Christian Lindner (FDP) als Finanzminister: Gute Entscheidungen? (Umfrage + Kommentar) | Briefing 553 | #PPP #Politik #Personen #Parteien #Politics #FDP #Lindner #Schuldenbremse #Steuern #Steuergerechtigkeit

Briefing 553 PPP, Christian Lindner, Finanzminister, Schuldenbremse, Klassismus, Reiche und Superreiche, Steuergerechtigkeit 

 Liebe Leser:innen, die Europawahlen sind vorbei, der politsche und sonstige Alltag hat uns wieder.  Selbstverständlich hallen die Ergebnisse nach und wir denken darüber nach, ob wir ein eigenes Europa-Feature einrichten. Den Anfang hätten wir mit einer 8-teiligen Berichterstattung nur über die Wahl gemacht, der eine oder andere Beitratg wird noch folgen.

Die Ampelparteien haben bei der Wahl ein Desaster erlebt, besonders hart hat es die Grünen und die FDP erwischt. Erstere sind auf eine Weise eingebrochen, die offenbar eine Themen-Fahnenflug weg vom Klimawandel belegt, die anderen hatten zwar schon bei der letzten Europawahl ein Tief, aber sich noch einmal verschlechtert, von 4,7 auf 4,3 Prozent. Bei der Bundestagswahl im Herbst 2021 haben die Neo-Wirtschaftsliberalen über 11 Prozent erreicht, gegenwärtig müssten sie gemäß Umfragen um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Christian Lindner ist nicht nur der Vorsitzende dieser Partei, sondern auch ihr lautstärkster Repräsentant und er hat das wichtige Finanzressort in der Bundesregierung inne. Spätestens seit dem Beginn des Ukrainekriegs hat er in Sachen Lautstärke Konkurrenz von Marie-Agnes Strack-Zimmermann bekommen, trotzdem bleibt er der wichtigste Politiker der Gelben.

Deswegen, wenn man die Ampel durchkämmen will, logisch, dass Lindner mal wieder an der Reihe ist, Gegenstand einer Umfrage zu werden:

Civey-Umfrage: Wie beurteilen Sie die politischen Entscheidungen von Christian Lindner in seiner Funktion als Bundesfinanzminister? – Civey

Der Begleittext aus dem Civey-Newseltter:

Seit Monaten gibt es in der Bundesregierung Debatten um den Bundeshaushalt. Während die Ministerien mehr Geld für ihre Ressorts verlangen, pocht Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf seinen Sparkurs. Angesichts der wiederholten Forderungen nach neuen Schulden seitens der Ampelparteien verwies Lindner letzte Woche in der Bild erneut auf den Koalitionsvertrag. Demnach seien Steuererhöhungen und eine Aufweichung der Schuldenbremse ausgeschlossen. Die schwierige Haushaltslage sei Lindner zufolge zudem nicht auf zu geringe Steuereinnahmen zurückzuführen, sondern auf zu hohe Ausgabenwünsche. 

Letzte Woche stellte Lindner Maßnahmen vor, um die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bis 2026 um über 23 Milliarden Euro zu entlasten. Laut Handelsblatt will er dafür auf inflationsbedingte Mehreinnahmen des Staates verzichten. Konkret soll der Grundfreibetrag der Lohn- und Einkommensteuer in drei Schritten steigen. Dieses Jahr soll er zunächst auf 11.784 Euro angehoben werden. Ab 2025 steigt er auf 12.084 Euro und ab 2026 auf 12.336 Euro. Zudem würde der Spitzensteuersatz nach Lindners Plänen erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 68.429 Euro fällig werden, berichtete die SZ. Aktuell liegt er bei 66.761 Euro. 

Innerhalb der Ampel stießen seine Pläne auf Kritik. Steuerentlastungen müssten sozial gerecht und finanzierbar sein, forderte SPD-Fraktionsvize Achim Post in der Rheinischen Post. Milliardenschwere Steuergeschenke für die Reichsten der Reichen wären dem SPD-Politiker zufolge ein völlig falscher Ansatz. Grünen-Finanzexpertin Katharina Beck nannte Lindners Vorstoß bei The Pioneer unseriös angesichts der derzeit geforderten Einsparungen im Bundeshaushalt. Derweil warnte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) vor Schäden für die deutsche Wirtschaft und den internationalen Beziehungen, sollte Lindner an seinem Sparkurs festhalten.

Unser Kommentar

Die Anhebung der Freibeträge ist lediglich ein Inflationsausgleich, nicht einmal in voller Höhe. Im Grunde Schnickschnack, darüber zu diskutieren. Wir finden es etwas merkwürdig, dass diese leichte Anhebung 23 Milliarden Steuerausfälle verursachen soll, dann das nun einmal eine Folge der „kalten Progression“ durch Teuerung, dass das, was versteuert wird, in seinem realen Wert abnimmt. Der Spitzensteuersatz liegt in Deutschland lediglich bei 42 Prozent, es gibt noch den „Reichen-Steuersatz“ mit 45 Prozent, der aber erst ab einem abenteuerlich hohen Einkommen von 278.000 Euro anfängt, wirksam zu werden (erst der Teil des Einkommens, der darüber liegt, wird mit 45 Prozent besteuert).

Wir haben nichts dagegen, dass mittlere Einkommen nun ein wenig von Steuersenkungen profitieren, aber ganz oben sind die realen Steuersätze viel niedriger als 45 Prozent, denn sie sind ja nur die Basis, von der aus viele Absetzungsmöglichkeiten, die gerade oder nur Reiche haben, zu wesentlich niedrigeren Steuersätzen führen. Möglichkeiten, die Normalverdiener nicht haben:

Laut einer Analyse des Statistischen Bundesamtes (Destatis) zahlten Einkommensmillionäre im Jahr 2019 im Durchschnitt einen Steuersatz von etwa 32,1%. Diese Zahl setzt die festgesetzte Einkommensteuer ins Verhältnis zum zu versteuernden Einkommen und reflektiert somit die effektive Steuerbelastung.

Eine andere Studie zeigt, dass Multimillionäre in Deutschland im Durchschnitt etwa 24% ihrer Einkünfte in Form von Steuern und Sozialabgaben zahlen. Diese Diskrepanz entsteht hauptsächlich durch die Nutzung von Steuervergünstigungen und -schlupflöchern, insbesondere bei Einkünften aus Kapitalanlagen, die niedriger besteuert werden als Arbeitseinkommen.

 Zusammengefasst liegt der durchschnittliche Steuersatz für Einkommensmillionäre in Deutschland zwischen 24% und 32,1%, abhängig von den spezifischen Einkommensquellen und den genutzten steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten.

Die FDP ist die Partei, die beinhart dafür sorgt, dass Reiche weiter auf diese Weise privilegiert werden, dass sie möglichst weitere Vorteile bekommen sollen, und Lindner ist das Gesicht und der Motor dieser klassistischen Bewegung. Hinzu kommt, dass die Liberalen die Steuerprüfung und die Steuerfahndung am liebsten abschaffen würden, damit Schmu in jedwedem Umfang gemacht werden kann. Natürlich nur von den ach so verantwortungsbewussten Unternehmer:innen, denn Arbeitende haben diese Möglichkeiten nicht und sind daher gezwungen, genau das zu zahlen, was legal ist und festgelegt in den Steuertabellen.

Leute, die so ticken, mit der eigentlichen Arbeiterpartei SPD in einer Koalition zusammenzuspannen, ist einer der grundsätzlichen Konstruktionsfehler dieser Regierung. Es gab schon einmal die sozialliberale Koalition, aber das ist lang eher und damals war die SPD weiter links und die FDP hatte noch anderes im Programm, als Klassenpolitik von oben zu machen. Der Comment war, dass man sich am Grundgesetz orientierte und das Sozialstaatsprinzip nicht abschmieren darf. Davon ist heute keine Rede mehr und ausgerechnet SPD-Kanzler Schröder hatte die größte Verschiebung in Richtung Sozialabbau seit der Gründung der BRD ausgelöst. Ohne die Liberalen, übrigens, aber sie haben sich gewiss gefreut.

Interessent ist das Zwischenergebnis der Umfrage. Fast 42 Prozent sind ganz gegen Lindners Politik, weitere 15 Prozent ziemlich dagegen, daraus ergibt sich eine ablehnende absolute Mehrheit. Wodurch wird Lindner derzeit vor allem wahrgenommen? Durch seine manische Verteidigung der Schuldenbremse. Das aber finden in Umfragen die Menschen mehrheitlich gut. Offenbar ist schon der Sprung von der Schuldenbremse zu Lindners gesamter Politik derzeit zu abstrakt für viele.

Selbstverständlich sind wir gegen die Politik von Christian Lindner, das waren wir aber auch, als wir über die Schuldenbremse abgestimmt haben. Lindners Politik ist einer der Gründe, warum wir die gesamte Ampel letztlich doch nicht gewählt haben, am letzten Sonntag. Uns ist noch gerade rechtzeitig eingefallen, dass wir auch Lindner mitwählen, wenn wir bei der SPD ein Kreuz setzen. Insofern hatte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert mit seiner „Kontaktschande“-Aussage nicht unrecht.

Viele wählen die SPD nicht, weil sie damit Parteien mitwählen, die schlicht untragbar für die Mehrheit der Menschen in diesem Land sind. Und SPD-Wähler:innen sind diesbezüglich sensibler als Grünwähler:innen, deren Gepräge teilweise FDP-näher ist, als man denken sollte. Dass die Grünen so stark verloren haben, lag nach unserer Ansicht nicht in erster Linie daran, dass die Wähler:innen der Partei Lindners Finanzkurs für falsch halten, zumindest ist ihnen das Thema nach unserer Ansicht nicht so wichtig, dass es die Wahlentscheidung bestimmt hat.

Bei der hartkernigen FDP-Wählerschaft hingegen wird den Gelben nachgetragen, dass sie noch nicht klasssistisch genug sind.

Stimmt, die Schuldenbremse könnte man behalten. Damit das Geld dann ausreicht, müsste man aber endlich die Reichen stärker an den Gemeinschaftsaufgaben beteiligen. Ist uns egal, zum wievielten Mal wir das nun schreiben, es gibt in den betreffenden Artikeln ja auch immer wieder neue Aspekte, nicht nur diesen dauerhaften Ausdruck eines Anmahnens von mehr Gerechtigkeit.

Sparen ist immer etwas Schönes und gelingt Normalverdienern vor allem in guten Zeiten. Sowohl für sie als auch für ein Land gibt es Situationen , in denen es Quatsch ist, weil es einfach nicht geht, so wie eben in den letzten Jahren. Sparen Sie oder kaufen Sie eine neue, wenn Ihre Waschmaschine kaputt ist und die Reparatur nicht lohnt oder lassen Sie sie reparieren, falls doch? In beiden Fällen müssen Sie Geld ausgeben. So ist das mit der deutschen Infrastruktur, die stark reparaturbedürftig ist. Diese Reparatur einfach zu verschieben, führt zu immer größeren Schäden bis hin zum Totalausfall.

Lindners Sparspin weist zum Einen auf die klassistische FDP-Politik hin, denn es könnte mehr Einnahmen geben, wenn man mehr Steuergerechtigkeit bewirken würde, zum anderen ruiniert er damit die Wirtschaft und die Infrastruktur weiter, denn beides braucht jetzt dringend Investitionen auch von staatlicher Seite und staatliche Lenkung. Die FDP war an dem langen Kaputtsparen des Landes nicht überwiegend als Regierungspartei im Bund beteiligt, aber sie hätte es nicht anders gemacht, da sind wir zu hundert Prozent sicher.

Zudem gibt es in Deutschland keine Vermögensteuer, und zwar, weil eben Erträge aus verschiedenen Anlagemöglichkeiten nicht gerecht besteuert werden. Deshalb ist sie auf einen Beschluss des BVerfG hin seit fast 30 Jahren ausgesetzt – nicht etwa abgeschafft. Auch dieses Instrument der Schaffung von mehr Gerechtigkeit ist politisch nicht mehr durchsetzbar. Woran man sieht, wie weit die Politik in der Zeit seit der Aussetzung nach neoliberal-rechts gerückt ist. Zuvor gab es diese Steuer nebst höheren Einkommensteuersätzen unter einer CDU/CSU-FDP-Regierung, ohne dass beides dem Land geschadet hätte.

Im Gegenteil, wirtschaftliche Schwierigkeiten traten vermehrt nach ihrer Aussetzung ein. Heute wagt es nur noch die Linke, eine Vermögensteuer zu fordern. Das ist eine riesige Rechtsverschiebung, welche sich auch auf die Einstellung der Bevölkerung in gesellschaftlichen Themen auswirkt, und zwar deutlich negativ. Das wiederum hilft den Liberalen, die Interessen des Kapitals durchzusetzen. In diesem Sinne ist die AfD auch ein Steigbügelhalter der FDP bzw. von deren Klientel. Anders als bei der CDU steht der Brandmauertest bei der FDP derzeit nicht so im Fokus, aber wir meinen, es wäre für die AfD leicht, gerade in diese Richtung den Kontakt zu den Altparteien herzustellen, wenn es darauf ankommt, zumindest auf Landes- und Kommunalebene. Der Fall Thüringen 2020 ist uns noch gut im Gedächtnis. Wir müssen das hier nicht erläutern, Sie lesen uns, also wissen Sie, welchen Vorgang wir meinen.

Solange es niemand in der Politik schafft, diesen Zusammenhang so zu erläutern, dass jede:r ihn versteht, solange kann die FDP,  besonders in Person von Christian Lindner, weiter ihr Unwesen treiben und gegen die weit überwiegende Bevölkerungsmehrheit reale Politik machen. Kaum ein eindeutiges Nein von uns zu einer Person und ihrer Politik ist in letzter Zeit so schnell klar gewesen wie dieses.

TH

Hinterlasse einen Kommentar