Feivel, der Mauswanderer (An American Tail, USA 1986) #Filmfest 1090

Filmfest 1090 Cinema

Die Russen kommen und alle anderen auch

Feivel, der Mauswanderer (Originaltitel: An American Tail) ist ein Zeichentrickfilm von Don Bluth aus dem Jahr 1986 über einen kleinen Mäusejungen, der mit seiner Familie auf der Flucht vor Katzen in die Vereinigten Staaten immigriert.

Sie werden sicher bemerkt haben, dass wir nach beinahe 1.100 Beiträgen fürs Filmfest noch keinen Disney-Film rezensiert haben. Das geschah nicht aus Protest, im Gegenteil. Wir werden den „Meisterwerken“ der Disney-Studios eine eigene Werkschau widmen, dafür heben wir die bereits geschriebenen Artikel auf. Der Macher von „Feivel, der Mauswanderer“ ist das Werk von Don Bluth. Dieser fing in der Tat bei den Disney-Studios an, gründete aber Anfang der 1980er sein eigenes Produktionsunternehmen, im Fall von „Feivel“ nahm auch Steven Spielberg an der Produktion teil.

Mäuse sind ja als Kinofiguren schon seit der Erfindung von Mickey oder Micky in den 1920ern inne, aber 1986 scheint ein besonders mausreiches Jahr gewesen zu sein, denn auch die Disney-Studios brachten mit „Basil, der große Mäusedetektiv“ einen Film heraus, der eine weitere Maus in den Mittelpunkt stellt. Auch dieser ist ein „Perod Picture“, er spielt im London des Jahres 1897, hat aber einen ganz anderen Grundton als „Feivel, der Mauswanderer“ und basiert auf den Geschichten über Sherlock Holmes. Mehr zu „Feivel“ in der Rezension. 

Handlung (1)

Die Mäusefamilie Mauskewitz lebt in Moskau und wird von dort vertrieben, wandert nach den USA per Schiff von Hamburg aus. Unterwegs kommt es zu einem schweren Sturm und der kleine Mäuserich Feivel wird von seiner Familie getrennt. Als lebende Flaschenpost erreicht er aber dasselbe Ufer wie die übrigen Mauskewitz‘ per Schiff: Den Hafen von New York. Dort beginnt für Feivel eine Odyssee auf der Suche nach seiner Familie, die ihn zu einem Rattengangster führt und über eine Mäuseverschwörung am Ende wieder zurück zu seinen Leuten. Zentral ist dabei der Gedanke, dass die auswandernden Mäuse glauben, es gebe keine Katzen in Amerika, was sich als Irrtum herausstellt.

Rezension

Der 20 Jahre vor der Kreation von „An American Tail“, wie der Film im Original heißt, verstorbene Walt Disney hätte seine helle Freude an diesem Film gehabt, so erzkonservativ und patriotisch ist er. Was man so alles in einen Kinder-Zeichentrickfilm verpacken kann, ist erstaunlich und man kann nur hoffen, dass die Kinder das Meiste davon gar nicht mitbekommen, weil sie nämlich, wenn wie normale Kinder sind, damit noch nichts anfangen können (sollten).

Da ist zum einen die klar jüdische Herkunft der Mauskewitz‘. Die Auswanderungszeit liegt um 1880, das heißt, sie fliehen vor den antisemitischen Pogromen in Russland und wie die zaristischen Truppen Menschen und Mäuse gleichermaßen die Existenz zerstören, ist für einen Kinderfilm wirklich sehr düster. Den Holocaust konnte man wegen der anderen Zeit, in welcher der Film spielt, Gottseidank nicht einbauen.

Wie Feivel sich durch ein feindliches New York schleicht, ist auch nicht gerade im positiven Sinn märchenhaft, am gruseligsten fanden wir die Szene, als er in der Kanalisation von Kakerlaken und anderen Viechern verfolgt wird, die nur als schwarze Schatten, aber mit allerlei unangenehmen Laufgeräuschen auftreten. Brrrr.

Es ist bekannt, dass Steven Spielberg höchstselbst die Idee für den von Don Bluth umgesetzten Film geliefert hat und Spielberg versuchte, sein persönliches Trauma und das der Menschen jüdischen Glaubens allgemein in einem Zeichentrickfilm zu verpacken. Angesichts des Ergebnisses kann man wirklich froh sein, dass er acht Jahre später den großartigen „Schindlers Liste“ unter eigener Regie verwirklicht hat und sich damit des Pogrom- und Genozid-Themas auf angemessene Weise annehmen konnte.

Hinzu kommt, dass der Streifen durch die politische Situation Mitte der 1980er Jahre stark beeinflusst ist. Die Mäuse fliehen ja nicht umsonst aus Russland und nicht von woanders und die Katzen in Amerika kann man durchaus als die auch dort vorhandene kommunistische Gefahr deuten. Michail Gorbatschow war zwar schon Generalsekretär der KPDSU, aber im Westen hat man ihm zu dem Zeitpunkt noch nicht getraut, wie der Goebbels-Vergleich von Helmut Kohl beweist. In Amerika war der konservative Geist unter Ronald Reagan zurückgekehrt und auch der Glaube an den ungebremsten Kapitalismus, der 20 Jahre später zu schweren wirtschaftlichen Erschütterungen weltweit geführt hat – to be continued.

Für uns persönlich ist das Problem, dass wir das 1986 auch noch alles gekauft hätten, was der Film uns sagen will, nämlich dass die USA das Land der Freiheit ist und Russland bekanntermaßen das Reich des Bösen. Die Welt war nun einmal in zwei Lager geteilt und es vereinfachte die Dinge sehr, sie zu vereinfachen. Außerdem glaubte man 1986 wirklich, die guten alten Zeiten der Stärke kehrten zurück und das Land würde wieder so, wie es in den 1950ern war, vor dem Kennedymord, vor Vietnam und vor den Hippies. Auch in Europa hat sich das abgebildet. Sehr viele Leute wünschten sich eine USA, wie es sie zu Lebzeiten Walt Disneys gab.

Aber hätte Disney, seine politischen Ansichten hin oder her, einen so düsteren Kinderfilm durchgehen lassen? Da ist zwar zeichnerisch viel Schneewittchen drin, aufgewertet durch technische Fortschritte, die Hintergründe plastischer erscheinen lassen und den Figuren Schatten verleihen. Aber stimmungsmäßig ist da mehr Dickens als Gebrüder Grimm, deren Märchen sich ja nicht durch Zurückhaltung im Gewaltbereich auszeichnen. Die Ratte, die sich Mäuse als Arbeitssklaven hält, hat uns sehr stark an Fagin aus „Oliver Twist“ erinnert und auch Feivel, der immer so verzweifelt sucht, ist ein kleiner Dickens-Held. Nun kann man natürlich sagen, so what, auch Dickens wurde verfilmt und man hat sich dabei nicht sehr darum gekümmert, ob Kinder die Darstellungen in „Oliver Twist“ (die immer noch beste Version von 1948) oder „David Copperfield“ (1935) komplett gut verdauen konnten.

Aber ein Disney ist nun einmal doch eher ein Familienfilm und ihn mit politischen, zudem zweifelhaften Botschaften zu überfrachten, ist nicht die optimale Herangehensweise. Wir haben gerade Matt Groenings „Die Simpsons – der Film“ rezensiert, der am selben Abend wie „Feivel“ im Konkurrenzprogramm lief. Der ist auch politisch und stellenweise ziemlich grausam, aber er ist weder farblich noch bezüglich seiner Botschaft so dunkel und stellt kein permanentes Gefühl der Bedrohung her. Klar, wir sind auch im Urteil dadurch beeinflusst, dass „Die Simpsons“ eine kritisch-progressive Haltung rüberbringt, „Feivel“ hingegen die schlechte alte Feindschaft der Systeme hochleben lässt. Wir haben noch nie einen Zeichentrickfilm gesehen, der die USA so verklärt wie dieser – allerdings unterläuft er sich selbst, indem er New York als genau so gefährlich darstellt, wie es tatsächlich ist oder  zu dem Zeitpunkt war, in dem der Film entstand. Es erscheint als ein im Ganzen unfreundlicher Ort.

Trotzdem werden die meisten Kinder den Film gut überstehen, denn Kinder haben eine erstaunliche Widerstandkraft, eventuelle Spätfolgen von zu viel Gewaltdarstellungsbetrachtung in jungen Jahren allerdings nicht ausgeschlossen. Die meisten Kinder werden auch den ganzen Subtext (die superreiche Maus Gussie Mausheimer ist vermutlich Peggy Guggenheim oder einer anderen Tycoon-Erbin und Society-Lady nachempfunden, dazu gibt es eine junge Maus, die ein wenig in Richtung Suffragette tendiert) nicht entschlüsseln, es wird ihnen vermutlich auch weitgehend gleich sein, welcher Religionsgemeinschaft die Auswanderer angehören – sondern gespannt miterleben, ob Feivel seine Eltern und seine Schwester wiederfindet. Und spannend ist der Film in dem Maß wie andere Zeichentrickfilme auch – man muss sich auf die windungsreiche Erzählweise einlassen, die viele dieser Filme haben, anstatt strikt durchkomponiert zu sein.

Die Freundschaften, die auf seinem Weg entstehen, sogar mit einer dicken, rotgelben Perserkatze, sind ein typisches Element von Disneyfilmen, aber letztlich bleibt uns nur Feivel als Identifikationsfigur, nur er kann überhaupt eine Nähe zu uns erreichen. Es ist nicht wie im „Dschungelbuch“, wo Balou, der Bär, der im Verlauf der Handlung ein echter zusätzlicher Sympathieträger wird, einen Effekt, den man in vielen Disney-Filmen wahrnimmt, auch in der Form, dass Tiere Menschen beigestellt werden und mit ihnen interagieren können.

Finale

Dass wir uns emotional nicht auf den Film einlassen konnten, ist nicht in erster Linie eine Altersfrage, wir haben uns fürs „Dschungelbuch“ und für „Die Simpsons“ begeistern können, so unterschiedlich die Filme sind. Wir würden auch nie stolz darauf sein wollen, wenn es das Kind in uns nicht mehr gäbe.

Wir können uns bei gutem Slapstick richtig kringeln, hingebungsvoll Screwball-Dialogen lauschen, aber hier hat’s mit dem Schulterschluss zwischen uns als Zuschauer und dem Film nicht funktioniert  – „Feivel, der Mauswanderer“ ist einer der am wenigsten witzigen Zeichentrickfilme, die man sich denken kann.

Zumindest, was den Mainstream angeht und vor allem Disneys Filme und diejenigen, die sein Studio nach seinem Tod gemacht hat.

Da gibt es allerdings noch etwas anderes, das subjektiv ist: Wir sind keine Fans von David gegen Goliath-Geschichten. Weiß der Himmel, woran das liegt. Viele Filme wie „Feivel der Mauswanderer“ sind ja auch Geschichten klein gegen groß, kleine Figuren mit großem Herz gegen gefährliche, große Typen. Ein Problem an dieser Konstellation ist für uns, dass man immer weiß, wie sie ausgeht, sie sind moralisch zu simpel gestrickt, und das unterscheidet sie klar von sozialkritischen Filmen, bei denen wir auf der Seite der Unterdrückten und Ohnmächtigen stehen.

Diese Handlungen spiegeln sich zwar in mancher Biografie echter Menschen, aber sie da ist trotzdem etwas Unehrliches in diesen Filmen, das wiederum mit dem amerikanischen Traum korrespondiert – an den die Leute ja teilweise immer noch glauben und dies in einer Weise, als habe dessen Ausleben keine Konsequenzen für die Welt. Bei Tom und Jerry beispielsweise kam dann noch eine besondere Art von Gerechtigkeitsempfinden hinzu, so dass Jerry uns irgendwann auf die Nerven ging und wir irgendwann mal gerne Tom hätten gewinnen sehen. Natürlich hätte er die Maus nicht fressen dürfen, sondern hätte sie in einem Anfall von Großmut freigegeben.

„Feivel“ setzt sehr auf solche harten Gegensätze, während man die wirklichen Gegensätze des Lebens allenfalls durch das ziemlich dunkel gezeichnete Umfeld erahnen kann. Wie auch immer man es dreht und wendet, „Feivel“ hat uns nicht für sich einnehmen können und das liegt nicht daran, dass wir keine putzigen Trickfilmfiguren mögen – beim Anschauen von „Ratatouille“ (2007) hatten wir uns sogar ein wenig in eine Ratte namens Rémy verliebt.

Anmerkung: Die Rezension spiegelt auch die Zeit, in der sie verfasst wurde, 2014, sonst hätten wir mehr auf jüngere Entwicklungen in den USA Bezug genommen. Wir ergänzen dieses Mal aber nicht inhaltlich, denn eigentlich ist zu den aktuellen Entwicklungen längst alles gesagt, was man beim Anschauen eines solchen Films sagen könnte.  Oder wir verkneifen es uns einfach.

60/100

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)

Regie Don Bluth
Drehbuch Judy Freudberg
Produktion John Pomeroy
Gary Goldman
Don Bluth
Musik James Horner
Schnitt Dan Molina

 

 

 

 

 

 

 

 

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