Von verfasstem Recht und verstecktem Gift – ein Brief aus London (Verfassungsblog + Zusatzinfos + Kommentar) | Briefing 574 | Geopolitik, Recht, Verfassungsrecht, UK, The United Kingdom

Briefing 574 Verfassungsrecht, Großbritannien, UK, United Kingdom, Exekutive, Legislative, Checks and Balances, Geopolitik, Recht, Demokratie, Freiheit

Liebe Leser:innen, Sie wissen, der Samstag ist der Tag des Rechts beim Wahlberliner. Manchmal ist es auch der Sonntag. Wir haben es uns angewöhnt, Artikel des Verfassungsblogs zu republizieren und zu kommentieren.

Heute geht es um Großbritannien, die nach Ansicht vieler älteste Demokratie der Welt. Aber ist sie auch die beste? Urteilen Sie anhand des folgenden Beitrags selbst. Wir kommentieren unterhalb:

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Von verfasstem Recht und verstecktem Gift Ein Brief aus London / Jeff King

Am 4. Juli 2024 stehen die Wahlen des britischen Parlaments in Westminster an. Sie werden sich auf die Verfassung auswirken. Nach den verfassungsrechtlichen Turbulenzen während des schottischen Unabhängigkeitsreferendums (2015), des Brexit-Referendums (2016), den Leitentscheidungen des Obersten Gerichtshofs zur Rolle des Parlaments während des Brexits in den Jahren 2017 und 2019 und den schwierigen Wahlen in den Jahren 2017 und 2019 (die mit einer noch nie dagewesenen Unentschlossenheit des Parlaments und dessen Aufstand gegen die Regierung einhergingen) kann man wohl sagen, dass die britische Verfassung im Jahr 2020 – als Covid-19 den Ring betrat – ziemlich in den Seilen hing. Was danach kam, war eher eine politische als eine verfassungsrechtliche Katastrophe. Aber das inkompetente Management der Pandemie und die Aufdeckung unethischen Verhaltens innerhalb der Regierung ließen die Conservative Party in der öffentlichen Wahrnehmung frei fallen. Die bemerkenswerteste Episode dieser Zeit (die Think Tanks und Öffentlichkeit dazu veranlasste, Ethik und Integrität verfassungsrechtlich zu untersuchen) war, dass der damalige Premierminister Boris Johnson ausgelassene Partys in der Downing Street Nr. 10 beaufsichtigt hat, während er dem Rest des Landes einen strikten Lockdown auferlegte – und darüber nachweislich das Parlament belog.

Seit 2010 hatte das Land fünf konservative Premierminister – Cameron (2010, 2015), May (2016), Johnson (2019), Truss (2022) und Sunak (2022). Man könnte sagen, dass der häufige Wechsel ein Beispiel dafür ist, dass die britische Verfassung funktioniert – Cameron, May, Johnson und Truss wurden von der Partei ohne Wahlen abgesetzt, weil sie politisch versagt hatten. Das lässt die Bemerkung des ehemaligen Parteivorsitzenden William Hague angemessen erscheinen, die Konservative Partei sei „eine absolute Monarchie, die durch Königsmord gemäßigt wird“. Die Labour-Partei beschreibt die Conservatives am liebsten mit „Chaos“. Der Titel des Labour-Wahlprogramms besteht ebenfalls aus einem einzigen Wort: „Change“, Veränderung. Das unverkennbar verfassungswidrige Element in der Wahlkampagne von Premierminister Boris Johnson und seinem Sieg im Dezember 2019 bildet hier den wichtigen Kontext – sowohl dafür, wie sich die politische und rechtliche Verfassung Großbritanniens in den nachfolgend skizzierten vier Bereichen entwickeln wird, als auch für die Frage, was eine (wahrscheinliche) Labour-Regierung dagegen tun könnte.

Westminster gegen Whitehall

Das Parlament sitzt im Palast von Westminster. Whitehall ist die angrenzende Straße, in der sich das Nervenzentrum der Regierung befindet. In der Theorie sagt das Parlament der Regierung, was sie zu tun hat. In der Praxis ist das Gegenteil der Fall – aber selten so sehr wie in den letzten fünf Jahren.

Nach der Instabilität von 2019 setzte die im selben Jahr gewählte Tory-Mehrheit eine Regierung ein, die dem Unterhaus gegenüber besonders angriffslustig war. Sie strich sofort Bestimmungen, die dem Parlament ein Mitspracherecht bei den Brexit-Verhandlungen einräumten. Sie verabschiedete das Gesetz zur Auflösung und Einberufung von Parlamenten (Dissolution and Calling of Parliaments Act 2022), das die uneingeschränkte Befugnis des Premierministers wiederherstellt, nach Belieben Wahlen einzuberufen oder das Parlament zu prorogieren, und in § 4 vorsieht, dass solche Entscheidungen vor keinem Gericht anfechtbar sind. Das Gesetz stellt so die königliche Prärogativbefugnis wieder her und befreit sie von den üblichen Kontrollen des Common Law (und die der Oberste Gerichtshof für anwendbar hält).

Verfassungsrechtlich bedenklich ist auch, wie die delegierende Gesetzgebung genutzt wird. Dies spitzte sich im Retained EU Law (Revocation and Reform) Act 2023 zu, den ein parlamentarischer Sonderausschuss als „hyper-sceletal“ beschrieb, als Gerippe. § 14 überträgt den Ministern weitreichende Befugnisse, um EU-Recht zu widerrufen und zu ersetzen, ungeachtet der notorischen Schwierigkeiten bei der Rechenschaftspflicht. Die Hansard Society überprüft deshalb laufend die delegierte Gesetzgebung – der bisher beste Versuch eines Reformprogramms.

Würde Labour von all dem zurückrudern? Der ehemalige politische Sekretär von Tony Blair, John McTernan, sagte dazu in einem Artikel der Financial Times ganz offen: „In den letzten 14 Jahren gab es viele Maßnahmen, um die Exekutive zu stärken. Labour sollte sie ausnutzen.“

Die Territorialverfassung

Die Verfassung des Vereinigten Königreichs überträgt den gesetzgebenden Körperschaften und den gewählten Regierungen in Schottland, Wales und Nordirland erhebliche Befugnisse. Sie ist aber insofern nicht föderalistisch, als das Parlament uneingeschränkt rechtliche und politische Souveränität behält. Die Beziehungen zwischen den dezentralen Regierungen und der Zentralregierung haben sich deutlich verschlechtert, auch im brexitfreundlichen Wales.

Kontrolliert werden sollen die Gesetzgebungsbefugnisse durch die Sewel-Konvention, die zwar gesetzlich anerkannt, aber nicht rechtsverbindlich ist. Sie sieht vor, dass das Parlament „normalerweise“ keine Gesetze in dezentralen Angelegenheiten ohne die Zustimmung der dezentralen Legislative erlässt. Seit dem Brexit hat das Parlament in Westminster jedoch mehrfach Gesetze ohne diese Zustimmung erlassen. Dazu gehören vor allem der European Union (Withdrawal) Act 2018 und der UK Internal Market Act 2020 (der übereilt einen gemeinsamen britischen Markt nach dem Brexit regelte). Das waren keine Einzelfälle. Allein in den ersten beiden Jahren der walisischen Legislaturperiode 2021 verweigerte das walisische Parlament seine Zustimmung zu sechs Gesetzesentwürfen des Westminster-Parlaments, die dennoch in Kraft traten.

Die Labour Party hat dies erkannt. Der Bericht der Labour Commission on the UK’s Future unter dem Vorsitz des ehemaligen Premierministers Gordon Brown („Brown Report“) befasste sich unter der Schirmherrschaft von Labour vor allem mit der Verfassungsreform. Der Bericht empfahl, „rechtsverbindlich“ zu machen, dass der Gesetzgeber zustimmen muss (S. 103). Im Wahlprogramm von Labour wird diese Empfehlung relativiert: Die Partei verpflichte sich, die Sewel-Konvention zu „stärken“, indem sie „eine neue Vereinbarung darüber trifft, wie die Nationen für das Gemeinwohl zusammenarbeiten werden“ (S. 113). Das Wahlprogramm der Labour-Partei zielt im Großen und Ganzen darauf ab, die zwischenstaatlichen Beziehungen „neu zu gestalten“ – eine nicht nur kosmetische Änderung des Tons und Stils, die auch einen neuen Rat der Nationen und Regionen einschließen würde –, tut dies aber mit einer Zweideutigkeit, die insbesondere im Vergleich zu den konkreteren Vorschlägen des Brown-Berichts nicht gerade als konstruktiv bezeichnet werden kann.

Menschenrechte

Die Conservative Party wollte den Human Rights Act 1998 (HRA) in ihrem Wahlprogramm von 2015 „abschaffen“, ihn aber bis zum Brexit beibehalten, dann 2017 „überdenken“ und 2019 schließlich „aktualisieren“. Das Wahlprogramm von 2024 schweigt zum HRA.

Am lautesten befürwortete der Abgebordnete Dominic Raab die Abschaffung des HRA. Er wurde 2021 stellvertretender Premierminister und Justizminister. Im Jahr 2020 setzte die Partei die Independent Human Rights Act Review ein (Unabhängige Kommission zur Überprüfung des HRA), um zu untersuchen, welche Gründe dafür sprechen, den HRA aufzuheben oder zu reformieren. Als die Kommission 2021 Bericht erstattete, stellten die Tories zu ihrer Bestürzung fest, dass es dafür keine guten Gründe gab. Unbeirrt brachte Raab seine Bill of Rights Bill ein, der den HRA aufheben und durch ein viel schwächeres Gesetz ersetzen sollte. Dies hätte unweigerlich zu einer systematischen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geführt. Doch gemeinsam mit Raab fielen auch seine Gesetzesvorhaben in Ungnade. Ein Bericht stellte fest, dass Raab systematisch Beamte in drei Ministerien schikaniert hatte, und er trat im April 2023 zurück. Der Gesetzentwurf wurde zwei Monate später zurückgezogen, da der Premierminister keine Lust hatte, sich mit dem Oberhaus zu streiten.

Nachdem dieser Frontalangriff gescheitert war, begann eine heimtückischere Kampagne, die ich „Menschenrechte à la carte“ nenne. Seit 2021 sind vier Gesetze des britischen Parlaments verabschiedet worden (und kein einziges davor), die die Wirkung des HRA ausschließen oder ändern, soweit der HRA auf diese Gesetze anwendbar ist. § 3 des Safety of Rwanda (Aylum and Immigration) Act 2024 ist darunter der dramatischste, da er fast den gesamten HRA im Rahmen des Gesetzes außer Kraft setzt. Der Supreme Court kann zwar weiterhin eine „Unvereinbarkeitserklärung“ abgeben. Doch diese lässt die Gesetze unangetastet und gibt Kritikern des Straßburger Gerichtshofs oder der EMRK nur ein nützliches politisches Druckmittel an die Hand. Die ganze Situation zeigt, dass gesetzlicher Menschenrechtsschutz sehr real eingeschränkt wird – eine Entwicklung, die Stephen Gardbaum mit seinem „New Commonwealth Model“ der Verfassungsstaatlichkeit theoretisiert. Im Moment fühlt es sich nicht besonders verfassungsstaatlich an.

Die letzte Regierung hat die Versammlungsfreiheit durch den Police, Crime, Sentencing and Courts Act 2022 und den Public Order Act 2023 erheblich beschnitten. Beide Gesetze übertragen Befugnisse an die Regierung, um Proteste zu verhindern, die eine „ernsthafte Störung“ verursachen (etwa Lärm). Aber keines der Gesetze definiert, was das bedeuten soll. Stattdessen überlassen die Gesetze der Regierung erheblichen Spielraum dabei, den Begriff zu definieren – und kombinieren so geschickt das alte verfassungsrechtliche Problem der nicht rechenschaftspflichtigen delegierten Befugnisse mit dem neuen Problem der Kriminalisierung öffentlichen Protests. Die erste Reihe von Verordnungen über „schwerwiegende Störungen“ hat der Oberste Gerichtshof bereits verworfen, weil (vorhersehbar) versucht wurde, „schwerwiegend“ so zu definieren, dass es lediglich „etwas mehr als geringfügig“ bedeutet (Urteil hier, Pressezusammenfassung hier – die Entscheidung ist derzeit in Berufung). Der Gemeinsame Ausschuss für Menschenrechte des britischen Parlaments hielt beide Gesetze für unnötig und für einen mutmaßlichen Verstoß gegen die EMRK (siehe hier und hier).

Die Labour-Partei hat sich in ihrem Wahlprogramm unmissverständlich dazu verpflichtet, Mitglied der EMRK zu bleiben, was Sir Keir Starmer in seinem ersten TV-Duell gegen Premierminister Sunak am 5. Juni 2024 mit einer für ihn untypischen Unaufgeregtheit bekräftigte. Dies müsste sinnvollerweise heißen, dass Labour den „Menschenrechte à la carte“-Ansatz prinzipiell ablehnt. Aber prinzipielle Ablehnung ist nicht dasselbe wie politisches Engagement. Das Schattenkabinett weigerte sich bereits, sich dafür einzusetzen, dass die neuen Gesetze zur öffentlichen Ordnung aufgehoben werden.

Der Rechtsstaat und das Völkerrecht

Trotz der traditionellen Feindseligkeit gegenüber Klauseln, die die gerichtliche Kontrolle (selbst unbedeutender Gerichte) begrenzen, schränkt eine Reihe von Gesetzen den Zugang zu Gerichten nun eindeutig ein. Ich habe weiter oben bereits darauf hingewiesen, dass die Nicht-Justiziabilität von Prorogations- und Auflösungsberatungen gesetzlich verankert ist, aber der Illegal Migration Act 2022 enthält eine atemberaubende Anzahl von Einschränkungen (siehe z. B. §§ 5, 13, 42-43). Am dramatischsten ist, dass der Safety of Rwanda (Asylum and Immigration) Act 2024 die Republik Ruanda für die Zwecke der Abschiebung aus dem Vereinigten Königreich als sicheres Land einstuft, nachdem der Oberste Gerichtshof einstimmig entschieden hatte, dass dies offensichtlich nicht der Fall ist (R (AAA) v Secretary of State of the Home Department [2023] UKSC 42). Die Regierung behauptet, dass der Vertrag, den sie nach dem Urteil mit Ruanda geschlossen hat, alle im Urteil des Gerichtshofs genannten Probleme behebt – aber das entspricht weder der Ansicht des parlamentarischen Ausschusses für internationale Abkommen noch der des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge – und auch nicht der von irgendjemandem, der etwas darüber weiß und ehrlich ist. Solange das Gesetz in Kraft bleibt, kann nicht einmal der Premierminister die Abschiebung nach Ruanda blockieren, selbst wenn feststehen sollte, dass Ruanda tatsächlich unsicher ist oder geworden ist. Die „deeming“-Bestimmung in § 2 gilt für Gerichte; und untersagt es den Gerichten auch, sich auf das HRA oder ein internationales Gesetz zu berufen, um eine Abschiebungsentscheidung zu blockieren. In § 5 wird den Ministern lediglich die Befugnis vorbehalten, zu entscheiden, ob sie sich an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte halten oder nicht. Zwar wird der Safety of Rwanda Act in mehreren Verfahren gerichtlich angegriffen, aber nur wenige, die sich mit dem System auskennen, erwarten ernsthaft, dass die Gerichte irgendeine Bestimmung des Gesetzes formell außer Kraft setzen werden.

Premierminister Rishi Sunak hat dieses Gesetz und die Ruanda-Politik zu einem Kernstück seines Wahlkampfes gemacht. Die Labour-Partei hat sich zur Abschaffung dieses Gesetzes verpflichtet, und zwar nicht, weil es angeblich verfassungswidrig oder grausam ist, sondern weil es „nicht funktionieren wird“. Außerdem bekennt sie sich in ihrem Wahlprogramm zur „internationalen Rechtsstaatlichkeit“, was die Aufhebung des Rwanda Act bedeuten muss. Andererseits verspricht Labour extrem niedrige öffentliche Ausgaben. Da scheint es kaum möglich, die drohende Rechtsstaatskrise durch eine Rettung der kollabierenden Justiz abzuwenden.

Insgesamt gibt es Gründe für verfassungsrechtlichen Optimismus – nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass Sir Keir Starmer selbst ein führender Menschenrechtsanwalt war. Er ist auch Autor bedeutender Bücher über europäische und britische Menschenrechtsgesetzgebung. Man kann verstehen, dass er darüber momentan lieber schweigt.

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Unser Kommentar und weitere Infos

Wir finden es immer wieder faszinierend, wie aus den Artikeln des Verfassungsblogs auch nationale Eigenheiten herauslesbar sind. Die britische Art zu formulieren und dabei einen trocken-ironischen  Humor einfließen zu lassen,  ist weltweit wohl einmalig und unterscheidet sich auch deutlich vom amerikanischen Teil des angloamerikanischen Rechtskreises. Ob hingegen der Beginn des letzten Abschnitts, der von Optimismus spricht, ironisch gemeint ist oder einem Fehler in der Übersetzung zu verdanken, haben wir jetzt nicht überprüft. Denn aus dem gesamten Artikel spricht nicht einmal für den Fall Optimismus, dass Labour die nächste Regierung des Vereinigten Königreichs stellen könnte. Lediglich ein etwas mehr gedämpfter Pessismismus für diesen Fall lässt sich aus der gesamten Darstellung herauslesen. Dass es nicht noch viel schlimmer wird, bildet den Kern der Dämpfung. Zunächst einmal befassen wir uns mit ein paar Bewertungen.

Wo steht das UK aktuell in den führenden Indizes für Demokratie und Freiheit?

Das Vereinigte Königreich wird in verschiedenen Demokratie- und Freiheits-Indizes bewertet. Hier sind drei bedeutende Indizes und die entsprechenden Platzierungen des Vereinigten Königreichs:

Infoblock 1[1]

  1. **Demokratiematrix**:

   – Das Vereinigte Königreich belegt den 20. Platz mit einem Gesamtwertindex von 0.874 und wird als „Funktionierende Demokratie“ klassifiziert[1].

  1. **V-Dem (Varieties of Democracy) Indizes**:

   – Im V-Dem Electoral Democracy Index, der Aspekte wie Wahlrecht, freie und faire Wahlen, Vereinigungsfreiheit und Informationsfreiheit umfasst, wird das Vereinigte Königreich ebenfalls bewertet. Die genaue Platzierung für das Vereinigte Königreich in diesem Index ist nicht direkt angegeben, aber es ist bekannt, dass V-Dem umfassende und detaillierte Demokratiebewertungen durchführt[2].

  1. **Legatum Prosperity Index (Persönliche Freiheit)**:

   – Im Legatum Prosperity Index, der auch die persönliche Freiheit bewertet, rangiert das Vereinigte Königreich auf Platz 11 mit einem Wert von 80.70[3].

Diese Indizes bieten unterschiedliche Perspektiven auf die Demokratie und Freiheit im Vereinigten Königreich, wobei sie verschiedene Aspekte wie politische Rechte, bürgerliche Freiheiten und die Qualität der Regierungsführung berücksichtigen.

Nun zu den Indizes, die wir regelmäßig für unsere Berichterstattung heranziehen:

Die obigen Indenz stellen vor allem die wirtschaftliche Freiheit, also die Freiheit des Kapitals, in den Vordergrund – es versteht sich beinahe von selbst, dass Vereinigte Königreich dabei gut abschneideet. Hier sind die Platzierungen des Vereinigten Königreichs in den wichtigsten Demokratie- und Freiheits-Indizes von Freedom House, The Economist und Reporter ohne Grenzen:

Infoblock 2[2]

  1. **Freedom House**:

   – Im „Freedom in the World 2024“ Bericht erhält das Vereinigte Königreich eine Gesamtbewertung von 91 von 100 Punkten und wird als „frei“ eingestuft. Diese Bewertung basiert auf politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten[1][4].

  1. **The Economist Democracy Index**:

   – Im Democracy Index 2023 der Economist Intelligence Unit (EIU) erreicht das Vereinigte Königreich eine Punktzahl von 8.28 und wird als „vollständige Demokratie“ eingestuft. Dies platziert das Land unter den Ländern mit den höchsten Demokratiebewertungen weltweit[5][8].

  1. **Reporter ohne Grenzen**:

   – In der Rangliste der Pressefreiheit 2024 von Reporter ohne Grenzen (RSF) belegt das Vereinigte Königreich den 26. Platz von 180 Ländern. Diese Rangliste bewertet die Pressefreiheit anhand von fünf Indikatoren: politischer Kontext, rechtlicher Rahmen, wirtschaftliches Umfeld, soziokulturelles Umfeld und Sicherheit von Journalisten[3][6].

Diese Indizes bieten eine umfassende Bewertung der demokratischen und freiheitlichen Verhältnisse im Vereinigten Königreich aus verschiedenen Perspektiven.

Kommentar Teil 2

Die Demokratie in Großbritannien gilt allgemein noch als besser als diejenige der USA, kommt aber in der Regel eine schlechtere Bewertung als die deutsche und eine wesentlich schlechtere als die Systeme der führenden skandinavischen Länder. Seit der Aufklärung liegt Großbritannien aufgrund seine stark ständischen Systems, das in der Realität für große Ungleichheit sorgt, im Sinne nicht einer verfassungsmäßigen, sondern gelebten Demokratie ohnehin zurück hinter Staaten, die egalitärer organisiert wurden, als die Monarchien abgeschafft oder konstitutionell wurden.

Die Arbeiterklasse hatte in Großbritannien wuchtige Fürsprecher vor allem in der Literatur, von hier aus ging die Arbeiterbewegung erst um die Welt, aber Großbritannien erreicht nie die sozialen Standards einiger kontinentaleuropäischer Staaten. Die Konservative Reaktion seit den 1980ern hat dazu geführt, dass die Lage für die arbeitende Mehrheit sich beinahe kontinuierlich verschlechtert. Das änderte sich auch nicht wesentlich unter „New Labour“ (Tony Blair). Und so sieht es jetzt aus: Was die Konservativen auf den Weg gebracht haben, um Freiheit und Demokratie zu beschädigen, wird Labour wohl nicht vollständig zurücknehmen. Man kann froh sein, wenn es wenigstens zu einem Einhalten oder sogar zu ein paar kleinen Schritten kommt, die auf mehr Menschenrechte ausgerichtet sind.

Nur wenige der rechtlichen Vorgänge in Großbritannien, die die Exekutive, wie in vielen anderen Ländern, gegenüber der Judikate stärken und die Legislative zugunsten der Exekutive „vereinfachen“, finden bei uns das Interesse der Mainstream-Medien. Es sei denn, sie sind so spektakulär wie der Ruanda-Deal, wobei sich aber auch in diesem Zusammenhang mehr mit der Praktikabilität und den menschenrechtlichen Implikationen auseinandergesetzt wird als damit, was solche Gesetze und wie ihre Ausführung dem Zugriff der Justiz entzogen werden soll, für die Verfassung Großbritanniens als demokratischer Staat bewirken. Eine geschriebene Verfassung hat das Land bekanntlich nicht in dem Sinne, wie wir das Grundgesetz haben. Die Unzahl von Regelungen und Fällen, die die Verfassungswirklichkeit im Vereinigten Königreich herausgebildet haben, machen die Lage für Außenstehende unübersichtlich, aber auch spannend.

Was wir lesen, ist, dass Menschen- und Grundrechte stark eingeschränkt werden sollen bzw. bereits wurden, und wie bei uns ist es die Versammlungsfreiheit, an der die Politik gerne schraubt, um Proteste zu minimieren. Es sind auch die Rechte von Migrant:innen, die im Fokus stehen und teilweise auf ein beängstigende Art zurückgefahren werden. Wer zum Beispiel glaubt, die Remigrationsideen der AfD seien Hirngespinste und mit der deutschen Verfassungswirklichkeit nicht vereinbar – der hat zwar recht, aber diese Wirklichkeit lässt sich verändern. Wie das gehen könnte, hat wiederum der Verfassungsblog mit seinem Thüringen-Projekt und in weiteren Artikeln aufgezeigt.

Die Demokratie steht weltweit unter Druck. Wir haben vom Verfassungsblog noch nicht ein Editorial gesehen, das eine positive Entwicklung nachzeichnet. Oh doch: Polen! Der steinige Weg zurück in die Rechtsstaatlichkeit nach den PiS-Jahren. Ob dieser Weg gelingt oder die nächste rechtsnationale Welle ihn versperren wird, ist nach unserer Ansicht vollkommen offen.

Großbritannien war für uns noch nie der Maßstab für eine besonders menschenfreundliche und gerechte Gesellschaft, außerdem ist es aus der EU ausgetreten, insofern könnte man meinen, die Entwicklungen dort müssten uns nicht mehr so interessieren, als wenn sie zum Beispiel Vertragsverletzungsverfahren nach sich ziehen könnten, wie Ungarn derzeit schon lange eines „am Bein“ hat, ohne dass man den Eindruck gewinnen würde, dass die Fidesz-Regierung damit Probleme hätte.

Aber es geht um die Demokratie weltweit. Jedes Land, das sich rückwärts entwickelt, ist ein Verlust für den Kampf gegen Autokratie und für die Freiheit. Da gibt es auch keine Kompromisse. Entweder ist die Lage wirklich gut, oder sie wird zunehmend schlechter. Wirklich gut, diese Stange halten nur noch wenige Länder hoch, zu ihnen zählt nach unserer Ansicht auch Deutschland nicht, obwohl es in den Indizes, siehe oben, in der Regel besser dasteht als das UK. Wenn es erst einmal abwärts geht und die Bevölkerung nicht in den Aufstand geht, dann greifen die Mächtigen immer weiter durch. Rechtstendenzen befördern den Hang zum Autoritarismus und sind nur scheinbar an Bürgerrechten orientiert, wie es die AfD es im Osten in bestimmten Zusammenhängen für sich reklamiert hatte und damit erfolgreich war (nicht so sehr wie mit dem Migrationsthema allerdings).

Wir werden den Kommentar heute nicht sehr ausdehnen, denn leider hat sich unsere Haltung gegenüber dem UK durch diesen Konservativismus, der in den Brexit geführt hat, nicht ins Positive gewendet. Wie alle Gesellschaften, die diesen Weg gehen, wirkt auf uns auch die britische heute aggressiver, nationalistischer, mehr bereit, die Zivilisation schießen zu lassen, als das zum Beispiel während unseres ersten Aufenthalts dort in den 1980ern der Fall war, wenngleich Margaret Thatcher seinerzeit diesen Prozess schon einleiten half oder ihn gar initiierte. Freilich kommt, dieses Land betreffend, ein Bedauern, eine Melancholie und etwas wie das Gefühl, verraten worden zu sein, hinzu. Wir hatten uns dort einmal sehr wohlgefühlt und das, was wir von Deutschen, die zuletzt nicht als Touristen, sondern beruflich dort waren, gehört haben, klingt anders als das, was wir erlebt hatten.

Diese schreckliche Tendenz, uralte Feindbilder wiederzubeleben, geht regelmäßig mit Demokratieverlust einher, und beides zusammen ist beängstigend. Die Menschen empfinden offenbar ihr eigenes Dasein als immer weniger gewinnbringend und der Hass kehrt auf eine Weise zurück, die wir in unserer Jugend nicht für möglich gehalten hätten. Wir sind eben anders aufgewachsen, nämlich mit dem Grundgesetz in der Schultasche.

Wegen all dieser Entwicklungen und der daraus resultierenden Konfliktlagen, nicht, weil wir es für schick halten würden, haben wir heute in einem anderen Artikel auch über den Sinn einer atomaren Bewaffnung für Deutschland nachgedacht.

Weitere Artikel des Verfassungsblogs mit Auslandsbezug haben wir ebenfalls besprochen, eine nicht ganz vollständige Liste finden Sie hier:

TH

[1] Zitate zu Block 1:

[1] https://www.demokratiematrix.de/ranking

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratieindizes_%28V-Dem%29

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_pers%C3%B6nlicher_Freiheit

[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1102530/umfrage/ranking-der-demokratischsten-laender-nach-dem-democracy-index/

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Index_f%C3%BCr_wirtschaftliche_Freiheit

[6] https://www.kooperation-international.de/laender/europa/vereinigtes-koenigreich-grossbritannien/laenderbericht?cHash=c817c5a2b569bccec59af360042c9814&tx_contentaggregation_pages%5Baction%5D=list&tx_contentaggregation_pages%5Bcontroller%5D=AggregatePages

[7] https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/statista-lage-der-demokratie-100.pdf

[8] https://www.capital.de/wirtschaft-politik/vorbildlichste-demokratien-der-welt

[9] https://www.travelbook.de/reisen/visa-restrictions-index-welt-ranking-der-reisepaesse

[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratieindex_%28The_Economist%29

[11] https://de.statista.com/infografik/21036/laender-nach-freiheitsniveau/

[12] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/232866/umfrage/geschaeftsklima-in-grossbritannien/

[13] https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/policy_papers/PDF/2020/IW-Policy-Paper_2020_Vertrauensindex-2020.pdf

[14] https://www.nzz.ch/visuals/demokratieindex-tiefster-stand-weltweit-seit-35-jahren-ld.1728581

[15] https://www.ifo.de/DocDL/ifo_Studie_Flexibilit%C3%A4tsindex_Arbeitsmarkt_IHK_Impulse.pdf

[16] https://de.statista.com/infografik/20599/economist-democracy-index/

[17] https://www.sozialismus.de/kommentare_analysen/detail/artikel/welche-zukunft-hat-das-vereinigte-koenigreich/

[18] https://www.dw.com/de/demokratie-auf-dem-r%C3%BCckzug/a-60720547

[19] https://de.investing.com/indices/uk-indices

[20] https://de.wikipedia.org/wiki/Politisches_System_des_Vereinigten_K%C3%B6nigreichs

[2] Zitate zu Block 2:

[1] https://freedomhouse.org/country/united-kingdom/freedom-world/2024

[2] https://www.economist.com/graphic-detail/2024/02/14/four-lessons-from-the-2023-democracy-index

[3] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2024

[4] https://freedomhouse.org/country/united-kingdom

[5] https://en.wikipedia.org/wiki/The_Economist_Democracy_Index

[6] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/pressemitteilungen/meldung/rangliste-der-pressefreiheit-2024

[7] https://freedomhouse.org/countries/freedom-world/scores

[8] https://worldpopulationreview.com/country-rankings/democracy-index-by-country

[9] https://www.rog.at/pm/weltrangliste-der-pressefreiheit-2024/

[10] https://freedomhouse.org/sites/default/files/2024-02/FIW_2024_DigitalBooklet.pdf

[11] https://ourworldindata.org/grapher/democracy-index-eiu

[12] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/vereinigtes-koenigreich

[13] https://en.wikipedia.org/wiki/Freedom_in_the_World

[14] https://www.eiu.com/n/democracy-index-conflict-and-polarisation-drive-a-new-low-for-global-democracy/

[15] https://www.tagesschau.de/ausland/pressefreiheit-weltweit-102.html

[16] https://www.heritage.org/index/pages/country-pages/united-kingdom

[17] https://www.economist.com/international/2024/02/11/2024-is-a-giant-test-of-nerves-for-democracy

[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Rangliste_der_Pressefreiheit

[19] https://freedomhouse.org/country/united-kingdom/about-project-election-watch/2024

[20] https://www.timeout.com/uk/news/the-uk-is-officially-still-one-of-the-most-democratic-countries-in-the-world-021624

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