Thüringens Ministerpräsident Ramelow – keine Gefahr durch #Aufstehen / #BodoRamelow #Thüringen #Wagenknecht #Lafontaine #Ministerpräsident

Kommentar 62

Der Ministerpräsident Thüringens, Bodo Ramelow, hat sich  nun relaxed zu „Aufstehen“ geäußert, anders als einige weitere Spitzenpolitiker der LINKEn das in den letzten Tagen getan haben und meint „Sammlungsbewegung keine Gefahr für Linke“ (Titel MDR). Wir versuchen eine kurze Einordnung. 

„Ramelow sagte auf dem Jahresempfang der Linken in Erfurt, er habe nichts gegen eine Sammlungsbewegung. „Alle, die zusammen über die Parteigrenzen hinweg etwas für die Menschen und das Land tun wollen, sollen sich eingeladen fühlen, es gemeinsam auf den Weg zu bringen. Wogegen ich etwas habe ist, wenn man sich gegenseitig ausgrenzt“, so der Ministerpräsident.“

Das klingt doch wirklich recht entspannt. 

Niemand ist derzeit wirlich entspannt, der sich mit linker Politik befasst. Aber einen unaufgeregten Ansatz kann man trotzdem versuchen.

Ich habe z. B. versucht, ältere Aussagen von Ramelow zu „Aufstehen“ zu ermitteln, aber leider auf die Schnelle nichts Wesentliches gefunden. In meiner Erinnerung gibt es aber Aussagen von ihm, die nicht so freundlich waren. Vor allem hat der Chef der Thüringer Staatskanzlei, Benjamin Hoff, der FAS vor ein paar Tagen gesagt: „Wir gegen die Politik da oben – das ist ein Trend in der politischen Debatte. Auch die Sammlungsbewegung bedient das. Das ist antiaufklärerisch.“ Mir kommt das ein wenig nach „Guter Onkel, böser Onkel“ vor. Hoff macht solche Aussagen sicher nicht, ohne sich mit seinem Chef Ramelow abzusprechen. Aber in gewisser Weise passt es ins Bild.

Man geht mit allen Richtungen? 

Man geht nicht so schnell. Man muss immer erst die Situation und die Person betrahten. Bodo Ramelow hat für mich eine Sonderstellung, als erster Ministerpräsident, welcher der LINKEn angehört. Das hat er erreicht, das ist ein Meilenstein. Bei der Landtagswahl 2014 kam DIE LINKE unter seiner Führung 28,5 Prozent der Stimmen. Die CDU blieb stärkste Partei und ist es nach Umfragen weiterhin, aber Ramelow konnte mit der SPD und den Grünen zusammen die bisherige CDU-Regierung ablösen. Rein stimmenmäßig führt er eine Minderheitsregierung, aber da die FDP und einige andere es nicht in den Landtag geschafft hatten, fallen deren Stimmen aus der Betrachtung und es reichte für die genannte rot-rot-grüne Koalition knapp für eine Mehrheit der Mandate. Gegenwärtig hätte diese Koalition aber keine Chance mehr auf Fortsetzung. Bis auf die Grünen, die bundesweit zulegen, stehen alle Beteiligten nach Umfragen schwächer da als am Wahlabend 2014.  Allerdings zeichnet sich bei der LINKEn eine deutliche Erholung ab, während die SPD bereits von oben an der Einstelligkeit kratzt. Es gelingt außerdem nicht, die AfD niederzuhalten, die permanent bei 18 oder 19 Prozent liegt, bei der Wahl 2014 waren es noch 10,6 Prozent. Im Vergleich zu Umfragen für andere Ost-Bundesländer ist das allerdings ein moderater Wert.

Das ist die Ausgangssituation, wie ist danach Ramelows Haltung zu verstehen?

Bodo Ramelow ist für mich das Paradebeispiel eines durchsetzungsstarken Pragmatikers, der außerdem noch den Charme hat, aus einfacher beruflicher Laufbahn aufgestiegen zu sein und tatsächlich behaupten zu können, er sei werktätig gewesen, was unter linken Spitzenpolitiker_innen ja kaum noch vorkommt. Aber genau dadurch wird man wohl zum Pragmatiker und weiß den Dingen ihren Rang zuzuweisen: Sachpolitik vor Zickenkrieg, beispielsweise. Er hat für die PDS die Verhandlungen mit der WASG im Wege der Vereinigung zur LINKEn geführt und nach dem, was man liest, muss er dabei recht gut abgeschnitten haben. Immerhin war sein Widerpart Oskar Lafontaine. Es war  ein Duell Wessi gegen Wessi, Ramelow stammt aus Niedersachsen, wo die Leute durchaus stur können, wie sich an Typen wie Gerhard Schröder gut belegen lässt. Aber ich will hier keinen Charaktervergleich anstellen, der ist nicht in ein paar Sätzen abzuhandeln.

Ramelow obliegt eine schwierige Aufgabe. Er regiert das Bundesland im Osten, das nach Sachsen die zweitbeste wirtschaftliche Entwicklung seit der Wende genommen hat. Und die Menschen dort haben ihn nicht wirklich ins Amt gewählt, die CDU war nun einmal immer die stärkste Kraft, es gibt keine Wahl und keine Umfrage, die etwas anderes ausweisen würde. Ramelows vielfach in der LINKEn kritisierter Pragmatismus ist für mich auch dadurch bestimmt, dass er nichts falsch machen will. Wenn die Wirtschaft in Relation zu anderen Ost-Bundesländern schlechter laufen würde oder irgendwelche starken Linksverschiebungen in der Innenpolitik stattfänden, würden nicht nur die recht konservativen Thüringer_innen das als Beleg für die traditionelle Erzählung ansehen, dass links keine „vernünftige“ Realpolitik kann.

Gerade am Beispiel von Ramelow lässt sich gut erläutern, was ich zuletzt festgehalten habe: Eine Partei in Bewegung oder eine Partei plus eine Bewegung müssen unbedingt ein strukturiertes Management aufbauen, in dem Pragmatiker, Theoretiker, Kreative und Administrative miteinander so kooperieren, dass eine wirkliche Vorwärtsbewegung möglich ist und immer neu verifiziert und angeschoben werden kann. Eine Partei, die Macht will, braucht Politiker wie Ramelow, aber hätte sie nur solche, wäre sie viel zu wenig kapitalismuskritisch nach vorne gerichtet, das muss von anderen führenden Köpfen immer im Blick behalten werden. Jeder hat seine Fähigkeiten und seinen Stil, aber alle müssen sich darauf vereinbaren, dass der Stand von heute oder irgendein realistisches Zwischenziel nie das Ende der Fahnenstange sein darf.

Das Ergebnis heißt also, Ramelow hält sich alle Optionen offen? 

Er muss zum Beispiel damit rechnen, dass er 2019 nicht weitermachen kann, so, wie die Umfragewerte derzeit aussehen. Und es wäre sogar möglich, dass in Thüringen die erste Schwarz-Rot-Koalition entsteht. Aber dann würde die stärkere Partei den Ministerpräsidenten stellen. Daher die Farben in der genannten Reihenfolge. Das heißt, Ramelow würde massiver Kritik in der eigenen Partei ausgesetzt sein, wenn er als Vize-MP mit der CDU geht. Nehmen wir nun an, er macht das oder aber er sagt, unter den Bedingungen will ich nicht weiter und lieber was anderes in der LINKEn angehen – und redet gleichzeitig mit Sahra Wagenknecht, obwohl die beiden auf mich nicht wie enge Freunde wirken: Er versichert ihr seine Loyalität und hat dafür den Rücken frei für seine hoch pragmatische Landespolitik oder was immer dann für ihn kommt, falls die Bewegung mächtiger wird als DIE LINKE oder DIE LINKE doch sozusagen Kraft ihrer Stärke erobert, was ja auf parteidemokratischem Weg nicht möglich war. Egal, wie sich die Dinge weiterentwickeln und ob DIE LINKE sich spaltet, seine Zukunft wäre damit einigermaßen gesichert. Auch in der Bewegung, falls sie Partei würde, denn er ist nun einmal ein wichtiger Kopf, auf den man ungern verzichtet, wenn er sich in der Realpolitik schon bewährt hat und der eben fast 30 Prozent der Wähler in Thüringen hinter sich bringen kann. Von solchen Werten ist die Parteispitze auf Bundesebene weit entfernt. Also ist die Lesart, dass er seinen Kanzleichef Hoff die Kritiker von Wagenknecht bedienen lässt, um bei der Parteispitze zu bleiben und selbst schlägt er moderatere Töne an. Würde ich an seiner Stelle haargenau so machen, um nicht in den Graben zu fallen, wenn dieser sich dann doch so richtig auftun sollte, zwischen den Lagern in der LINKEn.

Vor ein paar Tagen hat Ramelow sich aber doch noch ein wenig anders gezeigt: Er verwies auf die Erfurter Erklärung von 1997. Sein Statement, dass die daraus entstehende Bewegung 40.000 Menschen auf die Straße gebracht habe, ist ja so zu verstehen, dass „Aufstehen“ das erst einmal zeigen müsse. 

In jenen Jahren war es einfacher, Menschen zum Mitgehen oder sogar zum voran gehen zu aktivieren. Jahrelanges Merkeltum hat seitdem viele mürbe gemacht. Am Ende der Ära Kohl gab es eine richtig Wechselstimmung, daran erinnere ich mich gut – die leider dazu geführt hat, dass die Menschen von seinem Nachfolger Gerhard Schröder furchtbar enttäuscht wurden. Auch das hat eine Lähmung verursacht, der SPD-Rechtsruck-Schock saß bei vielen tief.

Heute die Menschen zum Aufstehen zu bringen, ist eine größere Aufgabe als im ersten Nachwendejahrzehnt, als ständig irgendwelche Verbände, Verbünde, Gewerkschaften, Parteien sich zusammensetzten und sagten, so geht’s nicht weiter, das muss wieder alles sozialer werden. Wir wissen, wo es seitdem hingegangen ist. Nach der Wende war ein großer Drive, eine Motivation da und auch schon Wut darüber, wie die Dinge insbesondere im Osten liefen. Alles nicht mit heute zu vergleichen, wo Merkel mit ihrem Niedriglohn- und Teilzeit-Jobwunder die Menschen einlullt, während die sozialen Schere immer weiter aufgeht. Da ist ein gefährlicher Gewöhnungseffekt eingetreten, soziale Missstände betreffend.

Deshalb ist Ramelows Vergleich zu einem Ereignis bzw. einer Erklärung von vor 21 Jahren problematisch, aber natürlich kann ich verstehen, dass er mal darauf hinweisen wollte, dass er frühzeitig verstanden hat, wie man einen Aufruf unterzeichnet und damit ein Zeichen setzt und wie breit damals die Front für ein Zurück zu besseren sozialen Zuständen war.

Was hat es mit dem Schlusssatz auf sich: 

Wogegen ich etwas habe, ist, wenn man sich gegenseitig ausgrenzt.“?

Jemandem, der mit an der Vereinigung von WASG und PDS beteiligt war, muss die gegenwärtige Spalter-Mentalität ein Gräuel sein. Weil sie natürlich auch einen Teil seines Lebenswerks bedroht. Ich glaube, dass er mehr auf der Seite der Funktionäre steht, aber ich habe schon mehrfach geschrieben, dass ich dieses Auseinanderdriften nicht so einseitig sehe, das wir derzeit bemerken. Ich schaue mir immer den Stil von Menschen an, den sie anderen gegenüber zeigen, nicht nur die Positionen. Und daher habe ich, sagen wir mal, ebenso wie wohl Ramelow, Verständnis für alle Seiten – und ebenso Kritik an allen Beteiligten zu üben.

Das  heißt nicht, dass ich selbst ein Vereinigungstyp wäre, aber natürlich ist Vereinigung genau das, was wir brauchen und was es leichter macht, bei „Aufstehen“ teilzunehmen. Nur – die neue linke Vereinigung braucht wirklich ein Management, das verhindert, dass die zu beobachtenden Egoismen die Sache sabotieren und wieder sehr viele Menschen traurig und enttäuscht sein werden. Die Fahrlässigkeit, mit der Politiker seit vielen Jahren mit Hoffnungen von Menschen umgehen, ist demokratiegefährdend und jede zerstörte Hoffnung lässt die Basis weiter erodieren. Wir bekommen dann aber nicht eine super revolutionäre Situation, sondern einen Rechtsdrall und den haben sich die Politiker, die nur ihr eigenes Ding im Kopf hatten, auch verdient.

Die Gefahr sieht ein Bodo Ramelow sicher deutlich vor Augen, schließlich rumort es auch in seinem Bundesland – und erst nebenan, in Sachsen.

Ausgrenzung zerstört die Kraft, die dem linken Sein innewohnen kann. Das gilt übrigens auch für das ganze Cluster- und Gruppendenken, das gerade in der LINKEn bis zum Exzess getrieben wird.

In der Wikipedia kann man weiter nachlesen, dass es Ramelow endlich geschafft hat, als Wahlkampfmanager der PDS und vor der Vereinigung zum Beispiel die linken Jugendverbände zusammenzuführen. Sowas meine ich, das gehört zum pragmatischen Management. Dafür kann man Ramelow halt sicher nicht die programmatische Weiterentwicklung überlassen, die müssen Menschen wie Wagenknecht unter die Leute bringen. Und sich dabei auch immer wieder in den Dienst der Sache stellen, gerade, weil es ja ihre Sache ist. Wenn es wirklich zu etwas führen soll, ist „Aufstehen“ eine gleichermaßen kostbare wie anspruchsvolle Idee und jeden Tag frage ich mich, ob das wirklich allen bewusst ist, die sich dafür oder dagegen stark machen.

© 2018 Der Wahlberliner, Thomas Hocke


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