Rubecks Traum – Tatort 153 #Crimetime 801 #Tatort #Heppenheim #Frankfurt #Rullmann #HR #Rubeck

Crimetime 801 – Titelfoto © HR

Rubecks Traum ist die 153. Folge der ARD-Krimireihe Tatort aus dem Jahr 1984 und wurde vom Hessischen Rundfunk produziert. Es handelt sich um den einzigen Fall von Kommissar Rullmann, dargestellt von Hans-Werner Bussinger.

Der 153. und mit 75 Minuten recht kurze Tatort „Rubecks Traum“ ist ein Film für Hartgesottene, für in der Wolle gefärbte Fans der Reihe. Also auch für uns, so, wie wir uns in den letzten Jahren entwickelt haben. Die Schwierigkeiten gehen aber schon bei der Einordnung der Plotgestaltung. Grundsätzlich ist der Film ein „Howcatchem“, aber doch wieder nicht. Es gibt kein Subgenre, das sich mit Handlungen befasst, in denen ein Delinquent sich immer mehr verstrickt und durch Fehler selbst ans Messer liefert oder mit dem Auto in den Abgrund fährt, sodass der Film auch kein typischer Polizeikrimi ist. Allerdings gab es in den frühen Jahren einige Filme, in denen konsequent die Täter in den Mittelpunkt gerückt wurden. Außerdem ist in Hessen die Stelle des Leitenden vakant gewesen. Nach dem Abgang des ersten Tatort-FFM-Kommissars Konrad (1979) wurde herumexperimentiert mit Polizisten, die sich als Eintagsfliegen erwiesen. Erst 1985 konnte man mit Brinkmann dauerhaft einen Nachfolger etablieren. Mehr zum Film dieses Zwischenkommissars steht in der Rezension.

Handlung 

Siegfried Rubeck, ein Mann an die Fünfzig, leitet eine Sparkassenfiliale in einer Kleinstadt in Hessen. Er ist verheiratet, aber leidenschaftlich in die hübsche Anni Tillmann verliebt. Das junge Ding hat sich mit Rubeck eingelassen, ist seiner aber inzwischen überdrüssig. Um so verbissener versucht er, sie ganz für sich zu gewinnen.

Ihretwegen hat der Filialleiter eine Million Kundengelder veruntreut. Sie liegen auf einer Bank in der Schweiz und sollen ihm helfen, mit Anni ein neues Leben zu beginnen. Eines Nachts wird Rubeck von einem Femden angesprochen. Der Mann weiß genau Bescheid über die Unterschlagung und verlangt 30 Prozent von dem Geld für sich. Rubeck ist wohl oder übel bereit, sein Schweigen zu erkaufen, aber als er den Erpresser bezahlen will, erlebt er eine schlimme Überraschung. In einer Kurzschlußreaktion tötet er ihn daraufhin am vereinbarten Treffpunkt. In seiner Verzweiflung vertraut Rubeck sich seiner Frau an.

Helga Rubeck weiß längst um sein Verhältnis mit Annie, aber sie liebt ihren Mann immer noch und möchte ihn nicht verlieren. Sie erklärt sich bereit, ihm zu helfen, allerdings nur unter einer Bedingung: er darf Annie nie wiedersehen.

Als die Leiche des Fremden, die Rubeck auf einer stillgelegten Müllkippe versteckt hat, gefunden wird, spitzen sich die Dinge für ihn dramatisch zu. 

Rezension 

Der in „Rubecks Traum“ tätige, recht farblose Kommissar Rullmann war allerdings auch in Heppenheim ansässig, in dessen Nähe dieser Krimi spielt, und nicht in Frankfurt, weshalb er wohl von Beginn an als Einmalermittler geplant gewesen sein dürfte. Sicher, bei einem überragenden Erfolg seiner Figur hätte man ihn nach Frankfurt versetzen können, aber wie soll ein Charakter überzeugen, wenn er so wenig Spielzeit hat – und in der Zeit auch noch besonders unpersönlich und knapp rüberkommen muss, damit die kurz gehaltene Spielzeit nicht überschritten wird?  Es gab schon Zweistunden-Tatorte und welche mit 70 Minuten, aber 75 sind normalerweise und bei den heutigen Handlungskonzeptionen zu kurz. Anders: Alles wird so geschoben und gedrückt, dass ziemlich genau 88 Minuten dabei herauskommen, egal, ob das Ausgangskonzept besser einen längeren oder kürzeren Film hervorgebracht hätte.

„Rubecks Traum“ hätten wir uns ein paar Minuten länger gewünscht. Nicht, weil wir den Film so toll fanden, dass wir gerne ewig weitergeschaut hätten, aber am Ende wird das Tempo zu deutlich erhöht als dass man von einer harmonischen Inszenierung sprechen könnte. Eine durchaus fordernde psychologische Studie im Spießermilieu sollte bis zum Schluss einen solche bleiben und nicht durch eine etwas geschludert wirkende Action aus dem Tritt kommen.

Eine faszinierende Eigenschaft der Tatort-Reihe ist gewiss ihre Vielfalt. Die Ort, die Menschen, die Plots, alles sehr variantenreich und schon deshalb interessant. Täterkrimis ums Geld waren aber eindeutig eine Spezialität der frühen Tatort-Jahre des HR. „Rubecks Traum“ ist mindestens der dritte Tatort aus jener Frankfurt-und-Umgebung-Ära, in dem Geld auf Schweizer Konten geparkt wird. Schwarzgeld, Raubgeld, legales Geld. Wobei das legale Geld am Ende doch keines ist, in „Rubecks Traum“, vor allem nicht in der Höhe. Dieser Twist musste sein, denn dass jemand sein Geld den Eidgenossen anvertraut, ohne mindestens Steuern hinterzogen zu haben, das geht gar nicht. Deswegen ein netter Twist, in dem ein Anleger zunächst oberkorrekt wirkt, dann aber mit seinem Steuerberater telefoniert und sich herausstellt, dass es in der Schweiz nicht nur ein Konto gibt. Guter Trick und gar nicht realitätsfern. Denn auf diese Weise wirkt die Bankverbindung als solche ganz legal und alles scheint nachweisbar, was nach vielen deutschen Steuern den Weg nach Züri gefunden hat.

Clever, dieser Dr. Sowieso. Aber der Herr Rubeck. Ach nee. Nee, nee. Welch ein Leben und kein Leben in diesem Leben. Es ist abscheulich, uns die Spießerwelt so zu zeigen wie hier, so crisp and clear, ohne jede emotionale Haltestange, ohne irgendwas Schönes drin. Okay, der Bogenschützenverein. Aber sonst? Rubeck ist nicht sehr sympathisch und wir fanden es schrecklich, wie er diesem Mädchen nachstieg, das ihn abserviert hatte. Wie würdelos, dieses Klammern an einen so offensichtlich unsinnigen und hoffnungslosen Traum. Aber wir haben leicht reden, wir leben in einer Großstadt, in der es  unter Berücksichtigung aller Eingrenzungskriterien noch immer eine mindestens fünfstellige Zahl an infrage kommenden Partnerinnen gibt, mit denen man unglaublich viel Spaß haben und jeden Tag zum Fest machen kann – für eine Zeit. Der Preis für dieses Lebenskonzept ist oft ein Mangel an Dauerhaftigkeit der Beziehungen. 

Anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2024: Inzwischen hat sich die Zahl von fünfstellig auf hüchstens fünf reduziert,  und die sind nicht so leicht zu finden.

Und man muss der Provinz schon bescheinigen, dass nicht alle Ehen dort so ausschauen wie die von Rubeck. Kinderlos, aber mit den Schwiegereltern, mit denen man sich ein Haus teilt und sich von ihnen im wörtlichen Sinn auf dem Kopf herumstampfen lässt.

Anmerkung 2 anlässlich der Veröffentlichung 2024: Auch in der Großstadt kann es passieren, dass einem Leute auf dem Kopf herumtrampeln, und wenn ist es jetzt besser, dass man nicht mit ihnen verwandt ist, sie kaum kennt?

Als dann dieses Gespräch mit Wohnung oben und unten aufkam, dachten wir: ja, genau so. Das soziale Panorama dieses Films mag abschreckend sein, aber es ist eine Form von Lebensgestaltung, die sehr genau der Realität entspricht. Heute wohl weniger als noch in den 1980ern, in denen der Film spielt, aber ein Generationenhaus kann eine emotionale Falle schlimmster Art und ein Kerker sein, in dem jedes positive Gefühl erstirbt und der Frust so weit anwächst – dass ein 50jähriger Mann zum Beispiel sich die Lösung seiner Probleme vom Abhauen mit einem vielleicht 19jährigen Mädchen verspricht.

Umgehauen hat uns beinah, dass der Rubeck mit der Anni nach Südamerika oder so wollte und alles dafür vorbereitet hatte und seine Sparkasse geprellt bzw. deren Kunden und – noch nie mit ihr geschlafen hat, denn das ergibt sich aus einem Dialogsatz. Wenn man so will, dürfte seine Frau noch nicht wegen Ehebruchs eifersüchtig sein. Aber sie trägt wesentlich zu einer toll inszenierten Umständeverkettung bei, welche die Lage immer mehr verschärft. Rubeck überlebt zwar, aber der Traum ist sowas von geplatzt, dass man etwas wie Mitgefühl bekommt. Anfangs hatten wir das nicht so sehr, aber nachdem immer mehr aufgerollt wurde, wie trist das Leben dieses Mannes sich darstellt, kam dieses Gefühl auf, ohne dass wir ihn persönlich an uns herangelassen hätten. Denn er ist ja genauso ein Spießer wie die anderen und träumt daher Träume, die vor allem Spießer sich erträumen: Das ganz, ganz andere Leben, den einmaligen großen Coup.

Die Motive der Täter, seien es Kleingangster, mittlere Gangster, Zufallsverbrecher oder Menschen, die aus einer Zwangslage entkommen wollen, die hat der HR in diesen frühen Tatorten glänzend aufgearbeitet. Da sehen wir echte Typen, die man sich auch heute noch vorstellen kann. Oftmals mehr als die heutigen, den heutigen Zeiten angepassten Typen, die manchmal so leer wirken. Sicher ist auch diese Leere programmatisch, aber weitaus fesselnder ist es doch, wie Männer – Frauen selten, dazu war das Rollenbild noch zu eindeutig festgelegt – gegen irgendetwas aufbegehren. Gegen ihr banales Dasein, gegen ein Schicksal, das sie marginalisiert hat. Meist sind sie aber auch recht unbeleckt, und auch das nehmen wir in den heutigen, zynischen Zeiten vielleicht besonders wahr, weil alle so taff geworden sind. Die Naivität von Typen wie Rubeck treibt sie dann eben auch von der Agonie in den Untergang. Die frühen Tatorte waren in mancher Hinsicht unerbittlicher als die heutigen und dieses übergenaue Draufhalten auf die Figuren hat etwas, da würde man sich immer mal wieder am liebsten vor Scham vom Bildschirm wegdrehen. Man will nicht sehen, wie das Scheitern zelebriert wird in einer Welt, in der das Scheitern doch viel selbstverständlicher geworden ist als in den 1980ern. Allerdings eher im beruflichen Sinn gemeint. Im Privaten sind die Ansprüche viel höher geworden, ist unser deutlicher Eindruck. Viele Ehen, die so laufen wie die von Rubeck, würden heute sang- und klanglos geschieden.

Das ist ohnehin ein Punkt, den wir kritisieren. Auch in den 1980ern war es schon möglich, sich scheiden zu lassen, wir sind nicht in Italien. Bevor man ein so umständliches, vages, schwieriges und eskapistisches Modell entwickelt wie Rubeck es hier tut, würde doch selbst ein Spießer eher über Trennung nachdenken. Er könnte seine Anni auch nicht heiraten, es sei denn, er schwindelt später im Ausland beim Status. Wir haben auch keine finanzielle Kette gefunden, die Rubeck unbedingt an seine Frau oder an die Schwiegereltern gebunden hätte – und die im Fall es Ausreißens nicht ohnehin gesprengt worden wäre.

Finale

Ein Krimi ist nicht überwiegend zum Wohlfühlen da, aber genau dieses Gefühl verschaffen uns die großartigen Ermittler, die heute am Werk sind, teilweise seit vielen Jahren. Was immer der Tag bringt und welch schlimmes Verbrechen auch immer auszuermitteln ist, allein ihre Anwesenheit, ihre Sprüche, bei manchen Teams auch das Verhältnis zueinander wirken so vertraut und mag am Ende auch die Welt trist bleiben, in dieser finden sich gute Freunde und machen uns als Zuschauer zu ihren Freunden.

In den frühen Tatortepochen hingegen waren die Ermittler weniger präsent und ihr Privatleben war kein Gegenstand, der viele Minuten Spielzeit verschlungen hätte, wie es heute manchmal der Fall ist. Besonders aber in einem ganz auf Täter und Opfer konzentrierten Krimi, in dem der Ermittler so wenig prägnant ist wie selten, wenn wir ein Schicksal sehen, das sich unweigerlich abwärts bewegt, dann haben wir nicht diese Anbindung, sondern ein Gefühl von Tristesse, das für heutige Zuschauer ganz schön fordernd ist. Ob es das vor 30 Jahren nicht auch war, sei dahingestellt, wir können das nicht mehr nachbilden.

Im Grunde ist „Rubecks Traum“ ein Film noir, wenn auch in Farbe. Fehlt vielleicht, dass er sich uns selbst noch als Narrator mitteilt, aber das ist uns bisher in einem Tatort noch nicht begegnet. Trotzem gibt es einen Unterschied: Films noirs haben etwas wie kathartische Wirkung, etwas Reinigendes und Endgültiges. Leider wird uns in diesem 153. Tatort auch diese Wirkung verweigert, und dies bedeutet, der Film ist so wenig affirmativ, dass er dem harschen Autorenkino der 1970er mit seinen sezierenden Sozialstudien nähersteht als dem, was sich in der Tatort-Reihe als Hauptlinie herausgebildet hat. Das heißt, der Film stellt uns viele Fragen und fordert uns etwas sehr eindringlich auf, unser Leben mit dem der Figuren zu vergleichen. Es hat schon Gründe, dass heute nicht mehr so gefilmt wird.

Anmerkung 3/2024: Obwohl wir einiges am Duktus dieses Textes mittlerweile ändern würden, veröffentlichen wir ihn mehr oder weniger wie gehabt, aus Gründen des Zeitdrucks.

6,5/10

© 2020 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

Kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Heinz Schirk
Drehbuch Heinz Schirk
Produktion Dieter von Volkmann
Kamera
Schnitt Elke Herbener
Premiere 8. Jan. 1984 auf ARD
Besetzung

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