About Schmidt (USA 2002) #Filmfest 1091

Filmfest 1091 Cinema

About Schmidt ist eine Tragikomödie aus dem Jahr 2002 von Regisseur Alexander Payne mit Jack Nicholson in der Hauptrolle. Das Drehbuch basiert lose auf dem gleichnamigen Roman von Louis Begley (deutscher Buchtitel: Schmidt).

In dem Film kommt viel Authentisches zusammen, das als Ganzes seltsam unamerikanisch wirkt. Regisseur Alexander Payne (griechischer und deutscher Herkunft, die Familie änderte ihren Namen von Papadopoulos in Payne) ist genau dort aufgewachsen, wo er viele seiner Filme spielen lässt, in Omaha, Nebraska. Der Ort ist vor allem dadurch bekannt geworden, dass der steinreiche Warren Buffett dort zeitlebens beheimatet blieb. Ob Warren Schmidt dem berühmten Namensvetter den seinen zu verdanen hat, wissen wir nicht, aber der Nachname gemahnt an die vielen deutschen Auswanderer, die den amerikanischen Mittelwesten bevölkert haben – wobei die Mehrzahl unauffällig zu „Smith wurde und einen großen Anteil der 2,5 Millionen Amerikaner mit diesem Nachnamen stellen – es gibt aber auch ca. 125.000 Schmidts. Jack Nicholson, der Titelheld des Films, ist zwar hauptsächlich irischstämmig, hat aber auch deutsche Vorfahren. Mehr zum Film steht in der Rezension.

Handlung (1)

Der 66-jährige Warren Schmidt hat gerade seinen letzten Arbeitstag bei der Versicherungsgesellschaft Woodmen of the World in Omaha, wo er zuletzt als Abteilungsleiter und Aktuar beschäftigt war. Am Abend trifft man sich in einem Lokal zu einer unpersönlichen Abschiedsfeier, wo ihm sein junger Nachfolger versichert, dass er jederzeit im Büro vorbeikommen kann, da man gerne von seinem Fachwissen profitieren würde. Als er dies tatsächlich macht, wird er höflich abgewiesen und ihm klargemacht, dass er nicht mehr gebraucht wird. Beim Hinausgehen bemerkt er zudem, dass seine sorgfältig sortierten Akten alle auf dem Müll gelandet sind.

Nun sieht sich Warren als Rentner mit all den Dingen konfrontiert, mit denen er sich während seiner Arbeitszeit kaum beschäftigen musste, wie zum Beispiel mit seiner Frau Helen, mit der er bereits 42 Jahre verheiratet ist, oder mit zu viel Zeit, mit der er nichts anzufangen weiß.

Um sich dem immer stärker auftretenden Gefühl der Nutzlosigkeit entgegenzustellen, übernimmt er eine im Fernsehen beworbene Patenschaft über das Kinderhilfswerk Plan International für einen sechsjährigen tansanischen Jungen namens Ndugu, dem er, wie von der Vermittlungsorganisation empfohlen, Briefe schreibt, in denen er private Geschehnisse dokumentiert. Die Briefe an Ndugu werden für Warren zu einer Art Lebensbeichte und Schreibtherapie. In einem Brief gesteht Warren, dass ihm seine Frau oft fremd vorkommt und ihn inzwischen fast alles an ihr stört. (…) 

Rezension

Vielleicht kommt uns wegen dieser Zusammenstellung all das seltsam vertraut vor, was wir in diesem Film sehen. Eine Summe besonderer Details mag sich nicht zu dem fügen, was die USA gerne als Bild von sich und ihren Menschen vermitteln.

Wir warten die ganze Zeit darauf, dass Warren Schmidt in Person von Jack Nicholson aus seinem tristen Dasein ausbricht, den Maniac gibt, den der Ire in ihm so gut kann, den schillernden Typ, der mit einem Schlag alles an sich reißt. Seine Präsenz, die uns jederzeit befürchten lässt, jetzt hebt der Film mit ihm zusammen ab, die bleibt, aber der Ausbruch, der bleibt auch – aus, und da sehen wir wieder einen typischen Spießer, den wir gut kennen, der ganz und gar unirisch wirkt. Einen Schmidt eben, der sich brummelnd mit allem arrangiert, was das Leben ihm suboptimal zusammengemixt hat. Eine Karriere, die im Mittelmanagement stecken blieb, eine nervende, oberflächliche Frau, die schnarcht und dann auch noch plötzlich verstirbt, eine zickige und wenig einnehmende Tochter. Warren erntet durch sie, die er schon als sitzengeblieben verbucht hat, eine neue Familie, die tückischerweise Hertzel heißt und ein Haufen von Althippies, Spinnern und eher zurückgeblieben wirkenden Menschen ist. Auch da bleibt Schmidt bis zum Ende auf Kurs und hält eine Hochzeitsrede – als Brautvater – von so  hinreißend trauriger Komik, dass man gerührt ist von dem, was nicht ist und nicht sein darf.

Ohne Zweifel lebt dieser langsame und bewusst in tristen Farben gehaltene Film (Ausnahme: Das Haus der Hertzels bzw. dessen Interieur) sehr von Nicholsons Schauspiel. Auf ihn kann Alexander Payne sich erstaunlich gut verlassen. Nur in wenigen Momenten merkt man, wie Nicholson als Schmidt an die Grenzen des Unterspielens gehen muss, um seine Figur glaubwürdig zu belassen. Da kommt dann wieder die exzessive Mimik ein wenig zum Vorschein, die Nicholson drauf hat. Aber er behält sie ebenso im Griff, wie Schmidt sich im Griff behält. Einmal scheint sich die Ahnung doch zu erfüllen, dass es zum Eklat kommt: Als er in einem Wohnmobil eine Frau küsst, von welcher er glaubt, sie habe ihm Avancen gemacht. Davon ist er dann aber selbst so erschüttert, dass er sofort wegrennt, sofort seinen Winnebago in Fahrt setzt, dass er einen alten Freund per Telefonanruf verzeiht, der in alten Zeiten mit Schmidts damals noch jungen Frau ein Verhältnis  hatte. Wie eben solche Naturen wie Schmidts Frau Helen sind, sie hob die Briefe gebündelt auf und Schmidt findet sie nach ihrem Tod. Schmidt setzt seinen Ansatz, eine verheiratete fremde Frau zu küssen, in tödlich falscher Präzision, mit welcher der Durchschnittsbürger oft handelt, sofort mit der Situation gleich, die vielleicht zwischen Helen und seinem Freund geherrscht hat, als es zur Verfehlung kam –und kommt nicht dahinter, dass es sich hier um zwei ganz verschiedene Fälle handeln könnte.

Vielleicht ist dieser Moment die Schlüsselszene zum Verständnis von Schmidt – nämlich, dass er von Beginn bis zum Ende des Films nicht viel versteht. Gerade das macht ihn so rührend und antiamerikanisch. Das einzige, was uns dabei gestört hat war, dass wir dem Film einfach nicht trauen wollten und dachten, der Nicholson-Ausreißer, der muss doch noch kommen! Unsere Schuld, weil wir Nicholson eben hauptsächlich von seinen exzentrischen Rollen her kennen und ihn hier sehen, wie er, ganz und gar uneitel, eine neue Variante seines großen Könnens zeigt. Im Jahr darauf hat er dann mit „Was das Herz begehrt“, ebenfalls uneitel, aber schon wieder viel mehr im Mainstream-Schema gespielt und sich dabei mehr austoben können. Selbstverständlich hat dieser Film über junge Liebe unter 50+-Menschen auch ein Happy End.

Hat aber „About Schmidt“ ein Happy End? Nein. Kein richtiges. Sonst wäre er vielleicht auch kein Kritiker-Film geworden. Die IMDb-Nutzer bedenken ihn mit guten, aber nicht überragenden 7,2/10, der Metascore aus 40 US-Kritiken aber liegt bei 85/100, und das ist in der Tat überragend für einen so wenig expressiven, so kleinen und beinahe verzagt wirkenden Film. Vielleicht passte er ganz gut in die depressive Stimmung des ersten Jahres nach 9/11, aber er bleibt ein Sonderfall, weil er die Affirmation so weit verweigert, als sei er eine in Europa gedrehte Sozialstudie. Was er nicht ist, denn Schmidt ist nicht das Opfer irgendeines Systems, nicht vorrangig jedenfalls. Er ist ein Individuum, das den allgemeinen Trott mitging und dessen Reise mit dem viel zu großen Wohnmobil sicher nicht symbolisch für den Aufbruch in ein neues, lustiges Leben ist, das mit 66 erst anfängt. Etwas wie einen Sinn bekommt es am Ende, als er die Zeichnung seines afrikanischen Patenkindes Ndugu in der Hand hält, auf dem der Junge sich mit dem Paten  zusammen Hand in Hand abbildet. Ganz simpel, ganz und gar nicht ungewöhnlich, das alles, aber aus Schmidt bricht es heraus, endlich. Aber auf eine Weise, die nicht kitschig übertrieben ist, sondern gut nachvollziehbar.

Anfangs dachten wir, der Film will „Plan International“ ein wenig auf die Schippe nehmen, weil die Ansprache in dem Fernsehspot, mit der zur Eingehung einer Partnerschaft für ein Kind in Not für nur 22 Dollar im Monat die Rede ist, für deutsche Verhältnisse ziemlich offensiv wirkt, aber dem ist nicht so. Immerhin gibt es die Organisation wirklich. Sie gehört zu den weltweit führenden und transparentesten auf ihrem Gebiet und wird auch in Deutschland von vielen Prominenten unterstützt. Für Schmidt, der in seiner eigenen Welt gelebt hat, ist dieses schon zu Beginn des Films eingegangene soziale Engagement vermutlich eine Art Erdrutsch, hat eine andere Dimension wie für bekannte und sehr wohlhabende Menschen, die mit  ihren Charity-Bemühungen auch Imagepflege betreiben. Schmidt, wie geschrieben, ist uneitel und erzählt im Verlauf des Films auch niemandem von seiner Patenschaft. Ob seine Frau kurz vor ihrem Tod davon erfahren hat, wissen wir nicht.

Viele Situationen in dem Film haben eine wunderbare Balance zwischen witzig und melancholisch, etwa, als Schmidt mit dem Wohnmobil zu seinem Elternhaus fahren will und dort auf ein Reifencenter trifft und dem gleichgültig-lässigen jungen Verkäufer, der die Hände in den Taschen vergraben hat, sagt: „Sie werden es nicht glauben, wir hatten eine Reifenschaukel“. Das ist so bittersüß und darin schwingt nicht nur der hilflose Versuch mit, eine Art Verbindung zwischen Gestern und heute und dem eigentlich Unfassbaren der verschütteten Vergangenheit zu konstruieren, sondern es weist natürlich auch auf Schmidts kleinbürgerliche Herkunft hin. Er ist mit Sicherheit genau so aufgewachsen, wie er sein eigenes Leben gelebt hat. Wozu auch die Hoffnungen gehörten, zu denen er als junger Mann möglicherweise berechtigte. Wir sehen ihn auch in seinem früheren College, wo noch ein Bild mit ihm hängt und wo er auf junge Studenten trifft, die ebenso desinteressiert an seinem Schicksal sind wie der Reifenverkäufer. Alle, die einmal mit großen Träumen gestartet sind und irgendwo im Mittelmaß endeten, werden sich wiedererkennen.

Und das sind logischerweise die meisten Menschen, denn nur wenige können ganz nach oben kommen oder fangen schon oben an, mit ihren ererbten Vorteilen. Und da ist dann doch ein Statement zum Amerikanischen Traum zu erkennen: Wenn man es nicht schafft, im Business eine große Nummer zu werden, dann läuft man Gefahr, das  Zentrum seiner selbst, seinen Antrieb, die vielen anderen Möglichkeiten zu verlieren, die ein erfülltes Leben ausmachen können. Die sich ständig streitenden, unbedarft-philosophischen und materiell gänzlich erfolglosen Hippie-Hertzels geben da einen kleinen Hinweis, obwohl sie nicht als echte Alternative zu Schmidts Dasein aufgebaut werden, das sich nach seiner Pensionierung hauptsächlich darin erschöpft, seiner Tochter weiterhin Schecks zu senden, ohne dass sie im Geringsten dankbar dafür wäre ,und damit auch die Hertzels zu unterstützen, die er nur kurios findet und deren Familienmitglied Randall als inadäquat für seine Tochter.

Diese hat er bis beinahe zum Ende des Films als den Inhalt seines Lebens stilisiert, ohne sich bewusst zu werden, wie wenig reizvoll und wie durchschnittlich sie in jeder Beziehung ist. Insofern ist auch sein – doch kleiner – Ausbruch, als er sie beiseite nimmt und vor dieser Heirat warnt, wieder Ausdruck mangelnder Erkenntnis und Konversation mit falschem Ansatz, nachdem es offenbar viele Jahre kaum echte Gespräche gegeben hat. Das kann man sich gut vorstellen, so, wie alle drei Schmidts, Vater Warren, Mutter Helen, Tochter Jeannie, auf uns wirken. Einige der Namen sprechen mit uns, das haben wir bereits für Warren, die Schmidts, die Hertzels beschrieben, aber auch der hochstehend wirkende Name Helen für die Mutter und Jeannie für die Tochter, der auf die bezaubernde Jeannie hindeuten soll, die in der Zeit, als die Schmidt-Tochter zur Welt kam, en vogue war, sind Anspielungen auf Träume und Wünsche, mit denen die Wirklichkeit nie mithalten konnte.

Letztlich nehmen wir, damit das Bild vollständig ist, Einblick in Schmidts Berufsleben, das gerade zu Ende geht, als der Film beginnt, und wie er im Büro die letzten Sekunden absitzt, hinter ihm stehen gepackte Kisten. Auf einer dieser typischen, eher unangenehmen Abschiedsfeiern wird er noch einmal gelobt und eingeladen, mal in der Firma vorbeizuschauen und Rat zu geben – aber als er dann wirklich dort aufkreuzt, ist sein alerter Nachfolger eher irritiert und macht ihm klar, dass sein Rat nicht mehr erwünscht ist. Passenderweise warten auch Schmidts Akten schon auf den Shredder – was objektiv etwas verwunderlich erscheint, denn die Vertragsverhältnisse, die er betreut hat, dürften ja weiterbestehen und damit auch eine Spur von ihm hinterlassen. Eine Spur, die allerdings wenig persönlich ist.

Finale

Das Leben hat für jeden den Sinn, den er seinem Leben gibt – und wer nie gründlich über den Sinn nachgedacht hat, steht, wenn er in Rente geht, vor einer unermesslichen Leere, weil der Beruf  den Platz des Sinns eingenommen oder den Sinn ersetzt hat. Dieses Phänomen kennen viele Menschen, die in den Ruhestand wechseln, auch deshalb ist „About Schmidt“ ein für amerikanische Verhältnisse ungeheuer wirklichkeitsnaher und ehrlicher Film. Man bemerkt plötzlich, dass die Tristesse, die so viele in den 60ern einholt, wenn nicht schon früher, universell ist.

Das Bild, das die USA gerne vermitteln ist, dass von Generation zu Generation die Familie immer da ist, um alle emotionalen Schwankungen aufzufangen, um eine Einbindung und einen Lebenssinn gleichermaßen zu geben, einfach, weil man sie aufgebaut hat und dies stets wertgeschätzt wird. Die Realität dürfte aber auch dort, trotz einer sicher im ländlichen Raum noch recht intakten Sozialstruktur, für viele Menschen eine andere sein. Wer ist dann besser dran? Großstadtsingles, die sich ihrer Vereinzelung schon lange bewusst sind, aber nicht immer glücklich damit, oder Familienmenschen, die nie etwas hinterfragt haben und bis zum Ende gefangen bleiben in einem Kokon, der sie vom Aufbruch zu neuen Ufern zurüchält? Wir spüren anhand dieses Films, wie exzeptionell die meisten Aussteiger- und Umsteiger und Comeback-Schicksale sind, die gerade in US-Filmen so glorifiziert werden, und wie viel wahrscheinlicher es ist, dass alles so laufen wird wie bei Warren Schmidt. Sich neu zu definieren, erfordert eine klare Bestandsaufnahme und Analyse, bevor daraus etwas werden kann, und davon ist Schmidt auch am Ende des Films noch ein Stück entfernt. Hoffnungsschimmer nicht ausgeschlossen, und das ist dann doch wieder uramerikanisch.

80/100

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

Regie Alexander Payne
Drehbuch Alexander Payne,
Jim Taylor
Produktion Michael Besman,
Harry Gittes
Musik Rolfe Kent
Kamera James Glennon
Schnitt Kevin Tent
Besetzung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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