Kommentar 6
Der EU-Gipfel zur Flüchtlingspolitik ist vorbei. Die Ergebnisse sind im Groben in diesem Tagesschau-Beitrag nachzulesen. Ist man nun einer Lösung im Sinn einer gemeinschaftlichen Flüchtlingspolitik nähergekommen?
Sammellager in Europa und in Afrika und die Stärkung von Frontex, der gemeinsamen Sicherungseinheit für die Südgrenze Europas, also das Mittelmeer – und frisches Geld für die Türke, 3 Milliarden Euro, damit die Südostroute schön dicht bleibt.
Natürlich ist das nicht kein Ergebnis. Aber erstens ist alles andere vage geblieben und zweitens muss man sich fragen, was dies für eine Art von Ergebnis darstellt.
Das klingt nach nicht viel.
Es ist nur nicht viel, es klingt auch noch ausschließlich restriktiv. Es ist kaum zu glauben, dass angesichts der nun getroffenen Maßnahmen die Errichtung der „Sammellager“ auf europäischem Boden nur von „Freiwilligen“ durchgeführt werden soll, ganz abgesehen von dem Verfahren an sich, das mit einem klaren Abschreckungsziel verbunden ist. Aber dass auch die Aufnahme von Flüchtlingen überhaupt nun weiterhin auf freiwilliger Basis erfolgen soll und sich kaum noch Länder zu diesen Freiwilligen zählen werden, das ist ein weiterer Schritt rückwärts. Keine Solidarität in Europa, keine Solidarität mit den Geflüchteten. Und die von der Idee der Flüchtlingszentren in Afrika sind die betreffenden afrikanischen Länder auch nicht begeistert. Aber ich könnte mir vorstellen, dass dies eine Frage des Geldes ist, das man ihnen letztlich zur Verfügung stellt. Nur – auch hier ist der Abwehrcharakter der Maßnahmen natürlich sehr deutlich zu erkennen.
Angela Merkel hat außenpolitisch endgültig abgewirtschaftet, zumindest auf EU-Ebene, falls sie denn wirklich ein besseres Ergebnis wollte, denn zuhause passt ja die CSU auf, dass sich nichts voran bewegt.
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hat immerhin zugesichert, dass er Geflüchtete, die dort Asyl beantragt haben und nach Deutschland durchreisen, zurücknimmt – Verhinderung der „Sekundärmigration“ heißt der neue Begriff dafür.
Return to Sender, Adress unknown? In Frankreich wurden 2017 ca. 92.000 Asylanträge gestellt, in Deutschland 198.000 – falls von den 92.000 etwa 5.000 oder 10.000 nach Deutschland durchreisen, wird Frankreich die Rücknahme verschmerzen können, falls sie denn wirklich stattfinden wird. Und Deutschland könnte diese Menschen genauso gut hierbehalten. Ein absolutes Feigenblatt von einem Ergebnis. Und man darf nicht vergessen, Merkel und Macron sind sehr aufeinander angwiesen bzw. Macron versucht noch, Merkel zu mehr europäischer Initiative zu bewegen – allerdings in einem allzu sehr neoliberale Schieflagen perpetuierenden und zu sehr haftungsgeneigten Sinn. Das ist in einem System ohne echte Demokratie und ohne Steuer- und Sozialrechtseinheit keine Option, nur Risiken, die aus einer Systemschieflage entstehen, immer weiter zu vergemeinschaften, anstatt das System stabiler zu machen. Aber wie auf den genannten, für eine echt Europäisierung zentralen Politkfeldern eine Einigung und damit mehr Einheit erzielen, wenn nicht mal eine solidarische Aufnahme von Geflüchteten funktioniert, in der alle wenigstens einen Mindestbeitrag in Form der Aufnahme von einigen tausend Menschen im Jahr leisten? Derzeit utopisch.
Einige Länder haben sich nicht einmal symbolisch bewegt. Andere dafür real, sie nehmen keine Flüchtlinge mehr auf.
Wenn Deutschland das letzte Land ist, das dies noch tut, wird auch der innenpolitische Druck hier immer mehr zunehmen. Die CSU weiß sehr wohl, was sie tut, wenn sie Merkel vor sich her treibt.
Was ist von Italiens neuer Hartleibigkeit zu halten?
Vor allem ist sie neu. Die übrige EU hat Italien bisher allein gelassen, was zu teilweise chaotischen Zuständen geführt hat, das Ergebnis ist eine überwiegend rechte Regierung, deren Zustimmungswerte geradezu in den Himmel geschossen sind, als sie die Häfen in dieser Woche für zwei Flüchtlingsschiffe schloss. Für jemanden, der links denkt, grauenhaft, aber jetzt ist den Italienern der Kragen geplatzt und wir dürfen darüber nachdenken, welchen Anteil unsere Regierung daran hatte, dass es so kam. Jedenfalls hat der neue Regierungschef Guiseppe Conte sich im Vorfeld mehrfach auf Deutschland bezogen, als er klarmachte, dass es so nicht weitergehen kann wie bisher. Das Ergebnis ist nicht mehr Solidarität aller für alle, sondern, dass alle sich jetzt auf weniger Aufnahmebereitschaft als bisher in der Tat geeinigt haben.
Die Visegrád-Staaten haben Zuwachs bekommen. Selbst Länder wie Belgien und Schweden nehmen keine Geflüchteten mehr auf.
Wenn nun noch Macrons Popularitätswerte in Frankreich sinken, weil er weiterhin Menschen ins Land lassen will, wird auch er eine Kehrtwende machen und dann steht Deutschland so allein da, wie es 2015 ohne Absprache mit den Partnerländern gehandelt hat. Irgendwie kommt alles zurück, aber ich will mich nicht darauf stellen, dass die humanitäre Tat von 2015 als solche das Problem war, zumal ich den damaligen Motiven der Bundeskanzlerin misstraue und sie für möglicherweise gar nicht so humanistisch halte. Aber sie hätte vorher mit den anderen Europäern reden und Positionen klären müssen. Wenn die sich dann so gestellt hätten, wie die Visegrád-Staaten es getan haben, hätte sie immer noch gleich oder ähnlich entscheiden können.
Was wird nun aus den ca. 25 von 28 Ländern, die dichtmachen wollen? Verweigert Deutschland in Zukunft seine Zahlungen an die EU?
Es gibt Stimmen, die das fordern. Aber als die Forderungen kamen, waren es noch vier oder fünf renitente Länder im Osten. Wenn jetzt auch Nettozahler wie Belgien ausscheren, ist diese Idee eines Druckmittels wohl futsch. Ich halte sie auch für falsch, das habe ich in mehreren Beiträgen am Beispiel Polens und seiner Geschichte und der daraus erwachsenden psychologischen Disposition erklärt. Guter Rat ist mittlerweile nicht mehr nur teuer, teuer wird der Nahostkrieg sowieso für Europa immer mehr, so viele Waffen können im Gegenzug nicht exportiert werden, um das auszugleichen. Man muss angesichts des heutigen Gipfels auch mal etwas sarkastisch sein dürfen.
Wie wird es konkret weitergehen?
Wenn die europäischen Regierungen sich erhofft haben, mit den nun weiter zunehmenden Restriktionen den Rechtsdrall in ihren Ländern aufgehalten zu haben, sind sie nach meiner Ansicht zu kurz gesprungen. Aber die Situation ist so festgefahren, dass ein wirklicher Durchbruch – wieso schreibt die Tagesschau von „Durchbruch“, was ist das im Zusammenhang mit diesem Ergebnis für eine euphemistische Sprachverwendung?, dass also ein wirklicher Durchbruch in weite Ferne gerückt ist. Und wenn immer mehr Staaten eine Blockadehaltung einnehmen, dann bestimmen sie den Gang der Dinge. Den Rückwärtsgang, in diesem Fall. Und das wird weitere Verschärfungen der Handhabe auch auf deutscher Seite nach sich ziehen. Denn wir wissen, was die AfD daraus machen wird, wenn Deutschland sich als einziges Land noch halbwegs aufnahmebereit zeigt – und sie wird weiterhin zulegen. Sie wird als nächstes die SPD überholen und die sitzt in der Regierung, ist für alles mitverantwortlich und kann nichts dagegen tun. Ich glaube, die deutschen Regierungspolitiker werden sich lieber von links für ihre Inhumanität geißeln lasse als den Zusammenbruch des ohnehin erodierenden Parteiensystems zu riskieren, der ja in anderen europäischen Ländern schon stattgefunden hat.
Der Populismus siegt also – auch in Deutschland.
Ein Linker, der ethisch denkt, kann zu diesem Gipfel nichts anderes sagen als: Riesenscheiße! Ich mache mir zusätzlich Sorgen darüber, dass die AfD erst richtig durchstartet und vielleicht sogar noch weiter rechts stehende Kräfte an Boden gewinnen, wenn Merkel es nun so wirken lässt, als wenn Deutschland das einzige Land ist, das wieder einmal anders handeln will als alle anderen Europäer. Warum sie nun allein dasteht? Was ist nun die Folge einer ziemlich konfliktträchtigen innereuropäischen Finanz- und allgemeinen Krisenpolitik der letzten Jahre und was sind echte Nationalismen in anderen Staaten, die nichts mit der deutschen Politik zu tun haben? Zumal sie ja im Fall der Visegrád-Länder nicht so unter dem deutschen Spardiktat zu leiden hatten wie Südeuropa, sondern in dieser Sache sogar eher auf Merkels Seite oder neutral standen. Das egoistische Verhalten Europas tut mir leid für alle Geflüchteten. Und nicht nur das Verhalten Europas. Alle reichen Länder weltweit schließen zu oder haben es längst getan. Die europäische Position war ja bisher, insgesamt betrachtet, noch die humanste. Die Welt und vor allem die für die Kriege und Fluchtbewegen Verantwortlichen igeln sich immer mehr ein und gleichzeitig wird weiter gebombt, was das Zeug hält. Das kann ein sehr böses Ende nehmen.
© 2018 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
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