In eigener Sache / Kommentar 65
Nach dem NetzDG und dem Stress, den vor allem kleine Netzpublikationen wie wir mit der DSGVO hatten, kommt nun der neue, bundesweite Medienstaatsvertrag und schon wieder geht es um die Meinungsfreiheit. Ganz vorne beim Anprangern natürlich wieder die Nachdenkseiten: „Alternativmedien, wehrt euch!“
Irgendwie ist dieser Beitrag im Verlauf mehr zum Nachdenken über den Wahlberliner und die eigene Stellung zu allem geworden, als vorgesehen. Aber offensichtlich wollte da was raus – deshalb die führende Rubrizierung als „in eigener Sache“.
Als ich den Titel las, dachte ich, Albrecht Müller sei mal wieder persönlich auf dem Kriegspfad gegen das System. Aber so dicke kam es dann gar nicht, manchmal dürfen auch jüngere Autoren ran und der Beitrag ist recht ausgewogen, durch die Verlinkungen auch informativ. So, wie ich mir manchmal das ganze Setting der NDS mehr wünschen würde. Womit ich nicht meine, dass ich allgemein einen Mangel an Verlinkungen und Quellenangaben zu bemängeln habe.
Wir werden mit unserem Angebot hier in nächster Zeit keine Probleme bekommen, da bin ich recht sicher. Außerdem hat doch Angela Merkel gestern erst wieder im Zusammenhang mit der – sorry – bescheuerten Angelegenheit „Dresden die Xte“ (die Pegida-Demo, der LKA-Mann privat mit Deutschlandhut als „Hutbürger“, das ZDF-Kamerateam, die Polizei „Pergida“) wieder betont, sie sei für die Pressefreiheit. Es gab Zeiten, in denen die Absicht, diese zu gewährleisten, nicht eigens betont werden musste, aber immerhin. Man nimmt ja dankbar jedes Zeichen entgegen, auch wenn es nicht wirklich beruhigt.
Deswegen sollte man den Vertragsentwurf, der in Wirklichkeit ein Gesetzesentwurf ist, wenn und soweit erhältlich, studieren und gegebenenfalls unter Verwendung dieses Kontaktformulars mit den Machern in Verbindung treten. Echte Partizipation wäre auch im Umgang mit den Medien ein großer Fortschritt für die „Kleinen“ im Netz.
Was sind eigentlich „Alternative Medien“?
„Alternative Medien sind Medien, die sich in Bezug auf Inhalt, Produktion oder Vertrieb von etablierten oder dominanten Medien unterscheiden. Alternative Medien nehmen viele Formen an, einschließlich Print, Audio, Video, Internet und Street Art.“
Die vorstehende, halbwegs handhabbare Definition habe ich in der englischsprachigen Wikipedia gefunden, aber die folgenden Beispiele weggelassen, weil sie nicht den Kern deutscher Verhältnisse treffen, in denen sich die Alternativmedien vor allem als politisch alternativ denkend und in diesem Sinn Einfluss nehmend sehen, nicht so sehr als Publikationen, die Gruppeninteressen befördern sollen.
Vielleicht anhand der neuen Meinungsfreiheitsdiskussion etwas Nabelschau – ist der „Wahlberliner“ ein Alternativmedium?
Der Wahlberliner ist vor allem noch winzig. Der Neustart ist wirklich ein kompletter Neuaufbau, und zwar auf niedrigerem Ausgangsniveau als in der Urversion von 2011. Nicht die Qualität der Beiträge betreffend, aber die Klickzahlen sind erstmal niedriger. Das Netz ist ganz schön prekär geworden.
Ich muss eine Unterscheidung vornehmen. Viele Alternativmedien sind echte Gegenmedien. Die Mainstream-Medien sind Staatspropaganda, so die Lesart und wir müssen dagegenhalten. Und Publikationen dieser Art gibt es Dutzende, die zum Teil mit ebenfalls wieder staatlichen Propagandamedien zusammenarbeiten. Da ist eine Blase entstanden, die sich gegenseitig unterstützt und referiert und zitiert. Aber Medien, die versuchen, sich ganz unabhängig zu stellen, sind sehr selten. Ich würde das gerne, soweit psychologisch und kognitiv möglich, zu einem besonderen Merkmal des Wahlberliners machen, sich dieser Medien zu bedienen, sich aber nicht bedingungslos in die Kampflinie zu stellen. Denn das würde den Wunsch nach – zwangsläufig nicht objektiver, aber eigenständiger – Bewertung politischer Kräfte und Vorgänge verunmöglichen.
Diese Zwischenstellung ist doch besonders anstrengend und man kann damit kaum Freunde gewinnen, der Mensch will Eindeutigkeit, klare Freund-Feind-Schemata.
Gestern habe ich erstmals Facebook-Freunde aus meinem politischen Umfeld verloren, denen meine Beiträge wegen der Menge oder Länge zu viel sind und / oder die ihre Inhalte missbilligen. Da ich die Menschen persönlich kenne, will ich nicht sagen, dass mich das nicht betroffen gemacht hat. Aber manches ist auch eine Frage der mentalen und intellektuellen Spannkraft: Halte ich es aus, dass jemand, den ich doch eigentlich schätze, sich kritisch zu etwas äußert, dem ich mich gerade verschreibe und empfinde ich das als „madig machen“ und es stört mich bei der Identifiktion mit einem Projekt so sehr, dass ich den Kontakt mit der betreffenden Person auf einer Netzwerk-Ebene einstelle?
Geht es dabei um „Aufstehen?“
Das müsste der Grund gewesen sein, sonst gab es in den letzten Tagen nichts, was jemanden aus meiner „Blase“ hätte verprellen können. Natürlich hat jeder seine Anteile an solchen Vorgängen. Ich müsste meine Kritik stärker mit Aktivität koppeln – aber nicht jeder kennt die Gründe, warum das im Moment nicht so geht und das soll auch so bleiben. Bei einem davon geht es um eine Form von Vertrauen, die man nur wenigen Menschen gegenüber aufbringen kann.
Vielleicht ist es aber auch der Ton?
Der vermutliche Auslöserbeitrag „#Aufstehen – und als Fünfte Kolonne Moskaus losmarschieren!“ war natürlich vom Titel eine Provokation und ich hätte anstatt des Ausrufezeichens ein Fragezeichen setzen müssen. Mein Fehler. Aber wenn man meine oft etwas ironisch gehaltenen Beiträge wirklich liest, kommt man im Verlauf einer differenzierten, manchmal auch dem bewusst knackig gehaltenen Titel entgegenstehenden Haltung auf die Spur, hin und wieder sogar zu einer Pointe, sowas kann ich, weil ich auch fiktional schreibe. Nur, man muss sich diese Mühe eben machen – und das können oder wollen viele nicht. Bei den Personen, von denen ich hier rede, weiß ich das sogar, weil sie sich eine von ihnen bereits darüber beschwert hat, dass ihr meine Beiträge zu lang sind, notabene zehn Minuten der ungeteilten Konzentration erfordern könnten.
Nur, auf der Basis können wir dann eben nicht befreundet sein, denn das etwas Ausführliche, Reflexive und auch manchmal Analytische gehört zum Stil dieser Publikation. Dass man es dann nicht laufen lässt und halt nicht mitliest, sondern sich genervt zeigt, ist auch wieder eine Stilsache. Ich bin schon gespannt, wie sich das bei der nächsten Realbegegnung dann ausnimmt.
Psychologisch: Wir schauen’s uns an und dann packen wir’s weg?
Bisher handelt es sich um Ausnahmen. Außerdem läuft es auf Twitter immer besser. Ich habe den Eindruck, dieses Medium kann ich mehr „bedienen“, also steuern – und mehr dazu beitragen, wie es sich entwickelt. Dabei sind die Hashtags eine große Hilfe, auch wenn sie die Titel der Beiträge verschandeln und überall sichtbar sind, weil ich Twitter über ein automatisiertes Teilen bediene und nicht jede Plattform einzeln bestücken will. Ebenso bei Google+. Nur bei Facebook gehe ich sozusagen manuell vor, weil ich die Kulturbeiträge an den Autorenaccount weiterleite, die politischen an den Hauptaccount, im Wesentlichen jedenfalls.
Ich prüfe gerade, ob ich einen eigenen Account für den Wahlberliner einrichten soll, um nicht noch mehr Probleme mit Menschen zu bekommen, die ich mag, die aber politisch meine manchmal nervig kritische Art als zu destruktiv empfinden könnten. Wer es trotzdem haben will, könnte sich dann auch als Freund_in für den Wahlberliner-Publikationsaccount anfragen, der aber vor allem sein eigenes, im Realleben nicht mit mir verbundenes Publikum aufbauen sollte. Ich habe die ersten Schritte unternommen, aber gegenwärtig wurschtelt Facebook an der Fotofreigabe herum, obwohl das Bild dasselbe ist, das ich auch für meine beiden anderen FB-Seiten verwende. Das Vorgehen würde dann so aussehen, dass dieser Account mit allen Beiträgen gefüttert wird und ich individuell entscheide, was ich von dort an den Autoren- und den Hauptaccount weiterleite.
Kann man überhaupt gleichzeitig medial und politisch aktiv sein?
Einfach ist das nicht, weil man aus der medialen Distanz heraus, sofern man sich eben nicht als Propagandamaschine aufstellen will, nicht diesen festen Glauben an etwas entwickeln kann als wenn man mittendrin ist und Teil eines gruppendynamischen Prozesses. Wenn man sich doch entschließt, die Insel zu verlassen, hat man sofort wieder ein Problem mit der hinreichenden Distanz, am besten sollte man in dem Fall nur noch Gastbeiträge aus dezidierter Sichtweise schreiben, bei mir also im Sinn der Ziele meiner Partei oder von #Aufstehen. Dann müsste aber jemand anderes den kritischen Part übernehmen, sonst wäre diese Publikation sinnlos oder würde sich zu einem typischen Mee-too-Objekt wandeln, das nichts Überraschendes mehr bieten kann, weil es nur noch vorgefertigte, wohlbekannte Meinungen von Spitzenpolitiker_innen weiterleiten würde. Aber ich suche intensiv nach weiteren Sonderstellungsmerkmalen, die den Wahlberliner insgesamt optimistischer und aktivistischer wirken lassen. Die Kulturbeiträge sind ja auch ihren Gegenständen zugeneigt, um es so auszudrücken, während mich der gesamte Politikbetrieb nicht froh macht, weil ich einen Aufbruch hin zu Systemveränderungsmöglichkeiten vermisse – und das merkt man natürlich an der Tendenz und Diktion meiner Artikel.
Wir haben doch selbst mal kritisiert, dass z. B. der Nachdenkseiten-Macher Albrecht Müller eine starke Negativ-Motivation zur Grundlage seiner Medienarbeit gemacht haben dürfte.
Aber er propagiert hemmungslos, anstatt zum Nachdenken anzuregen, überwiegend jedenfalls. Dieses sehr Einseitige wollen wir hier ja gerade in Grenzen halten. Es gibt übrigens eine Ausnahme, und die ist wieder sehr typisch: #Aufstehen. Allein, dass Müller rein aus persönlichen Gründen wie eine Eins hinter Oskar Lafontaine steht, weil die beiden befreundet sind, stellt für mich den Wert und Sinn der gesamten NDS infrage: Weil es so unglaublich subjektiv ist und nicht ansatzweise kritisch. Selbst RT Deutsch ist da etwas ausgewogener, wie wir anhand weiterer Artikel-Analysen noch sehen werden.
Wenn in Publikationen wie den NDS immer davon geredet wird, dass die Medien, die Parteien insgesamt und quasi jede politische Person unterwandert ist, dann gilt das anscheinend für diesen Leuchtturm-Ausnahmefall nicht, obwohl z. B. bei Lafontaine Einflüsse aus einer ganz bestimmten Ecke in Frankreich sehr deutlich wahrnehmbar sind, die ich auch bei Heiner Flassbeck und seinen wirtschaftspolitischen Ansätzen sehe. Das ist eben eine Blase, eine wie viele andere. So muss man das sehen und kann sich entscheiden, ob man dies als nicht so schlimm findet wie andere Einflüsse, etwa diejenigen bei den Transatlantikern, und ob man nach aller Abwägung irgendwo mitmacht, wohlwissend, dass es das perfekte politische Setting nicht gibt. Wenn ich die NDS-Herangehensweise hätte, müsste ich aber gegenfragen: Und von welchem fremden Interessen seid ihr dominiert, ihr alten Kameraden und Genossen? Und das dann jeden Tag thematisieren.
Der Leser des Wahlberliners wird also wenigstens immer etwas Unbeeinflusstes kriegen?
Etwas nicht Gekauftes jedenfalls. Wir sind einfach zu unwichtig, als dass man uns Angebote machen würde, die wir nicht ablehnen könnten. Und das ist ein großer Vorteil gegenüber jenen, die selbst mal im Zentrum der Politik gearbeitet haben und bei denen ich nicht selten den Eindruck habe, da wirkt nicht nur Enttäuschung hinein, sondern auch die eine oder andere Seilschaft aus der Vergangenheit.
Ist die Meinungsfreiheit in Gefahr?
Ja. Staatliche Überwachung, Datensammlungen überall, die Tendenz zu restriktiven Regelungen sowohl im physisch-exekutiven Bereich, wie bei den Polizeigesetzen, aber auch im Netz mit dem DG und der DSGVO nach deutschem Nichtausgestaltungs-Muster, die auffällige Tendenz von Facebook usw., vieles auch nun in praxi zu zensieren, weil die Politik es ja will – und kein Ende absehbar, wei immer weitere Denkverbote organisiert werden sollen. Ich habe z. B. gerade eine Kampagne reinbekommen, in der es darum geht, die Holocaust-Leugnung nicht zuzulassen, die im Netz offenbar noch möglich sein soll. Sollte man doch eigentlich unterstützen: Ich tu’s aber nicht. Weil dabei Leute zugange sind, die das Ganze mit einer Ausweitungsabsicht bezüglich des Antisemitismus-Begriffs verknüpfen wollen, deren offizielle Installierung dann jede Kritik am staatlichen Handeln Israels quasi strafbar machen würde. Da bin ich wieder auf der Seite der NDS, wie Kenner der Gegenmedien anhand dieser Beschreibung ermittelt haben dürften.
Wenn wir aber die Realpolitik von heute wer immer sie ausführt, nicht mehr kritisch betrachten dürfen, können wir gerade als Linke moralisch gesehen den Löffel abgeben, weil wir nicht mehr pazifistisch zu argumentieren in der Lage sind. Will das etwa jemand erreichen, um links noch mehr zu diskreditieren? Es gibt weitere Denk- und Schreibverbote, dies war nur ein Beispiel. Diese Verbote werden von Lobbys massiv befördert.
Wäre es unter den Umständen nicht besser, sich doch in die Kampfgemeinschaft einzureihen und den etwas narzisstisch wirkenden Eigensinn sein zu lassen?
Ganz ehrlich, es gibt unsichere Momente, gerade, wenn sowas passiert wie gestern. Aber solange ich mir das eingestehen kann, habe ich doch sowohl der Gegenmedien-Szene als auch vielen beim Mainstream und in der Politik etwas voraus, das nennt man Fähigkeit zur Selbstkritik oder Selbstreflektion. Oder nicht?
Ich habe gerade gesehen, dass ich schon einige Zeit keinen Beitrag mehr in eigener Sache veröffentlicht habe – dann labeln wir diesen doch so und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, als Kommentar. Ist ja doch recht persönlich geworden.
© 2018 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
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