Crimetime 303 - Titelfoto © MDR / Saxonia Media, Andreas Wünschirs
Um ein Haar nicht die 50 erreicht
Zuletzt war es 1998, zuvor 2000, etwa diese Zeit um die Jahrtausendwende. Aber plötzlich 2011. Was ist bloß mit Schmücke passiert? Das und alles übrige Wichtige zum Film klären wir in der -> Rezension.
Handlung
Eine Million Euro – das ist die Forderung der Entführer, verknüpft mit der Warnung, die Polizei nicht einzuschalten, sonst stirbt die 18-jährige Unternehmertochter Lissi. Doch ihre Eltern ignorieren die Warnung und verständigen die Polizei. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen der Kommissare erfahren die Entführer, dass die Polizei in den Fall eingeschaltet wurde und verdoppeln ihre Geldforderung.
Während Hauptkommissar Herbert Schneider und Oberkommissarin Nora Lindner die verabredete Geldübergabe observieren, sammelt Hauptkommissar Herbert Schmücke Informationen zu möglichen an der Entführung beteiligten Personen und zur wirtschaftlichen Situation der geschiedenen Eltern. Für Schmücke steht fest: An dem Fall ist so ungefähr alles faul, und die Täter wissen viel zu genau über jeden Schritt der Polizei Bescheid. Lissis Eltern und deren Anwalt spielen gegenüber der Polizei nicht mit offenen Karten. Sie verabreden hinter dem Rücken der Polizei eine heimliche Zahlung des Lösegeldes. Doch dann fallen Schüsse. Herbert Schmücke wird lebensgefährlich verletzt. Das Geld ist verschwunden, und von Lissi gibt es keine Spur und auch kein Lebenszeichen mehr.
Während Herbert Schmücke mit dem Tod ringt, setzen Nora Lindner und Herbert Schneider alles daran, das Mädchen zu finden und aus den Händen der hemmungslosen Gewalttäter zu befreien. Aber sie ahnen bereits, dass es da noch jemanden geben muss, einen unbekannten Drahtzieher im Hintergrund.
Rezension
„Rainer Tittelbach von tittelbach.tv findet, Ein todsicherer Plan sei der beste MDR-‚Polizeiruf‘ seit Jahren, und schreibt zu diesem temporeichen Film: „Nervenkitzel ist nicht das Markenzeichen der Hallenser Kommissare. Vielleicht wird deshalb in diesem Kidnapping-Krimi Kommissar Schmücke zur Halbzeit aus der Schusslinie genommen. Es ist mächtig was los – vor allem emotional. Schmücke auf der Intensivstation, Michelle Barthel mal wieder als Entführungsopfer mit großen ängstlichen Augen. Die Dramaturgie mit der offenen Führung der Täter stimmt, das Tempo ist gut, die Inszenierung präzise, und der moderne Look mit den für den MDR ungewohnten Bildausschnitten veredelt das Ganze.“[1]
Und wie denken wir darüber? Schokolade statt Zigaretten. Wie haste dir verändert, Schmücke! Wir mussten wirklich zweimal hinschauen, durchaus möglich, dass das, was man in den Film eingebaut hat, auch im realen Leben auf den Darsteller Jaecki Schwarz zutrifft, jedenfalls hat er ziemlich zugelegt und wirkt auch vor dem Schuss, „der ihn zur Halbzeit aus der Schusslinie nimmt“ ein wenig angegriffen. Vielleicht hat man ihm auch deshalb einen Part zugewiesen, bei dem er sich weitgehend im Bett ausruhen und über seinen überambitionierten und schlecht ausgeführten Alleingang nachdenken konnte. Wie kann man an der Scheibe dieses Ford Couriers rumwischen und dem Haus, in dem die Entführer offensichtlich zugange sind, den Rücken zudrehen. Mensch, Schmücke!
Am liebsten würden wir schreiben: selbst schuld. Aber sie haben den Entführer Maik Canaver so übel dargestellt und ihm noch einen halb kurdischen, halb verwahrlosten Hintergrund hingerotzt, damit wenigstens Spurenelemente einer Erklärung für seine maximal rücksichtslose Art vorhanden sind, dass wir uns doch innerlich mehr gegen ihn als gegen den so erfahrenen und so dilettantischen Kommissar gewendet haben. Da wir vorher nicht nachgeschaut hatten, der wievielte Schmücke / Schneider-Polizeiruf das nun, aber im Kopf hatten, dass irgendwann kurz nach 2010 aus dem Dienst schieden, entstand im Kopf bereits eine Schlagzeile: Wieder mal geirrt! Nicht Nils Stedefreund war 2019 der erste Polizist der Reihen Tatort und Polizeiruf, der in Action gekillt wurde, sondern der gute, liebe Schmücke, schon acht Jahre zuvor. Präziser: Der erste Haupt- und längerfristige Ermittler. Dass „Nebenpolizisten“ sterben, gab es zuvor schon.
Das machte es für uns so spannend und wir zitterten richtig mit. Später sahen wir dann, „Ein todsicherer Plan“ ist der 46. Fall der beiden Hallenser Ermittler, nicht der 50. Aber warum hat man später, egal ob in Halle oder Magdeburg, nicht Nora Lindner weitermachen lassen? Sie hat eindeutig die Qualitäten für die Übernahme der Leitung. Zugegeben, ihre Optik befördert unsere Meinung schon ein wenig, aber sie macht es auch wirklich gut, wirkt präsent, taff, darf sich, als Pfahl festgenommen wird, auch einen Femi-Punkt verdienen – und es gibt einige Momente, in denen sie von der Mimik deutlich an Lena Odenthal erinnert; etwa, als sie mit Anwalt Pfahl an der Wohnungstür in Zeichensprache kommuniziert. Vielleicht hatte sich Isabell Gerschke tatsächlich bei der Interpretation ihrer Polizistinnen-Figur ein wenig an Ulrike Folkerts orientiert. Wir wissen, es kam anders, Claudia Michelsen übernahm die weibliche Polizistinnen- Hauptrolle nach der Schmücke-Schneider-Ära.
Auf jeden Fall ist der 318. Polizeiruf ein klassischer Thriller, ein Howcatchem natürlich ebenfalls. Eine Entführung ist ja immer ein Kampf auch gegen den Ablauf der Zeit: Das Opfer ist so lange wertvoll für die Entfrührer & Erpresser, wie das Geld noch nicht übergeben ist. Danach? Ein lästiger Zeuge oder eine lästige Zeugin. Das Opfer wird gespielt von Michelle Barthel, wie wir von Herrn Tittelbach wissen, obwohl das ARD-Personaltableau sie konsequent verschweigt, aber so gut die Eltern gecastet wurden, so schwach war es vom MDR, sie einzusetzen – in Relation zu den Eltern nämlich.
Dass Kinder und Eltern in Filmen optisch meilenweit auseinander liegen, daran gewöhnt man sich, obwohl man’s nicht wirklich versteht – die Auswahl an fähigen jüngeren Darstellern scheint in Deutschland arg begrenzt zu sein. Aber das Mädchen oder die junge Frau wirkt vom Charakter her auch nicht, als sei sie in einem Spannungsfeld zwischen der taffen, halbidealistischen Unternehmerin und dem „Ökofaschisten“ augewachsen, sie hat von beiden verhaltensmäßig rein gar nichts. Ein ähnliches Misscasting liegt bei ihrer Freundin, der von Dingsbums junior, vor. Klar, man kann sich von den Eltern absetzen, man kann protestieren gegen die schnöselhafte Atmosphäre zuhause und die ganze hohle Blase – und sich andere Kreise suchen. Aber es bleibt etwas zurück aus den prägenden Jahren, bevor der Jugendprotest einsetzte, das in den meisten Fällen übrigens auch dafür sorgt, falls es je eine solche Protestphase gab, dass man wieder ins angestammte Milieu einfädelt oder eintreten darf, wenn man genug hat vom unbequemen, aber selten gefährlichen Leben als Revoluzzerchen mit abgesichertem Hintergrund.
Die armen reichen Kinder konnten uns deshalb nicht besonders emotionalisieren, zumal wir wissen, dass die meisten von ihnen eben nicht solche Schleifen in ihre Lebenswege einbauen. Wozu auch, wenn die Welt später sowieso ihnen gehört, da sie sich die richtigen Eltern ausgesucht haben?
Wendungsreich und mit einer guten Dramaturgie ausgestattet ist „Ein todsicherer Plan“ auf jeden Fall, denn allein die Figur Maik Canaver sorgt dafür, dass man nie weiß, was als nächstes geschieht, respektive, welche Person er als nächste erschießen möchte. 32 Jahre lang hat er sich irgendwie über Wasser gehalten, trotz Vorbestrafung, dann dieser Ausbruch einer grundgewalttätigen Persönlichkeit. Das gibt’s, wenn man erst einmal die Millionen riecht. Vor allem, wenn man in Wahrheit so veranlagt ist, dass man niemals gewinnen kann. Wie sicher der Plan auch gewesen sein mag, wie gut man auch darauf reagieren könnte, dass es zu Abweichungen kommt, dieser Mensch wird niemals die Früchte jenes Plans genießen können. Seufz. Nein, natürlich nicht, dieser Part ist stimmig. Aber die Spannung resultierte bei uns tatsächlich in erster Linie aus dem Schicksal von Schmücke.
Zugegeben, als der Vater der Entführten kurz ins Blickfeld rückte, waren wir irritiert, wir hatten uns längst auf den Anwalt als Drahtzieher festgelegt. Die Mutter schied aus, sie ist nicht der Typ für sowas, der Vater – nun ja, ein Hagestolz, immer etwas klamm, weil freiwillig Kleinunternehmer statt Hauptaktionär, aber auch das passt: Der Anwalt. Wenn Anwälte dabei sind, sind sie meist die Ärsche, sofern nicht auch Ärzte zur Auswahl stehen. Arzt toppt als Täter oft Anwalt, gemäß der Reputation der Berufe in der Bevölkerung. Dass hingegen das Entführungsopfer überlebt, davon sind wir einfach mal ausgegangen. Einfach so, weil die Angst der Eltern am Ende nicht in maximale Trauer und riesigen Schmerz enden durfte.
Die Sache mit Schmücke ist schon schlimm genug und es musste doch so eine Abschlussszene geben, in welcher die Zuschauer aufatmen konnten. Wir sind uns nicht sicher, ob man uns die heute auch noch gönnen würde, aber beim MDR im Jahr 2011, da gingen wir trotz der unbestreitbaren Dramatik des Falls davon aus, dass die Eltern sich nochmal bisschen streiten, dann aber doch erkennen, dass sie sich bessern müssen, wo ihnen die Tochter doch zum zweiten Mal geschenkt wurde. Allerdings hat es nichts mit der Familienaufstellung zu tun, dass sie entführt wurde, so hoch greift der Film nicht. Dass die Eltern Geld haben, reicht aus. Es ist übrigens unrealistisch, dass die Clique längerfristig nichts davon mitbekommen, dass sich U-Boote der herrschenden Kaste eingefunden haben. Der Konflikt liegt dann eher darin, ob diese von den Mitgliedern der Lower Class akzeptiert werden, also dermaßen authentisch wirken, dass es zu dieser Integration von oben nach unten kommen kann.
Finale
Umso wichtiger, angesichts der gewissen Vorhersehbarkeit, die durch die handelnden Charaktere entsteht, dass die Wendungen des Films zahlreich und gut ausgeführt sind und das kann man durchaus sagen. Es gibt keine schlimmen Plotlöcher, von den oben aufgeführten Tatbeständen abgesehen stimmt es psychologisch, die Dialoge sind überwiegend gut und wir können noch nicht beurteilen, ob „Ein todsicherer Plan“ der beste Polizeiruf seit Jahren war, als er 2011 Premiere hatte. Sollten wir das auch so sehen, würden diejenigen aus den Jahren zuvor sämtlich unter 8 liegen, denn das ist die Punktzahl, die wir für den Polizeiruf Nr. 318 vergeben.
8/10
| Hauptkommissar Herbert Schmücke | Jaecki Schwarz |
| Hauptkommissar Herbert Schneider | Wolfgang Winkler |
| Oberkommissarin Nora Lindner | Isabell Gerschke |
| Enrico | Heikko Deutschmann |
| Patrizia Moltke | Julia Bremermann |
| Dr. Thomas Pfahl | Michael Lesch |
| Maik Canavar | Bülent Sharif |
| René Scheffler | Martin Wißner |
| Lissi Moltke | Michelle Barthel |
| Timo Lünemann | Ilja Roßbander |
| Rosamunde Weigand | Marie Gruber |
| Gabi Rössner | Karin Düwel |
| Kriminaltechniker | Lutz Jeskulke |
| Regie: | Jorgo Papavassiliou |
| Buch: | Matthias Herbert |
| Kamera: | Vladimir Subotic |
| Musik: | Andreas Koslik |
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