Rücktritt von Höcke als AfD-Spitzenkandidat? (Umfrage + Kommentar) | Briefing 535 | PPP Politik, Personen, Parteien, DiG Demokratie in Gefahr

Briefing 535 PPP, DiG, AfD, Björn Höcke, Thüringen, Landtagswahl, Straftat, Straftäter, Verurteilung

Gestern war ein wichtiger Tag für die Demokratie. Das Grundgesetz trat vor genau 75 Jahren in Kraft. Die Demokratie wurde Wirklichkeit in einem Land, in dem es viele Menschen aber immer noch schwer haben, sie zu akzeptieren. Wie zum Beispiel jenen Kräften, die als „gesichert rechtsextrem“ gelten und die weiterhin vom Verfassungsschutz beobachtet werden dürfen. Allen voran natürlich die AfD. In einem anderen Fall hat die AfD gerade selbst, um größeren Schaden für sich abzuwenden, die Reißleine gezogen: bei Spitzenkandidat Maximilian Krah, der nicht nur einen Spion beschäftigte, sondern zuletzt wieder mit Sprüchen auffiel, die dafür sorgen könnte, dass die AfD selbst unter Europas Rechten isoliert sein könnte.

Da Höcke wegen „Alles für Deutschland“ nur zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, ist er weiterhin wählbar, anders wäre es gewesen, hätte die Strafe auf Freiheitsentzug. Auf den ersten Blick könnte diese Formulierung zum Lachen reizen, aber was wir meinen ist, nicht, dass er dadurch nicht politisch tätig werden kann, dass er im Gefängnis sitzt, sondern, weil ihm das passive Wahlrecht aberkannt worden wäre. Das gilt unseres Wissens auch dann, wenn er nur auf Freiheitsstrafe zur Bewährung verurteilt worden wäre. Wie aber sieht es mit einem freiwilligen Rücktritt als Spitzenkandidat der AfD für die Thüringer Landtagswahl im September aus? Dazu hat Civey heute eine Umfrage erstellt:

Civey-Umfrage: Sollte Björn Höcke (AfD) nach Verurteilung wegen der Verwendung verbotener Nazi-Parolen Ihrer Meinung nach nicht mehr als AfD-Spitzenkandidat bei den Thüringer Landtagswahlen antreten? – Civey

Der Begleittext aus dem Civey-Newsletter

Der AfD-Fraktionschef im Thüringer Landtag Björn Höcke wurde letzte Woche vom Landgericht Halle verurteilt. Angeklagt wurde er wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Er habe bei einem Wahlkampfauftritt eine verbotene Losung der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) verwendet, berichtete die FAZ. Historiker Patrick Wagner erklärte im MDR, dass die Verwendung derartiger Parolen die Würde der Opfer des Nationalsozialismus erneut verletze. 

Höcke sei nach eigenen Angaben „völlig unschuldig” – er habe nicht gewusst, dass es sich um eine verbotene SA-Parole handle. Unbekannt sei ihm auch gewesen, dass es bereits Verfahren gegen andere AfD-Mitglieder wegen dieser Parole gab. Letzte Woche kam es zur Urteilsverkündung. Demnach muss der Angeklagte eine Geldstrafe von 13.000 Euro zahlen. Höckes behauptete Unwissenheit sei nach einer Überprüfung „weder glaubhaft noch nachvollziehbar, vielmehr lebensfern”, heißt es im Plädoyer der Staatsanwaltschaft. Der ehemalige Geschichtslehrer habe sich offenkundig „mehr als intensiv mit der NS-Zeit beschäftigt”. Höckes Verteidigung, die für Freispruch plädiert hatte, legte bereits Revision ein. 

Eine Gefängnisstrafe, die vorab auch im Raum stand, hielt das Gericht indes für überzogen. Der Grünenpolitiker Sebastian Striegel, der Höcke selbst angezeigt hatte, sieht das ähnlich. Er sagte t-online, er halte die Strafe für angemessen, „die bei Rechtskraft dazu führt, dass Herr Höcke vorbestraft ist”. Inwiefern das Urteil Einfluss auf die thüringische Landtagswahl im September haben wird, bei der Höcke als AfD-Spitzenkandidat antritt, bleibt abzuwarten. Mit der Geldstrafe kann Höcke sein passives und aktives Wahlrecht laut FAZ behalten. Die AfD liegt dort seit Monaten in den Umfragen vorn.

Kommentar

Dieses Mal unser Abstimmungsverhalten gleich zu Beginn: Wir haben mit „eindeutig ja“ gestimmt. Das sehen immerhin 64 Prozent der Menschen so, während 24 Prozent eindeutig der Ansicht sind, das tut nicht not. Man darf ruhig einen verurteilten Straftäter wählen. Wer so abgestimmt hat, dürfte klar sein. Selbstverständlich darf an der Stelle der Hinweis nicht fehlen: Sowohl Höcke als auch die Staatsanwaltschaft halten das Urteil für falsch und werden in Revision gehen. Leider ist gemäß dem obigen Text derjenige Grünen-Politiker, der die Anzeige gegen Höcke erstellte, der StA mehr oder weniger in den Rücken gefallen, indem er die aktuelle Strafe für angemessen erklärte. Jedenfalls erweist er damit denjenigen keinen Dienst, die Höcke vielleicht doch noch aus dem politischen Verkehr ziehen könnten.

Wir haben vor wenigen Monaten ausführlich über mehrere Petitionen gegen die AfD berichtet und sie alle unterzeichnet. Diejenige, die am meisten Resonanz bei den Bürger:innen fand war eine solche, die sich speziell auf Prüfung einer Grundrechtsverwirkung durch das BVerfG gegen Höcke richtet, nicht eine von jenen Petitionen, die Gliederungen der AfD oder sie im Ganzen verbieten lassen wollen. Bei uns hat es lange auf der Kippe gestanden, ob wir nicht doch sagen, dieses Problem mit der extremen Rechten muss politisch gelöst werden. Wir glauben nicht mehr, dass das noch funktionieren wird. Die Demokratie muss jetzt durch die Wehrhaftigkeit der Verfassung selbst geschützt werden, nicht durch eine Mehrheit, die möglicherweise dafür nicht demokratisch genug ist.

Insofern war unsere Antwort bei dieser Umfrage logisch. Die festgesetzte Strafe hat zwar nicht zu einer Grundrechtsverwirkung geführt (merke: es gibt theoretisch mehrere Wege, dorthin zu gelangen), aber Höcke vorerst als Straftäter benannt.

Wenn man nun etwas verwinkelter denkt, kann man diese Antwort aber auch infrage stellen: Würde die AfD zum Beispiel ohne Höcke und seiner zu erwartenden Stilisierung als Opfer mehr oder weniger Wähler:innen gewinnen können, bei den nächsten Landtagswahlen? Besonders in Thüringen? Wir sind uns da nicht sicher, obwohl Beobachtungen aus den jüngsten Monaten auch zeigen, dass es etwas wie Hoffnung gibt: Die Aufdeckung des „Potsdamer Geheimtreffens“ wurde medial viel beachtet, es wurde gegen die AfD demonstriert, ihre Umfragewerte sinken. Allerdings müsste man genauer hinschauen, ob dies der Grund ist oder einfach festgehalten werden kann, dass die Wut über dies und jenes und alles, die Rechte immer im Bauch tragen, gerade bei den nicht ganz extrem Rechten so weit abgenommen hat, dass wieder CDU wählen würden oder wen immer. Die Lage hat sich etwas beruhigt, wäre dann der Hintergrund. Hat sie gar nicht, aber das steht auf einem anderen Blatt, denn mit dieser Tatsache im Kopf auf dem Wahlzettel links anzukreuzen, ist viel sinnvoller als nach rechts zu driften.

Hinzu kommt, dass im Osten das neue BSW von Sahra Wagenknecht der AfD wohl das eine oder andere Prozent abknüpfen wird. So die aktuellen Umfragen. Gäbe es das BSW nicht, hätte die AfD sehr wohl bundesweit noch eine Zustimmungsrate von 19 bis 20 Prozent, nicht 17 Prozent. Das ist natürlich „über den Daumen gepeilt“, aber wir wollen darauf aufmerksam machen, dass der Rückgang der AfD-Zustimmung in letzter Zeit mehrere Faktoren hat oder haben kann.

Rechnet man also bestimmte Faktoren heraus, muss man festhalten, dass die AfD durch Höckes Verhalten, durch die Feststellung von drei Landesverbänden als gesichert rechtsextremistisch nicht besonders viel Sympathie verloren hat. Bisher hat die AfD auch immer wieder die Wechsel in der Führungsspitze verkraftet und viele Konflikte und Unebenheiten, die offensichtlich wurden. Auch aktuell erscheint uns die AfD noch nicht als „gesettelt“, sondern könnte weiter nach rechts driften, denn noch immer verlassen Politiker, die innerhalb der AfD mittlerweile eher links stehen, die Partei, man hört hingegen nie davon, dass am rechten Rand jemand die Segel streicht.

Das dürfen wir auch bei Björn Höcke nicht erwarten. Es ist ja gerade das Kennzeichen von Menschen, die wenig Gewissen und Anstand haben, dass sie auch resilient gegen ethische Minma sind, wie zum Beispiel: Ich lasse mich als frisch verurteilter Straftäter nicht für eine Landtagswahl aufstellen, bis in nächster Instanz geklärt ist, ob ich nicht doch freigesprochen werde. Das wäre, offen geschrieben, auch nicht ganz logisch. Erst, wenn der Rechtsweg ausgeschöpft ist oder kein Interesse mehr an weiterer Ausschöpfung besteht und das Urteil aufrechterhalten bleibt, hat Höcke tatsächlich eine moralische Verpflichtung, zurückzutreten. Eine moralische Verpflichtung nach unseren Maßstäben, wohlgemerkt und unbeschadet der verfassungsrechtlichen Bewertung seiner Aktivitäten und derjenigen seiner Partei.

Wir sind der Meinung, er sollte zurücktreten, das bleibt unabhängig von taktischen Gedankenspielen unsere Meinung. Wir können nicht in Höcke hinschauen, was sicher im Sinne unserer seelischen Gesundheit auch gut ist, aber unsere Einschätzung von außen geht darauf hinaus, dass er nicht freiwillig, aus ethischen Gründen, eine Position räumen wird.

TH

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