Der Tod ist unser ganzes Leben – Tatort 1021 / Crimetime 255 // #Tatort #München #Muenchen #TatortMünchen #Batic Leitmayr #BR #Wahrheit

Crimetime 255 - Titelfoto © BR / X Filme, Hagen Keller

Nun erst die Wahrheit über Miro und Franz

„Die Tatort-Folge 1021 „Der Tod ist unser ganzes Leben“, die laut Angaben des Bayerischen Rundfunks nicht als explizite Fortsetzung [von „Die Wahrheit„, Anm. TH)] gedacht ist, sondern auch eigenständig funktionieren soll, wird am Sonntag, den 30. April 2017 um 20.15 Uhr im Ersten Programm ihre TV-Premiere erleben.“ (Tatort Fans)

Ob der Film wirkte wie eine Fortsetzung und wie er sonst auf uns gewirkt hat, diskutieren wir in der -> Rezension.

Handlung

Kurzversion: Ein Jahr, nachdem Ben Schröder vor den Augen seiner Frau Ayumi und seines Sohnes Taro erstochen wurde, geschieht in München ein ähnliches Verbrechen ohne erkennbares Motiv. Die Tat trägt dieselbe grausame Handschrift. Der Alptraum für Batic und Leitmayr setzt sich fort und endet schließlich in einem Schreckensszenario, in dem es für sie um nicht weniger geht als um ihre berufliche Existenz, ihre Freundschaft und ihr Leben.

Längere Beschreibung: Ein Jahr ist vergangen, seitdem Batic und Leitmayr die Suche nach dem Mörder von Ben Schröder offiziell eingestellt haben, der vor den Augen seiner Frau Ayumi und seines Sohnes Taro erstochen wurde. Aber dann geschieht aus dem Nichts heraus in München wieder ein ähnliches Verbrechen. Eine Tat ohne erkennbares Motiv, erneut ohne eine Beziehung zwischen Täter und Opfer, mit derselben grausamen Handschrift.

Der Alptraum für Batic und Leitmayr scheint sich fortzusetzen, allerdings gibt es einen Hoffnungsschimmer: Wie durch ein Wunder überlebt das Opfer und es gibt eine Vielzahl von Hinweisen auf den Täter. Ein Verdächtiger wird gefasst, doch während eines Gefangentransports kommt es zu einem Zwischenfall, an dessen Ende es weitere Tote gibt. Wenige Tage später geht Franz Leitmayr an einer Krücke den Gang eines Krankenhauses entlang.

Nachdenklich schaut er durch ein Fenster auf seinen Freund und Kollegen Ivo Batic, der an Schläuchen angeschlossen im Koma liegt. Außerdem muss Leitmayr sich in einem internen Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Kriminaloberrätin Horn für die rätselhaften Ereignisse rechtfertigen. Was ist wirklich passiert? Wer hat warum auf wen geschossen? Verzweifelt versucht Leitmayr mit Kallis Hilfe ein ungeahntes Schreckensszenario zu erklären und die Antwort auf die Frage zu finden, ob dieser Fall möglicherweise das Ende des gemeinsamen Weges von ihm und Batic ist.

Anni und Tom über „Der Tod ist unser ganzes Leben“

Anni: Dem ersten Teil dieser Quasi-Doppelfolge, „Wahrheit“ (Tatort 997) hast du damals bei deiner Allein-Rezension schon 8,5/10 gegeben. Also, der hier ist nicht schlechter. Hauen die emotional auf den Putz, die beiden alten Jungs! Erinnert mich stark daran, wie sie vor ein paar Jahren den Kölnern Ballauf und Schenk wieder Leben eingehaucht haben, mit den Tatorten „Ohnmacht“ und „Franziska“, bei denen es nach längerer Zeit des ruhigen Dahindämmerns wieder richtig zur Sache ging. Aber den zachen Hund hätt ma net erklären müssen, so viel Bayerisch versteht in Deutschland wirklich mittlerweile jeder.

Tom: Die Tatorte 75 und 76 in der bisher unübertroffen langen Chronologie der Münchener sind wohl die besten nach dem Tod von Silvia Koller (der 2011 verstorbenen Produzentin). Sie hat die Figuren gemacht und den Schauspielern durch die schwierigen Anfangsjahre geholfen, in denen man schon gemerkt hat, dass da noch Luft nach oben war. Dann kamen die vielen herausragenden Tatorte, die prämiert wurden und teilweise noch heute zu den besten der Reihe gezählt werden. Und gestern sind sie auch beide wieder absolut an die Grenzen geführt worden. Hat noch gerade so gepasst.

Anni: Stell dir mal vor, du bist seit 26 Jahren mit einem Dienstpartner zusammen, nur du und er, immer wieder, Jahr für Jahr, und dann bricht plötzlich alles zusammen. Möglicherweise. Am Ende ist es nicht eindeutig.

Tom: Gelebt. Geredet. Gelaufen.

Anni: Kennst du jemanden schon so lange, auf den du dich jeden Tag und in mancher mörderischen, schlaflosen Nacht absolut verlassen musst? Ich erinnere mich, die beiden hatten ja schon öfters solche Glaubenszweifel, der eine hat dem anderen mal was nicht erzählt und so, ihm Tatsachen vorenthalten – aber dieses Mal ist es voll ausgespielt worden. Dramaturgisch konventionell – schon klar. Aber wie es gemacht ist, darauf kommt es an. Ich hab mich keine Sekunde gelangweilt.

Tom:  Alles gut. Und ich finde es ja toll, dass ein Polizist sich nach so langer Dienstzeit, in der man annimmt, die Routine oder auch Abstumpfung ließen derlei gar nicht mehr zu, wegen einer Frau so aus dem Fenster lehnt und beinahe dabei draufgeht. Ich hoffe, er darf sie behalten, in Folge 77. Dann würden die beiden wenigstens nicht mehr, wie alle anderen Cops in der Tatort-Reihe, darüber diskutieren müssen, warum mangels Beziehung der Tod das ganze Leben darstellt. Die gewaltsamen Tode, deren Urheber sie immer wieder ausermitteln müssen. Da kannst du mit gerade mal 60 Jahren schon mal schlohweiß sein.

Anni: Oder schon viel früher wenig Haare haben, wie der Täter. Warum müsse Psychopathen eigentlich immer im Tatort wie Psychopathen aussehen und reden? Wenn das so einfach wäre, würden die echten Serienmörder viel schneller gefasst. Das ist aber nur ein kleiner Kritikpunkt, gut gespielt hat Gerhard Liebmann den Barthold ja schon.

Tom: Auf „Tatort-Fundus“ hat ein User geschrieben, Liebmann erinnert an Kevin Spacey in „Se7en“, besonders am Schluss. Den Film haben wir doch auch gesehen, aber auf den Vergleich wäre ich nicht gekommen.

Anni: Ich weiß ja nicht, was aus dem Münchener Team werden wird, aber den Kalli müssen sie  unbedingt behalten. So knuffig, so loyal ist der schon, dass er sich sogar mit Franz heimlich trifft, anstatt die Ergebnisse aus der Ballistik oder KT an den Vorgesetzten Maurer weiterzugeben. Den Leitenden kann er natürlich noch nicht geben, aber man könnte ihn heranziehen. So, wie in (d)einer Kaderpartei.

Tom: Ich weiß, was du mir sagen willst. Ich werde mich wieder mehr auf die Dinge konzentrieren, die mir wenigsten emotionalen Gewinn bringen, wie die tollen Rezi-Diskussionen mit dir.

Anni: Besonders, wenn sie so harmonisch sind wie diese. Es gibt ja zu wenig auszusetzen an „Der Tod ist unser ganzes Leben“. Alles, was eine Beziehung ausmacht, wird schön der Reihe nach eingetaktet, so ähnlich hat es Jürgen Buß bei Spiegel online geschrieben. Das heißt auch, dass ein Tatort wie dieser in uns allen etwas triggeren kann, so verrückt die Story auch ist. Und das ist sie wirklich. Eigentlich dein üblicher Kritikpunkt: Mängel bei der Plausibilität.

Tom: Der Tathergang in der alten Dachauer Papierfabrik, die 2007 geschlossen wurde – auch in Bayern gibt es das also hin und wieder, dass Industriearbeitsplätze verloren gehen. Dieser Tathergang und besonders das Auftauchen von Ayumi sind weit hergeholt. Und dass sie die beiden Jungpolizisten bestochen hat, die den Transporter fahren. Für mich geht das auch psychologisch nicht ganz zusammen. Sie entwickelt Gefühle für Batic und will gleichzeitig dermaßen Rache am Mörder ihres Mannes nehmen, obwohl der Vorgang schon ein Jahr her ist? Kann das gleichzeitig funktionieren?

Anni: Frauen sind multifunktiona und multi-emotinal.

Tom: Wo wollte ich jetzt anknüpfen? Warte. Da ist es wieder! Ja, bei der „Internen“, die ja deshalb intern geführt wird, damit nichts nach außen dringt, also an die Öffentlichkeit, wie wir seit dem letzten Wien-Tatort wissen, also, war es wirklich relevant, dass Ivo und Franz kein Begleitfahrzeug mitgenommen haben?

Wer kann denn mit einer so verrückten Wendung rechnen, dass beide, also wirklich beide im Führerhaus einen Motorschaden vortäuschen, um Barthold aus dem Wagen zu bekommen und ihn draußen in der Fabrik der Rache Ayumis übergeben zu können. Ich meine, beide! Weil sie ein überschuldetes Paar sind, das woanders ganz neu anfangen will Also wirklich. Je mehr ich über den Plot nachdenke, desto geringer wird die Punktzahl, die ich im Kopf hab.

Anni: Dann hör auf damit, über das nachzudenken. Und lob mit mir zum Beispiel die Rückblendentechnik, die hier so flüssig und gekonnt eingesetzt wird, ganz ohne optische Markierung der zurückliegenden Ereignisse. Du hast trotzdem alles verstanden, bis auf das natürlich, was du nicht verstehen solltest. Es ist dieses Mal, anders als „Die Wahrheit“, kein Whodunit, sondern ein Thriller, aber nicht einmal das Zur-Strecke-Bringen des schon bekannten Mörders ist zentral, sondern, was sich genau in der Fabrik abgespielt hat. Das ist schon gut gemacht, und dieses übertrieben Konstruierte lässt sich ja bei dieser Art von Handlungsführung nicht vermeiden, wenn die Spannung bis zum Schluss erhalten bleiben soll. Man macht das, indem immer neue Varianten gezeigt werden. Das innert mich etwas an „Rashomon“ von Akira Kurosawa.

Tom: Man hat den Mörder zwar schnell, aber man muss ihn ja noch einmal zur Strecke bringen, weil er auf der Landstraße abhauen kann. Und dann die Fabrikschornsteine. Da, da guckt Ivo hin und da muss Barthold hin und da wartet Ayumi. Du hast Recht, der Plot mag überkonstruiert sein und psychologisch nicht sehr überzeugend, und solche Sachen wie diese mittlerweile x-mal gesehenen Krankenhausfluchten schwerverletzter Polizisten nerven, aber ich sehe kaum einen Sachfehler, etwas, das nicht funktionieren könnte, wenn Menschen denn so handeln würden.

Menschen, die eine solche Konstitution haben wie der Ivo, der schon amerikanischen Stehaufmännchen-Helden hier recht nahe kommt. Ich hab auch immer darauf gewartet, dass im Abgleich zwischen Interner und dem, was dann als Auflösung gezeigt wird, ein Plothole sichtbar wird, dem war aber nicht so. Die Vorhersehbarkeit wäre aber auch hoch gewesen, wenn wir uns „Die Wahrheit“ nochmal angeschaut hätten, oder?

Anni: Nicht unbedingt. Denn dass es sich um einen Racheakt handelt, erfährt man ja erst recht spät. Und da emotional alles so hoch dreht, weil die Figuren eben nie mal einen Gang zurückschalten, tust du es als Zuschauer auch nicht – dich zurücklehnen und mal genau nachdenken. Ich hab’s jedenfalls nicht getan. Ich gebe 9/10.

Tom: Je mehr ich drüber nachdenke, jetzt, nicht gestern beim Angucken, desto mehr meine ich, man darf den Film nicht zu sehr hochjubeln. 7/10 von mir.

Anni: Hab ich schon erwähnt, dass dies ein guter Tatort ist?

8/10

© 2019, 2017 Rote Sonne 17, Thomas Hocke

Hauptkommissar Franz Leitmayr – Udo Wachtveitl
Hauptkommissar Ivo Batic – Miroslav Nemec
Assistent Karl-Heinz „Kalli“ Hammermann – Ferdinand Hofer
Kriminaloberrätin Horn – Lina Wendel
Kriminaloberrat Hofmeister – Karl Knaup
Dezernatsleiter Karl Maurer – Jürgen Tonkel
Oberstaatsanwalt Kysela – Götz Schulte
Klaus Barthold – Gerhard Liebmann
Robert Steinmann – Jan Bluthardt
Sabine Merzer – Friederike Ott
Krankenschwester – Lilly Forgách
Ayumi Schröder – Luka Omoto
u.a.

Drehbuch – Holger Joos, nach einer Idee von Erol Yesilkaya
Regie – Philip Koch
Kamera – Jonas Schmager
Schnitt – Dirk Göhler
Szenenbild – Oliver Hoese
Musik – Sebastian Pille


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