Damit würden China und auch die USA sehen, dass Europa nicht gewillt ist, sich kampflos ins Abseits schieben zu lassen. Und speziell in den USA würde das sofort Wirkung zeigen, denn dort muss um jede neue Schuldenerweiterungsrunde ein epischer Kampf geführt werden, der auch klar macht, dass das aktuell gute Wachstum erst einmal wieder mit staatlichen Subventionen und Krediten, die der Staat aufnimmt, finanziert wird.

 Bei dem Rennen kann es keinen Gewinner geben, wenn alle gleichermaßen entschlossen handeln, und das wird alle, auch China, irgendwann wieder an den Tisch bringen, um eine fairere Welthandelsordnung zu (re-) installieren.

Denn würde Kanzler Scholz oder wer immer für Deutschland handelt, auch nicht mehr mit Äpfeln und Rindfleisch nach Hause geschickt, sondern könnte etwas Substanzielles mitnehmen. Vielleicht könnte dann auch geopolitisch wieder etwas mehr Respekt von Ländern wie China erwirkt werden. Europa nutzt seine Möglichkeiten nicht, das ist wirklich beklagenswert. Und unter diesen Umständen können wir nicht einfach sagen, eine weitere Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen = noch mehr Abhängigkeit von China ist eine super Sache.

TH

 

 

 

 

 

 

 

 

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