Mord auf Langeoog – Tatort 887 / Crimetime 285 / #Tatort #Langeoog #NDR #Falke #Lorenz #Mord #Tatort887

Titelfoto © ARD, Christine Schröder

Kapitän und Drehbuch in Seenot

Die Handlung in einem Satz, ohne Auflösung: Kommissar Falke urlaubt auf Langeoog bei seinem Kollegen Katz, und wie es sich gehört, findet genau zu dem Zeitpunkt ein Mord statt, auf dieser Insel, die nur 1691 Einwohner hat, und verdächtig ist ausgerechnet der jüngere Bruder der Frau des Kollegen, was zu Konflikten und Ermittlungen führt und zu Problemen mit der Zuständigkeit, denn die hat die Mordkommission von Aurich; aber Falke wäre ja aus dem Boot, wäre da nicht eine Möglichkeit zur Kooperation; ins Boot steigt mit Gummistiefeln auch noch die junge Hamburger Kollegin Lorenz und bei der nun auf Langeoog anwesenden geballten Ermittlerkompetenz ist es klar, dass er Fall schnell gelöst wird. Das heißt nicht, es sei nicht viel darüber zu schreiben, deswegen lesen Sie bitte mehr in der -> Rezension.

Handlung 

Ihr zweiter Fall führt die NDR „Tatort“-Kommissare Thorsten Falke und Katharina Lorenz in inoffizieller Funktion auf die Nordseeinsel Langeoog. Ein brutaler Mord erschüttert die Idylle des kleinen Eilands: eine Tote in den Dünen, neben ihr ein verstörter, blutverschmierter Teenager. Florian ist der jüngere Bruder von Mimi, die zusammen mit Falkes altem Freund und Ex-Kollegen Jan Katz und dem gemeinsamen Baby in ihre ostfriesische Heimat gezogen ist.

Falke, der auf der Insel eigentlich nur ein paar Tage ausspannen wollte, gelingt es, mit dem verwirrten Jungen am Tatort zu sprechen. Ist Florian Täter oder Opfer? Für die zuständigen Kollegen der Auricher Mordkommission und deren Leiterin Christine Brandner ist der Fall klar – Florians Gedächtnislücken sind nur eine Schutzbehauptung.

Doch Thorsten Falke sieht das anders. Gegen alle Dienstvorschriften und den Widerstand der lokalen Kollegen ermitteln Falke und seine aus Hamburg hinzugerufene Kollegin Katharina Lorenz auf eigene Faust in eine andere Richtung. 

Rezension

Wir sammeln alle Unstimmigkeiten des Films weiter unten, in der Rezension. Hier halten wir zunächst fest, dass wir garantiert ausschalten werden, wenn noch einmal jemand in einem Tatort so an den Fingern puhlt, dass sie blutig werden. Wir haben’s nicht so mit dem Blut sehen und der ganz genauen Darstellung solcher ekeligen Übersprungshandlungen, auf der Neurosen-Ausdrucksskala hört für uns oberhalb des Nasenbohrens der Spaß auf.

Eindeutiges Plus für die Schauspieler, wobei man feststellen darf, dass sich W. W. Möhring als Falke und Petra Schmidt-Schaller als Lorenz nicht viel geben oder nehmen, letztere hat auf jeden Fall Potenzial und kann mit wenig Brimborium viel Präsenz zeigen. Unterstützt durch ihre Optik, aber das ist kein Straftatbestand. Darüber angesiedelt ist Nina Kunzendorf als Kommissarin Brandner aus Aurich. Wenn man die kühle und zurückgenommene Art ihres Spiels mag, die immer wirkt, als verberge sich dennoch emotionale Kompetenz unter der eher knapp sprechenden und beinahe geräuschlos taffen  Fassade. Es ist auch so, wie man am Ende des Films sehen wird – ohne verbale oder gestische Übertreibung, versteht sich. Aus Frankfurt, als KHK Conny Mey, ist sie noch sehr gut in Erinnerung, da muss man sich erst einmal umgewöhnen, aber wir denken, sie ist in „Mord auf Langeoog“ dem eigenen Ideal von einer Kommissarin näher gekommen als in der Mainmetropole, die sie tatortmäßig verlassen hat.

Die Atmosphäre ist ein weiterer positiver Faktor dieses Inseltatorts, also eines Films in einem Subgenre, das beim NDR verständlicherweise Tradition hat (z. B. „Tod vor Scharhörn“) mit den Vor-Vor-Vorgängern Stoever und Brockmöller). Schön düster und windig und kalt wirkt Langeoog, unterstützt und meistenteils erzeugt durch gleichermaßen monotone wie eindringliche Musik und eine Farbgebung in Graublau, Letzteres beim NDR schon seit längerem ein Mittel, um den Norden – und dabei nicht nur die Waterkant – als unterkühlt zu verkaufen. Die Inszenierung ist einwandfrei, ohne besonders aufzufallen, mit einem schönen Duell Ermittlerin-Täter in Ultra-Großaufnahme, wie in einem guten Spaghetti-Western, teilweise sogar mit angeschrägter Perspektive. Insofern alles okay.

Wenn wir so schreiben, ahnt der kundige Leser: Das dicke Ende kommt noch. Nein, wir meinen nicht die Hintern von Männern, die ohne Hosen und grundlos ins eisige Meer rennen. Wir empfinden es auch nicht als negativ, dass der Fall ein traditionelles Strickmuster hat, wir haben auch nichts dagegen, dass die Ermittler tatsächlich als (sehr gute) Polizisten vorstellbar sind. Es ist zu begrüßen, dass der NDR versucht, eine neue, halbwegs solide Schiene zu etablieren und sich damit dem heftigen Trend zu psychischen Grenzgängern im Kriminaldienst entgegenstellt. Man kann alles nachvollziehen, was die Menschen hier reden und wie sie handeln. Bis auf einen, und der ist leider nicht unwichtig.

Wenn es einen Clou gibt, dann muss er im Plot des Whodunnit angelegt sein, das heißt: Wenn ein solcher Tatort bleibenden Eindruck hinterlassen soll. Ohne schon gleich alles verraten zu wollen – eine gewisse Vorhersehbarkeit war dieser Handlung nicht abzusprechen, zumindest den Täter betreffend.

Der Fall an sich hat ganz schöne Macken und dazu in Florian Meinders eine Figur, die sich zu gut als Täter eignet, zumal sich dieser erst 16jährige Junge, der eine vermutlich doppelt so alte Frau als Love Interest hatte an einer gut ins Drehbuch passenden, weil die Handlung weiterbringenden Stelle selbst eines Tötungsdelikts an dieser Frau bezichtigt. Dass dafür aber auch nicht den geringsten erkennbaren Grund genannt wird, ist eine andere Sache und gehört zu den Unstimmigkeiten, die es um diese Figur herum gibt.

Eine zweite ist faktischer Natur. Mit Schwimmen kennen wir uns einigermaßen aus, und von einer Fähre, die schon längst auf dem offenen Meer ist, ins Wasser zu springen und zurück nach Langeoog zu schwimmen, kann man nicht auf so lapidare Weise erklären, dass der Flo halt ein guter Schwimmer ist. Nicht bei der Kälte, nicht in Kleidern, die nachher auch noch trocken sind. Dabei wär’s so einfach gewesen. Man hätte ihn etwas früher entkommen lassen müssen. Und nicht wieder diesen ewigen Blödsinn hernehmen, dass Polizisten zu wenig durchdrungen sind, um ihre Verdächtigen mal eine Minute lang zu bewachen.

Das kommt wirklich in jedem zweiten Tatort vor und sollte langsam ein Ausschlußkriterium für die Annahme von Drehbüchern werden. Zumal, wenn es so dilettantisch wirkt wie hier, wo ein Bulle den Flo nicht einmal im Auge behalten kann, bis dieser aufs WC verschwunden ist. Peinlich, oder? Die Szene ist zudem so vage gefilmt, dass man sogleich bemerkt, hier hatte die Regie Schwierigkeiten, das Drehbuch in nicht komplett idiotisch wirkende Bilder umzusetzen. Auch immer wieder gern genommen, aber störend: Ermittler/in zieht allein los und provoziert geradezu, dass er oder sie in Gefahr gebracht wird – in diesem Fall Frau Lorenz.

In ihrer Bedrängnis und ihren nicht nachvollziehbaren Aktionen zu beliebig wirkt die Figur Florian, die entweder schweigt, erschüttert ist oder ins weite Meer springt. Man soll mit Traumapatienten keine Späße treiben und ihre Leiden und Verwerfungen als Vehikel zur Überdeckung von Logikmängeln verwenden. Klar, jemand, der nicht „normal“ ist, dem kann man jede Art von Verhalten unterschieben, ohne dass man das Warum erklären muss. Gestern K.O.-Tropfen zur Verbesserung der Chancen auf GV, heute blutverschmiert am Strand, morgen vom Klo ins Meer. Und immer diese blutigen fotografischen Inszenierungen, die seine Geliebte mit ihm als Hauptdarsteller veranstaltet. Selbstmord oder Beihilfe zur Selbsttötung sind locker drin, wenn man so drauf ist.

Der Trick, jemanden zu inszenieren, dem man eh alles abnehmen muss, weil er etwas aus der Spur ist, funktioniert hier nicht vollständig. Zum Beispiel, weil er leicht durchschaubar ist, das ist die kognitive Ebene. Und weil er Traumapatienten nicht gerecht wird, das ist der emotionale Part. Man soll’s kaum glauben, da denken wir selbst bei einem ARD-Sender über die political correctness nach.

Der nachfolgende Text enthält Angaben zur Lösung.

Relativ schnell hat man auch den wirklichen Täter auf dem Schirm. Es ist simpel, nach dem Ausschlussverfahren vorzugehen. Flo kann’s nicht gewesen sein, ein traumatisierter 16-Jähriger als böser Bube, also bitte, das geht gar nicht, zumindest nicht in der politisch korrekten ARD und unabhängig von der Funktion seines Charakters als Schmiermittel für festgehende Logikräder im Drehbuchgetriebe. Der Wattenmeerführer? Nö, zu schrullig und verpeilt. Ganz zu Anfang allerdings möglich. Der Kollege von Falke?

Das wäre der Hammer gewesen, aber undenkbar, da soll doch ein Team heranwachsen. Die Schwester von Flo. Irgendeine seltsame Form von Eifersucht. Übersteigerte Geschwisterliebe nach dem Verlust der Eltern durch Autounfall. Hm. Oder was anderes, das sich zunächst verbirgt. Nicht ganz abwegig. Oder dieser K.O.-Tropfen-Hersteller, der Hundepfoten als  Drohmittel verwendet (wofür eigentlich?) Da gab es noch diesen Exkapitän und Kneipenbesitzer, der immer so komisch guckt, wenn die Kommissare ermitteln. Und der war’s wirklich. Und nicht nur das, er hat’s 16 Jahre zuvor schon einmal getan – die Justzi beging einen Irrtum und setzte jemand anderen in den Knast. Soll vorkommen. Ein nicht notwendiger, aber immerhin die  Zeit füllender Twist im Drehbuch. Sonst wär’s auch zu einfach geworden

Eine leichte Steigerung gegenüber dem ersten Falke-Tatort „Feuerteufel“. Schmankerln wie die Kunst des Todes mit Streichhölzern im Großformat, deren abgebrannte Köpfe Menschenköpfe darstellen, wirken originell und ein wenig den weiten Kunstbegriff persiflierend. Stimmung und Schauspiel stimmen, alles ist auf solidem Grund gefilmt. Nur das Drehbuch enttäuscht und fällt gegenüber der souveränen, unaufgeregten Bebilderung ab.

7/10

© 2019, 2013 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Hauptkommissar Thorsten Falke – Wotan Wilke Möhring
Hauptkommissar Katharina Lorenz – Petra Schmidt-Schaller
Jan Katz – Sebastian Schipper
Mimi Meinders – Laura Tonke
Christine Brandner – Nina Kunzendorf
Kapitän Helmut Reinders – Rainer Bock
Florian Meinders – Leonard Carow
Gerhard Gerkan (Gegge) – Jan Georg Schütte
u.a.

Drehbuch – Max Eipp, Stefan Kornatz
Regie – Stefan Kornatz
Kamera – Bernhard Keller
Musik – Stefan Will, Marco Dreckkötter


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