Angela Merkel: „Es muss mehr Ordnung in alle Arten der Migration kommen.“ (DIE ZEIT)

Medienspiegel 11 / Angela Merkel: „Es muss mehr Ordnung in alle Arten der Migration kommen.“ (DIE ZEIT)

DIE ZEIT befasst sich mit der gestrigen Generaldebatte im Bundestag zur Migrationspolitik und zum CDU-CSU-Kompromiss nach dem Krach am Wochenende zwischen Angela und Merkel und Horst Seehofer, die Letzterer mit Rücktrittsdrohungen verbunden hatte. 

  • Gerade haben wir uns erstmalig im neuen Wahlberliner mit „Merkel-Analyse“ befasst, aber eine Seite von ihr gar nicht erwähnt. Dass die Kanzlerin einen goldenen, hintergründigen Humor hat. Sie regiert das Land seit 13 Jahren und seit dem „offenen Herbst“ 2015 sind auch schon wieder fast drei Jahre vergangen. Und sie stellt sich hin, als habe sie soeben eine grundlegend neue Erkenntnis erhalten, die der Welt nun mitgeteilt werden müsse und redete dabei in einem für ihre Verhältnisse geradezu appellartigen Stil.
  • Wenn man Müller heißt, kann man keinen Marshallplan machen, sondern lediglich einen Müllerplan.
  • Es ist immer noch ein ungewohntes Bild, dass aus der echten Ecke des Plenarsaals im Reichstag kein Applaus kommt, wenn Angela Merkel spricht.
  • „Sie hätten doch auch mit einem Lächeln Jesus abgeschoben“, sagte der Fraktionsschef der LINKEn, Dietmar Bartsch, in Richtung CSU.
  • Diesen Satz, den die ZEIT zitierfähig fand, brachte mich auf etwas Grundlegendes, das mir aber schon lange im Kopf herumgeht:
    • Ich bin kein Kenner des Asylverfahrens, aber wie hätte Jesus nachweisen wollen, dass er von den Römern politisch verfolgt wird? Indem das für die Antragsbearbeitung zuständige Amt bei der Administration von Jerusalem oder Pontius Pilatus nachgefragt hätte? Vielleicht waren die Römer wirklich so gut organisiert, dass sie dazu in angemessener Zeit hätten Auskunft geben können, unter Berücksichtigung der damaligen Nachrichtentechnik vielleicht innerhalb von ein paar Wochen, so lange dauern Asylverfahren heute auch. Aber Jesus war doch ein wichtiger Staatsfeind, wenn nicht die Nummer Eins. Hätten die Römer also ehrlich geantwortet und nicht alles getan, um Jesus wieder in die Finger zu kriegen, um an ihm ein Exempel zu statuieren? Gar einen Auslieferungsantrag gestellt, weil er in ihren Augen ein Aufwiegler und Terrorist des salbungsvollen Wortes war, der den römischen Imperialismus mit seinen Friedens- und Pazifismusgedanken auf besonders heimtükische Weise infrage stellte („Stell dir vor, es ist Krieg und alle halten die andere Wange hin“)?
    • Nebst solchen Effekten sind in heutigen Kriegsgebieten vielfach die Administrationen in Auflösung und gar nicht in der Lage, Informationen zur Verfügung zu stellen und wenn wirklich jemand Wichtiges in Deutschland Asyl beantragt, würde man dann sagen: Okay, könnt ihr behalten, sind froh, dass er / sie weg ist. Ist es nicht vielmehr so, dass man auf die Angaben der Asylsuchenden angewiesen ist und lediglich eine Plausibilitätsprüfung machen kann, was ihre Angaben zur eigenen Person, zu den Vorkommnissen am bisherigen Lebensort etc. angeht und zum Beispiel die politische Einstellung, Arbeit und daraus resultierende Verfolgung nur glauben kann oder nicht? Einfacher ist es sicher, wenn jemand einer Ethnie oder Religion angehört, die in der Gegend, aus welcher er / sie nachweisbar stammt, gerade verfolgt wird. Aber sicher ist nichts und die Befürchtung, dass diejenigen, die von versierten Schleusern mit den besten und nach bisherigen Erfahrungen bewährtesten Geschichten gebrieft werden, die also auch einen gewissen Aufwand für ihre Flucht betreiben können, am leichtesten Asyl erhalten, muss mir erst einmal jemand schlüssig widerlegen.
    • Sicher haben solche Erwägungen eine Rolle gespielt – die Probleme mit der Überprüfung -, als im Zuge der Krise 2015 syrischen Immigrant_innen generell Asylstatus zugebilligt wurde, zumindest für eine Zeit. Sie werfen aber ein Schlaglicht darauf, wie schwer Gerechtigkeit im Asylverfahren herzustellen ist, wenn man als Antragsteller_in keine zuverlässige Möglichkeit hat, Aussagen zu beweisen, die andere Seite sie auch nicht überprüfen kann. Und letztere Möglichkeit besteht in Syrien oder dem Irak oder Afghanistan, die alle nicht mehr als funktionierende Staaten gelten können, kaum.
  • Unter diesem Aspekt ist der Satz „Ordnung in Migrationsfragen“ neben der humoristischen Seite auch eine typische Merkel-Nebelkerze. Von Deutschland aus lässt sich da keine Ordnung hineinbringen und internationle Kooperation müsste stattdessen so ausgefasst sein, dass sie Fluchtursachen nachhaltig beseitigen würde; dass klar wäre, dass Menschen, die aus einem bestimmten Land kommen, dies aus wirtschaftlichen Gründen tun. Und dann könnte man sich eine kohärente Einwanderungspolitik überlegen, die diesen Gründen, die durchaus schwerwiegend sein können, aber auch den hiesigen Belangen, insbesondere realistischen Überlegungen zur Aufnahmekapazität, Rechnung trägt.
  • Falls Angela Merkel aber die Ordnung in der europäischen Handhabe der Migrationspolitik meint: Eigentlich ist doch alles klar. Wenige gutwillige Länder tun ein bisschen was und alle zusammen sorgen dafür, dass künftig weniger zu tun ist, indem sie die Grenzen besser sichern und einige tun nach wie vor gar nichts. Die Namen innerhalb der verschiedenen Gattungen von Ländern sind bekannt, Zweifel so gut wie ausgeräumt. Lediglich die verschiedenen „Lagerverfahren“ bedürfen noch ihrer Ausgestaltung und in der Folge ihrer Optimierung. Wegen solcher Vorzeichen kann ich verstehen, dass Linke zuweilen auf eine ziemlich  unordentliche Weise allergisch reagieren, wenn der Begriff „Ordnung“ den Diskurs zu bestimmen droht.

© 2018 Der Wahlberliner, Thomas Hocke


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