Jugendwahn – Polizeiruf 110 Fall 225 / Crimetime 314 // #Polizeiruf #Polizeiruf110 #Schmücke #Schneider #Jugendwahn #Halle #SachsenAnhalt

Crimetime 314 - Titelfoto © MDR

Diese Golfschuhe

Sie sollten es dann selbst erfahren, die wackeren Schmücke und Schneider – wie es ist, wegen zu alt aussortiert zu werden. Dass man mit ihnen gleich noch eine erst 32jährige Nachwuchskommissarin entsorgte, zeigt, dass die Macht oft nicht logisch entscheidet. Schon gar nicht beim MDR, der erhebliche Probleme hat, Teams und gute Drehbücher für seine Polizeiruf- und Tatortschienen zu finden. Mit Schmücke und Schneider hatten sie zwei Stars, deren Erstausstrahlungen auf ähnliche Quoten kamen wie neue Tatorte – aber so ist der Lauf der Dinge. Allerdings wären sie, wenn sie weitergemacht hätten,  heute auch längst übers reale Renteneinstrittsalter hinaus, hätten also ein Filmkommissar-Sonderprivileg, die Rente mit über 70 betreffend. Andrea Jonasson, die Darstellerin von Mira Bruns, war 59 Jahre alt, als sie diese Rolle übernahm. Ist das ein schwieriges Alter? Darüber und mehr haben wir in der -> Rezension geschrieben.

Handlung

Die Kommissare Schmücke und Schneider ermitteln den Mord an einem erfolgreichen Architekten. Dieter Fritsch wurde in seiner Wohnung erschlagen. Augenscheinlich deutet nichts auf einen Einbruch hin und alle Indizien sprechen dafür, dass er seinen Mörder gekannt haben muss.

Verdächtig ist zunächst Mira Bruns, die den Toten gefunden hat. Die einstmals bekannte und erfolgreiche Schauspielerin lebt heute mit ihrer Tochter Anna und ihrem jugendlichen Liebhaber Lukas Stelzer in finanzieller Abhängigkeit von ihrem Ex-Mann. Aber auch Claudia Fritsch, die am Mordtag einen heftigen Streit mit ihrem Mann hatte und seitdem verschwunden ist, steht zunächst unter Tatverdacht. Widersprüche in der Aussage von Mira Bruns erschweren die Aufklärung des Falls erheblich. Erst eine Aussage von Claudia Fritsch und eine erneute Untersuchung des Tatorts gibt dem Fall dann eine unerwartete Wendung. Aus der Wohnung des Toten wurde wertvoller Schmuck gestohlen. Ein Fremder scheidet aber als Täter aus. Der Verdacht erhärtet sich, dass Miras jugendlicher Liebhaber den Schmuck gestohlen hat.

Von den Kommissaren in die Enge getrieben, gesteht er den Einbruch. Den Mord an Dieter Fritsch streitet Lukas Stelzer aber vehement ab. Sollte es tatsächlich zwei Täter in diesem Fall geben? 

Lukas Stelzer versucht verzweifelt zu beweisen, dass er Dieter Fritsch nicht erschlagen hat. Eine zufällige Beobachtung wird dabei zum entscheidenden Indiz bei der Aufklärung des Mordes. Als Schmücke und Schneider dann auf die Spur des tatsächlichen Täter kommen, werden sie Zeuge einer erschütterten menschlichen Tragödie, die auch die beiden Kommissare zutiefst berührt. 

Rezension

Andrea Jonasson hat die alternde Diva Mira Bruns gut gespielt, darüber herrscht vermutlich weitgehend Einigkeit. Wir hatten richtig Mitleid – weniger mit der Figur als mit der Darstellerin. Ein Profi kann vielleicht jede Rolle und wenn man nicht stabil mit seiner voranschreitenden Zahl an Jahren umgehen kann, sollte man einen solchen Auftrag vielleicht nicht annehmen. Wir würden ihn wohl nicht annehmen. Aber diese Sache hat einen doppelten Boden, denn es ist interessant, dass man jemanden verpflichtet hat, der in Deutschland nicht zu den Stars gehört, deren Image durch eine solche Rolle hätte leiden können.

Im Ganzen dekliniert der Film doch etwas zu sehr das Drama des Alterns in allen seinen Facetten. Frauen werden Älter, Männer reifer – der Spruch fällt auch so ähnlich und es mag an unserem Milieu und unserer Austellung und an unserer politischen Verortung liegen, dass wir glauben, da hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Zum Beispiel, dass Menschen es tatsächlich für links halten, nicht mehr den Klassenkampf, sondern den Generationkrieg zu führen und alle anzugreifen, die älter sind als sie selbst. Das Erkennen und Hintanstellen von Nebenwidersprüchen ist schon jenseits der intellektullen Kräfte und das trägt dazu bei, dass es eben doch ist wie im Film – den man aber prima für diese Kampfaufstellung verwenden kann. Mit welchem Recht können alte weiße Männer immer über junge Frauen verfügen und diese sogar so modellieren, dass sie die Jugendzeit noch einmal durchmessen können, während die Frauen nur ein Leben haben. Wir meinen auch, entweder altern wir alle in Würde oder eben niemand.

„Niemand“ kommt aber immer mehr in Mode und dieses Thema wird gar nicht so recht angeschnitten. Wir sind immer wieder erstaunt darüber, wie Menschen an sich herumdoktern lassen, um ein wenig jünger auszusehen, wo es doch Körperpartien gibt die eine eindeutige und nicht durch Schönheitschirurgie veränderbare Sprache sprechen. Menschen altern heute durchaus gemächlicher als früher, dank besserer medizinischer Versorgung und Ernährung und keine anstrengende körperliche Arbeit mehr und überhaupt mehr auf sich selbst schauen, mit allen Vor- und Nachteilen, die das auch wieder hat. Wie zum Beispiel bei Mira Bruns, die sich gar keine selbstbewusste Neuerfindung der eigenen Person vorstellen kann. Alle haben ihre Zeit und vorbei ist vorbei, bis natürlich auf das Gewaltopfer, das hätte noch viele Jahre Spaß haben können – wäre nicht mal wieder ein Streit um den  Unterhalt der Ex sinnlos eskaliert. Besonders schwer hat es ein Gigolo, viel mehr als zehn gute Jahre sind nicht drin. Man denkt sofort an Sportprofis. Die haben grundsätzlich wohl ein paar Jahre mehr, um fette Beute zu machen, aber das Verletzungsrisiko und damit das vorzeitige Karriereende sind ja auch zu bedenken.

Da haben die Beamten Schmücke und Schneider gut reden. Klar, man soll seine Identität nicht nur aus der körperlichen Perfektion generieren, aber es kann nicht jeder einigermaßen verschleißfrei im Dienstzimmer die Zeit bis zur Pensionierung absitzen, irgendwer muss ja mit seinen Steuern dafür sorgen, dass genau dies für einige, beinahe  zeitlos privilegierte Menschen möglich ist. So gesehen, ist es typisch Boulevard, dass man dem MDR quasi einen Untreue-Vorwurf gemacht hat, als Schmücke und Schneider 2013 aussteigen mussten. Aber da bleibt der Fail, dass bei gut funktionierenden Teams auch die Jungen gehen müssen, die man als Nachfolger aufbauen könnte. Bloß keine Kontinuität, vor allem, wenn auch die Verantwortlichen bei den Sendern wechseln. Alles eine Machtfrage.

„Jugendwahn“ ist im Stil der späten 1990er gefilmt und im Stil des MDR, der kaum Rasanz oder visuelle Überraschungen zuließ, das änderte sich übrigens auch durch die neue Fernsehfilm-Produktionsleitung nicht. Dabei kann man doch mit einer Modernisierung der Inszenierung viel besser am Puls der Zeit bleiben als mit ständigen Personalwechseln, die keine qualitative Steigerung bringen.

Deswegen ist dieser Film ziemlich langsam und am Ende stellt sich die Täterperson selbst, weil sie nicht will, dass eine geliebte andere Person angeklagt wird. Schmücke und Schneider lassen zwar schöne Abdrücke nehmen, von Schuhen, die so besonders sind, dass nur einer sie getragen haben kann, da kommt er nicht aus – und doch führt diese Ermittlung hinsichtlich der Haupttat in die Irre.

Eigentlich ist das nett, wir haben es schon häufiger beobachtet: Schmücke und Schneider werden nicht als solche Überkommissare dargestellt wie die meisten Tatort-Kolleg_innen, die selbst in schwersten persönlichen Lagen und mit psychischen und / oder physischen Deformationen noch grandiose kriminalistische Leistungen vollbringen.

„Jugendwahn“ wurde vor fast 20 Jahren gedreht, aber auch die neuen Filme der Reihe Polizeiruf 110, die wir bisher gesehen haben, zeigen nicht dieses extreme Gefälle zwischen Filmpolizisten und deren realen Pendants wie die Tatorte, bei denen man sich über viele Jahre hinweg immer weiter ins Extreme glaubte steigern zu müssen – insofern spiegelt die überwiegend im Osten angesiedelte Schiene noch die Skepsis vor faschistoiden Übermenschen, während in Tatorten sich immer schon autoritäres und individuell-kritisches Denken auf interessante Weise zusammen- und den Weg auf den Bildschirm fanden.

Wenn man beim Polizeiruf einen Film über den Jugendwahn macht, gibt es keine große Differenzierung, eine Hybris und eine falsche Tendenz in der Gesellschaft haben nun einmal keine Lichtseiten. Wir finden es hingegen nicht so schlecht, dass Menschen mehr auf sich aufpassen, sich pflegen, auch mal die eine oder andere Maßnahme ergreifen, um Dinge zu korrigieren, für die sie nichts können – solange es sich nicht in Betisen z. B. kleidungsseitiger Natur äußert, die den Sinn für Ästhetik beleidigen. Und solange die geistige Reifung nicht stecken bleibt, was leider häufig zu beobachten ist.

Finale

Als Krimi ist „Jugendwahn“ unterdurchschnittlich, daran führt nichts vorbei. Als Abhandlung übers Altern hingegen kann er zum Nachdenken anregen und das haben wir in dieser Rezension auch getan – den Gedanken Lauf gegeben. Auch wir werden älter. Immerhin schreiben wir jetzt seit über acht Jahren über Filme und Tatorte und nebenbei lief ein eigener Film ab, unser Leben in Berlin. Da gibt es viel zum Reflektieren, aber wir wollen nicht behaupten, dass einige Menschen auch richtige Luxusprobleme haben. Wer unter etwas leidet, den kann man nicht mit Whataboutismen bescheiden, und sei das Leiden ein Wahn wie der Jugendwahn. Aber nichts bleibt stehen. Wir denken zum Beispiel darüber nach, die Rezensionen, die gerade bei den Polizeirufen ein wenig sehr assoziativ-freifließend geworden sind, bedingt vor allem durch die älteren Filme, die in der DDR gedreht wurden und viele politische Anmerkungen provozieren, wieder mehr zu strukturieren.

7,5/10

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Herbert Schmücke Jaecki Schwarz
Herbert Schneider Wolfgang Winkler
Mira Bruns Andrea Jonasson
Anna Fritsch Alexandra Schalaudek
Lukas Stelzer Tom Mikulla
Edith Reger Marita Böhme
Claudia Fritsch Julia Thurnau
Gerichtsmediziner Klausjürgen Steinmann
Irene Alexa Maria Surholt
Rosamunde Weigand Marie Gruber
Regie: Bodo Fürneisen
Drehbuch: Wolfgang Hesse
Kamera: Dieter Chill

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