Hydra – Tatort 931 / Crimetime 61 / #Tatort #Faber #Dortmund

Crimetime 61 - Titelfoto © WDR, Thomas Kost

Der 19. April – knapp daneben ist auch vorbei

Ja, da ist diese Sendeanstalt, die es kann und da gibt es ein Team, das von allen in den letzten Jahren gestarteten – insbesondere nach dem Aus von Steier & Mey und dem Sonderfall Murot – die spanndste Story bietet. In dieser sehr sauren Zitrone namens Faber steckt noch viel Kraft.

Wie in jenem Sender. Mag der Westen, auch durch Städte wie Dortmund verursacht, die nach wie vor Konversionsprobleme haben, wirtschaftlich immer mehr zurückfallen, der WDR ist und bleibt eine Macht. Kein anderer Sender bekommt es derzeit hin, drei Tatort-Städte so zu steuern, dass jede für sich überzeugen kann. Probleme gibt es überall, in Münster zu Beispiel das Konzept, das sich totzulaufen droht und neue Impulse benötigt, aber das nach zwölf überwiegend guten Jahren. Wie man einen Totpunkt überwinden kann, haben sie in Köln gezeigt und zuletzt starke Vorstellungen abgerufen. Und Dortmund schafft es, sich eigenständig zu profilieren.

Das offensivste Ding im deutschen Krimiland, mit all seinen Überzeichnungen, die auf andere Weise noch weiter gehen als die in Münster, ist so zeitgemäß, so verschroben, so interessant, man kann sich daran nicht sattsehen. Nichts ist auf heile Welt, auf Affirmation, auf lineare Identifikation gebürstet. Es ist anstrengend, fordernd, dieser Truppe von vier echten Seelchen zu folgen, besonders wenn der Fall ebenfalls Stellungnahme evoziert, wie „Hydra“. Aber dieser Tatort hat etwas zu sagen.

Handlung, Besetzung, Stab

Die Dortmunder Kommissare suchen den Mörder von Kai Fischer, der als Kopf der örtlichen Neonazi-Szene galt. Dessen hochschwangere Frau Tanja ist sich sicher, dass Jedida Steinmann, die Leiterin einer Beratungsstelle gegen rechte Gewalt, hinter der Tat steckt.

Ein Motiv hätte sie gehabt: Auch ihr Mann war das Opfer eines Mordanschlags geworden. Dringend tatverdächtig war damals Kai Fischer. Doch die Indizien hatten für eine Überführung nicht ausgereicht. Als gefährlich erweisen sich die Ermittlungen vor allem für Nora Dalay: Gegenüber Fischers Gefolgsleuten nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Wenig später wird sie von einer Gruppe Rechtsradikaler überfallen. 

Rezension

Alter, wie du dich benimmst, das würden wir auch gerne. So gerne. So häufig. Aber die meisten Menschen müssen sich im Alltag zurücknehmen, damit übehaupt noch irgendetwas funtkioniert, in diesen immer mehr zu dysfunktionalen Zuständen neigenden Zeit, aber diese Zustände, die repräsentierst du wie kein anderer Tatortkommissar. Das trifft unseren Nerv, da gehen wir mit und, klar, so gute Sprüche wie du hätten wir auch immer gerne bereit, egal, wie unübersichtlich die Sitution ist. Dieser Homo Faber, den du darstellst, der transportiert eine Energie vom Bildschirm ins Wohnzimmer, die reicht bis weit in die Woche hinein. Oder, wenn man Sonntags keine Zeit hatte, was zuletzt leider häufiger vorkam, reicht sie vielleicht von Mittwoch bis Donnerstagabend.

Der Kater kommt schnell und ein Team wie deines hat auch etwas von einer Droge, die eben nur eine gewisse Anzahl von Stunden lang wirkt. Es ist alles so dezidiert, so geschärft, so außgerwöhnlich, da merkt man erst mit der Zeit, dass deine Fälle, du und deine Leute, ein Programm zur Aufbrechung des mediengestählten Zuschauers sind, und es ihm außerdem abnehmen, selbst nachzudenen. Da bleibt nichts unklar oder interpretationsfähig, Ermittler haben keine hermetische Aura mehr, das Gegenteil ist der Fall. Und der Fall selbst, der ist so schön inszeniert und du und deine Leute, ihr seid so krass, dass man, nun, dass man eben doch nachdenken muss, um dahinterzusteigen, wie baukastenmäßig er konstruiert ist. Es gibt wieder so viele Standards, wie den Polizisten als Täter, den Staatsanwalt, der sich mit seinen eigenen Dienstbefugnissen nicht auskennt, das Familienmitglied, das in die Tat verstrickt ist, dass es seine Art hat. Aber man merkt es eben kaum, weil alles überragend überspielt wird.

Überagiert, überzogen, überdrüber, aber dann so treffend. Als der Sendetermin festgelegt wurde, konnte man nicht ahnen, dass dieser Tatort einen sehr aktuellen Bezug haben würde, auch wenn der Terror in Frankreich eine andere Herkunft und teilweise eine andere Zielrichtung hatte als das, was die  Neonazis in „Hydra“ zeigen und was sie antreibt. Aber die Angriffe auf die Beratungsstelle gegen Nazigewalt, die von einer Frau jüdischen Glaubens geführt wird und das Attentat im koscheren Supermarkt, die sind eben doch unübersehbar von einer ähnlichen, gewaltbereiten und intoleranten Haltung geprägt.

Und wie gut der Tatort beschreibt, dass die Frontlinien nicht so leicht zu ermitteln sind. Die Nazis sind gegen die immigrierten Orientalen, die nach Frankreich eingewanderten Maghrebiner aber sind gegen die Juden, wie die Nazis. Wenn wir uns in vielen Beiträgen dagegen wenden, dass Europas Vielfalt nicht durch einen fehlgeleiteten Überbau zerstört werden darf, dass die Nationen sich auf ihre eigenen Stärken besinnen sollten, anstatt sich an die Chimäre einer allumfassenden Einebnung von Unterschieden zu klammern, eine fragwürdige Zukunftsperspektive, in der alle Schwächen und liebenswerten Eigenarten verschwinden, dann haben wir durchaus Sorge, missverstanden zu werden. Dabei geht es um Toleranz und die Betonung des Unterschiedlichen, von dem wir alle profitieren, wenn es sich entfalten darf.

So, wie eine Gesellschaft mit ihren vielen Bestandteilen umgehen sollte, ohne keine Gesellschaft mehr zu sein, die sich auf Freiheit und Toleranz verständigen kann. Es ist nicht so einfach, manchmal, und Faber, der korrekt Unkorrekte, kann und darf das zum Ausdruck bringen wie keine andere Tatortfigur. Dafür hat man ihn als Grenzgänger aufgestellt und ihn damit von dem Zwang zur Moderation entbunden. Er darf provozieren und polarisieren, das ist eine wirklich geniale Idee. Und Jörg Hartmann verkörpert diesen Typ so authentisch und ungeschminkt in jeder Hinsicht, dass er echter wirkt als viele Ermittler, die als echte Polizisten gegenüber Faber die deutlich besseren Karriereaussichten hätten.

Das Team läuft, durch ihn befeuert, immer emotional auf Hochtouren. In der Realität so nicht denkbar, wenn auch noch Arbeitsergebnisse herauskommen sollen. Aber ohne ihn langweilig. Alles wäre harmonisch, wo kämen wir da hin? Faber ist doch das Sprachrohr all unserer Friktionen. Was wir uns nie zu sagen trauen, weil wir die Konsequenzen fürchten, nicht, weil wir so friedlich wären und den Kollegen immer so zugetan, was im Arbeits-Echtleben im Getuschel hintenrum sozialhygienisch ausgelebt wird, das darf er ganz direkt an den Zuschauer vermitteln. In seiner Kollegin Böhnisch hat er eine kongeniale Partnerin, die beiden dürfen niemals zueinander finden, wie die jüngere Generation Dalay und Kossik. Sonst wäre der Thrill weg. Obwohl – eine Beziehung der beiden wäre ja auch ein Hype. Da ginge es ständig drunter und drüber. Es ist so spannend, wie diese vier sich mit-, gegen- und untereinander entwickeln, dass es kaum noch einen Fall braucht, sie würden auch als Stammbesetzung einer leicht satirischen Soap-Opera gut funktionieren.

Aber es gibt ja den Fall. Er hakt stellenweise etwas, er ist ebenso über- wie aufgeladen, aber wenn so etwas zu einem Ermittlerteam passt, dann sicher zu diesem. Man hat beinahe den Eindruck, dies alles bedingt sich gegenseitig. Zum Beispiel dadurch, dass Dalay und Faber tatsächlich bei den  Nazis „guter Onkel und böse Tante“ spielen, mit dem Ergebnis, dass Faber vorankommt und Dalay sich ein Hakenkreuz auf den Bauch pinseln lassen muss. Dass die Farbe so schwer abgeht, ist eine der vielen Stilisierungen in diesem Tatort, aber so hübsch sinnbildhaft. Man muss es ausschwitzen, das rechte Geschwür in dieser Gesellschaft, die niemals einen Ruhezustand kennen wird.

Wir kennen uns in der rechten Szene gottseidank nicht aus, aber viele Reaktionen auf den Tatort belegen, dass diese nicht unrealistisch dargestellt wurde – zumindest als Gesamtphänomen. Die einzelnen Personen müssen wohl so plakativ sein, damit sie auf den Zuschauer abstoßend genug wirken. Das haben alle Nazi-Tatorte gemein, dass kein Raum ist für Differenzierung im braunen Revier. Würde man sie nämlich vernehmen, dann könnte auch dies missverstanden werden. Fabers Überlegungen und Sprüche sind die Grenze dessen, was an Unkorrektheit, mit der er zum Beispiel Dalays lehrbuchhafte politische Einstellung kontert, machbar ist. Beides hat eine Berechtigung und wir sind eben nicht mehr in den Zeiten mit den anscheinend klaren Ansichten, zu klaren Lösungen führen müssten. Es hat sich nichts gelöst, im Gegenteil, und schon gar nicht dadurch, dass man sich formalbeflissen verhält und seinen Abstand zu all der braunen Soße bekundet. Faber ist keineswegs anders eingestellt als etwa seine junge Kollegin Dalay, er spielt es aber wirklich gegen die Nazis aus und ist dadurch in der Lage, die Oberhand zu behalten. So etwas rüberzubringen, das können nur die wenigsten Schauspieler, das ist geradezu ein neues Kapitel im Umgang mit Rechtsradikalen, das Faber hier aufschlägt. Denn er weiß Bescheid, mindestens auf dem Niveau, das wir Durchschnitts-Hobbyhistoriker nachvollziehen können. So kann man auch die Bemerkung auf das Geburtstadum eines Neonazis am 20. April leicht entschlüsseln: Er hat knapp am Wiegenfest des Führers vorbeigezielt, indem er einen Tag zu früh das grelle Licht der Welt erblickte.

Fazit

Faber ist eine Show, mit oder ohne kleinen grünen Kaktus zum Reden, aber auch im Spiegel der Kollegin Böhnisch, besonders, wenn beide an einer Spiegelbar sitzen und einander fremd und vertraut sind. Die Unmöglichkeit, sich einzulassen, bricht sich in dem Wunsch, es miteinander zu schaffen. Als Team. Und vielleicht darüber hinaus.

Das Thema von „Hydra“ war an der Reihe und ist im Tatort-Internvergleich sehr gut bearbeitet worden. Es bleiben noch einige Wünsche offen, was die Plotgestaltung angeht, denn wir haben nach 335 Tatort-Rezensionen naturgemäß keine Probleme damit, die ziemlich abgedroschene Konzeption der Handlung hinter den coolen Sprüchen und den heißen Emotionen insbesondere der Ermittler und mancher Kunstfertigkeit zu erkennen. Die Tendenz, am Ende keineswegs den Sieg des Guten zu suggerieren, teilt „Hydra“ mit sehr vielen Tatorten der letzten Zeit, da kann man nun von einem starken Trend sprechen. Wenn Faber schon eine Beruhigungspille für Alltagsgestresste ist, durch seine proaktive Unruhe, dann nimmt man uns doch die Möglichkeit, an einen Sieg von Recht, Menschlichkeit und Miteinander zu glauben. Ein ganz harmonisches Team kann sich in diesem Szenario auch bewegen und uns emotional doch auffangen, wie zum Beispiel die beiden liebenswerten Kölner von nebenan. Aber für die stete Wachsamkeit gegenüber den gesellschaftlichen Zuständen ist der Faber dann doch die bessere Pille. Eine, die wir brauchen, wo wir alle so sehr mit uns selbst beschäftigt sind, in dieser unsicheren Welt, und oft einen Mangel an Kapazität für das Große und Ganze verspüren.

Der Schlussmoment soll uns darauf hinweisen, dass die Bedrohung permanent ist: Wir hielten den Übergang von dem Schussloch im Fenster zum Tatort-Abspannlogo zunächst für eine künstlerisch gut gemachte Wiederholung dessen, was sich bei der Beratungsstelle für Nazi-Opfer getan hatte, mitten im Film. Vielmehr dürfte dies aber ein neuer Angriff gewesen sein, obwohl der Obernazi ermordet und der Maulwurf bei der Polizei aufgedeckt wurde. Die Hydra lebt, das sollte uns klar sein.

Unsere Wertung: 8/10

© 2018, 2015 Der Wahlberliner, Thomas Hocke 


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