Exitus – Tatort 697 / Crimetime 304 // #Tatort #Wien #TatortWien #ORF #Eisner #Exitus #Tatort697

Crimetime 304 - Titelfoto © ORF / Cult Film, Georg Budenstein

Der Tod muss ein Wiener sein

In der Vorschau hatten wir mit einigen Vermutungen darüber, was den Tatort „Exitus“ auszeichnen oder ausmachen könnte, nicht so falsch gelegen. Weiters haben sich einige Klischees betätigt oder auch Muster. Welche und was es sonst zum Film zu sagen gibt, steht in der -> Rezension.

Handlung

Ein mysteriöser Verkehrsunfall im Schnee mit fünf Toten gibt Sonderermittler Moritz Eisner viele Rätsel auf. Denn neben den beiden Fahrern, zwei Studenten, findet die Polizei in dem verunglückten Wagen drei weitere tote Personen, die offenbar schon vor dem Unfall gestorben sind.

Erste Untersuchungen ergeben, dass diese drei Leichen aus einem Krankenhaus offiziell zu Forschungs- und Lehrzwecken an die Anatomie der Universität Wien überstellt worden waren. Auch die Leiterin der Klinik Dr. Veronika Fuchsthaler hat keine Erklärung dafür, wie diese menschlichen Körper nachts in einen Kleintransporter auf einer einsamen Landstraße gekommen sind.

Unerwartete Hilfe erhalten Eisner und sein Kollege Inspektor Bernhard Weiler von der jungen Pathologin Paula Weisz, die in dem Krankenhaus Ungereimtheiten entdeckt. Auf eine ganz heiße Spur stößt Dr. Weisz bei einem Seminar an der Grazer Universität. Denn bei einem Anschauungsunterricht erkennt sie den Körper einer jungen Drogensüchtigen wieder, die nach den Unterlagen bereits in Wien von Studenten seziert worden ist. Wie konnte diese Leiche dann äußerlich offensichtlich unversehrt nach Graz kommen?

Für Moritz Eisner ist klar, dass die Anatomie und das Krankenhaus über gefälschte Akten Leichen verschwinden lassen. Menschen, die keine Angehörigen haben, für die niemand ein Begräbnis bezahlt und die niemand vermisst. Doch zu welchem Zweck geschieht das? Und warum hat die drogensüchtige Frau schwere Brüche an der Wirbelsäule und den Schultern, die ihr eindeutig lange nach dem Tod zugefügt wurden? Verfolgt von der Presse, die Wind von dieser Schauergeschichte bekommen hat, gerät Eisner immer tiefer in Ermittlungen, die ständig neue Fragen aufwerfen. Vor allem aber diese eine Frage: Wie weit dürfen Wissenschaft und Forschung gehen?

Rezension

Wir haben hier keine Krimi-Dramaturgie aufzubauen, daher rücken wir gleich damit raus, was an diesem Tatort so typisch ist. 1.) Verliebt sich ein Kriminaler, dann entweder in eine Täterin oder die Person stirbt innerhalb weniger Minuten Spielzeit. Dieses Mal war Letzteres der Fall. So schön diese zarten Gefühl vorher aufgebaut wurden und so witzig die leicht beschickerte Szene im Leichenkeller der Klinik war, so sehr haben wir uns gewundert, dass Eisner nach dem Tod der Frau recht ruhig blieb. Es war mehr oder weniger seiner Tochter überlassen, Trauer zu zeigen. Vielleicht hat er’s aber auch nach innen gewendet. Sonst ist er ja im Granteln und in Gefühlsäußerungen aller Art nicht zurückhaltend („Mit vollen Hosen ist gut scheißen!“), aber vielleicht war er so schockier,t dass er’s mal nach innen gewendet hat. Außerdem gibt es noch keine Bibi, die Dialektik der Gefühle, das Pendant zur Kölner Dialektik um die Politische Korrektheit, die gibt es hier noch nicht.

Die Tochter ist einfach noch zu jung für sowas. Wenn Bibi Fellner schon dabei gewesen wäre, hätte man außerdem noch wunderbar a bissl Eifersucht reinstreuen können, weil eigentlich, da mag sie den Moritz doch super gerne. Ach ja, das andere Muster. Wenn in ORF-Tatorten Deutsche vorkommen, sind sie entweder doof oder fies oder von beidem was, in unterschiedlicher Mengenverteilung. In letzter Zeit ist das nicht mehr so ausgeprägt, das wird am gewachsenen Selbstbewusstsein der Österreicher liegen. Ob der zuletzt etwas entspanntere Umgang auch den Rechtsdrall durchstehen wird, den das Land vollzogen hat, werden wir sehen. Zum Ausgleich fährt Moritz Eisner immer ein Produkt aus dem VW-Konzern, selbst jetzt, nach dem Dieselskandal. Neuerdings ist es aber ein Skoda, kein stark motorisierter Golf mehr, wenn wir’s richtig im Kopf haben.

2006, da war er aber erst drei Jahre dabei und der Film wurde während einer Zeit gedreht, als wir ein paar Kilometer weiter – genau. Aber das gehört jetzt nicht hierher.

Der Film zerfällt wieder einmal in eine Inszenierung und ein Drehbuch und wenn wir vom Zerfallen sprechen, dann heißt das, es gibt ein Gefälle, das die Einheit zwischen beidem reißen lässt. Für 2006 noch ungewöhnlicher als heute, dass sinfonisch übers Bild hinweg dirigiert wird, aber in der Playlist findet sich nichts von Strauß, und der war doch wohl dabei – leicht verfremdet übrigens. Der Film ist wieder politisch, dieses Muster haben wir aber oben weggelassen, weil zwar die Politik immer Dreck am Stecken hat, aber doch auf eine so unterschiedliche Art, dass man darüber von Film zu Film reden muss – worin die Unterschiede liegen, beispielsweise.

Dass es um Geld  und Privilegien geht, ist schon klar, aber die Schlüssigkeit des Plots kann davon abhängen, ob man daran glaubt, was man sieht. Vielleicht hat übrigens der ORF mit diesem ständigen Herumhacken auf den Politikern, die an den Quellen sitzen, damals immer ÖVP oder SPÖ, sein Schärflein dazu beigetragen, dass die FPÖ so weit nach vorne gekommen ist. Das Anti-Establishment-Gen haben die Wien-Tatorte schon gehabt, als man sich bei uns noch gescheut hat, ganz nach oben durchzugreifen und anzudeuten, dass eigentlich alle korrupt sind. Mehr oder weniger. Mittlerweile ist es ja auch hier kein Tabu mehr, Staatsstellen als ins Verbrechen involviert zu zeigen, nicht nur fehlgeleitete Einzelpersonen, aber der Schmäh ist nicht da, der es erlaubt, alles hineinzuinterpretieren, was man will. Wenn man die Wien-Tatorte bis zum Ende denkt, braucht man sich um die Demokratie nicht mehr viele Gedanken zu machen.

Trotzdem ist die Sache mit den entwendeten Leichen viel zu umständlich. Es gibt, das wird im Film ja auch angedeutet, legale Wege, sich „Echt-Bodys“ zu verschaffen, um bestimmte Autotests realistischer durchführen zu können. Ob ein toter, also physisch nicht mehr wie ein lebender reagierender Körper tatsächlich bessere Ergebnisse liefert als ein mit aller modernen Sensorik und allen Ergebnissen der Materialwissenschaft ausgestatteter Dummy, wagen wir ohnehin zu bzweifeln, denn wie sollen bei den Leichen die Messwerte genommen werden, die ein Dummy mit seiner eingebauten Elektronik liefert? Außerdem dürften die Leichen in der Regel von sehr alten Erwachsenen stammen, die nicht repräsentativ für Unfallopfer sind, wenn sie „intakt“ und nicht gewaltsam zu Tode gekommen sein sollen. Wir gehen davon aus, dass heute für Autotests keine Leichen mehr verwendet werden.

Allerdings kaum eine für ein Krimi-Drehbuch auswertbare Idee ohne realen Bezug: Möglicherweise wurde der Film durch einen Versuch an der TU Graz aus dem Jahr 2005 inspiriert, damals wurden im Rahmen eines EU-Versuchs Schleudertests mit Leichen durchgeführt. Das würde auch dazu passen, dass die Versicherung des Grafen Dingsbums versucht, dem simulierten Halswirbel-Schleudertrauma auf die Schliche zu kommen, um somit einen jährlichen Betrugsschaden in zweistelliger Millionenhöhe abwenden zu können. Eigentlich kein verwerfliches Motiv, nur eben – diese Studenten, die man dafür verwendet und diese Heimlichkeit und dass die hübsche Ärztin dafür sterben muss. Nee, nee. Mit sowas kann man uns nicht begeistern. Und der Klamauk mit dem Im-Kreis-Rennen im pathologischen Institut, das der Frankenstein des frühen 21. Jahrhunderts mit dem Moritz Eisner vollführt – es endet mit dem Wiener Fenstersturz. Meine Güte, der Mann wird doch die Frau Dr. Weisz nicht persönlich umgebracht haben und vielleicht wusste er gar nichts von ihrem Tod. Alles andere ist zwar Leichenschändung, aber, geh, wir sind in Wien! Weitere deutliche Schwäche: Dass die Wohnung der abgefahrenen Transportunternehmer-Studenten nicht sofort durchsucht wird, nachdem festgestellt wurde, dass sie bei ihrem Tod drei Menschen dabei hatten, die schon tot waren.

Dafür ist es wieder alles sehr gut gespielt, bis in die kleinen Rollen hinein (der Hausmeister) und inszeniert; die Musik haben wir schon erwähnt. Die Playlist enthält auch Werke, an die wir uns in diesem Zusammenhang gar nicht erinnern, obwohl das Anschauen des Films noch keine 48 Stunden her ist. Aber die Bildsprache und die Darsteller sind einwandfrei eingestellt. Dass man trotzdem ein paar Längen vor allem ab der Mitte verspürt, liegt am leicht unebenen Drehbuch, selbstverständlich. Personaleinheit von Regie und Autorenschaft ist zwar schon Autorenkino, aber die künstlerische Einheit kann auch dazu führen, dass der Regisseur ein bissl blind für die Fehler des Schriftstellers ist. Es gibt freilich auch viele Gegenbeispiele.

Finale

Sicher ist „Exitus“ recht makaber, um das zu unterstreichen, rollen auf dem Boden der Pathologie marinierte Köpfe Richtung Kamera, aber er ist auch vergnüglich und ein wenig traurig. Es gibt sowieso Kulturen, in denen der Tod bei weitem nicht dieses Bedrohliche hat wie bei uns. Dürfte er ja gar nicht, denn schließlich heißt es, wir werden auferstehen und unsere Seele wird dorthin kommen, wo gerechterweise unser Platz ist; die Hülle hingegen ist eh Staub und warum soll sie nicht der Wissenschaft dienen oder die Organe den Lebenden? Der Unterschied beim Organspenden zwischen Österreich und Deutschland wird kurz angedeutet, aber weil wir ja auch lernfähig sind, ist man gerade dabei, ihn zu beseitigen: Wer sich nicht mit Händen und Füßen wehrt, was im Tod nicht mehr gut möglich ist, der darf ausgeweidet werden. Ob das nun humanistisch und den Lebenden überwiegend dienlich ist oder eine weitere Stufe der Ökonomisierung des und der Fremdbestimmung über den Menschen darstellt, darüber kann man wunderbar streiten. Eigentlich wäre das ein Fall für die Kölner, die uns jedes Pro und Contra ganz nebenbei, mitten im Ermitteln, sachgerecht darlegen würden. Nun hat ihn aber der Eisner Moritz bekommen und das ist, weil der Tod ja ein Wiener ist, wie er selber, auch gut.

Weil wir nachschauen wollten, ob Harald Krassnitzer, der Eisner spielt, tatsächlich ein Wiener ist (nein, er stammt aus Salzburg, fast am anderen Ende von Österreich), haben wir auch nebenbei festgestellt, dass wir uns bezüglich seiner Einsatzzeit geirrt haben, er spielt den Mann aus dem Innenministerium schon seit 1999. Das heißt, er hat dieses Jahr 20jähriges und zählt zu den „vier Alten“, die schon seit den 1990ern tätig sind. Bis vor kurzem waren es fünf, aber Inga Lürsen aus Bremen hat gerade Schluss gemacht. Verbleiben Lena Odenthal (Start bereits 1989), Batic und Leitmayr (seit 1991) und Ballauf und Schenk (seit 1997) und eben Moritz Eisner.

7,5/10

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Vorschau: Die Tendenz  zum Nekrophilen und was darf Wissenschaft

Was soll man von einer Stadt erwarten, in der ein Lied über den Zentralfriedhof gemacht wurde? Den Tod umarmen, das hat in Österreich nicht nur literarische, künstlerische Tradition, auch die ORF-Tatorte zeichnen sich zuweilen mit hohen Leichenzahlen aus. Der sehr angesehene Tatorte „Kein Entkommen“ (da war Eisner schon mit Fellner) hielt eine Zeit die Tatort-Bestmarke, mit 14 Toten. Murot und natürlich Rambo Tschiller haben sie dann übertroffen. Aber fünf ist für die Verhältnisse von 2008, als „Exitus“ entstand, auch schon ganz ordentlich, auch wenn sie vielleicht nicht alle Mordopfer sind. Trotzdem klingt die Handlungsbeschreibung hübsch gruselig soll „mit einer guten Portion schwarzen Humors“ erzählt sein. Experimente mit toten Menschen? Ein Hauch von Frankensteinismus?

Wir dachten, wir müssen wegen der heutigen Ausstrahlung von „Exitus“ nur eine Rezension aus dem Bestand neu vorstellen, aber gefehlt. Es ist wohl der für einen Krimi mit Tötungsdelikten sich geradezu aufdrängende Titel, der uns annehmen ließ, den Film hätten wir sicher schon gesehen. Dem ist aber nicht so und wir müssen heute Abend eine Aufzeichnung machen, um Ihnen, liebe Leser_innen, über unsere Eindrücke berichten zu können. Oder uns gleich vor den Fernseher setzen, wenn der Bayerische Rundfunk den Film ausstrahlt. Um 30:15 sind wir aber vermutlich noch mitten im Mietenwahnsinn, also doch zeitversetzt und möglicherweise an einem anderen Tag. Wir zählen nicht zu den Tatort-Beobachtern, die Moritz erst gut finden, seit er Bibi dazubekommen haben, die schöne Atmosphäre seiner Raus-aufs-Land-Fälle hat uns beispielsweise immer gut gefallen und die kann man intensiver gestalten, wenn der Ermittler nicht ständig im Dialog mit einer Kollegin steht, sondern sich auf das verlassen muss, was ihm vor Ort erzählt wird.

Besetzung und Stab  

Moritz Eisner – Harald Krassnitzer
Berhard Weiler – Heribert Sasse
Claudia – Sarah Tkotsch
Dr. Paula Weisz – Feo Aladag
Dr. Veronika Fuchsthaler – Sunny Melles
Ernst Rauter – Hubert Kramar
Sane – Ahmet Avkiran

Drehbuch – Thomas Roth
Regie – Thomas Roth
Kamera – Hans Seilikovsky


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